Digitaler Stress ist eine Stressform, die durch die Nutzung und Allgegenwärtigkeit digitaler Technologien verursacht wird. Immer mehr Wissenschaftler als auch Verantwortungsträger in der Praxis interessieren sich für das Phänomen des digitalen Stresses sowie seine Ursachen (z. B. ständige Erreichbarkeit am Smartphone, unzuverlässige und instabile Systeme, Informationsüberlastung) und Folgen (z. B. negative gesundheitliche Wirkungen, Unzufriedenheit, verminderte Leistungsfähigkeit und Produktivität). In Wirtschaftsinformatik & Management, 14, 262–272 (2022), haben wir die deutschsprachige Version der Digital Stressors Scale (DSS) vorgestellt. Es handelt sich hierbei um einen psychometrisch evaluierten Selbstbericht-Fragebogen zur Messung von digitalem Stress im Arbeitskontext. Im vorliegenden Beitrag stellen wir eine Kurzversion dieses Originalfragebogens vor. Der Originalfragebogen enthält 50 Fragen (Items), die hier vorgestellte Kurzversion umfasst 30 Fragen. So wie auch schon im Originalfragebogen liegen dem gesamten am Arbeitsplatz erlebten digitalen Stress zehn Stresskategorien zugrunde; jede Kategorie wird in der Kurzversion entlang von drei Fragen erfasst. Die Verwendung des Fragebogens durch Wissenschaftler dient der Quantifizierung von digitalem Stress sowie seiner zehn Facetten, um das Gesamtkonstrukt bzw. die zehn Dimensionen im Rahmen wissenschaftlicher Forschung reliabel und valide zu messen. Praktiker profitieren vom Einsatz des Messinstruments, um im organisationalen Umfeld den von Mitarbeitern wahrgenommenen digitalen Stress zu erfassen. Dies ist eine wichtige Grundlage, wenn nicht sogar Voraussetzung für die Implementierung wirksamer Bewältigungsstrategien.

Laut International Telecommunication Union (ITU) nutzten im Jahr 2022 in etwa 5,3 Mrd. Menschen das Internet (www.itu.int), das ist eine Mehrheit der weltweiten Bevölkerung. Zudem sind Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) heutzutage ein wesentliches Rückgrat einer funktionierenden Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft. Der Einsatz von IKT stiftet für Individuen, Organisationen und die Gesellschaft im Allgemeinen großen Nutzen – Beispiele sind ein verbesserter Zugang zu Informationen, mehr und raschere Kommunikationsmöglichkeiten sowie eine erhöhte Effizienz und Produktivität [1,2,3].

Trotz dieser positiven Wirkungen können der Einsatz und die Allgegenwärtigkeit von IKT auch mit beträchtlichen negativen Wirkungen einhergehen. Eine sehr bedeutsame negative Wirkung ist der digitale Stress. Sowohl die wissenschaftliche Forschung als auch Einzelberichte aus der Praxis zeigen, dass der menschliche Umgang mit IKT sowohl im privaten (z. B. Social-Media-Nutzung wie Facebook oder Instagram) als auch im organisationalen (z. B. E‑Mail, betriebliche Anwendungssysteme, Social-Collaboration-Plattformen wie Jira oder Teams) Kontext zu beträchtlichen Stresswahrnehmungen bei Benutzern führen kann [4, 5].

Wir fokussieren im vorliegenden Beitrag auf jenen digitalen Stress, den Benutzer im Arbeitskontext durch die Verwendung und Allgegenwärtigkeit von IKT wahrnehmen. Bereits vor mehreren Jahrzehnten wurde das Phänomen des digitalen Stresses diskutiert, primär als Folge der Einführung von Personal Computers (PC) in Unternehmen. Diese Diskussion basierte meist auf den Bezeichnungen „Technostress“ [6] und „Computerstress“ [7]. Insbesondere in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten wurden etliche wissenschaftliche Studien zur Thematik publiziert [8]. In Anbetracht des immer weiter ansteigenden Digitalisierungsgrades in Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft ist davon auszugehen, dass das Phänomen des digitalen Stresses auch weiterhin sehr hohe Relevanz in Wissenschaft und Praxis haben wird.

Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis ist es bedeutsam, das Phänomen des digitalen Stresses zuverlässig messen zu können. Als Ergänzung zu objektiven neurophysiologischen Stressmessungen [9,10,11] wird in der Fachliteratur oftmals der Einsatz von fragebogenbasierten Messinstrumenten empfohlen, welche die subjektiven Stresswahrnehmungen systematisch auf der Basis von Likert-Skalen erfassen können [12]. In der Wissenschaft ist diese Art der Stresserfassung wichtig, weil in der theoriegeleiteten empirischen Forschung das latente Konstrukt „digitaler Stress“ damit messbar gemacht werden kann. Zudem ist bekannt, dass sich schädliche Effekte von Stress oft auch auf negative subjektive Zustände beziehen, die objektiv schwierig zu quantifizieren sind [13]. In der Praxis ist die Verfügbarkeit eines reliablen und validen fragebogenbasierten Messinstruments gleichermaßen wichtig, damit Organisationen den von ihren Mitarbeitern wahrgenommenen Stress erfassen können – darauf aufbauend können dann in Abhängigkeit der Ausprägungen diverser Stressfacetten wirksame Maßnahmen zur Reduktion oder Vermeidung des digitalen Stresses implementiert werden. Wir beobachten, dass immer mehr Entscheidungsträger in der Praxis damit beginnen, sich mit dem digitalen Stress sowie seinen Ursachen und Folgen auseinanderzusetzen. Während sich traditionell eher Manager aus den Human-Resource(HR)-Abteilungen mit dem Phänomen befassten, werden mittlerweile immer mehr Führungskräfte aus dem Topmanagement auf die Thematik aufmerksam – einerseits deshalb, weil dieser Personenkreis selbst vom digitalen Stress betroffen ist, andererseits deshalb, weil der digitale Stress die Leistungsfähigkeit und Produktivität von Organisationen ungünstig beeinflussen kann und somit unmittelbar betriebswirtschaftliche Relevanz hat [14].

Methodik

Datenerhebung und Stichprobe

Grundlage für die Testung der Kurzversion der DSS sind Daten, welche für die Entwicklung der deutschen Version des Fragebogens im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) erhoben wurden – siehe dazu Riedl et al. [15]. Die Stichprobe von n = 3333 verteilt sich in etwa gleich auf alle drei Länder (Deutschland: 1012, Österreich: 1187, Schweiz: 1134) und es wurde bei der Erhebung darauf geachtet, dass die Alters- und Geschlechterverteilung innerhalb der Ländersamples repräsentativ ist für die Verteilung in der jeweiligen Population. Für weitere Details verweisen wir auf die Darstellungen in [15]; siehe zudem den englischsprachigen Originalfragebogen und die dort vorgestellte psychometrische Evaluierung [16].

Psychometrische Evaluierung

Die Basis für die Bildung einer Kurzversion der DSS sind Empfehlungen zur Mindestanzahl an Items, welche für jeden Faktor gegeben sein sollte, um etwa eine Reliabilitäts- oder Faktoranalyse zu ermöglichen [17]. In Übereinstimmung mit derartigen früheren Untersuchungen wurde überprüft, ob eine Version des Fragebogens, bei der drei Items pro Stresskategorie verwendet werden (statt der ursprünglichen fünf Items), ebenfalls die Gütekriterien für Fragebogeninstrumente ausreichend erfüllt. Hierzu wurden drei Items pro Stresskategorie ausgewählt, die während der Entwicklung des DSS eine besonders starke Beziehung (d. h. Faktorladung) mit ihrer jeweiligen Stresskategorie gezeigt hatten.

Im Anschluss wurde zuerst die Reliabilität der zehn Stresskategorien auf der Basis der Kurzversion des Fragebogens untersucht. Hierzu wurde Cronbachs Alpha als Indikator verwendet, welcher pro Stresskategorie den Schwellenwert von 0,70 überschreiten sollte. Wie in Tab. 1 ersichtlich, wird dieses Kriterium für jede Stresskategorie in der Kurzversion des DSS erfüllt. In Tab. 1 stellen wir die Kurzversion als „DSS(30)“ dar, den Originalfragebogen – also die ursprüngliche Langversion nach [15] – als „DSS(50)“. Zudem kann gezeigt werden, dass es trotz einer wesentlichen Reduktion der Anzahl der Items (von 50 auf 30 im gesamten Fragebogen und von 5 auf 3 je Stresskategorie, also eine Reduktion um 40 %) kaum zu einer Verringerung der Reliabilität im Vergleich zur Langversion kommt und das Kriterium von Cronbachs Alpha > 0,70 immer erreicht wurde.

Tab. 1 Reliabilität der Kurzversion des Fragebogens im Vergleich mit dem Original

Nachdem die Reliabilität der zehn Stresskategorien überprüft wurde, wurde eine konfirmatorische Faktoranalyse durchgeführt, um die Validität des gesamten Instruments (d. h. der zehn Stresskategorien und ihren zugeordneten Items) zu überprüfen. Um die Güte des gesamten Modells zu bewerten, kann eine Auswahl an Fit-Indizes herangezogen werden, die alle eine hohe Güte der getesteten Struktur des Fragebogens belegen: Chi-Square = 2602,68, df = 360, p ≤ 0,0001; Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA) = 0,045; Normed Fit Index (NFI) = 0,99; Comparative Fit Index (CFI) = 0,99; Standardized RMR = 0,034; Goodness of Fit Index (GFI) = 0,95. In Tab. 2 wird diese Faktorstruktur inklusive sämtlicher Items dargestellt. Weiter ist die standardisierte Faktorladung der Items auf ihre jeweilige Stresskategorie beschrieben. Es ist ersichtlich, dass jedes Item stark auf die ihm zugeordnete Stresskategorie lädt, was darauf hindeutet, dass die erwartete Assoziation zwischen den Items und den latenten Faktoren bestätigt wird.

Tab. 2 Stresskategorien, Fragebogenitems und Faktorladungen

Anwendung des Instruments

Für die Anwendung des Fragebogens in der Praxis können einige Empfehlungen abgegeben werden, die insbesondere dabei helfen sollen, diesen zweckmäßig anzuwenden und auch mit möglicherweise problematischen Situationen bei der Auswertung des Fragebogens umzugehen.

Für die Gestaltung des Fragebogens wird empfohlen, diesen wie schon bei der Entwicklung des Instruments online zur Verfügung zu stellen und die Items den Befragten in zufälliger Reihenfolge zu präsentieren. Zudem sollte es zu Beginn ein einleitendes Statement geben, welches beschreibt, an welche Art Technologien die Befragten bei der Beantwortung des Fragebogens denken sollten. Ein solches Statement findet sich im Anhang des Artikels von Riedl et al. [15]. Jedes Item kann auf einer 7‑stufigen Likert-Skala beantwortet werden, welche von „stimme überhaupt nicht zu“ (den Wert „0“ zuordnen) bis „stimme völlig zu“ (den Wert „6“ zuordnen) reicht. Daraus folgt, dass „neutral“ den Wert „3“ hat und die Mitte der Skala darstellt. Zudem wird die Option „Weiß nicht“ angeboten und am Beginn des Fragebogens wird darauf hingewiesen, dass diese genutzt werden sollte, wenn ein Item nicht verständlich oder nicht auf die Situation des Befragten anwendbar ist.

Bevor im Anschluss an die Befragung die Analyse der Daten beginnen kann, müssen diese noch auf mögliche fehlende Werte hin untersucht werden. Sollten Befragte die Option „Weiß nicht“ gewählt haben oder wurde ein Item nicht beantwortet, kann der fehlende Wert durch den Median der restlichen Werte für ein Item ersetzt werden. Sollte der Anteil dieser Fälle jedoch sehr hoch sein (z. B. über 10 %), dann sollte auch darüber nachgedacht werden, das betreffende Item von weiteren Analysen auszuschließen.

Um schließlich Werte für die Stresskategorien und die DSS insgesamt zu berechnen, ist der Durchschnitt der Werte pro Stresskategorie (also der Durchschnitt über die drei Items je Kategorie) zu bilden bzw. der Durchschnitt über alle Items im Fragebogen (also über die 30 Items). Dieses Verfahren ist möglich, da es sich bei der DSS um ein reflektives Fragebogeninstrument handelt. Das heißt, dass die Stresskategorien die Wahrnehmung von digitalem Stress repräsentieren und die Items wiederum ihre Stresskategorie repräsentieren. In weiterer Folge bedeutet dies, dass die zehn Stresskategorien auch unabhängig voneinander verwendet werden können. Sollten daher für eine spezifische wissenschaftliche Untersuchung oder in einem bestimmten Unternehmen nicht alle Stresskategorien von Bedeutung sein, oder im Extremfall nur eine Kategorie von Interesse sein, so können die jeweils relevanten Kategorien auch völlig unabhängig voneinander angewendet werden. Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass es sich bei Priorisierung einer spezifischen Stresskategorie oder von wenigen Stresskategorien empfiehlt, die 5‑Item-Version nach [15] zu verwenden, und zwar insbesondere deshalb, um die Störeffekte fehlender Werte besser abfedern zu können.

Bei der Interpretation der ermittelten Stresswerte ist das Folgende zu beachten. Bei der Berechnung des gesamten von einer Person erlebten digitalen Stresses (also der Durchschnitt über alle 30 Fragen) stellt jeder Wert größer null bereits Stresswahrnehmungen dar – je höher der Wert, desto ausgeprägter der wahrgenommene Stress. Zudem zeigen die bisherigen Anwendungserfahrungen des Messinstruments in der betrieblichen Praxis, dass es beträchtliche Varianzen in den Werten über die zehn Stresskategorien geben kann und der Durchschnittswert des gesamten erlebten digitalen Stresses bei einer Mehrheit der Befragten etwa in der Mitte der Skala sowie geringfügig darunter liegt. Seltener ist es der Fall, dass viele Mitarbeiter in einem Unternehmen weit über der Skalenmitte liegen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine solche Situation lediglich mit geringen bis mittleren Belastungen bei den Befragten einhergeht. Vielmehr zeigen Erfahrungsberichte aus Unternehmensprojekten im deutschsprachigen Raum, dass – zumindest aktuell – manche Stresskategorien eine eher niedrige Ausprägung haben (z. B. Stresskategorie 3: Angst, durch digitale Technologien ersetzt zu werden), wohingegen andere Kategorien sehr hohe Ausprägungen haben können (z. B. Stresskategorie 5: Überlastung mit Informationen und Aufgaben, Stresskategorie 7: Sozialer Druck und Kommunikationsmisere). Eine solche Konstellation kann – trotz eines eher moderaten Gesamtwertes für den digitalen Stress – dennoch mit hohen wahrgenommenen Belastungen einhergehen. Im Extremfall ist es möglich, so unsere Erfahrungen aus Unternehmensprojekten, dass neun der zehn Kategorien eine eher niedrige Ausprägung haben, eine Kategorie jedoch die Maximalausprägung hat, die dann mit enormen Belastungen und Burnout-Tendenzen einhergeht.

Weiter ist bei der Interpretation zu beachten, dass (digitaler) Stress ein Phänomen ist, das idealerweise mit neurobiologischen Verfahren und Befragungsmethoden (wie eben der Kurz- oder Langversion der DSS) gemessen werden sollte [11]. Der wesentliche Grund hierfür liegt darin, dass bewusste Stresswahrnehmungen bei Menschen, die mittels Befragungsmethoden gemessen werden können, oft nicht mit den üblicherweise unbewussten Erhöhungen von Stresshormonen und weiteren Stressparametern wie einem erhöhten Blutdruck sowie einer reduzierten Herzratenvariabilität korrelieren – dieser Befund wird sowohl in der allgemeinen Stressliteratur als auch in der Fachliteratur zum digitalen Stress berichtet (ausgewählte Studien dazu finden sich in [10]). Daher ist es möglich, dass Menschen im Fragebogen, wenn sie nach ihrem wahrgenommenen (digitalen) Stress befragt werden, eher niedrige Werte aufweisen (sie glauben also subjektiv, wenig Stress zu haben), obwohl neurobiologische Stressparameter bereits erhöhte bzw. zu einer Baselinemessung signifikant veränderte Werte anzeigen. Trotz dieses Umstands gilt, dass psychometrisch evaluierte Befragungsinstrumente zur Messung von digitalem Stress wie die DSS insbesondere aus der Sicht von Management und HR-Abteilung aktuell das zentrale Instrument bei der Stressbestimmung im betrieblichen Kontext sind, auch wenn Wearables wie Smartwatches zunehmend eine relativ unkomplizierte physiologische Bestimmung von Stressparametern wie Herzschlagrate und Herzratenvariabilität ermöglichen [18].

Fazit

Digitaler Stress ist eine Stressform, die aufgrund der zunehmenden Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) weltweit immer mehr an Bedeutung gewinnt. In diesem Beitrag wurde auf der Basis des englischsprachigen [16] und deutschsprachigen [15] Original-Fragebogeninstruments, welche digitalen Stress jeweils über 50 Fragen und entlang von zehn Stresskategorien konzeptualisieren, eine deutschsprachige Kurzversion des Instruments vorgestellt. Diese Kurzversion enthält 30 Fragen, konkret wird jede der zehn Stresskategorien auf der Basis von drei Fragen gemessen. Die hier vorgestellte psychometrische Evaluierung belegt, dass mit diesem Instrument sowohl der gesamte im Arbeitskontext von einem Menschen wahrgenommene digitale Stress als auch jede der zehn Stresskategorien reliabel und valide gemessen werden können. Das hier vorgestellte Instrument leistet somit einen Beitrag für zukünftige Forschungen als auch für die Bestimmung von digitalem Stress in Unternehmen. Dies ist eine Grundlage für die Entwicklung wirksamer Bewältigungsstrategien.