Process Mining ist eine Technologie, mit deren Hilfe Geschäftsprozesse analysiert und verbessert werden können. Die Grundlage dazu bilden die Ereignisdaten, welche bei der Prozessausführung innerhalb der betrieblichen Informationssysteme entstehen. Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung sind die Menge und Verfügbarkeit von Ereignisdaten in den letzten Jahren enorm angestiegen, wodurch wiederum die Anwendungsmöglichkeiten und Erfolgspotenziale des Process Mining erheblich vergrößert werden [1].

Die Anwendungsebenen im Process Mining lassen sich, wie in Abb. 1 zu sehen, drei Teilbereichen zuordnen. Dabei handelt es sich um die Prozesserkennung (Discovery), die Prozessübereinstimmung (Conformance) sowie die Prozesserweiterung (Enhancement).

Abb. 1
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Drei Ebenen des Process Mining [2]

Bei der Prozesserkennung werden die Ereignisdaten ausgewertet und darauf aufbauend das Ist-Prozessmodell, welches den tatsächlichen Geschäftsprozessen zugrunde liegt, abgeleitet. Bei der Prozessübereinstimmung wird das Ist-Modell mit einem idealtypischen Soll-Modell abgeglichen, um in einem ersten Schritt Abweichungen aufzudecken, anschließend zu lokalisieren und zu erklären. Bei der Prozessverbesserung wird das bestehende Ist-Modell erweitert, angepasst und verbessert, um einen effizienteren Prozessablauf zu erreichen [3].

Somit stellt Process Mining ein mächtiges Werkzeug bereit, mit dessen Hilfe durch eine Optimierung der betrieblichen Geschäftsprozesse eine Steigerung des Unternehmenserfolgs realisiert werden kann. Jedoch stoßen die klassischen Anwendungen des Process Mining in der Realität schnell an ihre Grenzen, vor allem dann, wenn es in dem Bereich des Enhancements um autonome oder hoch automatisierte Optimierungsansätze geht. Daher wird in letzter Zeit verstärkt auf Technologien aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) und dem Teilgebiet des maschinellen Lernens (ML) zurückgegriffen, um damit die Anwendungsmöglichkeiten und Potenziale des Process Mining zu erweitern [2].

Anwendungen der KI sind heute bereits integraler Bestandteil kommerzieller Process-Mining-Softwarelösungen bekannter Anbieter wie Celonis, Lana, QPR und IBM. Die Erweiterung herkömmlicher Process-Mining-Lösungen durch Technologien der KI und des ML bieten eine mächtige und flexible Basis für umfassende Einsatzmöglichkeiten im Process Mining. Die Nutzung dieser Softwarelösungen setzt jedoch in der Regel tiefgreifende IT- und Process-Mining-Kenntnisse voraus [3, 4].

Vor diesem Hintergrund besteht das Ziel des vorliegenden Artikels in der Darstellung wichtiger Anwendungsmöglichkeiten von KI im Rahmen von Process Mining. Dazu wird zunächst die Proactive Insights Engine vorgestellt. Dabei handelt es sich um eine Technologie, welche KI und ML mit bestehenden Process-Mining-Softwarelösungen verbindet und in diese integriert. Anschließend werden die Potenziale von KI im Rahmen der Robotic Process Automation (RPA) dargelegt und aufgezeigt, welche Rolle sie im Zuge der Business Process Automation spielen. Als Anwendungsbeispiel werden die Möglichkeiten moderner KI-Technologien beim Process Mining in der Belegerfassung als konkreter Anwendungsfall dargelegt. Bevor dies detailliert untersucht wird, werden jedoch kurz zwei grundlegende Strategien für die Anwendung von KI und ihren Beitrag, den sie in den einzelnen Teilbereichen des Process Mining leisten, beschrieben.

KI-basierte Strategien zur Optimierung des Process Mining

Bei der Implementierung und Ausweitung intelligenter Anwendungen in bestehende Process-Mining-Lösungen können zwei grundlegende Strategien unterschieden werden (Abb. 2).

Abb. 2
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KI-Strategien im Process Mining

Im Rahmen der ersten Strategie wird die KI eingesetzt, um Hintergrundwissen auszuwerten und nutzbar zu machen. Es gibt mehrere Bereiche, in denen diese Strategie eingesetzt werden kann. Hintergrundwissen kann zunächst als Basis für das selbstständige Lernen der KI dienen und somit im Rahmen der Prozesserkennung und Prozessverbesserung eingesetzt werden. Weiterhin dient das Hintergrundwissen als Basis für Mustererkennung und kann somit bei der Konformitätsprüfung eingesetzt werden. Insbesondere bei fehlerhaften und unvollständigen Informationen kann diese Strategie deutliche Qualitätsverbesserungen erzielen. Im Rahmen der zweiten Strategie wird die KI eingesetzt, um bereichs- und aufgabenübergreifende Zusammenhänge zu erkennen, wodurch komplexe Ursache-Wirkungs-Ketten aufgedeckt werden können. Dadurch können unterstützende Aufgaben von der KI im Rahmen aller Teilbereiche des Process Mining durchgeführt werden. Zunächst kann KI unterstützend im Rahmen der Prozesserkennung bei Klassifizierungen, Gruppierungen sowie Rausch- und Ausreißerfilterung eingesetzt werden. Im Zuge der Konformitätsprüfung kann KI unterstützend bei der Spureninterpretation, Dateninferenz und Schlussfolgerung sowie beim Ensemble Learning eingesetzt werden. Weiterhin kann KI bei der Generierung von Empfehlungen zur Prozessverbesserung angewendet werden. Zuletzt kann die KI unterstützend bei der Gruppierung und Abstraktion sowie auf Grundlage von KI bei der Vorhersage von Prozessergebnissen eingesetzt werden [5].

Die Proactive Insights Engine

Die Proactive Insights (PI) Engine ist eine Technologie, welche Process Mining mit KI verbindet und direkt in bestehende Process-Mining-Lösungen integriert werden kann. Sie bietet dem Benutzer umfangreiche Anwendungsmöglichkeiten sowie intelligente und voll automatisierte Einblicke in die Geschäftsprozesse. Proactive Insights analysiert die Geschäftsprozesse automatisch, deckt unbekannte Probleme auf und gibt Empfehlungen zur Prozessverbesserung in Echtzeit. Sie versteht die Arbeitsabläufe und kann daraus Rückschlüsse ableiten. Die Technologie kann eigenständig die Ursachen für Prozessverletzungen ergründen und darauf aufbauend die passenden Handlungsempfehlungen ableiten. Daher erweitert PI bestehende Process-Mining-Lösungen und macht den wichtigen Schritt von der explorativen Prozesserkennung zur voll automatisierten Prozessanalyse [6].

Proactive Insights besteht aus vier Komponenten. Die erste Komponente ist die sogenannte PI Conformance. Sie vergleicht den Ist- mit dem Soll-Prozess, identifiziert automatisch die größten Probleme sowie deren Ursachen und gibt intelligente Empfehlungen für ihre Behebung. Die zweite Komponente stellt sich als PI Machine Learning dar. Sie integriert moderne statistische Analyseverfahren mit ML-Algorithmen und ermöglicht die Anwendung fortgeschrittener Prognoseverfahren direkt in der Process-Mining-Lösung wie beispielsweise Celonis. Die dritte Komponente nennt sich PI Social. Sie ergänzt die sozialen Aspekte der Prozesse. Die Visualisierung der Prozessdaten macht die Interaktionen zwischen den einzelnen Teams und Organisationseinheiten sichtbar, wodurch kritische Funktionen innerhalb der Prozesse sowie Ineffizienzen aufgedeckt werden können. Die vierte Komponente ist PI Companion. Sie integriert die Process-Mining-Software in die Geschäftsverwaltungssysteme und agiert als Prozessberater, indem sie Empfehlungen ausspricht, wenn kritische Managemententscheidungen getroffen werden müssen [6].

Intelligente Prozessautomatisierung

Die Anwendungen der KI können jedoch nicht nur im Process Mining, sondern auch bei der Robotic Process Automation (RPA) gewinnbringend eingesetzt werden und dadurch die Möglichkeiten und Potenziale enorm erweitern. In diesem Zusammenhang wird auch von Intelligent Process Automation (IPA) gesprochen. Ganz allgemein beschreibt RPA die Automatisierung von Aufgaben mithilfe von (Software‑)Robotern, die zu diesem Zweck programmiert werden. Die Automatisierung zeitintensiver, repetitiver und zum Teil unproduktiver Routineaufgaben entlastet die Unternehmensmitarbeiter, welche dadurch für wertschöpfende und höherwertige Tätigkeiten freigesetzt werden [7].

Moderne Software-Roboter können sowohl einzelne Prozessschritte als auch ganze Geschäftsprozesse vollständig automatisiert ausführen. Die Software-Roboter interagieren eigenständig mit allen Applikationen und Systemen, welche am Prozess beteiligt sind. Durch Umsetzung eindeutiger Wenn-Dann-Regeln bearbeiten sie strukturierte Daten und imitieren auf diese Weise menschliche Benutzer. Dabei kann der Roboter schneller und korrekter arbeiten als der Mensch, wodurch große Effizienzgewinne in den Unternehmen realisiert werden können [1].

Aufgrund ihrer Funktionsweise kann RPA jedoch nur bei regelbasierten Anwendungen eingesetzt werden, wodurch ihre Anwendungsgebiete stark eingeschränkt sind. Sie kann nicht denken und auch nicht lernen und somit weder komplexe Analysen durchführen noch selbstständig Entscheidungen treffen. An dieser Stelle kann KI unterstützend eingesetzt werden und dabei helfen, regelbasierte Ereignisse und Aktionen zu umgehen. Künstliche Intelligenz lernt aus Erfahrungen und kann mit Unsicherheiten durch Hinzunahme von Heuristiken arbeiten. Daher kann sie selbstständig und ohne einen Eingriff des Menschen empirisch ermittelte und fundierte Entscheidungen treffen. Zudem kann die KI basierend auf diesen Erfahrungen selbstständig Änderungen innerhalb von Softwarelösungen vornehmen und diese dadurch ad hoc und im laufenden Betrieb optimieren [7].

Intelligent Process Automation verbindet RPA mit den Technologien der KI, wodurch Software-Roboter mit weitreichenden kognitiven Fähigkeiten ausgestattet werden. Dazu zählen beispielsweise Technologien wie Natural Language Processing (NLP) oder Natural Language Understanding (NLU). Dadurch werden Roboter in die Lage versetzt, komplexe und unstrukturierte Daten wie beispielsweise menschliche Sprache und Texte zu verstehen, zu interpretieren und zu manipulieren. Diese Fähigkeiten erlauben dem Roboter wiederum die automatisierte Durchführung komplexer Analysen und Nachahmung menschlicher Entscheidungen sowie deren sofortige Umsetzung.

Durch den Einsatz moderner auf KI basierter Technologien werden Roboter mit allen notwendigen kognitiven Fähigkeiten ausgestattet, die sie zum selbstständigen Ausführen von Geschäftsprozessen benötigen. Die Fähigkeit des Roboters zu sehen, zu sprechen, zu denken und zu verstehen ermöglicht eine weitgehende Business Process Automation (BPA) [7]. Durch die Verbindung von RPA, KI und Process Mining erhält der Roboter somit die Fähigkeit des Denkens und des Lernens. Mithilfe dieser Technologien kann er analysieren, wie Geschäftsprozesse tatsächlich ablaufen und wie sie idealerweise ablaufen sollten [1].

Prozessoptimierung mit KI-basierter Belegerkennung

Die automatische Belegerkennung spielt im Rahmen unterschiedlichster Kundenanforderungen eine durchaus relevante Rolle. Dabei geht es darum, die auf den Belegen enthaltenen Informationen automatisch auszulesen. Belege sind zum einen sehr unterschiedlich gestaltet und zum anderen teilweise sogar handschriftlich ergänzt. Diese beiden Faktoren standen in der Vergangenheit einer Gesamtprozessautomatisierung im Wege. Heute kann dieser Arbeitsschritt automatisiert werden, wodurch die gesamte Prozesskette vom Eingang eines handgeschriebenen Belegs bis zur Buchung im ERP-System vollautomatisch durchgeführt werden kann und enorme Einsparungspotenziale realisiert werden können.

Technisch wird die automatische Belegerkennung durch eine KI-Anwendung ermöglicht, die im vorliegenden Fall speziell für diesen Zweck entwickelt wurde. Die bei der Belegerkennung gefundenen Wörter werden in einem Standardformat kombiniert, mit ihrer Position sowie einer Erkennungssicherheit versehen und anschließend an die Kundenapplikation zurückgegeben. Die Sicherheit der Erkennung spielt dabei eine wichtige Rolle, denn nur wenn ein Wort mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit, wie beispielsweise 95 %, erkannt wird, kann auch eine automatische Entscheidung basierend auf diesem Wort getroffen werden. Andernfalls muss der Fall an einen menschlichen Bearbeiter übergeben werden.

Die tatsächliche optische Zeichenerkennung – Optical Character Recognition (OCR) – findet cloudbasiert statt, wodurch zum einen eine konstante Performance sichergestellt wird und zum anderen aktuelle ML-Modelle angewendet werden können. Die ML-Modelle sind explizit auf globale Sprachen ausgerichtet und können nicht nur Deutsch sicher erkennen, sondern sogar Dokumente mit unterschiedlichen Sprachen in der gleichen Zeile verarbeiten.

Die an die Anwendung übermittelten Bilder sind häufig mit unterschiedlichen herausfordernden Sachverhalten versehen. Daher werden die übergebenen Bilder mithilfe unterschiedlicher Technologien in mehreren Schritten überarbeitet. In einem ersten Schritt wird der Kontrast der Bilder automatisch optimiert. Dies ist insbesondere in den Fällen wichtig, in denen der Druck sehr schwach ausgeprägt oder das Papier nicht komplett weiß ist. Dazu wird das Bild zunächst in den Lab-Farbraum umgewandelt. Anschließend wird die Lumineszenz des Bildes mithilfe des CLAHE(Contrast Limited Adaptive Histogram Equalization)-Algorithmus gleichmäßig verteilt und verstärkt [8].

In einem zweiten Schritt wird das Bild mit anisotropischer Diffusion [9] geglättet. Dies ist insbesondre bei verrauschen Bildern oder Bildern, welche bei schlechten Lichtverhältnissen aufgenommen wurden, wichtig. Das Ergebnis der Diffusion ist ein geglättetes Bild, welches annähernd die gleiche Kantenstärke besitzt wie das Originalbild. Da die Kanten die gesuchten Buchstaben beschreiben, ist eine Entrauschung gegeben, ohne dass kritische Informationen verloren gehen.

In einem dritten Schritt wird die Schärfe des Bildes verstärkt. Dazu wird das Bild zunächst mit einem Gauß-Kern gefiltert und anschließend vom Originalbild abgezogen. Dadurch werden alle homogenen Teile des Bildes entfernt und die Kanten verstärkt.

Der gesamte Prozess der Belegerkennung ist in Abb. 3 illustriert. Durch die dargestellten Verarbeitungsschritte kann ein gut aufbereitetes Bild garantiert werden, welches bei schlechten Eingabebildern durch die dann einsetzende Aufarbeitung eine robuste Erkennungssicherheit sicherstellt. Durch die Anbindung über eine dedizierte REST-Schnittstelle kann die KI-Anwendung als Micro Service mit wenig Aufwand an eine Process-Mining-Umgebung angebunden werden und viele unterschiedliche Kundenanforderungen erfüllen.

Abb. 3
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Prozess der Belegerkennung mithilfe einer KI-Anwendung als Micro Service

Fazit

Wie jede Technologie unterliegt Process Mining einem permanenten Wandel und erfuhr in den letzten beiden Jahrzehnten eine kontinuierliche Weiterentwicklung und Verbesserung. Process Mining hat sich zu einer grundlegenden Technologie entwickelt, welche es den Nutzern erlaubt, Prozessabläufe schnell, transparent und detailliert abzubilden. Im Unternehmenskontext verfolgt Process Mining jedoch keinen Selbstzweck, sondern ermöglicht es den Unternehmen, ineffiziente Prozesse zu erkennen und zu verbessern. Prozesserkennung und Transparenz selbst erzeugen keinen Mehrwert. Nur vor dem Hintergrund konkreter Anwendungsfälle und in Verbindung mit menschlicher Intelligenz können die betrieblichen Prozessabläufe verbessert und ein wahrer Mehrwert generiert werden [10].

Wie die Ausführungen zeigen, wird KI in der nächsten Entwicklungsstufe des Process Mining den wesentlichen Treiber darstellen können. Die proaktiven und voraussagenden Fähigkeiten der KI werden zu einer weitreichenden Verbesserung und Optimierung der Prozessausführung führen. Durch die Schaffung eines echten Mehrwerts für die Unternehmen werden deren Erfolgspotenziale erweitert. Mit stetiger Weiterentwicklung und Reife der KI kann diese auch zukünftig in Bereichen eingesetzt werden, in denen ein fundiertes Fachwissen erforderlich ist. Die Technologie ist immer mehr dazu in der Lage, eigenständig zu lernen und sich selbst zu optimieren, wodurch komplexes Domänenwissen adaptiert werden kann. Dadurch kann es sogar möglich sein, digitale Assistenten als Arbeitskollegen einzusetzen [10].

Kernthesen

Kernthese I: Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) sind heute bereits integraler Bestandteil kommerzieller Process-Mining-Softwarelösungen.

Kernthese II: KI kann im Rahmen der Robotic Process Automation (RPA) große Potenziale heben und Process Mining als Enabler im Unternehmen nutzen.

Zusammenfassung

  • Process Mining unterliegt einem permanenten Wandel und erfuhr in den letzten beiden Jahrzehnten eine kontinuierliche Weiterentwicklung und Verbesserung.

  • KI wird in der nächsten Entwicklungsstufe im Process Mining einen wesentlichen Treiber darstellen können.

  • Mit stetiger Weiterentwicklung und Reife der künstlichen Intelligenz kann diese in der Lage sein, eigenständig zu lernen und sich selbst zu optimieren, wodurch komplexes Domänenwissen adaptiert werden kann.