Wie überall schreitet auch im Sport die Digitalisierung rasant voran. Immer mehr Möglichkeiten, Daten über Bewegung und sportliche Leistung zu erfassen, werden entwickelt oder die Kosten hierfür nehmen ab. Dadurch nimmt die Zahl neuer Tools und Produkte für die Weiterverwendung dieser Daten zu. Diese versprechen Anwendern und Anwenderinnen oft die Lösung all ihrer sportlichen Probleme sowie Leistungssteigerungen. Ein aus informatischer Sicht interessantes Gebiet ist hier die Modellierung sportlicher Leistung. Durch geeignete Modelle sollen künftige Leistungen vorhergesagt, Effekte einzelner Trainings beschrieben und analysiert oder der Leistungszustand eines Sportlers/einer Sportlerin beschrieben werden, um in weiterer Folge Handlungsempfehlungen ableiten zu können.

Ein populäres Beispiel für solche Modelle ist jenes von Hunter Allen & Andrew Coggan [1]. Dieses Modell wurde ursprünglich dafür konzipiert, um aus Leistungsdaten im Radsport Metriken abzuleiten, mit denen das Training systematisch gesteuert werden kann. In seinen Grundzügen ist es eine Adaption des sogenannten Banister- oder Fitness-Fatigue-Modells [2].

Das Fitness-Fatigue-Modell ist ein dynamisches Modell, dem die Annahme zugrunde liegt, dass jedes Training sowohl einen positiven (Fitness) als auch einen negativen Effekt (Fatigue) hat. Beide dieser Komponenten haben „Halbwertszeiten“, welche durch Kalibration des Modells ermittelt werden. Folglich ist kontinuierliches Training notwendig, um den Leistungszustand zu halten oder gar zu heben. Mit zu viel Training würden allerdings die kumulierten negativen Effekte, also die Müdigkeit, überhandnehmen. Die Kalibration des Modells erfolgt mittels aus dem Training abgeleiteter Daten und erfasster Leistungen des Sportlers oder der Sportlerin. Anhand des Modells können zum Beispiel Vorhersagen über die Zielgerichtetheit von Trainingsprogrammen getroffen werden.

Das von Andrew Coggan im Rahmen seiner Dissertation erstellte Modell ist ursprünglich speziell auf den Radsport ausgelegt. Dort werden aus individuell gemessenen Daten Metriken berechnet, anhand derer der aktuelle Trainingszustand festgemacht wird. In aktuell eingesetzten Varianten wird das Modell aber vereinfacht eingesetzt, es entfällt der Prozess der Kalibration. Das Modell ist dadurch wesentlich „anwenderfreundlicher“, unmittelbar anwendbar, verliert aber auch seine Präzision und Anpassung an das Individuum. Genau dieses Fehlen einer „Individualität“ wird häufig kritisiert [3].

In der Praxis

Derartige Vereinfachungen scheinen in der Praxis aber ein genereller Trend zu sein. Betrachtet man die Neueinführung von Produkten, so kommt man oft nicht umhin, marktschreierisches Gehabe zu entdecken. Den potenziellen Kundinnen und Kunden werden optisch ansprechende Dashboards mit vielen Metriken präsentiert sowie auf „wissenschaftliche Validierungen“ verwiesen. Eine Offenlegung der exakten Formeln, Algorithmen oder der wissenschaftlichen Fundierung findet jedoch häufig nicht statt.

Modelle nachvollziehbar machen – Explainable AI

Werden die Merkmale eines Modells bzw. dessen Vereinfachungen durch „Verkürzung“ der Realität [4] aber nicht transparent gemacht, reduziert sich dessen praktischer Wert für die Ableitung von Handlungsalternativen auf Basis der Modellvorhersagen. Gleichzeitig steigt die Gefahr von unreflektierter Übertragung dieser Vorhersagen auf die Realität, was im Sport rasch zu ineffektivem Training oder Verletzungen führen kann. Verschärft wird diese Problematik durch die immer größer werdenden Mengen an Daten und das zu deren Verarbeitung immer öfter eingesetzte maschinelle Lernen. Neben wissenschaftlichen Experimenten zur – zum Beispiel – automatisierten Erstellung von Trainingsplänen gibt es auch hier eine Vielzahl an kommerziellen Produkten. Gemein haben beide Ansätze, dass auch hier allzu oft der Aspekt der „Erklärung“ des Modells vernachlässigt wird. Zwar gibt es unter dem Schlagwort „Explainable AI“ - also erklärbare Künstliche Intelligenz - Ansätze, Modelle bzw. die durch sie erstellten Entscheidungen erklärbar zu machen, diese sind aber bislang vor allem im Sport nicht in der Praxis angekommen. Derartige Ansätze können sich als großer Gewinn für die Sportwissenschaft erweisen, da so bisher unbekannte Zusammenhänge ans Licht kommen könnten.

Arbeitswelt der Trainer/-innen im 21. Jahrhundert

War früher die Arbeit der Trainer/-innen eine Tätigkeit mit viel persönlichem Kontakt, aufgebaut auf oft tiefgreifenden Beziehungen, ist auch diese Branche durch die Digitalisierung in Veränderung. Die Kommunikation findet immer häufiger digital statt. Zudem haben Onlineplattformen die klassischen Trainingstagebücher auf Papier abgelöst. Durch die permanente Verfügbarkeit der Daten sowie den potenziell schnellen Austausch von Information erwarten sich Athleten und Athletinnen daher zeitnahe Rückmeldungen zu ihren Trainingseinheiten.

Folglich bedienen sich auch Trainer/-innen kommerzieller Systeme, die unter den oben angeführten Problematiken leiden. Das bedeutet nicht nur, dass im schlimmsten Fall fehlgeleitete Trainingsanweisungen gegeben werden, sondern auch, dass Trainer/-innen dazu verleitet werden, nicht mehr auf Basis ihrer fachlichen Expertise zu entscheiden. Stattdessen wird an manchen Stellen Zahlen blind vertraut, ohne deren Grundlage kritisch zu hinterfragen, weil dazu sowohl das Verständnis der zugrunde liegenden Modelle als auch der dazu notwendigen Datenverarbeitung fehlt.

Die Problematik

Aus einer sportwissenschaftlichen Perspektive sind diese Entwicklungen (Vereinfachung von Modellen, Blackbox-Ansatz) kritisch zu betrachten. Es scheint einen Trend zur Vereinfachung/Reduktion komplexer Modelle bzw. deren nicht trivialen Parametern hin zu einfachen Modellen mit geringer Aussagekraft oder gar Verzerrung zu geben.

Es stellt sich aber die Frage, ob die zukünftige Generation an Sportwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen überhaupt darauf vorbereitet wird, diese Problematiken zu erkennen oder komplexe Modelle in der Praxis anwenden zu können.

Gründe in der Ausbildung

Begibt man sich auf die Spuren der tiefer liegenden Gründe für die aufgezeigte Problematik, zeigt eine Spur auf die Ausbildung aktueller und künftiger Sportwissenschaftler/-innen. Während die Anforderungen und Erwartungen von trainierenden Personen an den Einsatz soziotechnischer Systeme zur Trainingsunterstützung in Quantität und Qualität immer höher werden, scheint die Ausbildung im sportwissenschaftlichen Bereich noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen zu sein.

Digitale Kompetenzen in Studienplänen

Eine Analyse der Studienpläne der Bachelorstudiengänge für Sportwissenschaften an den österreichischen Universitäten, die ein einschlägiges Studium anbieten (Wien, Graz, Salzburg, Innsbruck), zeigt, dass digitale Kompetenzen nur eingeschränkt vorkommen. Nur das Curriculum der Universität Wien enthält im allgemeinen Teil Verweise auf technische Aspekte; in den anderen Curricula fehlen diese gänzlich [5,6,7,8]. Ähnlich stellt sich die Situation bei der Analyse der in den Lehrplänen enthaltenen Lehrveranstaltungen dar. Während an der Universität Wien fachspezifische (praktische) Inhalte aus den Bereichen der Datenverarbeitung in den Beschreibungen enthalten sind, beinhalten die Lehrveranstaltungen der anderen Universitäten keine Verweise auf ähnliche Inhalte [5,6,7,8].

Eine Konsequenz aus der Abwesenheit dieser Themen in der Ausbildung ist, dass ein Dialog auf Augenhöhe zwischen Entwicklern und Entwicklerinnen von soziotechnischen Systemen oder Modellen und Absolventen und Absolventinnen dieser Studiengänge nur eingeschränkt möglich ist. Eine weitere Problematik des Fehlens von technischem Grundverständnis ist die eingeschränkte Kompetenz, die Komplexität bzw. Aussagekraft von Modellen bzw. der Produkte, die auf diesen aufbauen, abzuschätzen.

Dies kann dazu führen, dass Sportwissenschaftler/-innen im Entwicklungsprozess neuer Technologien und Systeme nicht oder nur oberflächlich eingebunden werden. Dies führt wiederum zu mangelnder fachlicher Fundierung der resultierenden Produkte, was die im ersten Teil des Artikels skizzierte Problematik noch verschärft.

Computational Thinking in der Ausbildung als Ausweg?

Das Voranschreiten der Technologie bietet aber durchaus das Potenzial, mit immer geringeren Einstiegshürden einen Zugang zum Denken in Modellen bzw. zum Bereich des Computational Thinking im Allgemeinen zu finden. So bieten visuelle Programmiersprachen wie Scratch oder Blockly einen einfachen und schnellen Einstieg in das Programmieren [9]. Ein weiterer Vorteil von visuellen Programmiersprachen ist ein reduzierter cognitive load [9]. Auch für Mikrocontroller wie Arduino gibt es Ansätze, die Einstiegshürden zu verringern [10]. Aber auch für komplexe Systeme – wie zum Beispiel Client-Server-Architekturen – kann der Entwicklungsprozess vereinfacht werden, indem durch Frameworks Abstraktionsebenen eingeführt werden, die eine raschere Umsetzung von sportwissenschaftlichen Konzepten auf technischer Ebene ermöglichen.

Frameworks als Hilfsmittel

Frameworks und Toolboxen zur Kapselung von technischen Funktionalitäten und damit zur Reduktion der technischen Komplexität scheinen im Sport gerade sinnvoll, da hier immer wieder die gleichen Aufgaben und Probleme bewältigt werden müssen. Beispiele für diese sind:

  • Erfassen und Bereinigen von (Sensor‑)Daten

  • Anzeigen von aufgenommenen Daten (zum Beispiel Visualisieren von Herzfrequenzkurven einer Trainingseinheit)

  • Archivierung bzw. Verwaltung von Daten

  • (Automatisierte) Analyse bzw. Berechnung von Metriken für die Analyse.

Ein Beispiel für so ein Framework ist das Pegasos Framework [11]. Dieses Framework bietet etwa Funktionen für die Erstellung von Anwendungen im Bereich des Sports. Es ermöglicht – unter anderem – basierend auf einer domänenspezifischen, aus sportwissenschaftlicher Sicht formulierten Spezifikation eine Android-App zur Aufnahme und Aufbereitung von Daten zu erstellen und kann so vor allem im Ausbildungsbereich ein Grundverständnis für Denken in Modellen vermitteln, da deren Wirkung unmittelbar sichtbar gemacht wird.

In Bezug auf Modellverständnis nehmen Frameworks daher eine Doppelrolle ein: Sie verlangen von ihren potenziellen Nutzern/Nutzerinnen ein Modellverständnis oder Abstraktionsvermögen, können aber genau dieses ebenso schulen. Haben Anwender/-innen kein oder nur wenig Verständnis von den Vorgängen, die hinter der Anwendung eines Frameworks stecken, so kann dies zu fehlerhaft erstellen Anwendungen führen. Aufgrund des raschen und unaufwendigen Erstellungsprozesses ermöglichen sie aber auch die Chance, Modellverständnis und Abstraktionsfähigkeiten im Rahmen ihrer Anwendung auf konkrete Probleme durch iterative Design-Zyklen zu schulen. Zusätzlich bieten Frameworks auch die Möglichkeit, einfach Modelle zu testen, da der Fokus in der Entwicklung auf das sportwissenschaftliche Modell gelegt werden kann, ohne sich mit den technischen Grundlagen auseinandersetzen zu müssen. Im Beispiel des Pegasos Frameworks lassen sich derartige Modelle mit dem Framework ohne umfangreichen zusätzlichen Code testen, da das Framework Aufgaben wie Datenaufzeichnung und Verwaltung übernimmt.

In der Ausbildungspraxis zeigt sich jedoch eine geringe Akzeptanz von Frameworks. Neben in der Softwareentwicklung bekannten Gründen wie dem „Not-invented-here-Syndrom“ können die Probleme allerdings auch „hausgemacht“ sein. So können der oben angeführte Mangel an digitalen Kompetenzen, aber auch die Komplexität und mangelnde adäquate Dokumentation der Frameworks sowie die Schnelllebigkeit der Technologien eine breitere Anwendung von Frameworks verhindern.

Umgang mit Komplexität

Gerade der Funktionsumfang von Frameworks kann für Einsteiger/-innen eine Hürde darstellen [12]. Um aber nicht nur für die Lösung eines spezifischen Subproblems geeignet zu sein, ist gerade diese Flexibilität essenziell. Jedoch bringt die Steigerung der Flexibilität in der Regel ebenso eine erhöhte Notwendigkeit für Konfigurationen bzw. Einstellungen sowie Installationsaufwand mit sich.

Auch hier muss in der Ausbildung angesetzt werden: Fehlende Abstraktionsfähigkeiten und Erfahrung im Umgang mit Softwarepaketen abseits von Standardsoftware können es gerade Novizen schwer machen, die Anwendung eines Frameworks zu erlernen.

Reaktion auf Veränderungen in der Technologielandschaft

Frameworks bieten aber auch eine Möglichkeit zum Umgang mit der rasanten Veränderung der Technologien im Bereich der Aus- und Weiterbildung von Sportwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen. Würde etwa bei der Entwicklung mobiler Fitness-Apps auf den Einsatz von domänenspezifischen Frameworks verzichtet, würde der schnelle Releasezyklus von Android dazu führen, dass Lernende sich nicht mit den fachlichen Konzepten, sondern vorrangig mit technischen Anpassungen beschäftigen müssten. In diesem Aspekt sind die Entwickler/-innen von Frameworks in der Pflicht, diese mit einem ausreichenden Grad an Abstraktion auszustatten, um durch Veränderungen im Technologie-Stack notwendig gewordene Änderungen innerhalb des Frameworks vor Anwendern und Anwenderinnen zu verbergen.

Ausblick

All diese Aspekte weisen darauf hin, dass digitale Kompetenzen auch im Sport immer wichtiger werden und daher in künftigen Studienplänen vermehrt Beachtung bekommen sollten. Hier ist bei der Erstellung Fingerspitzengefühl vonnöten, um allen Interessen gerecht zu werden. Besonders muss aber darauf geachtet werden, dass neu eingeführte Lehrveranstaltungen nicht zu Schulungen auf aktuelle Produkte verkommen, sondern in diesen Kompetenzentwicklung zum Agieren in einer Vermittlungsfunktion an der Schnittstelle zwischen digitalen Technologien und deren Potenziale einerseits und den Sportwissenschaften andererseits betrieben wird.

Zusammenfassung

  • Modelle finden im Sport zwar breite Anwendung, sind aber kritisch zu hinterfragen.

  • Mangel an digitalen Kompetenzen in der Ausbildung künftiger Sportwissenschaftler/-innen macht fundierte Anwendung von Modellen schwierig.

  • Digitale Kompetenzen & Frameworks können ein Ausweg sein.

Handlungsempfehlung

  • Einführung digitaler Kompetenzen in den Curricula der Sportwissenschaftsstudiengängen

  • Schulung von „Computational Thinking“

  • Anpassung einschlägiger Frameworks an die Zielgruppe