Um bestehende Unsicherheiten von Gründer*innen zu Technologie-Pivots abzubauen, ist es daher wichtig, typische Motivationsgründe für diese zu verstehen und die zu erwartenden Effekte einordnen zu können.
Als Auslöser für Technologie-Pivots liegen in digitalen Start-ups häufig technische Motivationsgründe vor (siehe Abb. 1). Hierzu gehört z. B., dass eine deutlich höhere oder verlässlichere Systemleistung benötigt wird, als zunächst angenommen. Dies kann unter anderem Verbesserungen mit Hinblick auf Stabilität, Reaktionszeit und Rechenleistung einschließen, die jedoch mit dem bestehenden Technologiedesign nicht realisierbar sind. Twitter führte mit wachsenden Nutzerzahlen beispielsweise einen Technologie-Pivot durch, indem sie von einer monolithischen Architektur zu einer skalierbaren Mikroservices-Architektur wechselten, um ein leistungsfähigeres, zuverlässigeres und effizienteres Produkt zu erreichen [11]. Ein solcher Technologie-Pivot mündet dann idealerweise in ein System mit verbesserter Nutzererfahrung sowie einer Reduzierung negativer Kundenrückmeldungen.
Technologie-Pivots können aber auch dann notwendig werden, wenn die Effizienz der Softwareentwicklung in digitalen Start-ups abnimmt. Dies kann z. B. aufgrund von entstandener Komplexität der aufgebauten Architektur der Fall sein. Mittels Technologie-Pivots können komplexe Funktionsbereiche dann neu strukturiert oder ersetzt und eine höhere Systemwartbarkeit realisiert werden. Eine reduzierte Komplexität sorgt daraufhin nicht nur bei bestehenden Mitarbeiter*innen für Entlastung, sondern erleichtert auch die Einarbeitung neuer Mitarbeiter*innen. Sollte das aktuelle Technologiedesign nicht die erwünschte Zukunftsfähigkeit aufweisen, da beispielsweise eine sich wandelnde Produktstrategie mit dem implementierten Technologiedesign nicht umsetzbar ist, oder sich einzelne ausgewählte Technologiekomponenten über die Dauer im Markt nicht etablieren (bspw. Adobe Flash, Google Tango oder Java Applets), kann dies ebenfalls ein Auslöser für umfangreiche Anpassungen an Technologiedesigns sein und entsprechend Technologie-Pivots notwendig machen. Durch die Auswahl neuer Komponenten für Technologiedesigns kann – neben höherer Zukunftsfähigkeit – dann auch ein zusätzlicher Funktionsumfang realisierbar werden, der mit einem bestehenden Technologiedesign nicht abbildbar war. Zusätzlich können benötigte Schnittstellenkomponenten Auslöser für die Durchführung von Technologie-Pivots sein. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Integration mit externen Systemen oder Prozessen ermöglicht werden muss (bspw. mittels Schnittstellen zu Enterprise-Ressource-Planning-Systemen), um eine höhere Kundenakzeptanz zu erreichen, die mit den Komponenten des aktuellen Technologiedesigns jedoch nicht umsetzbar sind.
Darüber hinaus ist bei der Betrachtung von Motivationsgründen für Technologie-Pivots auch eine ökonomische Perspektive relevant. Für digitale Start-ups, mit wenigen bis gar keinen Umsätzen, stellen vor allem die monatlichen Ausgaben eine konstante Herausforderung dar. Steigen die Ausgaben im Bereich der IT, kann ein Technologie-Pivot notwendig sein, um zukünftige fixe als auch variable Entwicklungs- und Betriebsausgaben zu reduzieren (bspw. können sich die Ausgaben für den Betrieb von dedizierten Server-Infrastrukturen stark von denen für virtuelle Server-Infrastrukturen unterscheiden). Zusätzlich kann eine Gesetzeskonformität mit (neuen) Vorschriften verantwortlich dafür sein, dass Technologie-Pivots durchgeführt werden müssen (wie bspw. durch die Einführung der Datenschutz-Grundverordnung [DSGVO]). Die Notwendigkeit, bestimmte IT-Standards zu erfüllen, um Zertifizierungen zu erreichen, bildet hierbei einen weiteren Motivator. Darüber hinaus ist es aufgrund der internen Agilität und dem Ziel stark zu wachsen, für digitale Start-ups nicht ungewöhnlich, neue oder zusätzliche Geschäftsopportunitäten zu verfolgen. Werden neue Geschäftsmöglichkeiten entdeckt, die beispielsweise durch aufkommende IT-Innovationen adressierbar erscheinen, kann dies den Wunsch, einen Technologie-Pivot durchzuführen, auslösen, um die entsprechende Opportunität nutzen zu können (wie bspw. im Falle der Einführung des Apple iPhone und zugehöriger Plattformen wie dem Apple AppStore). In diesem Zusammenhang kann auch ein vorheriger Pivot einen Technologie-Pivot notwendig oder wünschenswert machen. So kann beispielsweise die Fokussierung auf neue, potenziell profitablere Kundensegmente (Customer-Segment-Pivot) dazu führen, dass ein anderes Technologiedesign notwendig wird (bspw. dann, wenn Kund*innen in einem anderen technologischen Ökosystem agieren, das nicht mit dem eigenen Technologiedesign harmoniert).
Die Durchführung von Technologie-Pivots kann zahlreiche Auswirkungen beinhalten (siehe Abb. 2). In zahlreichen Fällen kann als Ergebnis von Technologie-Pivots eine Veränderung der Einnahmequellen beobachtet werden (bspw. über neue Plattformpartner). Dies kann sowohl die Erschließung weiterer als auch den Wechsel auf vollständig neue Einnahmequellen beinhalten. Zusätzlich können sich Anpassungen an den Ausgaben digitaler Start-ups ergeben. Dies ist beispielsweise bei Effizienzverbesserungen der Fall, die zu verringerten Ausgaben führen. Zusätzlich können Anpassungen im Personalmanagement durch die Einstellung neuer Mitarbeiter*innen mit bestimmten Fachkenntnissen oder durch Umschulungen von bestehenden Mitarbeiter*innen auf neue Technologien auftreten. Hierdurch können ebenfalls zusätzliche Ausgaben notwendig werden. Im Rahmen der Durchführung von Technologie-Pivots können zusätzlich Änderungen im Bereich von Partnerschaften und Kooperationen vorgenommen werden. Dies können aktive, neu gegründete Partnerschaftsverträge sein, oder aber auch die Zusammenarbeit mit der Open-Source-Gemeinschaft beinhalten. Das Etablieren neuer Partnerschaften und Kooperationen erfordert ebenfalls nicht unerhebliche Aufwände, die idealerweise zu Synergien führen. Im Rahmen von Technologie-Pivots können darüber hinaus insbesondere Kundeninteraktionen Veränderungen erfahren. Dies kann beispielsweise beinhalten, dass das angebotene Produkt nach einem Technologie-Pivot mehr Autonomie aufseiten der Kund*innen ermöglicht, als auch, dass Kund*innen durch neue Vertriebskanäle angesprochen werden können. Als weitere Auswirkung von Technologie-Pivots kann die Notwendigkeit zur Durchführung weiterer Pivots unterschiedlicher Art entstehen.