Im Jahr 2010 initiierte das Pharmaunternehmen Nycomed ein Programm, um Struktur und Kosten seiner Finanzorganisation in Europa zu überprüfen und auf weitere Wachstumsschritte vorzubereiten. Niklas Oldiges und Heiko Schikor zeigen an dem Projekt, welche Faktoren Erfolg beim Aufbau einer hochflexiblen adaptiven Finanzfunktion versprechen.

Nycomed — die heutige Takeda, die durch die Übernahme von Nycomed durch das japanische Pharmaunternehmen Takeda entstand — hatte sich das Ziel gesetzt, die Finanzfunktion konzeptionell stärker auf die sich wandelnden Anforderungen des Kerngeschäfts auszurichten und sie damit zum geschätzten Partner des Managements zu entwickeln. Nötige Voraussetzung dafür war, dass sich die Finanzabteilungen vor Ort auf die Unterstützung des Managements konzentrieren konnten. Sie sollten entlastet, verschlankt und flexibler gestaltet werden. Zu diesem Zweck wurde eine Bündelung aller transaktionalen Buchhaltungsprozesse auf regionaler oder zentraler Ebene angestrebt. Die Zentralisierung der Prozesse sollte entweder durch Shared Service Center (SSC) oder durch Auslagerung von Prozessen an einen externen Dienstleister erreicht werden. Entgegen den bisher üblichen eigenständigen Lösungen für die einzelnen Länder wollte man sich auf ein gemeinsames Betriebsmodell zubewegen. Sofern dies zu Einsparungen und Effizienzsteigerungen führen konnte, sollten Prozesse standardisiert und automatisiert werden. Angestrebt war aber auch, durch gezielte Unterstützung gleichzeitig die lokale Identität zu stärken. Um sein neues Betriebsmodell für die Finanzfunktion zu definieren, erarbeitete Nycomed vorerst Prinzipien für vier verschiedene Bereiche (Abbildung 1).

Abb. 1 Grundprinzipien des künftigen Betriebsmodells für die Finanzfunktion

Die im Rahmen einer Machbarkeitsstudie durchgeführte detaillierte Beurteilung der bestehenden Finanzorganisation ergab die folgenden ersten Schlüsselerkenntnisse:

  • Die Finanzfunktion erwies sich als sehr dezentralisiert. Sie war auf über 24 Länder verteilt.

  • Es mangelte an Transparenz, und die Compliance-Struktur war verbesserungsfähig.

  • In den einzelnen Ländern gab es unterschiedliche Prozesse und Qualitätsniveaus.

  • Produktivität und Automatisierung von Transaktionsprozessen waren gering.

  • Die Finanzfunktion verursachte deutlich höhere Kosten als bei Vergleichsunternehmen.

Das Projekt-Team verglich die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie mit Best Practices führender Finanzorganisationen und identifizierte folgende Ziele, um die Finanzfunktion flexibler und auf unterschiedlich große Strukturen adaptierbar — also skalierbarer — zu gestalten:

Organisations- und prozessbezogene Ziele:

  • Verlagerung der transaktionsbasierten Rechnungslegung sowie der Berichtsprozesse aus den 24 Ländern in vier regionale Shared-Services-Einheiten (Hubs)

  • Verlagerung der Kreditorenbuchhaltung in das Service Center Europe (SCE) in Polen

  • Auslagerung der gesetzlichen Berichterstattung — einschließlich Umsatzsteuer-, statistischer und steuerlicher Berichterstattung — an einen externen Dienstleister sowie Verwaltung durch die Hubs auf regionaler Ebene

  • Verbleib des Schwerpunkts der Controlling-Prozesse an den lokalen Standorten zur Unterstützung des lokalen Geschäfts

  • Wandel der lokalen Finanzfunktion zum Geschäftspartner für das lokale Management

Technologie- und systembezogene Ziele:

  • Implementierung einer Scan-Lösung (optische Zeichenerkennung) sowie Umsetzung eines automatischen Genehmigungs-Workflows für Eingangsrechnungen

  • Implementierung von SAP in neun osteuropäischen Ländern und in Großbritannien mit dem Ziel der Etablierung einer europaweit gemeinsamen SAP-Plattform

  • Implementierung einer zentralen und automatisierten Zahlungslösung („Inhouse-Bank“)

  • Einführung einer standardisierten Reisekostenlösung sowie Auslagerung des Reisekostenerstattungsprozesses an einen externen Dienstleister

Schnelle Projektumsetzung durch einen strukturierten und flexiblen Migrationsansatz

Das Projekt-Team setzte sich 18 Monate als ehrgeiziges Ziel für die Umsetzung der gesamten Transformation, das heißt die Übertragung der Buchhaltungsaufgaben an die neuen Organisationen. Man versuchte so, die Amortisationsdauer des Projekts zu verkürzen und frühzeitig Einsparungen zu realisieren. Gleichzeitig war es angesichts der signifikanten Änderungen im Unternehmen wichtig, die operativen Risiken im Rahmen einer umfangreichen Veränderungsmanagement-Initiative so effizient wie möglich zu steuern. Das Projekt gliederte sich in zwei unterschiedliche Phasen: „Design“ und „Migration“. In Abbildung 2 sind diese in Blau und Grau dargestellt.

Abb. 2
figure 1

Projektplan

Ein flexibles Projektsteuerungsmodell machte es möglich, den besonderen Herausforderungen jeder einzelnen Phase zu begegnen. Ein integriertes Projekt- und Veränderungsmanagement-Team, das diese Abstimmung phasenübergreifend sicherstellte, war entscheidend für das erfolgreiche Management gegenseitiger Abhängigkeiten im Laufe des Projekts.

In der Designphase galt es beispielsweise, in einzelnen Teilprojekten die neue Organisationsstruktur sowie die neuen Prozesse und IT-Lösungen für die Finanzfunktion zu gestalten. Alle Finanz- und Berichtsprozesse wurden in enger Zusammenarbeit mit lokalen und regionalen Experten standardisiert und dokumentiert. Gleichzeitig wurde ein Steuerungsmodell erstellt, das Rollen und Aufgabenbereiche für die zukünftigen organisatorischen Einheiten der Finanzorganisation — die zentrale Finanzfunktion, die Hubs, das SCE, für Treasury und die lokalen Finanzfunktionen — definierte.

Zusätzlich mussten die erforderlichen IT-Lösungen entwickelt und realisiert werden. Ein Ziel war beispielsweise, durch Scannen und automatische Texterkennung von Eingangsrechnungen, kombiniert mit einem Genehmigungs-Workflow, den Kreditorenprozess ganzheitlich zu automatisieren. Die Einführung von SAP in neun osteuropäischen Ländern war dafür eine Grundvoraussetzung. Für die Reisekostenlösung musste zunächst eine Auswahl zwischen mehreren Lösungsanbietern getroffen werden. Ein gut strukturierter Prozess für die Wahl eines Anbieters ermöglichte es, eine individuell passende Lösung für Nycomed zu finden. Nachdem eine endgültige Entscheidung getroffen war, wurde das ausgewählte System unter Berücksichtigung übergreifender und lokaler Erfordernisse entwickelt und umgesetzt.

In der Migrationsphase rückten die einzelnen Länder ins Zentrum der Aufmerksamkeit, da hier in enger Abstimmung die Anpassung von IT-Lösungen, die Migration von Prozessaktivitäten und die Umsetzung von Trainingsmaßnahmen durchgeführt werden mussten. Das Management hatte die Entscheidung getroffen, die Kreditorenbuchhaltung jedes Landes in das SCE auszulagern. Auch andere Aufgaben der lokalen Finanzabteilung sollten vom jeweiligen Land in den regionalen Hub übergeben werden. Um die Risiken bei der Implementierung zu steuern und eine kontinuierliche Verbesserung zu ermöglichen, erstellte das Projekt-Team eine Migrationsstrategie und ordnete mithilfe der in Abbildung 3 dargestellten Gestaltungsprinzipien jedes Land einer von vier Migrationswellen zu.

Abb. 3 Gestaltungsprinzipien für den Migrationsplan

„Flexibilität“ war das zentrale Stichwort bei der Erstellung des Migrationszeitplans. Er sollte genügend Spielraum bieten, um bei signifikanten Veränderungen des Projektumfelds schnelle Anpassungen vornehmen zu können. Dies ermöglichte es etwa, in der Migrationsphase bei Bedarf die Reihenfolge der zu migrierenden Länder zu tauschen — was in einem Fall auch tatsächlich geschah. Jedes Land durchlief in der Migrationsphase innerhalb eines Zeitraums von acht Monaten die in Abbildung 4 dargestellten Schritte.

Abb. 4
figure 2

Migrationsmodell und -zeitplan

Eine umfassende Risikobeurteilung zusammen mit dem lokalen Management sowie die Planung aller Aktivitäten in Verbindung mit dem anstehenden Wissenstransfer und den dafür notwendigen Schulungen waren Teil der Vorbereitungsphase. Außerdem war es wichtig, SCE-Mitarbeiter mit den richtigen Qualifikationen und Sprachkenntnissen innerhalb des dafür vorgesehenen Zeitrahmens einzustellen. Die SCE-Mitarbeiter erhielten in der Folge ein zweimonatiges Einstiegstraining, bevor sie im Anschluss an einer Wissenstransferphase teilnahmen. In dieser Phase beobachteten die neuen Mitarbeiter den Arbeitsprozess und dokumentierten ihn im Detail („work shadowing“), bevor sie den Vorgang unter Anleitung des lokalen Prozessverantwortlichen selbst durchführten.

In der „Cut-over“-Phase bereitete das Projekt-Team die finale Freigabe für das „Go live“ der Migration vor. Um den Entscheidungsträgern der jeweiligen Länder, dem SCE und dem Projektmanagement die notwendige Grundlage für eine einvernehmliche Entscheidung zu liefern, erfolgte vorab eine Bewertung von Aspekten wie Mitarbeitern, Prozessen, Infrastruktur, Management und Organisation, die die Migrationsbereitschaft beeinflussen können. Nach dem „Go live“ wurden alle Prozesse im SCE durchgeführt. Für einen reibungslosen Übergang folgte der Freigabe eine zweimonatige Stabilisierungsphase. Während dieses Zeitraums unterstützte das Projekt-Team den Aufbau der neuen Organisation in jedem Land intensiv. Zusätzlicher Schulungsbedarf wurde dokumentiert, Service Level Agreements wurden gegebenenfalls angepasst.

Die Implementierung des Programms — Ein Quantensprung für die Finanzfunktion von Nycomed

Die Herausforderungen für das Projekt-Team waren vielfältig und komplex. Angesichts knapper Zeitvorgaben und begrenzter Ressourcen bestand die realistische Gefahr, dass zu wenig Zeit und Mittel eingeplant worden waren, um Organisation und Mitarbeiter auf diese Transformationsreise mitzunehmen. Nycomed hatte ein neues Betriebsmodell für die Finanzfunktion implementiert, das ohne wesentliche Verhaltensänderungen aller Nycomed-Mitarbeiter nicht umsetzbar gewesen wäre. Die ehemals manuellen Prozesse und die an die lokalen Bedürfnisse angepassten Systeme sollten künftig nach klaren Regeln und Vorgaben standardisiert und automatisiert erfolgen. Das neue Betriebsmodell fand in 24 europäischen Ländern Anwendung, was aufgrund der kulturellen Vielfalt dem Projekt zusätzliche Komplexität verlieh. Auch die Koordination und die Einbindung der externen Dienstleister im Zuge der Projektumsetzung erwiesen sich als nicht einfach.

Welche Faktoren dem Projekt dennoch zum Erfolg verhalfen, kann wie folgt zusammengefasst werden:

  • CFO und Management-Team delegierten umfassende Kompetenzen an die Projektleitung und ermöglichten damit schnelle Entscheidungen.

  • Ein integriertes Projekt-Team unter Leitung der Nycomed-Zentrale und der vier Finanz-Hub-Leiter wurde aufgestellt und durch externe Berater unterstützt.

  • Ein aggressiver Implementierungsplan und eine zentrale Projektsteuerung sorgten für eine einheitliche Vorgehensweise ohne lokale Ausnahmen.

  • Durch die starke Ausrichtung auf die Erzielung frühzeitiger Erfolge konnten Widerstände gegen das Projekt überwunden und Zweifel ausgeräumt werden.

  • Der Projektfortschritt und die erwarteten Auswirkungen auf den Arbeitsalltag eines jeden Nycomed-Mitarbeiters wurden laufend kommuniziert.

Durch diese Vorgehensweise gelang es, Leistungseinbrüche, die bei der Neugestaltung von Prozessen und der Durchführung von Migrationen üblich sind, auf ein Minimum zu beschränken (Abbildung 5).

Abb. 5
figure 3

Leistungskurve verglichen mit einem typischen Shared-Service-Center-Projekt

Zu Beginn des Projekts waren Effizienz und Effektivität der lokalen Finanzfunktionen niedriger als erwartet, was durch die Aufdeckung einer Reihe lokaler Qualitätsprobleme zutage gefördert wurde. Proaktives Projektmanagement und pragmatische Lösungen für auftretende Problemstellungen halfen dabei, die meisten für diese Projektart typischen Leistungseinbrüche zu vermeiden. Die parallele Migrationsdurchführung in allen vier Hubs verkürzte den erwarteten Implementierungszeitraum. Die kurz vor Projektabschluss gemessene Effizienz und Effektivität der neu aufgestellten Finanzfunktion — z. B. die Verkürzung der Durchlaufzeit vom Rechnungseingang bis zum Anweisen der Zahlung, die Dauer des Monatsabschlusses — übertrafen deutlich die Erwartungen.

Durch die Zusammenfassung der operativen Buchhaltungsprozesse in drei Kategorien (Abbildung 6) ist es Nycomed gelungen, eine skalierbare und adaptive Finanzplattform einzurichten und damit die Voraussetzung für europaweites Wachstum zu schaffen.

Abb. 6
figure 4

Übersicht über das neue Betriebsmodell für die Finanzfunktion

Die Liste der bei Nycomed durch die Transformation der Finanzfunktion erzielten Erfolge ist beeindruckend:

  • Die Umsetzung einer adaptiven Finanzfunktion ermöglicht heute eine schnelle Integration weiterer Einheiten in das Betriebsmodell sowie eine flexible Anpassung der Organisation an betriebliche Notwendigkeiten.

  • Die regionalen Hubs übernehmen die volle Verantwortung für das transaktionsbasierte Rechnungs- und Berichtswesen (mit Ausnahme der in das SCE verlagerten Kreditorenbuchhaltung und der extern ausgelagerten gesetzlichen Berichterstattung). Die lokalen Standorte beschränken sich auf die Unterstützung des Kerngeschäfts.

  • Das SCE übernimmt die Kreditorenbuchhaltung: Eingangsrechnungen werden in den jeweiligen Ländern sortiert, von einem externen Dienstleister gescannt und im SCE bearbeitet. Sämtliche Genehmigungen werden über einen webbasierten Workflow erteilt.

  • Die gesetzliche Berichterstattung ist ausgelagert: Ein externer Dienstleister führt die gesetzliche, statistische und steuerliche Berichterstattung der Länder durch und arbeitet eng mit den Hubs zusammen, um die lokale Compliance sicherzustellen.

  • Europaweit wird eine standardisierte und automatisierte Reisekostenlösung implementiert. Ein externer Dienstleiter übernimmt jetzt die Abwicklung inklusive der Reisekostenerstattungen.

  • Eine schnelle Umsetzung von standardisierten Prozessen wird durch die Einführung von einheitlichen Technologieplattformen und Automatisierungslösungen unterstützt.

  • Eine gemeinsame SAP-Plattform mit IFRS und standardisiertem Kontenplan wird als Standard etabliert.

  • In allen Ländern, die Teil des Transformationsprojektes sind, wird ein einheitliches Prozessmodell angewandt, das Rollen und Zuständigkeiten auf lokaler und auf Hub-Ebene eindeutig verteilt und dokumentiert.

  • Durch die Transformation wird ein hoher Grad an Prozessautomatisierung für einheitliche Prozesse erreicht, so z. B. durch das Scannen von Eingangsrechnungen, durch einen automatischen Genehmigungs-Workflow in der Kreditorenbuchhaltung und durch die ausgelagerte und webbasierte Reisekostenlösung.

  • Ein europaweit gültiges Risiko- und Kontrollsystem, zu dem auch Compliance-Manager auf Hub-Ebene gehören, wird etabliert.

Fazit

Rückblickend ist es schwierig, alle Änderungen vollständig darzustellen, die sich in der kurzen Zeit im Unternehmen sowie bei den Nycomed-Mitarbeitern eingestellt haben. Der Erfolg des Projekts spricht jedoch für sich: Nycomed ist es gelungen, eine flexible und adaptive Plattform zu etablieren, die es der Finanzfunktion ermöglicht, effizient und effektiv zu arbeiten und sich gleichzeitig auf wertschaffende Aktivitäten zur Unterstützung des Kerngeschäfts zu konzentrieren.

Vor allem den Mitarbeitern ist es zu verdanken, dass dieses Projekt zum Erfolg wurde: das Projekt-Team, das bei der Entwicklung und Implementierung der Änderungen eng mit den Beratern zusammenarbeitete, die lokalen und regionalen Teams, die ihre lokale Sichtweise und Erfahrung ins Spiel brachten, die neuen Mitarbeiter im Shared Service Center, die erst kurz zuvor in das Unternehmen eingetreten waren, sich aber schnell in die Arbeitsabläufe bei Nycomed einfanden, und natürlich alle Mitarbeiter des Unternehmens, die dem organisatorischen Wandel positiv begegneten und ihn annahmen.