Einleitung

Die unipolare Depression ist eine häufige psychische Erkrankung und eine der führenden Ursachen für Arbeitsunfähigkeit. In Deutschland werden über die Hälfte dieser Patient*innen allein hausärztlich behandelt [2]. Die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) „Unipolare Depression“ wurde aktualisiert, um evidenzbasierte Richtlinien für die Versorgung bereitzustellen. Dieser Artikel stellt vor allem Änderungen hinsichtlich Screeningverfahren, Diagnosestellung, Therapieoptionen, Umgang mit spezifischen Patientengruppen im Vergleich zur Vorversion von 2015 und deren Bedeutung für die allgemeinmedizinische Praxis vor. Die multidisziplinäre Zusammenarbeit und Integration von psychosozialen Interventionen sowie zukünftige Entwicklungen und Herausforderungen werden diskutiert. Die Erarbeitung der Neufassung der NVL Unipolare Depression erfolgte durch eine Reihe von Experten und Vertretern verschiedenster Gesellschaften, u. a. der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin. Der Artikel orientiert sich an den im Leitlinienreport angegebenen wichtigen großen Änderungen gegenüber der Vorversion. Über die hier gewählten Fokusse hinaus gibt es weitere Entwicklungen, die nicht hinreichend ausformuliert werden können.

Einschätzung von Aktivität und Teilhabe nach International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)

Depressive Erkrankungen zeichnen sich durch Einschränkungen in allen Lebensbereichen aus. Je nach Schwere und Dauer sind die Betroffenen unterschiedlich eingeschränkt.

Empfehlung

Die NVL empfiehlt: Beurteilen Sie die Einschränkungen Ihrer Patient*Innen strukturiert und leiten Sie bei Bedarf passende psychosoziale Maßnahmen ein.

Um dies strukturiert zu erfassen und einzuschätzen, schlägt die neue NVL die Anwendung der Skala der ICF vor. Die ICF unterscheidet folgende Lebensbereiche:

  • Lernen und Wissensanwendung;

  • allgemeine Aufgaben und Anforderungen;

  • Kommunikation;

  • Mobilität;

  • Selbstversorgung;

  • häusliches Leben;

  • interpersonelle Interaktionen und Beziehungen;

  • bedeutende Lebensbereiche;

  • Gemeinschaftsleben, soziales und staatsbürgerliches Leben.

Erhebungsinstrumente basierend auf ICF wurden jedoch für gutachterliche und rehabilitative Kontexte entwickelt und sind bislang nicht auf die Anwendung im klinischen Bereich adaptiert. Die Leitlinie empfiehlt daher, sich anhand der Lebensbereiche an Beispielfragen zu orientieren (siehe Tab. 1).

Tab. 1 Beispielfragen zur Einschätzung nach ICF. (Modifiziert nach [1])

Nach Erfassung sollen in gemeinsamer Entscheidungsfindung mit den Patient*innen Maßnahmen besprochen und im besten Fall gebahnt werden. Welche diese sind, wird in der NVL nicht beschrieben, sondern sie verweist hier auf eine entsprechende weitere Leitlinie (S3-Leitlinie „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“).

In der hausärztlichen Praxis gehört die Erfassung von Teilhabemöglichkeit ohnehin mit zum Standardprozedere. Die strukturierte Erfassung anhand der ICF-Bereiche verbessert die Übersicht, benötigt aber auch mehr Zeit zu Beginn. Einfachere Erhebungsinstrumente könnten die Erhebung und Dokumentation erleichtern.

Internet- und mobilbasierte Interventionen (IMI) als niedrigschwellige Möglichkeit der Behandlung, aber bitte nur in Begleitung

Seit der letzten Aktualisierung der Leitlinie hat das Angebot an digitalen Therapiemöglichkeiten für Ärzt*innen und Patient*innen exponentiell deutlich zugenommen. Digitale Gesundheitsanwendungen (DIGA) sind Anwendungen, die im Verzeichnis des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach § 139e SGB V gelistet sind. Sie unterliegen Prüfungen, sind durch Ärzt*innen verschreibbar und werden von den Krankenkassen vergütet. Es besteht jedoch Kritik an Art und Ausmaß der Testung, da DIGA in einem beschleunigten Verfahren geprüft werden.

Jedoch sind bei weitem nicht alle IMI evidenzbasiert oder reguliert, sodass ein grundsätzliches Risiko fehlgeleiteter Intervention oder auch falscher Information besteht. Die bestehende Evidenz deutet darauf hin, dass IMI bei therapeutischer Begleitung wirksamer sind als ohne diese.

Empfehlung

Vor der Empfehlung oder der Verschreibung einer IMI sollte eine genaue diagnostische Einschätzung erfolgen. Die Anwendung sollte ärztlich oder psychotherapeutisch begleitet werden.

Da IMI auch direkt von Betroffenen genutzt werden können, unterliegen sie nicht unbedingt der ärztlichen Indikationsstellung und Kontrolle. Ihr flächendeckender Einsatz kann also zu niederschwellig sein. Patient*innen können sich beispielsweise in unpassende Diagnose- und Behandlungskategorien einordnen oder werden mit Schwankungen in der Symptomatik oder unerwünschten Nebenwirkungen durch das Programm alleingelassen.

Die Leitlinie empfiehlt, dass Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen eine genaue Diagnose stellen und im Gespräch mit Patient*innen DIGA besprechen und empfehlen sollen.

Apps und andere Wege, gerade die mentale Gesundheit zu verbessern, sind immer weiter in der Gesellschaft verbreitet. Es lohnt sich vielleicht, dies in der Anamnese bei depressiver Erkrankung mitzuerheben. DIGA können eine Möglichkeit sein zu überbrücken, bis andere Therapien zur Verfügung stehen, bei geringer Symptomausprägung oder auch begleitend zur Behandlung. Die Empfehlung, dass dies ärztlich begleitet werden soll, erscheint nur bedingt umsetzbar. Eine gute Möglichkeit kann sein, sich mit einzelnen DIGA vertraut zu machen und selbst zu überprüfen, ob und für welche Patient*innen dies hilfreich sein kann.

Eine erste Orientierung bietet das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen des BfArM. Für Depression sind derzeit 2 Anwendungen dauerhaft in das Verzeichnis aufgenommen.

Arbeitsunfähigkeit

Die Änderungen der Empfehlung zur Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit (AU) haben zum Ziel, das bestehende Versorgungsproblem bei depressiven Störungen im hausärztlichen Bereich anzugehen, das sich in einer teilweise zu frühen und „reflexhaften“ Krankschreibung äußert. Da es in der Praxis häufig Fälle gibt, bei denen die Symptome und Beeinträchtigungen der Patient*innen nicht so stark ausgeprägt sind, dass eine eindeutige Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist eine individuelle Entscheidung erforderlich, bei der sowohl persönliche als auch arbeitsplatzbezogene Faktoren berücksichtigt werden.

Das Ausstellen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann eine sinnvolle Option sein, um Entlastung zu bieten. In manchen Fällen jedoch triggert eine kurze „Auszeit“ vom Arbeitsplatz auch Risikofaktoren, die mit einer Verschlimmerung und Chronifizierung der depressiven Symptomatik verbunden sind, z. B. mangelnde Struktur des Alltags, Vernachlässigung und Verlust von sozialen Kontakten, fehlende Ablenkung und Fehlen positiver Bestätigung durch Arbeit. Die neue NVL Unipolare Depression empfiehlt in solchen Situationen, exemplarische Kriterien (Tab. 2) zur Überprüfung heranzuziehen.

Tab. 2 Exemplarische Kriterien für oder gegen Krankschreibungen bei unipolaren Depressionen

Aus diesem Grund empfiehlt die neue NVL Unipolare Depression, dass eine Krankschreibung nie als „Monotherapie“, sondern immer eingebettet in ein therapeutisches Konzept erfolgen und somit mindestens niedrig intensive Interventionen wie supportive Gespräche oder aktivierende Begleitung umfassen soll. Deutet sich an, dass die AU länger als 6 Wochen andauert, wird eine Abstimmung zwischen Hausärzt*innen und Psychiater*innen bzw. Psychotherapeut*innen sowie eine rechtzeitige Beratung und ggf. Einleitungen von Maßnahmen zum beruflichen Wiedereinstieg (z. B. als stufenweise Wiedereingliederung) empfohlen.

Empfehlung

Bei wiederholter Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit soll die Behandlung evaluiert und intensiviert werden. Die AU ist im Verlauf keine gute „Monotherapie“.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass es in der Versorgungsrealität immer wieder Patienten gibt, die trotz fehlender oder ineffektiver Initialbehandlung über mehrere Jahre hinweg wiederholt arbeitsunfähig sind. Daher kann eine wiederholte Arbeitsunfähigkeit ohne wesentliche Besserung des Behandlungserfolgs nicht empfohlen werden. Vor wiederholten AU-Bescheinigungen empfiehlt die NVL Unipolare Depression, dem Patienten eine Intensivierung der Therapie anzubieten. Darüber hinaus ist zu beachten, dass mit zunehmender Dauer der Arbeitsunfähigkeit die Rückkehr zur Arbeit immer unwahrscheinlicher wird. Zu erwähnen sei noch, dass in der Vorgängerversion der NVL Unipolare Depression bei leichten depressiven Episoden auch „watchful waiting“ als Therapiealternative empfohlen wurde. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse konnten jedoch keine Evidenz für ein abwartendes Verhalten bzw. Krankschreibungen im Sinne eines „watchful waiting“ identifizieren und es wurde von entsprechender Empfehlung abgesehen.

Die Änderungen zur Ausstellung von Arbeitsunfähigkeit gelten nicht für Patient*innen, bei denen aufgrund einer ausgeprägten Symptomatik oder schwerwiegender Beeinträchtigungen gemäß der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) eine klare Arbeitsunfähigkeit besteht. In solchen Fällen erfolgt die Krankschreibung weitgehend unabhängig von psychosozialen oder arbeitsplatzbezogenen Faktoren.

Tab. 2 aus [1], die hier aufgeführte Liste bietet exemplarische Kriterien und soll die individuelle ärztliche Entscheidung unterstützen.

Esketamin

Esketamin zur intranasalen Anwendung (Spravato®, Janssen, Beerse, Belgien) ist seit dem 1. März 2021 zur Behandlung von mittelgradigen bis schweren depressiven Episoden zugelassen. Esketaminnasenspray in Kombination mit einem SSRI oder SNRI wird bei Erwachsenen mit therapieresistenter Major Depression angewendet [5], die in der aktuellen mittelgradigen bis schweren depressiven Episode auf mindestens zwei unterschiedliche Therapien mit Antidepressiva nicht angesprochen haben.

Esketaminnasenspray in Kombination mit einer oralen antidepressiven Therapie wird angewendet bei erwachsenen Patienten mit einer mittelgradigen bis schweren Episode einer Major Depression als akute Kurzzeitbehandlung zur schnellen Reduktion depressiver Symptome, die nach ärztlichem Ermessen einem psychiatrischen Notfall entsprechen. Bei therapieresistenten Depressionen (TRD) empfiehlt die NVL ein strukturiertes Vorgehen, das neben der Fokussuche auch eine Umstellung des Antidepressivums beziehungsweise Eskalation der Therapie im Sinne einer Kombination oder die Augmentation mit Lithium oder einem Antipsychotikum wie Quetiapin beinhaltet.

Empfehlung

Unter diesen Rahmenbedingungen ist dem Einsatz von Esketamin in der hausärztlichen Versorgungsrealität aktuell keine signifikante Rolle beizumessen.

Seit Mitte März 2023 ist Esketaminnasenspray auch im ambulanten Bereich für die Behandlung Erwachsener mit therapieresistenter Major Depression eine Therapieoption [1]. Jedoch gestaltet sich die ambulante Versorgung mit Esketamin weiterhin deutlich erschwert. Die Entscheidung zur Erstverordnung von Esketaminnasenspray muss von einem Facharzt bzw. einer Fachärztin für Psychiatrie getroffen werden. Folgeverordnungen können dann auch beispielsweise durch die behandelnden Hausärzte*Innen erfolgen. Ein Hindernis für den Einsatz in der Hausarztpraxis stellt die Versorgung durch die Apotheken dar. Esketaminnasenspray ist zur Anwendung durch den Patienten selbst unter der direkten Aufsicht von medizinischem Fachpersonal vorgesehen. Eine Behandlungssitzung beinhaltet die nasale Anwendung von Esketaminnasenspray und eine anschließende Nachbeobachtung. Die Anwendung von Esketaminnasenspray und die anschließende Nachbeobachtung muss in einem geeigneten medizinischen Umfeld stattfinden. Eine direkte Abgabe von Esketaminnasenspray an die Patienten*Innen ist nicht vorgesehen.

Medizinische Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe

Die aktuelle NVL hebt die Bedeutung sozialer Faktoren für die Aufrechterhaltung einerseits, aber auch als wichtigen Baustein in der Behandlung besonders hervor. Bei Patient*innen sollen über die Symptomatik und das Funktionsniveau (siehe oben) hinaus Möglichkeiten und Schwierigkeiten in der Teilhabe erfragt werden. Teilhabe bezieht sich auf Beruf und Familie, aber auch auf finanzielle Mittel und Mobilität, die Grundvoraussetzungen für Menschen sind, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Nach Bedarfserhebung sollen entsprechende Maßnahmen besprochen und eingeleitet werden. Die Leitlinie gibt hier konkrete Hinweise auf Kostenträger*innen und Zuständigkeiten. Abb. 1 verschafft einen Überblick über den vorgeschlagenen Algorithmus. Erst sollen ambulante Maßnahmen zum Erhalt oder zur Verbesserung der Teilhabe getroffen werden.

Abb. 1
figure 1

Teilhabealgorithmus. (Modifiziert nach [1])

Empfehlung

Teilhabe soll regelhaft beurteilt werden. Ambulante und stationäre Maßnahmen können Teilhabe fördern.

Wenn in der Evaluation dadurch keine Besserung erfolgt, soll eine intensivere Rehabilitationsbehandlung gebahnt werden. Diese erfolgt bei unipolarer Depression in psychosomatischen oder psychiatrischen Rehabilitationskliniken und kann grundsätzlich ambulant oder stationär erfolgen.

Die Einschätzung von Teilhabe und die Beratung hinsichtlich geeigneter Maßnahmen dahingehend sind grundlegende allgemeinärztliche Aufgaben, insbesondere bei chronischen Erkrankungen. Auch in der Beantragung und Bahnung von Rehabilitationsbehandlungen sind Hausärzt*innen längst Expert*innen. Die Hervorhebung dieser Bausteine in der neuen Leitlinie verändert Algorithmen in der hausärztlichen Praxis vermutlich weniger, als dass es sie bestärkt und ihnen den Stellenwert beimisst, der ihnen zusteht.

Komplexe Versorgungsformen

Internationale und nationale Studien zeigen konsistent, dass strukturierte und komplexe Versorgungsformen bei depressiven Störungen trotz kleiner Effektstärken und niedriger Evidenzqualität wirksam sind. Da die Einbindung aller Patientinnen mit depressiven Störungen in der Versorgungsrealität in Deutschland kaum umsetzbar erscheint, fokussiert sich die Empfehlung auf Patient*innen mit einem Jahr Erkrankungsdauer und einem mittleren Schweregrad, um den Nutzen und den zeitlichen Aufwand in Balance zu halten. Den bisherigen Beginn einer strukturierten Versorgung gemäß der üblichen Definition einer chronifizierten Depression, d. h. nach 2 Jahren, erachtet die Leitliniengruppe als zu spät. Bei depressiven Störungen, die 1 Jahr oder länger persistieren, ist kaum noch eine Remission zu erwarten [1]. Und je mehr Rezidive bereits aufgetreten sind, umso höher ist das Risiko eines erneuten Rezidives oder der Chronifizierung [2]. Zwischen dem Auftreten depressiver Beschwerden und der Inanspruchnahme einer ärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlung liegen häufig mehrere Jahre Zeit [3]. Gerade hier verdeutlicht sich die große Relevanz einer langfristigen therapeutischen Beziehung zur Hausärztin oder zum Hausarzt. Sie ist ein zentraler Faktor bei der Behandlung von depressiven Störungen. Durch kontinuierliche Betreuung der Patienten ist es der Hausärztin oder dem Hausarzt möglich, Symptome einer Depression früh zu erkennen und die Diagnosestellung zu verbessern. Zudem führt sie zu einer höheren Akzeptanz der Überweisung zu den fachspezifischen Behandlungen. Durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit können Bedenken und Vorbehalte angesprochen und Barrieren gemeinsam überwunden werden. Eine langfristige therapeutische Beziehung ermöglicht eine umfassende, ganzheitliche Betreuung und trägt zu einer effektiven Behandlung bei. Kritisch zu bewerten ist, dass neu etablierte Versorgungsmodelle, wie die ambulante Komplexversorgung gemäß KSVPsych-RL (g-BA 2021), Hausärzt*innen nur ungenügend einbeziehen.

Psychotherapie

Deutlicher als in den vorangegangenen Versionen betont die aktuelle Fassung der NVL den Stellenwert psychotherapeutischer Verfahren. Die neue NVL gliedert ihre Empfehlungen neuerdings nach Schweregraden. Für alle Schweregrade wird Psychotherapie bei hoher Evidenz empfohlen. Während bei Nichtansprechen einer antidepressiven Monotherapie zuvor vor allem zu medikamentösen Strategien, wie Wechsel, Kombination oder Augmentation, geraten wurde, rät die Neufassung ausdrücklich zu einer Kombination mit Psychotherapie.

Empfehlung

Es besteht bei allen Schweregraden eine starke Empfehlung für Psychotherapie, insbesondere bei Nichtansprechen einer primär medikamentösen Behandlung.

Die Leitlinie empfiehlt keine psychotherapeutischen Verfahren (Verhaltenstherapie, psychodynamische Verfahren) explizit, sondern verweist auf weiteren Forschungsbedarf [4].

Zusammenfassung und Fazit

Die Neufassung der NVL greift aktuelle wissenschaftliche Entwicklungen auf und berät zu neuen Medikamenten wie Esketamin und zunehmend relevanten Behandlungsstrategien wie IMI. In der aktuellen Fassung werden insbesondere auch die Bereiche der Funktionsfähigkeit und Teilhabe in ihrer Bedeutung für Diagnostik und Behandlung hervorgehoben. Durch diesen Fokus wird insbesondere auch die Bedeutung der hausärztlichen Versorgung bei unipolarer Depression betont. In diesem Kontext ist besonders zu erwähnen, dass die Neufassung der NVL der partizipativen Entscheidungsfindung im Sinne des „shared decision making“ und Angehörigenarbeit einen hohen Stellenwert beimisst.

In dieser Übersicht wurden die Veränderungen der neuesten Version der Leitlinie gegenüber der Vorversion dargestellt. Aktuell stehen noch Punkte aus, zu denen die Leitliniengruppe noch Empfehlungen nachreichen will, z. B. zu spezifischen Patient*innengruppen, wie ältere oder geschlechtlich diverse Patient*innen, ebenso wie Patient*innen mit Migrationshintergrund.

Auch der Umgang mit der im ICD-11-System neuen Diagnose der prämenstruellen dysphorischen Störung (PMDS) soll in die Leitlinie eingepflegt werden.

In der symptomatischen Behandlung und im diagnostischen Algorithmus ergeben sich gegenüber der Vorversion keine maßgeblichen Veränderungen. Auch die aktuelle NVL geht nicht näher auf das ob und wie der Leitlinienimplementierung in die klinische Praxis ein, wenngleich sie deren Bedeutung im Vorwort betont. Eine engmaschige Zusammenarbeit zwischen Anwender*innen und Leitliniengruppe erscheint besonders bedeutsam, wenn es darum geht, evidenzbasierte Empfehlungen in die Praxis umzusetzen.