Hintergrund und Fragestellung

Nachdem Jahrzehnte lang vor einer unzureichenden Zahl an zukünftigen Hausärzt*innen (HÄ) gewarnt wurde, sind durch den Mangel an HÄ mittlerweile Engpässe in der hausärztlichen Versorgung sichtbar [4, 26]. Verantwortlich dafür ist auf der einen Seite ein quantitativer Nachwuchsmangel. Seit knapp 30 Jahren beträgt der Anteil neuer Fachärzt*innen (FÄ) für Allgemeinmedizin in der Bundesrepublik Deutschland am Anteil aller FÄ-Absolvent*innen nicht mehr als 15 % [2], während sich immer mehr HÄ für Teilzeitmodelle in Anstellung entscheiden [12, 27]. Gleichzeitig wird ein Großteil der praktizierenden HÄ bald in den Ruhestand eintreten [4]. Auf der anderen Seite nimmt der Bedarf an hausärztlicher Versorgung v. a. durch chronisch kranke Patient*innen weiter zu [16].

Ein Weg, diesem Mangel zu begegnen, ist die verbesserte Rekrutierung qualifizierten Nachwuchses, was die Erhöhung der Sichtbarkeit der Allgemeinmedizin im Medizinstudium, eine attraktive Weiterbildung und eine gute Berufsperspektive erfordert [10]. In den 2000er-Jahren galt die Weiterbildung Allgemeinmedizin noch als unattraktiv [9, 17]. 2008 wurde in Baden-Württemberg zur Förderung der Attraktivität der allgemeinmedizinischen Weiterbildung die Verbundweiterbildungplus Baden-Württemberg ins Leben gerufen [6, 21, 23]. Zur Förderung der Qualität und Effizienz der allgemeinmedizinischen Weiterbildung (WB) wurden 2017 aufgrund des sog. GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes von 2015 (§ 75a SGB V) deutschlandweit Kompetenzzentren gegründet [3]. Das Kompetenzzentrum Weiterbildung (KW) Baden-Württemberg (BW) ging aus der Verbundweiterbildungplus Baden-Württemberg hervor und ist seither das teilnahmestärkste KW in Deutschland (Anteil des KWBW an allen KW-TN in Deutschland ca. 20 %; [29]). Im KWBW sind ca. 40 % aller ÄiW AM in Baden-Württemberg eingeschrieben [4]. Eine weitere Strategie, die Zahl der HÄ in Baden-Württemberg zu erhöhen, ist seit 2011 der Quereinstieg Allgemeinmedizin [20]. Hierbei wird FÄ aus Gebieten der unmittelbaren Patientenversorgung nach einer verkürzten 24-monatigen Weiterbildungszeit in der Allgemeinmedizin die Möglichkeit geboten, die Facharztprüfung Allgemeinmedizin abzulegen und damit der Einstieg in die hausärztliche Versorgung vereinfacht.

Eine wissenschaftliche Beschreibung langfristiger Berufsvorstellungen von Medizinstudierenden und ÄiW mit dem Fokus auf eine hausärztliche Tätigkeit ist in der KarMed-Studie erfolgt [27, 28]. Diese begleitete Absolvent*innen von sieben medizinischen Fakultäten des Jahrgangs 2009 mittels jährlicher postalischer Befragungen vom Praktischen Jahr (T0, n = 1012) bis nach maximal sechs Jahren Weiterbildung (T6, jährliche Rücklaufquoten von 77–85 % im Vergleich zum Vorjahr). Die KarMed-Studie zeigte, dass sich vor allem weibliche ÄiW und ÄiW mit Kindern für das Fach Allgemeinmedizin entscheiden. Des Weiteren zeigte sie einen Trend hin zur Angestellten- sowie zur Teilzeittätigkeit. Während in der KarMed-Studie ÄiW aller Fachrichtungen befragt wurden, soll in der vorliegenden Arbeit im Rahmen einer fortlaufenden Beobachtungsstudie innerhalb des KWBW eine differenzierte Betrachtung speziell jener ÄiW erfolgen, die schon den Weg in die Allgemeinmedizin eingeschlagen haben (ÄiW AM). Durch eine deutlich größere Stichprobe und eine weitergehende Befragung sollen Erkenntnisse bezüglich der Eigenschaften, Bedarfe und Wünsche von ÄiW AM gewonnen werden. Einerseits können daraus Rückschlüsse für die Zukunft der hausärztlichen Versorgung erlangt werden. Andererseits sollen Handlungsebenen identifiziert und (berufs-)politische Entscheidungen ermöglicht werden, durch die mehr Mediziner*innen für die Allgemeinmedizin gewonnen werden können.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Ethik

Alle TN stimmten der Teilnahme an der Studie und der pseudonymisierten Verwendung ihrer Daten schriftlich zu. Für die Studie liegt ein Ethikvotum der Medizinischen Fakultät Heidelberg vor (Nr. S‑570/2015).

Studiendesign

Es handelt sich um eine multizentrische (Studienstandorte: Freiburg, Heidelberg, Tübingen, Ulm) deskriptive Beobachtungsstudie, die im Januar 2016 begonnen wurde.

Setting

Die KWBW-Verbundweiterbildungplus [1] ist ein freiwilliges Programm für ÄiW AM, das vom KWBW aufgelegt wird und aus der Verbundweiterbildungplus Baden-Württemberg hervorgegangen ist. Es soll die Qualität und Effizienz der allgemeinärztlichen Weiterbildung erhöhen, indem es die Kompetenzentwicklung von ÄiW AM fördert, die kollegiale Isolation beendet und die Weiterbildung AM attraktiv macht. Es besteht aus einem berufsbegleitenden Seminarcurriculum für ÄiW AM über die Zeit der WB (max. 5 WB-Jahre Vollzeitäquivalent), Mentoring- und Vernetzungsangeboten, der Möglichkeit, an regionalen Weiterbildungsverbünden teilzunehmen [24], sowie aus Train-the-Trainer-Seminaren für weiterbildungsbefugte HÄ [11]. Im Seminarprogramm des KWBW werden an Einzelseminartagen (EST) und Doppelseminartagen (DST) vielfältige Seminare zu medizinischen Themen (wie z. B. das fiebernde Kind, Versorgung chronischer Wunden oder Diabetes mellitus), zur Praxisführung (wie Abrechnung, Qualitätsmanagement oder Teamleitung) oder zu übergeordneten Themen (wie Digitalisierung in der hausärztlichen Versorgung oder klimasensible Beratung) zur Kompetenzentwicklung angeboten [24]. DST ermöglichen zusätzlich didaktische Kompaktinterventionen zu Schwerpunktthemen (beispielsweise Palliativmedizin, ärztliche Gesundheit oder chirurgische Fertigkeiten; [18, 19, 22]). Die Teilnahme an einem Weiterbildungsverbund ermöglicht zusätzlich die strukturierte und fachlich sinnvolle Rotation der ÄiW AM in kooperierende Praxen und Krankenhäuser ohne Verzögerung der Weiterbildung. Der überwiegende Teil der Kosten wird durch die Förderung nach § 75 a SGB V übernommen. Im KWBW übernehmen die teilnehmenden Krankenhäuser, Praxen und ÄiW gut 20 % der Kosten.

Teilnahme und Rekrutierung

Voraussetzung für die Teilnahme an der Beobachtungsstudie ist die Einschreibung in das Weiterbildungsprogramm KWBW-Verbundweiterbildungplus. Die Rekrutierung findet im Rahmen der für die neuen ÄiW verpflichtenden 2‑tägigen Einführungsveranstaltungen (online oder in Präsenz) statt.

Instrumentenentwicklung

Ein standardisiertes Instrument für die umfangreiche Befragung von neuen ÄiW in einem Weiterbildungsprogramm lag nicht vor. Daher wurde in einem interprofessionellen standortübergreifenden (Freiburg, Heidelberg, Tübingen, Ulm) Projektteam, das mit der Zielgruppe vertraut ist, anhand einer Literaturrecherche sowie mit der Bewertung von für die Weiterbildung Allgemeinmedizin relevanten Inhalten ein Fragebogen (FB) neu konzipiert. Die primäre Validierung erfolgte anhand der Think-aloud-Technik mit 5 ÄiW [5]. Der FB wurde seit Beginn der Studie mehrmalig geringfügig angepasst (Version 1: 28.01.2016; Version 2: 03.03.2016 bis 17.03.2016; Version 3: 16.06.2016 bis 15.03.2018; Version 4: 15.03.2018; Version 5: 05.04.2018 bis dato).

Instrumentenbeschreibung

Der Fragebogen besteht aus insgesamt 54 bzw. 62 Items. Es gibt 54 Items zu 6 Teilabschnitten mit den Themen Persönliche Angaben, Studium, Qualifikationen, Weiterbildung, Zukunftsplanung für die Weiterbildung und Zukunftsplanung als Facharzt/Fachärztin. Für TN im Quereinstieg gibt es zusätzlich einen Anhang mit 8 weiteren Items zur abgeschlossenen Facharztweiterbildung. Der Fragebogen setzt sich zusammen aus binären Antwortoptionen, Freitextangaben, Multiple-Choice-Fragen und Präferenzangaben auf einer 7‑stufigen Likert-Skala (1 = gar nicht wichtig, 7 = sehr wichtig). Das Instrument wird im Anhang zur Verfügung gestellt (s. Zusatzmaterial online).

Durchführung der Befragung

Allen TN eines Einführungsseminars des KWBW der Jahre 2016–2022 wurde der FB vorgelegt, der freiwillig und ohne zeitliche Vorgaben ausgefüllt werden konnte. Die Befragung fand von 2016–2021 papierbasiert statt und wird seit Ende 2021 (03.12.2021) online (Survey Monkey®, San Mateo, CA, USA) durchgeführt.

Datenauswertung

Die Datenauswertung erfolgte mithilfe von IBM® SPSS® Statistics Version 29.0 für Windows (IBM, Armonk, NY, USA).

Ergebnisse

Teilnahme

Von insgesamt 929 ÄiW, die in den Jahren 2016–2022 neu in das KWBW eintraten, nahmen 884 an der Studie teil (Teilnahmequote: 95,2 %). Bezüglich der soziodemografischen Angaben unterschieden sich die einzelnen Jahreskohorten statistisch nicht signifikant voneinander (bez. Geschlecht, Alter, Beziehungsstatus, Elternschaft, Migrationshintergrund, Abiturnote, Dauer Medizinstudium, Abschlussnote Medizinstudium), sodass sich die folgenden Angaben, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf die Gesamtkohorte beziehen.

Soziodemografie

Eine Übersicht der Ergebnisse ist in Tab. 1 dargestellt. 29,3 % (n = 221) der TN lebten in einer festen Partnerschaft/Ehe mit Ärzt*innen, insgesamt 79,7 % (n = 602) mit Akademiker*innen. 503 ÄiW hatten Kinder, hiervon 65,6 % (n = 330) mindestens 2 Kinder. 85,5 % (n = 430) haben bei Geburt ihres Kinds/ihrer Kinder Elternzeit in Anspruch genommen. Im Median wurden seit Berufsausübung als Arzt/Ärztin 21 Monate (Q1: 11; Q3: 30; MW [SD]: 22,8 [19,0]) Elternzeit genommen. Der Heimatort der TN war zu 24,8 % (n = 218) eine Großstadt (> 100.000 Einwohner), zu 20,0 % (n = 176) eine Mittelstadt (20.000–100.000 Einwohner), zu 44,4 % (n = 391) eine Kleinstadt (5000–20.000 Einwohner) und zu 10,8 % (n = 95) ein Dorf (< 5000 Einwohner). Die Entfernung des Heimatorts zur nächsten Großstadt betrug bei 8 % der ÄiW (n = 70), die nicht aus einer Großstadt stammten, weniger als 10 km, bei 34,0 % (n = 299) 10–35 km und bei 33,7 % (n = 298) mehr als 35 km.

Tab. 1 Übersicht über die Ergebnisse

Weiterbildung

24,5 % (n = 217) der TN waren im 1.–2. Weiterbildungsjahr (WBJ), 50,9 % (n = 450) im 3.–5. WBJ und 23,8 % (n = 210) im Quereinstieg. Die Beschäftigungsverhältnisse bei Einschreibung in das Weiterbildungsprogramm waren zu 70,0 % (n = 600) in der hausärztlichen Praxis, zu 23,6 % (n = 202) in der stationären inneren Medizin und zu 6,4 % (n = 55) in anderen Fachgebieten (stationär und ambulant). Als die häufigsten bisherigen Rotationsfächer wurden innere Medizin (77,8 %, n = 686), Allgemeinmedizin (48,9 %, n = 431), Chirurgie (21,5 %, n = 190), Anästhesie (15,0 %, n = 132), Neurologie (6,8 %, n = 60) und Pädiatrie (4,6 %, n = 41) genannt. Bei in Vollzeit arbeitenden TN war der Anteil der TN ohne Kinder (n = 307/381, 80,6 %) höher als der mit Kindern (n = 185/502, 36,9 %; p = < 0,001; unter den TN mit Kindern zeigt sich der Anteil der in Vollzeit arbeitenden Väter [n = 94/112, 83,9 %] deutlich höher als der in Vollzeit arbeitenden Mütter [n = 91/390, 23,3 %]). 5,2 % (n = 35) der TN, die nicht im Quereinstieg waren, hatten die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin erworben, während 39,2 % (n = 82/209) der TN im Quereinstieg diese hatten.

Zukunftsplanung für die Weiterbildung

70,6 % (n = 612) der TN wünschten sich, einen Teil der WB in einer Landarztpraxis zu absolvieren. Bezüglich der Anzahl unterschiedlicher Weiterbildungsstellen wünschten sich 54,0 % (n = 468) eine, 37,1 % (n = 322) 2 und 8,9 % (n = 77) mehr als 2 WB-Stellen in der Allgemeinmedizin. Der gewünschte Arbeitsumfang für die ambulante WB betrug 50,1 % (n = 435) für eine Vollzeit- und 49,9 % (n = 365) für eine Teilzeitstelle. Die gewünschte Ortsgröße der hausärztlichen WB-Stelle war mehrheitlich eine Klein- (34,1 %, n = 273) oder Mittelstadt (33,6 %, n = 269). Die TN bewerteten die Aussicht auf eine Übernahme als angestellte FÄ bei der Wahl der WB-Stelle auf einer Skala von 1–7 (1 = gar nicht wichtig; 7 = sehr wichtig; Beantwortung nach dem Likert-Verfahren) im Median mit einer 4 (Q1: 3; Q3: 6; MW [SD]: 4,16 [1,96]) und die Aussicht auf eine Teilhabe an der Praxis nach FA-Prüfung im Median ebenfalls mit einer 4 (Q1: 2; Q3: 5; MW [SD]: 3,7 [1,99]).

Zukunftsplanung als Facharzt/Fachärztin

Der zukünftige gewünschte Wohnort war zu 23,6 % (n = 188) eine Großstadt, zu 34,2 % (n = 272) eine Mittelstadt, zu 27,8 % (n = 221) eine Kleinstadt und zu 14,3 % (n = 114) ein Dorf. Es zeigt sich eine positive Korrelation zwischen der Ortsgröße des Heimatorts (= wo man aufgewachsen ist) und der gewünschten Größe des zukünftigen Wohnorts (r = 0,348; p = < 0,001). Die gewünschte Entfernung des zukünftigen Wohnorts zur nächsten Großstadt betrug bei 16,9 % (n = 146) weniger als 10 km, bei 32,9 % (n = 284) 10–35 km, bei 32,2 % (n = 278) mehr als 35 km und 18,0 % (n = 155) möchten innerhalb einer Großstadt leben. Auch hier zeigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen der Entfernung der Heimatstadt zur nächsten Großstadt mit der Entfernung der gewünschten zukünftigen Wohnstätte zur nächsten Großstadt (r = 0,168; p = < 0,001). Die TN bewerteten die Aussage, dass sich der Wohnort zukünftig vom Arbeitsort unterscheiden sollte, auf einer Skala von 1–7 (1 = gar nicht wichtig; 7 = sehr wichtig; Beantwortung nach dem Likert-Verfahren) im Median mit einer 4 (Q1: 2; Q3: 6; MW [SD]: 3,73 [2,09]).

Diskussion

Viele weibliche ÄiW mit Kindern

Der Anteil der weiblichen TN im KWBW ist mit knapp 73 % höher als in Vergleichsdaten der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2021 [2] und vergleichbaren Studien [15, 28], die den Anteil weiblicher ÄiW AM auf ca. 64–66 % beziffern. Dem Trendbericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zufolge zeigen Frauen im Vergleich zu Männern unter Einbeziehung von Erwerbssituation und Arbeitszeit in der Erwachsenenbildung grundsätzlich eine erhöhte Teilnahmebereitschaft zu Weiterbildungsangeboten [7]. Daher ist es möglich, dass sich vermehrt weibliche Teilnehmer in das KWBW-Verbundweiterbildungplus-Programm einschreiben. TN im Quereinstieg herausgerechnet ergibt sich ein TN-Anteil von 49,2 % mit Kindern bei einem Altersmedian von 33 Jahren, was dem Anteil in der KarMed-Studie entspricht [28].

Eine Investition in die langfristige hausärztliche Versorgung in Baden-Württemberg

Eine Mehrheit der TN (ca. 60 %) hat das Studium in Baden-Württemberg abgeschlossen und 91,9 % der ÄiW im KWBW möchten nach der Facharztprüfung weiterhin in Baden-Württemberg leben. Dies spricht dafür, dass die Weichenstellung für die langfristige geografische Orientierung der ÄiW vor allem im Zeitraum der Weiterbildung erfolgt. Eine Analyse der Koordinierungsstelle Allgemeinmedizin Baden-Württemberg (KoStA) konnte zeigen, dass die kassenärztliche Tätigkeit sogar in unmittelbarer Nähe zur letzten Weiterbildungsstätte begonnen wird (55 % in einem Radius von 5 km, 80 % in einem Radius von 25 km; [14]). Nahezu alle TN (97,8 %) planen in der Zukunft eine hausärztliche Tätigkeit. Interessant ist die Bereitschaft der ÄiW AM, die Weiterbildung unter anderem in einer Landarztpraxis zu absolvieren und auch zukünftig dort fachärztlich tätig zu sein. Viele TN (49,3 %) gaben als gewünschte Ortsgröße der langfristigen Arbeitsstelle einen Ort mit weniger als 20.000 Einwohnern, und damit das Umfeld einer Kleinstadt oder ländlichen Region, an. Dieser Anteil ist beträchtlich und auch höher als im Vergleich mit den schon zuversichtlich stimmenden Daten der KarMed-Studie [27], in der der Anteil der entsprechenden Vergleichsgruppe für dieselbe Fragestellung bei 38 % lag (ländliche Region: 14 %:, Ort mit < 20.000 Einwohner: 24 %). Unveröffentlichte Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg zeigen, dass sich die Absolvent*innen in der Allgemeinmedizin entsprechend der Einwohnerzahl auf die Planungsbereiche in BW verteilen.

Zusammengefasst sind im KWBW vor allem solche ÄiW, die langfristig in Baden-Württemberg bleiben und hausärztlich arbeiten möchten und zukünftig damit unmittelbar zur Primärversorgung, auch im ländlichen Bereich, der Bevölkerung beitragen.

Bevorzugte Arbeitsformen der Zukunft und Selbstständigkeit

Entsprechend der Daten der letzten Jahre zeigen auch unsere Ergebnisse einen Trend zur Teilzeitarbeit während der Weiterbildung [4, 8]. Die Teilzeitarbeit wird aufgrund einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie meist von ÄiW mit Kindern bevorzugt [27]. Der derzeitige Arbeitsumfang ist unter den Geschlechtern bei ÄiW AM mit Kindern ungleich verteilt, so arbeiten Mütter meist in Teilzeit oder gar nicht, während die Mehrheit der Väter (83,9 %) in Vollzeit arbeiten. Des Weiteren erscheint die Arbeit in Einzelpraxen weniger attraktiv. Wie schon zuvor beschrieben [5, 9] zeigen auch unsere Ergebnisse, dass ÄiW AM langfristige Arbeitsplätze bevorzugen, die kooperative Ansätze verfolgen. Bevorzugte Arbeitsformen unter den ÄiW AM sind demnach solche, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch flexible Arbeitszeiten und -umfänge gewährleisten können. Daraus lassen sich Chancen ableiten, sofern Organisationsstrukturen und Arbeitsprozesse daran angepasst werden [13, 25].

Vielversprechend sind unsere Daten bezüglich der Niederlassung: Hier zeigten sich 53,0 % der TN noch unentschlossen, während nur weniger als 10 % eine Selbstständigkeit ausschlossen. Vorausgehende Studien zeigen diese Offenheit gegenüber einer Niederlassung nicht, sondern gehen von einem ÄiW-Anteil von rund 50 % aus, die sich nicht niederlassen wollen [27]. Tatsächlich liegt in der Unentschlossenheit ein großes Potenzial. Durch ein breites Informationsangebot zum Thema Niederlassung (z. B. digitale Medien, kostenlose Seminare) und vor allem durch Rollenmodelle, die unter anderem in Gruppen- und Einzelmentorings greifbar werden, besteht die Chance, während der Weiterbildungszeit mehr junge ÄiW zur Selbstständigkeit zu motivieren. Trotz der Vielzahl der Angebote ist im Licht der Ergebnisse eine erneute Prüfung sinnvoll, ob die Angebote für ÄiW zum Thema Niederlassung noch ausgebaut werden können.

Stärken

Zum ersten Mal liegt eine detaillierte Beschreibung der TN eines der teilnahmestärksten KW vor. Die vorliegende Studie zeichnet sich durch die große Stichprobe der ÄiW AM (n = 884) und die hohe Rücklaufrate (95,2 %) aus.

Limitationen

Eine Limitation der Studie ist der Selektionseffekt der untersuchten Stichprobe. Die Teilnahme am KWBW ist nicht Voraussetzung für die Erlangung der Facharztbezeichnung und folglich freiwillig. Daraus entsteht ein potenzieller Selektionsbias (z B. sind TN eher motiviert).

Des Weiteren handelt es sich um Daten, die bei der Anmeldung zum KW erfasst wurden. Bislang wurde keine Follow-up-Erhebung durchgeführt, weswegen mögliche Veränderungen der Einschätzung der Teilnehmenden nicht erfasst sind.

Eine weitere Limitation ist die fragliche Übereinstimmung der Charakteristika der untersuchten ÄiW mit der Grundgesamtheit der ÄiW AM in Baden-Württemberg. Daten zu den ÄiW in BW außerhalb des KWBW liegen nicht vor. Weiterhin ist die vergleichende Bewertung der dargestellten Ergebnisse auch nach intensiver Literaturrecherche schwierig, es sind nur wenige Daten zu ÄiW in der Allgemeinmedizin oder zu ÄiW in anderen Fachbereichen in Deutschland/Europa verfügbar.

Ferner sind Bewertungen leistungsbezogener Parameter, wie Abiturnoten, Abschlussnoten des Medizinstudiums, abgeschlossener Dissertationen und wissenschaftliche Publikationen, nur eingeschränkt möglich. Die erhobenen Parameter ermöglichen eine grobe Einordnung der akademischen Leistungen der TN, ohne eine abschließende Beurteilung treffen zu können.

Ungenau ist außerdem der Begriff „Migrationshintergrund“. Hier wurde die offizielle Definition des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) herangezogen, wonach eine Person einen Migrationshintergrund aufweist, wenn sie entweder selbst keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsbürgerschaft nicht durch Geburt besitzt [6].

Weitere Schritte

Im nächsten Schritt sollte die longitudinale Entwicklung der ÄiW während ihrer Weiterbildung näher beleuchtet werden. Es ist der Grundstein für weitere Studien zu ÄiW in Deutschland gelegt: Zunächst sind vergleichende Arbeiten mit anderen Kompetenzzentren Weiterbildung interessant. Weiterhin ist der Vergleich mit ÄiW in Allgemeinmedizin außerhalb der KW notwendig. Im Verlauf wären dann auch Vergleiche zwischen ÄiW unterschiedlicher Fachbereiche möglich. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen fundierte Entscheidungen zur Entwicklung und Verbesserung der ärztlichen Weiterbildung in Deutschland ermöglichen.

Fazit für die Praxis

  • Mögliche Ansätze zur Steigerung des Nachwuchses in der Allgemeinmedizin bestehen in erster Linie in der Erhöhung der Attraktivität der Ausbildung und Weiterbildung, d. h. durch die frühzeitige und langfristige Bindung von Ärzt*innen in Weiterbildung.

  • Konzepte, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf erlauben – beispielsweise Teilzeitmodelle in kooperativen Arbeitssettings – sind bereits während der Weiterbildungszeit gefragt und werden auch in der Zeit danach von vielen ÄiW AM gewünscht.

  • Eine große Chance besteht außerdem in der Unentschlossenheit der ÄiW bezüglich einer zukünftigen Selbstständigkeit. Hier könnte durch niedrigschwellige Informationsangebote und gezielte Hilfestellungen die Bereitschaft zur Selbstständigkeit noch angehoben werden.