In der Intersubjektivitätsforschung kursiert die Idee einer Zweite-Person-Perspektive (2PP) als eigenständiger epistemischer Zugang zu psychischen Phänomenen. In Auseinandersetzung mit zwei Ansätzen in diese Richtung möchte ich aufweisen, dass es m. E. nicht sinnvoll ist, neben den etablierten Erste- und Dritte-Person-Perspektiven (1PP und 3PP) von einer 2PP zu reden. Ich will damit nicht die empirische Forschungstätigkeit infrage stellen, die unter diesen Titel läuft. Es geht mir lediglich darum, der Forschung einen sinnvollen begrifflichen Rahmen zu verleihen.

Ich setze mich im Folgenden mit den Ansätzen von Michael Pauen und Thomas Fuchs auseinander, und zwar wesentlich mit Bezug auf die beiden Aufsätze „The Second-Person Perspective“ (Pauen 2012) und „The phenomenology and development of social perspectives“ (Fuchs 2013). Beide Ansätze haben die gegenwärtige empirische Intersubjektivitätsforschung im Blick, beide gehen von der Existenz interaktiver Vorgänge subpersonaler Art im Sinn der Embodied-cognition-Forschung aus. Sie gelangen aber zu unterschiedlichen Auffassungen von 2PP. Das ermöglicht es mir, verschiedene Aspekte, die mit dieser Perspektive in Verbindung gebracht werden, zu beleuchten, kritisch zu hinterfragen und neu einzuordnen. Da die Begriffe 1 und 3PP nicht einheitlich verwendet werden, stelle ich jedoch zunächst mein Verständnis von 1 und 3PP dar.Footnote 1

1 Das Perspektivenverständnis

Bei der Rede von Perspektiven geht es um verschiedene Zugänge zu ein und derselben Art von Phänomen, wobei ich mich hier auf den Bereich der psychischen Phänomene beschränke.Footnote 2 Über welche Zugänge zu psychischen Phänomenen verfügen wir? Dem klassischen Verständnis nach wird in der analytischen Philosophie des Geistes zwischen zwei als Perspektiven beschriebenen epistemischen Zugängen unterschieden: 1 und 3PP.Footnote 3

Unklar ist jedoch, was damit genau gemeint ist. Perspektive ist primär eine Eigenschaft visueller Betrachtung. Es handelt sich um einen bestimmten Blickwinkel, aus dem etwas gesehen wird. Wenn in der analytischen Philosophie des Geistes Perspektiven mit unterschiedlichen Personalpronomen in Verbindung gebracht werden, sind jedoch nicht Unterschiede der räumlichen Positionierung und des damit einhergehenden Blickwinkels gemeint, es sind auch nicht unterschiedliche Verstehenshorizonte aufgrund der jeweiligen Lokalisierung des Individuums im sozialen Raum gemeint, sondern es geht um verschiedene epistemische Zugänge zu möglichen Erkenntnisgegenständen.

Unter einem epistemischen Zugang verstehe ich das Mittel, durch das hindurch wir ein bestimmtes Phänomen wahrnehmen und kognitiv erfassen können. Perspektive kommt vom Lateinischen „perspicere“ im Sinn von „durch etwas Hindurchsehen“. Perspektiven im hier gemeinten Sinn sind mit anderen Worten unterschiedliche Erfahrungskanäle. In Erfahrung bringen wir etwas über unsere Sinne. Das Mittel, mit dem wir uns in der 1PP auf Psychisches beziehen, nenne ich in Anlehnung an Kant den inneren Sinn (Kant 1998 [1781], B 37). Die Mittel, durch die hindurch wir uns in der 3PP auf Psychisches beziehen, sind die äußeren Sinne. Die Wahrnehmung eines psychischen Phänomens aus der 1PP ist ichexklusiv, die Wahrnehmung eines psychischen Phänomens aus der 3PP ist so geartet, dass ich als epistemisches Subjekt im Prinzip austauschbar bin mit jedem beliebigen anderen epistemischen Subjekt, dass jeder beliebige Er prinzipiell die gleiche Perspektive einnehmen kann wie ich.Footnote 4

Die Tatsache, dass das psychische Phänomen im Fall der 1PP vor allem die eigene Psyche ist, und dass es im Fall der 3PP vor allem die Psyche einer anderen Person ist, darf dabei m. E. keine Rolle spielen. D. h., die zwei Perspektiven unterscheiden sich ausschließlich durch die Mittel, durch die Erfahrungskanäle, sinnvoll voneinander, nicht durch unterschiedliche Gegenstandsbereiche. Letztere dürfen höchstens eine Konsequenz aus der Beschaffenheit der Perspektiven sein.

Mit Hilfe der 1PP erschließe ich meine eigenen psychischen Zustände auf der Grundlage meines inneren Sinns. Unter innerem Sinn verstehe ich eine präreflexive Selbstpräsenz. Jedes bewusste Subjekt hat aufgrund dieser Selbstpräsenz Zugang zu seinen eigenen psychischen Zuständen wie zu denen keines anderen Menschen oder Lebewesens. Genauer besehen erschließe ich die eigene Subjektivität aus der 1PP als eine verkörperte Subjektivität. Mit Subjektivität ist hier die Gesamtheit der psychischen Zustände oder Vorgänge gemeint, und das sind insbesondere die Zustände oder Vorgänge, die als unmittelbar leibgebunden erfahren werden. Ich schließe mich damit dem Embodied-1PP-Verständnis von Lynne Rudder Baker an (Rudder Baker 2013, S. 141–143). Fremdpsyche aber kann aus der 1PP so thematisiert werden, dass beschrieben wird, was die unterschiedlichen Beziehungen zu einer durch die äußeren Sinne beobachteten Person für psychische Zustände oder Vorgänge in einem selbst auslösen, oder was in Anbetracht der Kenntnis der eigenen psychischen Zustände über die psychischen Zustände oder Vorgänge der durch die äußeren Sinne beobachteten Person ausgesagt werden kann.

Aus der 3PP hingegen erschließen sich uns psychische Phänomene durch die äußeren Sinne. Die äußeren Sinne sind auf eine allen Menschen gemeinsame, sinnlich wahrnehmbare Welt gerichtet. Als Teil dieser Welt begegnen uns auch andere Personen. Aus der 3PP kann man das sinnlich wahrnehmbare Verhalten anderer Personen beobachten, ihre Körperbewegungen, Gestik, Mimik, Sprachäußerungen, man kann sie befragen oder man kann körperliche Veränderungen an ihnen messen. All dies ermöglicht es, innere psychische Vorgänge an einer Person sowie interpsychische Beziehungen zwischen Personen zu deuten.

Weiter gehe ich davon aus, dass es innerhalb ein und derselben Perspektive unterschiedliche Erklärungsformen gibt. Wir können uns verschiedener kognitiver Vorgehensweisen bedienen, um das durch die jeweilige Perspektive Gegebene zu erschließen. Diese Erklärungsformen können zur Bildung unterschiedlicher Methoden innerhalb ein und derselben Perspektive führen. Zwei unterschiedliche Erklärungsformen wären bezüglich der 1PP etwa die rein deskriptive Erfassung der eigenen psychischen Zustände und Vorgänge und die introspektive Erfassung ihrer Ursachen. Aus den Erklärungsformen resultieren nicht unbedingt unterschiedliche Methoden. Eine Phänomenologie der 1PP kann z. B. so konzipiert werden, dass sie kausale Erklärungen im Sinn introspektiv erschlossener kausaler Verbindungen mit einschließt.Footnote 5

Für meine Darstellung sind jedoch vor allem die Erklärungsformen der 3PP von Bedeutung. Ich unterscheide drei Formen, die für die Erschließung von Fremdpsyche relevant sind:

  1. 1.

    Die erste erklärt die durch die äußeren Sinne gegebene Welt, insofern sie uns als Lebenswelt gegeben ist. Unter Lebenswelt verstehe ich die Welt in ihrer vorwissenschaftlichen Erfahrbarkeit. Es ist die Welt, wie sie dem Menschen durch die unzähligen praktischen Verrichtungen gegeben ist, durch die hindurch er sich in der Welt aufhält: Er beschafft sich Nahrung, er isst, er trinkt, er baut sich eine Unterkunft, er lebt mit anderen Menschen zusammen, kommuniziert mit ihnen, pflanzt sich fort, er genießt den Anblick einer Skulptur oder das Hören einer Oper, er entzieht sich den äußeren Sinnen durch Versenkung in Gebet oder Meditation usw. Bei all diesen Verrichtungen bedient er sich seiner unmittelbaren Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeiten. Sie erschließen ihm die Lebenswelt, noch bevor er sich durch zusätzliche Distanzierung aus einer reinen Beobachterperspektive wissenschaftlich auf die Welt bezieht. Ich nenne diese Form der 3PP phänomenologische 3PP.Footnote 6 In der Lebenswelt begegnen somit auch Personen, deren psychische Zustände und Vorgänge sich uns durch die Betätigung unserer unmittelbaren Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeiten erschließen. Diese Art der Betrachtung von Fremdpsyche lässt sich methodisch ausbauen zu einer Phänomenologie der lebensweltlichen Gegebenheit psychischer Zustände und Vorgänge anderer Personen sowie interpsychischer Beziehungen zwischen Personen, also zu einer systematischen Betrachtung der vorwissenschaftlichen Wahrnehmung und Erkenntnis von Fremdpsyche.

  2. 2.

    Eine weitere Erklärungsform ist die empirische 3PP, die die Welt aus der reinen Beobachterperspektive erklärt, indem sie sich allein auf sinnlich-wahrnehmbare bzw. messbare Daten stützt, weil ihrem methodischen Standard gemäß nur Daten berücksichtigt werden können, die für jedermann eindeutig überprüfbar sind. Der Empiriker denkt sich eine experimentelle Anordnung aus, die diese Überprüfbarkeit gewährleistet. Diese Erklärungsform liegt der empirischen Psychologie und den Neurowissenschaften zugrunde. Da diese Wissenschaften an diese methodischen Vorgaben gebunden sind, bleibt ihnen mit Bezug auf die Untersuchung psychischer Phänomene nur das Schlussfolgern, um von den Daten, die aus der empirischen 3PP an einer Person abzulesen sind, zu den ihnen zugrunde liegenden psychischen, d. h. selbst nicht sinnlich-wahrnehmbaren Phänomenen zu gelangen.

  3. 3.

    Schließlich möchte ich noch die klassische Vorgehensweise der Psychotherapie als eine weitere Form erwähnen. Dem Therapeuten kommt grundsätzlich die Position eines äußeren Beobachters dessen zu, was ein Patient aus der Erste-Person-Perspektive von seinem psychischen Innenleben berichtet bzw. was für ein Verhalten er äußert. Er mag zwar die Betrachtung der eigenen psychischen Vorgänge aus der 1PP in seine Interpretation mit einfließen lassen, das Verhältnis Therapeut-Patient dialogisch gestalten, interaktiven Vorgängen zwischen dem Therapeuten und dem Patienten im Sinn subpersonaler Vorgänge ausgesetzt sein und sie nach Möglichkeit berücksichtigen, letztlich jedoch bleibt er fokussiert auf den Patienten als den, über den er als Beobachter aus der 3PP eine Diagnose erstellt. Man könnte es eine therapeutische 3PP nennen.

Dem hier entwickelten Modell nach sind alle drei Erklärungsformen 3PP-Zugänge zu psychischen Phänomenen. Alle drei 3PPen zeichnen sich dadurch aus, dass psychische Phänomene über die äußeren Sinne wahrgenommen, erkannt und beschrieben werden. Ich setze also die 3PP nicht mit der empirisch-wissenschaftlichen Beobachterperspektive gleich, wie dies oft geschieht. Auch in dieser Hinsicht hat mein Ansatz Ähnlichkeit mit dem von Lynne Rudder Baker, die eine „common sense“ 3PP von der empirisch-wissenschaftlichen 3PP unterscheidet (Rudder Baker 2003). Im Gegensatz zur 1PP haben wir es hier nicht nur mit unterschiedlichen Erklärungsformen zu tun, sondern auch mit unterschiedlichen Methoden der Erklärung dessen, was sich uns aus der 3PP an psychischen Phänomenen erschließt.

Ich bin nun der Auffassung, dass es über die 1 und 3PP hinaus nicht sinnvoll ist, von weiteren Perspektiven im Sinn von epistemischen Zugängen zu reden. Damit sind wir bei den Ansätzen von Michael Pauen und Thomas Fuchs angelangt, denn im Gegensatz zu meinem Modell fordern sie die Existenz einer eigenständigen 2PP ein. Was meinen sie damit und wie verhält sich deren Ansatz zu meinem Modell?

2 Das 2PP-Verständnis von Michael Pauen

Die 2PP bezeichnet nach Michael Pauen unseren Zugang zu den geistigen Zuständen anderer Personen.Footnote 7 Gleich zu Anfang seines Aufsatzes „The Second-Person Perspective“ spricht er sich für die Notwendigkeit einer solchen 2PP aus (Pauen 2012, S. 34). Auch Pauen befasst sich zunächst mit dem Perspektivenbegriff als solchem, auch er insistiert, die perspektivischen Unterschiede seien vor allem Unterschiede des epistemischen Zugangs und nicht des epistemischen Gegenstandes. Auch für Pauen ist die 1PP als ein privilegierter Zugang zu den eigenen psychischen Zuständen zu verstehen und die 3PP als ein nicht privilegierter Zugang, als die Perspektive öffentlicher Beobachtung (Pauen 2012, S. 37).

Doch wie rechtfertigt Pauen die Existenz einer sich davon unterschiedenen 2PP? Er sieht sie da gegeben, wo die psychischen Zustände anderer Personen auf der Grundlage von Simulationsvorgängen erschlossen werden. D. h., um die psychischen Zustände anderer zu erkennen, greift ein epistemisches Subjekt, sei es implizit, sei es explizit, auf seine eigenen psychischen Erfahrungen zurück (Pauen 2012, S. 38). Das sei 2PP, die sich von der 1PP dadurch unterscheide, dass sie zwar auf 1PP-Erfahrungen zurückgreife, sie aber nicht der Gegenstand seien, der mit ihrer Hilfe erschlossen werden soll (Pauen 2012, S. 38). Mit Simulation ist die Erzeugung von Repräsentationen gemeint. Man ersinnt den psychischen Zustand der anderen Person mit Hilfe der Vorstellungskraft, indem man sich einen psychischen Zustand vorstellt, wie man ihn selbst schon erfahren hat, und diesen auf die andere Person überträgt.

Was Pauen unter impliziter bzw. subpersonaler Simulation versteht, wird nur andeutungsweise deutlich. Er spricht von automatischer Simulation im Sinn von unbewussten Imitationsprozessen und bezieht sich auf die Spiegelneuronentheorie (Pauen 2012, S. 44 f.). Sein Ansatz kann mit Galleses Erklärung der Spiegelneuronentheorie als „embodied simulation“ in Verbindung gebracht werden. Auch Gallese beschreibt Simulation als einen „non-conscious, prereflective functional mechanism of the brain-body system“ (Gallese 2013, S. 3 f.), mit dem die psychisch-körperlichen Zustände anderer Personen durch die Übertragung eigener psychisch-körperlicher Zustände erschlossen werden. Erschlossen werden sie durch ein subpersonales, nichtreflexives „mapping of the other onto the self“ (Gallese 2013, S. 7), wobei dieses „mapping“ in der subpersonalen Erzeugung von Repräsentationen gründet. Gallese bringt die „embodied-simulation“ in einem Aufsatz ausdrücklich mit dem Begriff einer 2PP in Verbindung, und zwar mit Verweis auf Pauens Aufsatz (Gallese 2013, S. 5).

Die Vorstellung, dass der epistemische Zugang zu den psychischen Zuständen anderer Personen über explizite und implizite Simulationsprozesse läuft, rechtfertigt jedoch m. E. nicht die Bezeichnung „2PP“. Als Simulation konzipiert, unterscheidet sich soziale Erkenntnis zwar von der Erkenntnis von nichtpsychischen Gegenständen, insofern die eigene 1PP als notwendiger Bestandteil eines jeden Simulationsprozesses anzusehen ist. Damit ist der epistemische Zugang zur Fremdpsyche bei Simulationsprozessen jedoch zunächst einmal die 1PP. Wie Pauen zu Recht hervorhebt, bedarf es genau besehen auch der 3PP. Wer die psychischen Zustände einer anderen Person zu erschließen versucht, hat immer ihr Verhalten, ihre Aussagen, ihren körperlichen Zustand vor Augen. Die Betrachtung aus der 3PP veranlasst den Betrachter überhaupt erst, zu simulieren und der anderen Person diesen oder jenen psychischen Zustand zuzuschreiben. Das aber bedeutet, dass wir es im Fall von Simulationsprozessen mit einer kombinierten 1/3PP zu tun haben.

Pauen beschreibt die Simulation allerdings als eine kombinierte 2/3PP (Pauen 2012, S. 45 f.). Um zu verstehen, wie er darauf kommt, müssen wir ein weiteres von ihm angeführtes Unterscheidungsmerkmal der 2PP heranziehen: die Intersubjektivität. Das Spezifische der 2PP sei, dass sie sich im Gegensatz zur 1PP mit psychischen Zuständen mit Bezug auf andere Personen befasse, dass es sich um eine Beziehung zwischen Subjekt und Subjekt handle (Pauen 2012, S. 41). Hier beginnt nun m. E. die Konfusion zwischen Perspektive und Gegenstand. Wenn das, was die 2PP gegenüber der 1PP ausmacht, der Bezug auf eine andere Person ist, dann ist der Unterschied zwischen beiden Perspektiven durch die Differenz der Gegenstände bestimmt. In der Literatur ist nicht selten von einer „second-person relation“ als synonym für 2PP die Rede. Eine Perspektive im Sinn eines epistemischen Zugangs definiert sich aber nicht durch die Relation zu einer bestimmten Gegenstandsart, sondern durch das Mittel, durch das ein Gegenstand betrachtet wird. D. h., mit Pauens 2PP ist keine eigenständige Perspektive neben der 1 und 3PP gegeben. Im Fall von Simulation wird die „second-person relation“ aus einer kombinierten 1/3PP betrachtet.

Pauen führt als Spezifikum für die 2PP noch ein weiteres Merkmal an: Sie sei eine „second-order-perspective“ (Pauen 2012, S. 42), weil es sich bei der 2PP um die Perspektive einer Person auf die Perspektive einer anderen Person handle, und weil die Perspektive auf eine andere Perspektive schon eines gewissen reflexiven Verständnisses („reflective understanding“) von Perspektivität bedürfe (Pauen 2012, S. 42). Diese Bezeichnung wäre allerdings höchstens für den Fall expliziter Simulation zutreffend. Pauen spricht zwar mit Bezug auf implizite Simulation von einem „minimal, maybe only implicit (…) understanding of perspectivalness“ (Pauen 2012, S. 42), was dieses implizite „understanding of perspectivalness“ mit einer „second-order perspective“ zu tun haben soll, entzieht sich allerdings meinem Verständnis. Reflexivität gibt es auf der Ebene impliziter Simulation jedenfalls nicht.

Man könnte die 2PP anders als Pauen konsequent als „second-order perspective“ konzipieren, indem man die Bezeichnung 2PP nur auf der Ebene reflexiver Intersubjektivität verwendet. Man könnte dann unter 2PP die Fähigkeit einer ausdrücklichen Perspektivenübernahme etwa im Sinn Meads verstehen (Beispiel: das Rollenspiel von Kleinkindern). Das entspräche vielleicht dem Intersubjektivitätsverständnis von Andrea Lailach-Hennrich (vgl. Lailach-Hennrich 12,13,a, b). Doch auch dann geschieht diese Perspektivenübernahme von meinem Ansatz aus gesehen stets aus der Perspektive der 1. Person und 3. Person. Es treffen hier zwei unterschiedliche Bedeutungen von „Perspektive“ aufeinander. Perspektivenübernahme im Sinn von „die Perspektive anderer Subjekte einnehmen“, heißt nicht, dass damit ein neuer epistemischer Zugang zu anderen Subjekten, sprich eine 2PP eröffnet wird.

3 Das 2PP-Verständnis von Thomas Fuchs

Thomas Fuchs beginnt seinen Aufsatz „The phenomenology and development of social perspectives“ ähnlich wie Pauen mit der Bemerkung, im Kontext sozialer Kognition reiche die Dualität von 1 und 3PP nicht aus. Dieser Dualismus impliziere ein „explanatory gap“ zwischen den Erfahrungen psychischer Zustände aus der 1 und der 3PP. Der Graben zwischen beiden könne, wenn man bei diesem Dualismus bleibe, nur durch „inference from outward behavior, internal modelling or verbal reports“ geschlossen werden (Fuchs 2013, S. 655 f.), mit Shaun Gallagher ausgedrückt, durch „extra cognitive processes“ (Gallagher 2008, S. 538). Fuchs richtet sich hiermit vor allem gegen die bisher gängigen Theorien der Fremdpsycheerkenntnis, d. h. gegen die „theory theory“, wonach die die psychischen Zustände anderer durch aus der 3PP gewonnene, im erkennenden Subjekt gegebene Theorien über die Überzeugungen, Wünsche und Gefühle anderer interpretiert werden, und gegen die Simulationstheorie.

In der neueren Forschung nun gibt es einen dritten Ansatz, die Interaktionstheorie, den auch Fuchs vertritt. Sie untersucht die soziale Kognition als ein primär unmittelbares und verkörpertes Phänomen: „… it is through immediate perception of, and embodied interaction with others that we gain our primary experience of their feelings and intentions, without recourse to inner theories or simulations“ (Fuchs 2013, S. 656). Dieser Ansatz richtet sich gegen ein repräsentationalistisches Verständnis von Kognition, gegen die Auffassung, es handle sich um Prozesse der Umwandlung äußerer Reize in ein inneres Modell der Welt (Fuchs 2013, S. 656). Anstelle von Repräsentationen treten, so in „Verteidigung des Menschen“, „erworbene und flexible Schemata der sensomotorischen Interaktion mit der Umwelt“ (Fuchs 2021b, S. 152). Das gilt insbesondere für die soziale Interaktion. Auch sie sei primär auf dieser Ebene anzusiedeln. Mit Rückgriff auf Merleau-Pontys „intercorporéité“ ist bei Fuchs von einem „zwischenleiblichen Austausch“ die Rede (Fuchs 2021a, S. 210 f.).

Die Interaktionstheorie aber ist schon das, was Fuchs unter einer 2PP versteht: „interaction theory (…) means running the second person route“ (Fuchs 2013, S. 656). Etwas später im Text folgt eine Art Definition, die ausdrücklich den 2PP-Begriff verwendet: „The 2PP means the intersubjective, participant or co-experiencing perspective, referring to situations of reciprocal interaction that are characterized by some form of mutual relatedness and coupling of partners“ (Fuchs 2013, S. 658). Den Begriff der Perspektive will auch Fuchs zunächst ausdrücklich als „specific form of experiential access to oneself and to others“ verstanden wissen, als spezifische Form des Erfahrungszugangs zu sich selbst und zu anderen (Fuchs 2013, S. 658).

Bei allen drei Perspektiven unterscheidet er zwischen impliziter und expliziter Perspektive. Die implizite 2PP stehe für die vorreflexive Interaktion, wobei die Reziprozität der Interaktion hervorgehoben wird. So bezeichnet Fuchs den zwischenleiblichen Austausch als „co-experiencing“ (Fuchs 2013, S. 659). Die explizite 2PP hingegen, die allerdings in den weiteren Ausführungen nebensächlich bleibt, nennt er eine „self-other metaperspective“. Sie bestehe darin, seine Aufmerksamkeit auf die präreflexive Interaktion zu richten. Auf dieser Metaebene könnten dann auch innere Theorien oder Simulationen eine Rolle spielen.Footnote 8 Fuchs setzt sich für ein integratives Konzept sozialer Kognition ein, welches allen drei Formen von Fremdpsycheerkenntnis Raum gibt (Fuchs 2013, S. 656). Die alltägliche Interaktion zwischen Menschen vollziehe sich allerdings vor allem auf der Ebene dessen, was als vorreflexive, verkörperte Interaktion beschrieben wird (Fuchs 2013, S. 660).Footnote 9

Doch inwiefern ist mit einer so verstandenen 2PP eine spezifische Form des Erfahrungszugangs („experiential access“) zu anderen Personen gegeben? Wenn ich etwas von den psychischen Zuständen anderer Personen oder von meiner Beziehung zu anderen Personen erfahre, womit kann ich solche Erfahrungen machen? Mit meinem inneren Sinn oder mit meinen äußeren Sinnen. Ich kann entweder aus der 1PP die Erfahrung machen, wie es sich für mich anfühlt, mit dieser oder jener Person in Interaktion zu stehen, oder ich kann aus der 3PP die Erfahrung machen, dass diese oder jene Person sich so oder so verhält, dass ich mich aufgrund des Verhaltens der anderen Person selbst so oder so verhalte, dass verschiedene Personen sich miteinander so oder so verhalten usw. Es gibt kein Drittes. Wenn ich etwas von der vorreflexiven Interaktion, die gemäß der Interaktionstheorie zwischen Personen abläuft, erfahre, erfahre ich es entweder aus der 1PP oder der 3PP. Ich, als personales, bewusstes Subjekt, kann es auch nicht erfahren. Dann bleibt die Interaktion unterschwellig.

Auch bei Fuchs wird die 2PP letztlich nicht so sehr mit Blick auf die Perspektive als auf den Gegenstand gedacht. Mit 2PP sind – die explizite 2PP wird wie gesagt nicht wirklich mitreflektiert – die körperlichen Prozesse gemeint, die in präreflexiver Interaktion mit anderen Personen stattfinden. Es stimmt zwar, dass Personen bei reziproker Interaktion in einer Weise durch körperliche Prozesse aufeinander bezogen sind, wie es bei der Bezugnahme auf Gegenstände ohne Subjektcharakter nicht der Fall ist. Und zwischen Personen findet zweifellos statt, was Fuchs vorreflexive „co-experience“ nennt. Diese „co-experience“ ist Gegenstand der Forschung in der Interaktionstheorie. Es gibt aber keine eigene Perspektive der „co-experience“. Gomila bezeichnet die 2PP über Fuchs hinaus gar als „ontologically and conceptually basic“ (Gomila und Pérez 2018, S. 76). Wie soll man das verstehen? Ist damit etwa gemeint, dass es einen weiteren, für die präreflexive Interaktion spezifischen Sinn gibt?

Gewiss werden bei reziproker Interaktion im Sinn der Empathie „die Perspektiven der anderen“ mitvollzogen (Fuchs 2021b, S. 149). Den so verwendeten Perspektivenbegriff darf man jedoch auch hier nicht mit der Perspektive im Sinn eines eigenen epistemischen Zugangs verwechseln. Wenn jemand die Perspektive des Interaktionspartners übernimmt, wenn er „die Dinge gewissermaßen immer auch mit den Augen, Ohren und Händen der anderen“ sieht (Fuchs 2021b, S. 149), tut er dies aus einer kombinieren 1/3PP, nicht einer 2PP heraus.

In einer Anmerkung äußert sich Fuchs so, als sei auch er sich bewusst, dass die Bezeichnung 2PP für die präreflexive Interaktion zwischen Personen womöglich nicht ganz passend ist. Trotzdem hält er an der Bezeichnung fest, weil sie den Vorteil habe, ein einheitlicher Begriff für verschiedene Weisen sich auf andere Personen zu beziehen zu sein (Fuchs 2013, S. 659 Anm.). Mit dieser Aussage wird die 2PP jedoch wieder vom Gegenstand her bestimmt: 2PP meint die Beziehung, nicht die epistemische Perspektive, aus der diese Beziehung erfahren wird. 2PP wird auch hier mit „second-person-relation“ gleichgesetzt.Footnote 10

Wie kommen die Interaktionstheoretiker überhaupt dazu, den zwischenkörperlichen Austausch als 2PP zu bezeichnen? Ich vermute, dass es mit der Entwicklung der Interaktionstheorie in bewusster Absetzung von sowohl der „theory theory“ als auch der Simulationstheorie zusammenhängt. Gallaghers Aufsatz „The Practice of Mind“ (Gallagher 2001), der ja gewissermaßen am Anfang der gegenwärtigen Interaktionstheorie steht (vgl. Michael et al. 2014, S. 818), macht dies besonders deutlich. Der „theory theory“ liegt die Idee zugrunde, Personen würden über eine sich immer weiter entwickelnde Theorie verfügen, um auf die psychischen Zustände anderer zu schließen. Der Mensch erzeugt Theorien im Sinn kausaler Erklärungen, um seine 3PP-Beobachtungen bezüglich der Verhaltensweisen und Handlungen anderer Menschen einzuordnen. Sie können implizit oder explizit sein. Bei der Simulationstheorie ist das Verstehen der anderen Person durch die Imagination vermittelt, nicht durch eine Theorie. In beiden Fällen aber handelt es sich um einen repräsentationalistischen Ansatz (Gallagher 2001, S. 102).

Wenn man nun, wie insbesondere Gallagher, „theory theory“ quasi mit der 3PP gleichsetzt, weil sie auf Beobachtung mittels der äußeren Sinne gründet, und Simulation quasi mit der 1PP, weil die Vorstellung des psychischen Zustandes der anderen Person auf eigene psychische Zustände zurückgreift, die uns aus der 1PP zugänglich sind, und wenn man zugleich der Überzeugung ist, dass es Fremdpsycheerkenntnis auf noch anderem Wege gibt, dann ist es naheliegend, neben der 1 und 3PP die Rede von einer 2PP einzuführen.Footnote 11 Es ist naheliegend, es ist aber nicht angemessen, denn die 1 und 3PP können eben nicht mit der Simulationstheorie und der „theory theory“ gleichgesetzt werden. Es handelt sich jeweils um eine mögliche Erklärung dessen, was auf der Grundlage der 1 oder der 3PP bei sozialer Kognition vor sich geht. 1 und 3PP sind viel grundsätzlicher als epistemischer Zugang mittels des inneren oder der äußeren Sinne zu verstehen, ganz gleich was für kognitive Prozesse personaler oder subpersonaler Art sich dann noch hinzugesellen. Auch die Erfahrung zwischenkörperlicher Interaktion präreflexiver Art, soweit sie denn überhaupt erfahren wird und nicht unterschwellig bleibt, kann nur mit Hilfe der uns verfügbaren Erfahrungskanäle erfolgen.

Man könnte, das ist jetzt etwas frei spekuliert, den Begriff „2PP“ noch auf den zwischenkörperlichen Austausch beschränken wollen, insoweit er für die Person unbewusst bleibt. Damit gäbe es so etwas wie Körpererfahrung abgekoppelt von der Erfahrung aus der 1 und 3PP im Sinn personaler, bewusster Erfahrung. Es fragt sich allerdings, was eine solche Körpererfahrung sein soll. Mein Körper reagiert auf das, was ihm aus seiner Umwelt begegnet, etwa die Körper anderer Personen, und dies oft auch ohne, dass ich mir dessen bewusst bin. Die Reaktion des Körpers jedoch setzt voraus, dass er etwas rezipiert hat. Hat „Erfahrung“ stattgefunden? Angenommen man könnte es so beschreiben, stellt sich wieder die Frage des Erfahrungskanals. Zugang zur Umwelt, zu anderen Körpern, hat auch mein Körper wesentlich über die äußeren Sinne. Insofern hätten wir hier eine Art Quasi-3PP. Warum sollte man dies eine 2PP nennen?

Noch auf einen weiteren Aspekt von Thomas Fuchs’ Ansatz möchte ich eingehen. Er ermöglicht es, was Fuchs unter 2PP versteht, neu einzuordnen. Die 2PP überwindet seiner Auffassung nach das „mind-body gap“ (Fuchs 2013, S. 656). Er begründet dies mit der Theorie der direkten Wahrnehmung. Wenn wir die Freude oder den Zorn eines Menschen erfassen, so verhält es sich dieser Theorie nach nicht so, dass wir sein Verhalten studieren und daraus den Schluss ziehen, dass er sich freut oder zornig ist, sondern dass wir so etwas wie Freude oder Zorn allein durch die Wahrnehmung selbst erkennen, wie es bekannterweise schon Max Scheler gesehen hat, ohne allerdings den Ausdruck „direkte Wahrnehmung“ zu verwenden.Footnote 12 Direkt bedeutet, dass zur Wahrnehmung kein zusätzlicher kognitiver Akt im Sinn einer Folgerung hinzukommt. Ich nehme nicht zuerst wahr und füge dann mein Gedächtnis hinzu, um mein Auto wiederzuerkennen. Die Wahrnehmung selbst ist schon informiert, wie Gallagher es formuliert (Gallagher 2008, S. 537). Genauso verhält es sich bei der Wahrnehmung anderer Personen: „My understanding of the other person is constituted within the perception“ (Gallagher 2008, S. 540). Damit wäre das „mind-body gap“ überwunden. So sieht es auch Fuchs: „In my primary experience of the other, there is no gap between his inner and outer, no hidden inner mind or merely outward behaviour whose meaning I would have to infer. I perceive the other as a bodily, animate being, and I immediately perceive his intentions-in-action in the context of the meaningful situation“ (Fuchs 2013, S. 659).

Auch die direkte Wahrnehmung fällt für Fuchs unter die 2PP. Was jedoch ist in Wahrheit direkte Wahrnehmung, wenn wir davon ausgehen müssen, dass es keine 2PP gibt? M. E. handelt es sich um eine Fremdpsychewahrnehmung aus der 3PP, da eindeutig die äußeren Sinne als Erfahrungskanal im Vordergrund stehen. Damit stellt sich zugleich die Frage: Von welcher der von mir genannten 3PP aus gesehen ist das „mind-body gap“ als überwunden anzusehen? Soll das nur für die phänomenologische 3PP gelten oder auch für die empirische 3PP?

In seinen „everyday interactions with others“ (Fuchs 2013, S. 656) sei es, wo der Mensch seinen Zugang zur Fremdpsyche in den meisten Fällen als direkte Wahrnehmung verstehe. So würde auch ich es sehen, allerdings trifft dies nicht nur für „everyday interactions with others“ zu, sondern für das lebensweltliche Miteinander überhaupt, ganz gleich, ob es sich um alltägliche oder nichtalltägliche Interaktionen handelt. Schelers phänomenologische Analyse der Fremdwahrnehmung jedenfalls kommt einer Beschreibung lebensweltlicher Fremdwahrnehmung überhaupt gleich. D. h. jedoch, dass das „gap“ aus der phänomenologischen 3PP gesehen als überwunden anzusehen ist. Lebensweltliche Wahrnehmung kann nicht auf rein sinnliche Wahrnehmung reduziert werden, denn, um es mit Gallaghers Worten zu formulieren, so funktioniert unser lebensweltliches Wahrnehmen eben nicht (vgl. Gallagher 2008, S. 540). Lebensweltliche Wahrnehmung ist informierte Wahrnehmung. Aus einer phänomenologischen 3PP gesehen nehmen wir die psychischen Zustände anderer Personen meistens direkt wahr.

Doch wie ist die aus Sicht der phänomenologischen 3PP als direkt erfahrene Wahrnehmung aus Sicht der empirischen 3PP zu interpretieren? Empirisch gesehen ist sie deshalb informiert, weil subpersonale kognitive Prozesse, die sich der Erfahrung des Wahrnehmenden entziehen, die Informiertheit der Wahrnehmung bewirken (Gallagher 2008, S. 540). Es gibt nun zwei theoretische Modelle, mit denen man diese sub-personalen Prozesse beschreiben kann: das eine beschreibt sie als Prozesse, die das aus der phänomenologischen 3PP Wahrgenommene widerlegen, das andere als Prozesse, die es bestätigen.

Man kann einerseits die subpersonalen Prozesse in Analogie zu den personalen konzipieren. Auf der personalen oder reflexiven Ebene ist davon auszugehen, dass Fremdpsycheerkenntnis auf der Basis von „theory theory“ oder von Simulationsprozessen stattfindet. Gallese, um nur den Fall der Simulation aufzugreifen, konzipiert auch die subpersonalen kognitiven Prozesse im Sinn einer solchen Analogie als „embodied simulation“. Simulation, ich wiederhole, als ein subpersonales, vorreflexives „mapping of the other onto the self“, wobei dieses „mapping“ in der subpersonalen Erzeugung von Repräsentationen gründet (Gallese 2013, S. 7). So gesehen würde sich die Fremdwahrnehmung, wie sie aus Sicht der phänomenologischen 3PP erfahren wird, als Schein erweisen, der durch die nähere Betrachtung aus der empirischen 3PP aufgelöst wird. Der scheinbar direkten Wahrnehmung liegen dann in Wahrheit indirekte Simulationen zugrunde.

Man kann aber im Sinn von Fuchs oder Gallagher auch einen anderen Ansatz verfolgen. Die subpersonalen Prozesse, die der direkten Wahrnehmung zugrunde liegen, gehen für diese Autoren nicht den Umweg über eine implizite Theorie oder über implizite Vorstellungen als Resultat von imaginativen Simulationsprozessen.Footnote 13 In diesem Sinn setzt Fuchs Galleses Interpretation der Spiegelneuronenprozesse als Prozesse impliziter Simulation den Resonanzbegriff entgegen.Footnote 14 Der Spiegelneuronentheorie nach bewirken Beobachtungen der Handlung einer anderen Person Aktivitäten im motorischen System des eigenen Gehirns, die dazu führen, dass wir den Sinn der beobachteten Handlung verstehen können, ohne zusätzliche schlussfolgernde Denkakte zu vollziehen. Dies sei aber nicht, so Fuchs, als Simulation der beobachteten Handlung im Sinn der Erzeugung einer inneren Repräsentation zu verstehen, sondern die wahrgenommene Handlung werde aufgrund des Entstehens eines Resonanzverhältnisses zwischen Gehirn und wahrgenommener Handlung in ihrem Sinn unmittelbar verstanden. So wie beim Pianisten das bloße Hören der Melodie zugleich die Motorik der dazu passenden Bewegungen aufruft, so ruft auch die Wahrnehmung zielgerichtet agierender Personen zugleich das eigenmotorische System im Gehirn des Beobachters auf, welches sonst bei der Ausführung einer Handlung aktiviert wird (Fuchs 2021a, S. 225). Und diese Resonanz kommt einem Verstehen des Sinns der Handlung der agierenden Person gleich. Worauf es ankommt, ist, dass hiermit eine Erklärung für subpersonale Prozesse vorliegt, die ohne Repräsentationsmodell auskommt, und auf diese Weise das Verständnis der Alltagsfremdwahrnehmung im Sinn einer phänomenologischen 3PP bestätigt.

Es steht mir als Philosoph nicht zu, zu entscheiden, welche der Theorien, diejenige von Gallese oder diejenige von Fuchs vorzuziehen ist.Footnote 15 Es besteht jedoch zumindest die Möglichkeit, dass die auf der Ebene der phänomenologischen 3PP beobachtete direkte Wahrnehmung sich durch die Resultate der empirischen 3PP bestätigen lässt. Unglücklich ist nur, mit Fuchs die direkte Wahrnehmung mit einer 2PP in Verbindung zu bringen. Fuchs sieht in der direkten Wahrnehmung wohl deshalb keine Form von 3PP, weil er, wie viele andere auch, die 3PP mit der empirischen 3PP identisch setzt, mit der „wissenschaftlichen Beobachterperspektive“, wie er sie nennt (Fuchs 2021a, S. 90). Geht man jedoch davon aus, dass es unterschiedliche Ebenen der 3PP gibt, dann lässt sich die Idee direkter Wahrnehmung viel besser als eine Form der 3PP-Erfahrung des lebensweltlichen Subjekts in seiner Alltagswahrnehmung beschreiben, eine Form der 3PP-Erfahrung, die auf der Ebene empirischer 3PP durch die Interaktionstheorie möglicherweise bestätigt werden kann.

Ich komme also mit Bezug auf Pauen und Fuchs zu dem Schluss, dass es keine 2PP gibt. Perspektive im Sinn eines epistemischen Zugangs hat ausschließlich etwas mit dem Mittel zu tun, durch das hindurch wir uns erfahrend auf etwas richten. Als Mittel gibt es den inneren Sinn und die äußeren Sinne, es gibt aber kein sich mit den Sinnen einer anderen Person auf etwas Beziehen. Das nämlich wäre im Grunde genommen das einzig sinnvolle Verständnis einer 2PP. Eine 2PP wäre, wörtlich genommen, die Perspektive einer anderen Person einnehmen können, sich und die Welt genauso sehen können, wie die andere Person sich und die Welt sieht. Das ist jedoch bei aller Empathie, zu der der Mensch fähig ist, nicht möglich. Die Bezeichnung möglicher epistemischer Zugänge zu Psychischem durch Personalpronomen wird durch die Annahme einer zusätzlichen Perspektive über die 1 und 3PP hinaus überstrapaziert. Die Forschung täte besser daran, auf den Begriff einer 2PP zu verzichten.