Jugendliche erleben in der Adoleszenz signifikante Veränderungen im kognitiven sowie physischen Bereich, in Familienbeziehungen, im Schulumfeld und in der Zugehörigkeit zu Peergroups. Diese Veränderungen nehmen Einfluss darauf, wie junge Menschen ihre Fähigkeiten einschätzen (vgl. Schunk und Meece 2009). Besonders Mädchen weisen in der Phase der Adoleszenz Schamkonflikte aufgrund körperlicher Veränderungen auf (Seiffge-Krenke 2017). Verstärkt werden diese Konflikte und die daraus resultierende negative Bewertung des eigenen Körpers durch Auswirkungen sozialer Medien auf (Körper‑)Selbstkonzepte (Bindel et al. 2020). Die aktuelle Prävalenzrate von psychischen Verhaltensauffälligkeiten in der Altersstufe 14 bis 17 Jahre liegt bei Mädchen im Vergleich zu Jungen leicht höher (19,6 % zu 15,1 %) (Witte et al. 2022). Unterschiede finden sich auf der Verhaltensebene: Bei Jungen zeigen sich Auffälligkeiten in einem eher externalisierenden Verhalten, wohingegen bei Mädchen in allen Altersstufen eine Internalisierung erkennbar ist (Lohaus und Vierhaus 2019; Rau et al. 2022). Bei Mädchen kann dies zu einem negativen Selbstbild, einem niedrigen Selbstwertgefühl, Ängstlichkeit sowie sozialem Rückzug führen (Lohaus und Vierhaus 2019). Da diese Zeit kennzeichnend durch eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit und ein hohes Maß an Selbstreflexion und damit einhergehend einer erhöhten Vulnerabilität ist, scheint besonders diese Lebensphase für entsprechende Interventionsmaßnahmen bedeutsam (Lohaus und Vierhaus 2019; Robins et al. 2012).

Die Zunahme der interindividuellen Vergleiche durch soziale Medien bei jungen Menschen verdeutlicht die Aktualität des Themas (Bindel et al. 2020). Im folgenden Artikel wird daher der Frage nachgegangen, wie eine Intervention aussehen kann, deren Ziel die Stärkung des Selbstkonzepts jugendlicher Mädchen und junger Frauen ist. Nach einer Definition des Selbstkonzepts wird ein bewegungsunterstützendes, psychosoziales Programm entwickelt, das in einer quantitativen Pilotstudie und einer formativen Evaluation getestet und diskutiert wird.

Theorie

Um eine entsprechende Intervention zur Stärkung des Selbstkonzepts planen zu können, werden im Folgenden entsprechende Theorien des Selbstkonzepts – auch mit erstem Bezug zum Boxsport – und der Self-Determination-Theory von Ryan und Deci (2018) erläutert.

Selbstkonzept

Für die Gesundheit, verstanden als biopsychosoziales Wohlbefinden, stellt das Selbstkonzept einen wichtigen Prädiktor dar (Fox und Lindwall 2014). Das Selbstkonzept wird als kognitives Schema verstanden, das angesammelte Selbsteinschätzungen beinhaltet (Droste et al. 2018; Jerusalem 2016). Diese Einschätzungen werden auf andere Situationen übertragen und fungieren als Orientierung für weitere informationsverarbeitende Prozesse wie Erinnerungen, Wahrnehmungen und Schlussfolgerungen (Rüdiger und Schütz 2014). Das Selbstkonzept lässt sich in deskriptiv-kognitive, affektiv-emotionale sowie handlungsbezogene Komponenten differenzieren. Die deskriptiv-kognitive Komponente stellt das subjektive Bild der eigenen Person oder auch die Summe der selbstbezogenen Einschätzungen dar (Schütz 2003).

Der Selbstwert, als affektiv-emotionale Komponente des Selbst, beinhaltet die Bewertung des eigenen Bildes. Dabei wird auf Basis von intra- und zunehmend interpersonellen Vergleichsprozessen die Diskrepanz des aktuellen und potenziellen Selbst betrachtet (Rüdiger und Schütz 2014). Soziale Rückmeldungen durch Gleichaltrige gewinnen im Jugendalter für die Selbsteinschätzungen verstärkt an Bedeutung und beeinflussen das generelle Selbstwertgefühl (Bischof-Köhler 2011). Vermehrt negative Rückmeldungen und Selbsteinschätzungen führen zu einem verminderten Selbstwertgefühl.

Die handlungsbezogene Komponente ist die Selbstwirksamkeit. Hier steht nicht die Frage im Vordergrund, ob ein Individuum ein niedriges Selbstwertgefühl hat, sondern von welcher Überzeugung die Handlungen getragen werden, die zu einem Abfall des Selbstwerts führen (Crocker und Park 2004). Die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen beschreiben, dass Personen glauben, Situationen trotz Widerständen erfolgreich bewältigen zu können (Bandura 1977). Individuen mit niedrigem Selbstwirksamkeitserleben „erleben hohe Anforderungen eher als bedrohlich, zweifeln an Bewältigungsmöglichkeiten und haben Versagensängste“ (Jerusalem 2016, S. 171).

Eine Reihe von Studien konnte zeigen, dass physische Aktivität mit einem hohen Selbstkonzept einhergeht (u. a. Burrmann 2016; Dreiskämper et al. 2022). Gerlach und Brettschneider (2013) fanden zudem in einer Längsschnittstudie über zehn Jahre positive Veränderungen im Selbstwert bei Jugendlichen, die ein Sportengagement aufnahmen. Die Metaanalyse von O’Mara et al. (2010), in der 200 Interventionsstudien zur Verbesserung des Selbstkonzepts betrachtet wurden, zeigt, dass die einzelnen Selbstkonzeptfacetten die größten Effekte (Cohens d = 0,76) erzielten. Unspezifische Interventionen erbringen nur geringe Effekte (Cohens d = 0,14) in den Selbstkonzeptdimensionen (Conzelmann et al. 2023). Je mehr also der Inhalt der Intervention mit den anzusprechenden Facetten übereinstimmt, desto wahrscheinlicher sind Veränderungen.

Spezifisch konnte für Kampfsportarten ein positiver Zusammenhang mit dem (psychischen) Selbstkonzept nachgewiesen werden (Finkenberg 1990). Dies gilt insbesondere hinsichtlich einer optimistischen Einstellung sowie eines verbesserten Selbstvertrauens, da ausübende Personen in herausfordernden Situationen auf sich selbst gestellt sind (Wilkinson 1996; Sandford und Gill 2019). Sandford und Gill (2019) argumentieren, dass Kampfkünste durch den physischen Kontakt, das Austesten von Grenzen und das Erleben von Selbstwirksamkeit durch Selbstverteidigung das Selbstwertgefühl fördern. Zudem zeigen sich positive Effekte auf die allgemeine Balance zwischen Körper und Geist, Selbstdisziplin, Selbstkontrolle und mentale Stärke (Nosanchuk und MacNeil 1989; Wilkinson 1996; Wąsik und Wójcik 2017). Boxen (s. Abb. 1), als eine spezifische Kampfsportart, ist charakterisiert durch die Förderung von Optimismus, Selbstvertrauen, Steigerungsfähigkeit und Risikobereitschaft (Hartmann 2017; Schwidtmann 1975). Diese stellen wichtige Ressourcen dar, um Selbstvertrauen aufzubauen. Der Boxsport ist auch deshalb eine passende Sportart für Interventionen, da Boxen im Standkampf bestritten wird. Somit kann eine Intervention relativ ortsunabhängig gestaltet werden.

Abb. 1
figure 1

Die Kampfsportart ist charakterisiert durch die Förderung von Optimismus, Selbstvertrauen, Steigerungsfähigkeit und Risikobereitschaft (Symbolbild). (Foto: LSB NRW/Michael Grosler)

SDT

Da Motivation eine zentrale Größe für die Bereitschaft ist, an einem Interventionsprogramm teilzunehmen, wurde die Self-Determination-Theory (SDT) von Ryan und Deci (2018) als theoretisches Framework herangezogen. Die SDT betont die Befriedigung von drei psychologischen Grundbedürfnissen (basic needs): Autonomie, soziale Eingebundenheit und Kompetenz für die Entwicklung einer selbstbestimmten intrinsischen Motivation. Hagger et al. (2003) argumentieren im trans-contextual model, dass ein Übertrag der SDT in Interventionen grundsätzlich möglich ist (vgl. auch Fortier et al. 2012; Ntoumanis et al. 2021). Demnach sollte die soziale Umwelt die psychischen Grundbedürfnisse Mitbestimmung, Kompetenzerleben und das Gefühl der Dazugehörigkeit bestmöglich unterstützen (Ryan und Deci 2018). Da das hier entwickelte Interventionsprogramm auf Verhaltensänderungen abzielt, werden entsprechend Theorien zur Bewusstseinssteigerung, Einstellungs- und Verhaltensänderung hinzugenommen, wie das Prozessmodell präventiven Handelns (Precaution Adoption Process Model), bei dem es u. a. um die Bereitstellung von Informationen über persönliche Risiken des Handelns oder Unterlassens des Zielverhaltens geht (Weinstein et al. 2021).

Das angestrebte Ziel der Intervention ist die Stärkung des Selbstwertgefühls und die Entwicklung eines „positiv-realistischen Selbstkonzepts“ (Sygusch 2008, S. 143) der Zielgruppe. In Bezug auf die Definition dieses Selbstkonzepts fassen Conzelmann et al. (2023) zusammen, dass eine realistische Selbsteinschätzung oder auch eine moderate Überschätzung der eigenen Fähigkeiten die ideale Zielperspektive sein sollte. Um eine Stärkung des Selbstwerts zu unterstützen, bedarf es eines differenzierten Selbstbewusstseins, der Überzeugung, bei Widerständen oder auftretenden Schwierigkeiten Durchhaltevermögen zeigen zu können, und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Jerusalem (2016) stellt zudem heraus, dass ein grundlegender Optimismus präventiv wirke.

Hieraus ergibt sich folgende Fragestellung für die Pilotstudie: Wie wirkt eine psychosoziale Intervention mit boxspezifischen Elementen auf das Selbstkonzept jugendlicher Mädchen und welche Implikationen ergeben sich für die Hauptstudie?

Ziel

Das Ziel der Studie ist die Entwicklung und Durchführung einer Intervention mit boxspezifischen und psychosozialen Elementen für die Zielgruppe der Mädchen im Alter von 14 bis 27 Jahren mit einem niedrigen Selbstkonzept sowie die anschließende Prüfung der Effektivität der Intervention im Rahmen einer Pilotierung, die Basis für eine anschließende Hauptstudie ist.

Entwicklung der Intervention

Um eine Interventionsmaßnahme zur Stärkung des Selbstkonzepts der Zielgruppe evidenzbasiert planen, durchführen und evaluieren zu können, wird die Intervention Mapping-Methode (IM) genutzt (Bartholomew Eldredge et al. 2016). IM ist ein Planungsansatz, der auf der Verwendung von Theorie und Evidenz zur Einstufung von Gesundheitsproblemen sowie Einflussnahme darauf basiert.

Im IM werden sechs Entwicklungsschritte bearbeitet (Bartholomew Eldredge et al. 2016):

  • Schritt 1: Bedarfsanalyse

  • Schritt 2: Programmziele

  • Schritt 3: Auswahl von Interventionsmethoden

  • Schritt 4: Programmorganisation/‑design

  • Schritt 5: Implementationsplanung

  • Schritt 6: Programmevaluation

Der Fokus dieses Artikels liegt auf der Entwicklung des Interventionsprogramms und dessen Pilotierung. Vor diesem Hintergrund folgt nach Schritt vier eine Pilotstudie. Aufbauend auf den Ergebnissen werden die Implementationsplanung und eine umfassende Programmevaluation in der Hauptstudie umgesetzt.

Schritt 1: Bedarfsanalyse der Zielgruppe

Im ersten Schritt des IM findet eine detaillierte Bedarfsanalyse (needs assessment) statt. Nach Gilmore und Campbell (2005) startet der Prozess mit der Erstellung eines logischen Modells des Problems (logic model of the problem). Es stellt eine systematische Analyse zwischen der aktuellen Ausgangslage (hier: niedriges Selbstkonzept) und der Idealsituation (hier: positiv-realistisches Selbstkonzept) und jeweilige Diskrepanzen heraus. Das PRECEDE-Modell (Predisposing, Reinforcing, and Enabling Constructs in Educational Diagnosis and Evaluation) von Green und Kreuter (2005) erlaubt dabei eine standardisierte Analyse. Innerhalb von vier Phasen wird dargelegt, welche Determinanten der Zielgruppe zu welchen Verhaltensrisiken führen, die wiederum Einfluss auf das Gesundheitsproblem nehmen (vgl. Abb. 2). Erarbeitet wird das Modell von rechts nach links, beginnend mit der unzureichenden Lebensqualität (Bartholomew Eldredge et al. 2016).

Abb. 2
figure 2

PRECEDE-Modell mit dem Gesundheitsproblem eines niedrigen Selbstkonzepts, geringen Selbstwertgefühls und niedriger Selbstwirksamkeitsüberzeugung (in Anlehnung an Green und Kreuter 2005, S. 10)

Phase 1, Auswirkungen auf die Lebensqualität.

Die Studie von Steiger et al. (2014) zeigt, dass ein niedriger oder absinkender Selbstwert während der Adoleszenz zu einer Depression im Erwachsenenalter führen kann. Auch andere Studien nehmen Bezug zu möglichen Depressionen, die insbesondere bei weiblichen Jugendlichen durch ein geringes Körperselbstbild zusätzlich zu Essstörungen auftreten können (Lindberg et al. 2006). Ein erhöhtes Delinquenzrisiko sowie eine schlechte physische und psychische Gesundheit, Einsamkeit und begrenzte wirtschaftliche Perspektiven können ebenfalls mit den genannten Gesundheitsproblemen einhergehen (Donnellan et al. 2005; Trzesniewski et al. 2006; Hillert et al. 2023). Besonders in Bezug auf die psychische Gesundheit können neben Depressionen auch Zwangsverhalten, Neurotizismus oder Angststörungen auftreten (Rohmann und Bierhoff 2013).

Phase 2, Gesundheitsprobleme.

Hieraus ergibt sich das – wie im IM bezeichnete – „Gesundheitsproblem“ eines niedrigen Selbstkonzepts, eines geringen Selbstwertgefühls und wenig Selbstwirksamkeit.

Phase 3, Verhaltensrisiken.

In dieser Phase wird eine Auswahl konkreter Verhaltensweisen gelistet, wie soziale Aufwärtsvergleiche, Schwierigkeiten bei der Koordinierung gegensätzlicher Informationen und Erwartungen durch ihr soziales Umfeld oder den sozialen Rückzug (Rüdiger und Schütz 2014; Droste et al. 2018, Hillert et al. 2023). Als problematisch erweist sich, wenn das Selbstwertgefühl von der Zustimmung anderer abhängig ist und somit keine Eigenkontrolle erlebt wird oder ein Misserfolg auf mangelnde Begabung attribuiert wird, anstatt auf zu geringer Anstrengung oder einer zu hohen Aufgabenschwierigkeit (Abramson et al. 1989; Bischof-Köhler 2011). Die Verhaltensrisiken werden nach diesem Modell von interpersonellen, institutionellen und gesellschaftlichen Umweltrisiken beeinflusst, die ihrerseits ebenso die Gesundheitsprobleme verstärken.

Phase 4, persönliche Determinanten.

Dies können eine grundlegend erhöhte Selbstaufmerksamkeit und ein hohes Maß an Selbstreflexion in dieser Altersspanne sein sowie Zweifel an Bewältigungsmöglichkeiten und Versagensängste, die Einfluss auf die zuvor genannten Verhaltensrisiken nehmen (Lohaus und Vierhaus 2019; Jerusalem 2016).

Schritt 2: Programmziele

In Schritt zwei wird ein logisches Modell der Veränderung (logic model of change) entwickelt. Im Vergleich zum ersten Schritt werden hier – statt Wege der Problemauswirkungen – Wege der Interventionsauswirkungen repräsentiert, um den positiven Nutzen der Intervention aufzuzeigen (Bartholomew Eldredge et al. 2016). Innerhalb dieses Prozesses werden Veränderungsziele (change objectives) definiert, d. h. was soll hinsichtlich der Verhaltensdeterminanten verändert werden, um die Lebensqualität zu verbessern. Die sechs Veränderungsziele lauten:

Die Teilnehmerinnen (TN) …

  1. 1.

    … erkennen eigenes Risikoverhalten,

  2. 2.

    … überwinden soziale Ängste,

  3. 3.

    … richten ihren Selbstwert neu aus,

  4. 4.

    … erkennen ihre individuellen Ressourcen und entwickeln eine grundlegend positive Lebenseinstellung,

  5. 5.

    … lernen, eigenverantwortlich zu handeln,

  6. 6.

    … sind fähig, das Gelernte auf Alltagssituationen zu übertragen.

Im Anschluss an die Veränderungsziele werden innerhalb eines induktiven Prozesses Handlungsoptionen gesucht, die die jeweilige erwünschte Verhaltensweise begünstigen können (Bartholomew Eldredge et al. 2016). Ihre Auswahl erfolgt anhand der Frage „Warum sollte die Zielgruppe das gesundheitsförderliche Verhalten zeigen?“. Um die Handlungsoptionen festzulegen, wird auf Basis des Salutogenesemodells von Antonovsky (1997) das Kohärenzgefühl („Sense of Coherence“, kurz SOC) mit den drei Faktoren: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit genutzt. Bezogen auf die Intervention meint die Verstehbarkeit u. a. das grundlegende Verständnis der Zielgruppe bezogen auf ihr aktuelles Verhalten, das beispielsweise soziale Aufwärtsvergleiche umfasst und das Entwickeln eines Bewusstseins dafür. Bei dem Faktor der Handhabbarkeit geht es um die Nutzung von Gestaltungsmöglichkeiten und Ressourcen, die Erprobung von Reaktionsmöglichkeiten und das aktive Ausrichten des eigenen Verhaltens. Sinnhaftigkeit meint, dass die TN Handlungsmöglichkeiten besitzen, mit risikobehafteten Situationen umzugehen und die Erkenntnis, dass dies positiv für ihr Selbstwerterleben ist. Aus der Verknüpfung der drei Faktoren mit der zuvor erarbeiteten Theorie entstehen Handlungsoptionen (siehe die drei mittleren Spalten in Tab. 1) und aus diesen wiederum werden jeweils Handlungsziele formuliert (siehe rechte Spalte in Tab. 1). Die Handlungsziele dienen der näheren Beschreibung einer exakten Handlung, die für eine Verhaltensänderung grundlegend ist (Bartholomew Eldredge et al. 2016).

Tab. 1 Ausschnitt der Veränderungsmatrix des Veränderungszieles „Teilnehmerinnen erkennen eigenes Risikoverhalten“. (In Anlehnung an Bartholomew Eldredge et al. 2016, S. 310 ff.)

In Tab. 1 wird exemplarisch die Matrix des ersten Veränderungszieles „Teilnehmerinnen erkennen eigenes Risikoverhalten“ mit drei HandlungszielenFootnote 1 dargestellt. Erarbeitet wurde die Matrix auf Basis der Fragen: 1. Was müssen die TN hinsichtlich ihres eigenen Risikoverhaltens erkennen (Verstehbarkeit)? 2. Was müssen die TN hinsichtlich ihres Risikoverhaltens handhaben können (Handhabbarkeit)? 3. Wo liegt der Sinn des eigenen Handelns (Sinnhaftigkeit)? Auf Basis der zuvor erarbeiteten Theorien lauten die Antworten für das erste Veränderungsziel (siehe Tab. 1 erste Zeile): 1. Die TN verstehen die Zusammenhänge zwischen potenziellen Situationen, in denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass das Selbstkonzept gemindert wird, beispielsweise durch soziale Aufwärtsvergleiche, Mobbing o. ä. und dem anschließendem Risikoverhalten: der Selbstentwertung. 2. Die TN können verschiedene Reaktionsmöglichkeiten in diesen Situationen umsetzen und sind sich der Einsatzmöglichkeiten bewusst sowie 3. Die TN nehmen die Bedeutsamkeit einer angemessenen Reaktion auf eine als belastend empfundenen Situation wahr (Antonovsky 1997). Aus diesen Antworten ergibt sich das erste konkrete Handlungsziel: „Mögliche Vergleiche wahrnehmen und bewusst machen“.

Schritt 3: Auswahl von Interventionsmethoden

Die zuvor erstellte Veränderungsmatrix ist Ausgangspunkt für die Ausgestaltung der Intervention und die Wahl der Inhalte, in denen psychosoziale und bewegungsunterstützende Impulse gesetzt und miteinander verknüpft werden.

Um eine hohe Identifikation mit dem Programm zu erreichen und es für die Zielgruppe ansprechender zu gestalten, werden englische Programm- und Modulnahmen ausgewählt. Der Titel „mindmittens“ ist eine Metapher für Fäustlinge/Handschuhe (engl.: mittens) als Parallele zum Boxsport, die den Geist/Verstand (engl.: mind) schützen.

Abb. 3 zeigt die sechs Module „realize“, „release“, „renew“, „remind“, „react“ und „retransfer“, die auf Basis der sechs Veränderungsziele gewählt wurden und diese als Kurznamen repräsentieren.

Abb. 3
figure 3

Module inkl. Veränderungsziele und Abfolge des Programms „mindmittens“

Im ersten Modul realize geht es beispielsweise um das Wahrnehmen von Selbstzweifeln, die durch soziale Vergleiche hervorgerufen werden (siehe Tab. 1). Dieses Verhalten zeigt die „innere Gegnerin“, die die TN durch verschiedene Reflexionsübungen kennenlernen. Gleichzeitig erlernen sie die Boxgrundstellung für einen festen Stand (im Leben) und ein grundlegendes Körpergefühl, um dadurch eine erste Selbstwirksamkeit zu erfahren. Das zweite Modul release handelt von der Begegnung mit der „inneren Kämpferin“ – der Umkehrung der negativen Gedanken in positive Ansätze durch das Spüren der eigenen (physischen) Stärke. Im dritten Modul überwinden die TN ihre individuellen Ängste in einer Partnerübung. Partnerin A verkörpert die Teilnehmerin selbst und Partnerin B ihre „innere Gegnerin“. Diese versucht, Partnerin A mit den zuvor erlernten Techniken (verschiedene Schlagarten) „anzugreifen“ – im übertragenen Sinne: die TN wird immer wieder mit der Situation konfrontiert, die diese negativen Gedanken weckt. Durch die Möglichkeit des Gegenangriffs darf sie sich aktiv der Situation/ihren Gedanken stellen. So lernt Partnerin A ihre „innere Kämpferin“ kennen, die ihr bei möglichen Hindernissen oder in bestimmten Situationen verschiedene Auswahlmöglichkeiten bietet, zu reagieren. Hier wird der Bezug zur Autonomie und dem eigenen Kompetenzerleben der SDT deutlich. Bis hin zum letzten Modul, in dem das Gelernte auf Alltagssituationen übertragen wird und positive Eigenschaften innerhalb einer Übung mit zuvor erlernten, akzentuierten Schlagtechniken gefestigt werden.

Schritt 4: Programmorganisation/-design

Das Programm wird innerhalb von sechs Wochen durchgeführt. Pro Woche findet ein Modul mit einem zeitlichen Umfang von 90 min statt, sodass jede TN insgesamt neun Stunden an „mindmittens“ teilnimmt. Die zeitliche Auswahl erfolgt in Anlehnung an andere Selbstkonzepts-Interventionsstudien, wie der von Oswald et al. (2013), die ebenfalls insgesamt 90 min (verteilt auf zweimal 45 min) pro Woche durchgeführt wurde. Aufgrund der Anzahl an Modulen sind es bei der vorliegenden Intervention insgesamt sechs statt zehn Wochen, um ein Modul pro Woche abschließen zu können. Die Umsetzung erfolgt in Kooperation mit Schulen. Durchgeführt wird das Programm von Autorin Nadine Albrecht selbst, die neben einem Masterabschluss in Psychosozialer Beratung auch einen Fitnesstrainerschein mitbringt, in Kooperation mit einem vom DOSB zertifizierten Boxtrainer, der an der Entwicklung des Programms beteiligt ist und vorab eine intensive Schulung erfährt. Sportliches Equipment wie Bandagen, Boxhandschuhe, Schlagpolster etc. sowie Materialien, die die psychosozialen Elemente unterstützen sollen, wie Arbeitsblätter, Videos und die einzelnen Modulpläne, werden zusammengestellt und den TN zur Verfügung gestellt.

Pilotierung

Die Pilotstudie besteht aus zwei Teilstudien: Teil A ist eine Prä-Post-Fragebogenstudie des Selbstkonzepts, Teil B eine formative Evaluation. Die Pilotstudie wurde in Kooperation mit einer Realschule, einem Gymnasium und dem Kommunalen Integrationszentrum der Stadt Herne umgesetzt. Die Studie wurde von der Ethikkommission der Universität Münster bewilligt.

Teilstudie A: Selbstkonzept-Fragebogenstudie

Der Selbstkonzept-Fragebogenstudie liegt die Forschungsfrage zugrunde, inwiefern sich das Selbstkonzept durch die Intervention in der Interventionsgruppe (IG) im Vergleich zur Kontrollgruppe (KG) im Prä-Post-Design verändert.

Stichprobe

25 jugendliche Mädchen nahmen an der Interventionsstudie teil. Vor dem Hintergrund der relevanten persönlichen Determinanten wurde ein Kriterienkatalog erstellt, der beispielsweise folgende Verhaltensrisiken benennt: „Vermehrte selbstwertkritische/selbstwertmindernde Aussagen oder das Zeigen von Minderwertigkeitsgefühlen, wie ‚Ich bin nicht gut genug‘, ‚Ich schaffe das eh nicht‘ o. ä.“ oder „Eine negative Einschätzung des eigenen Körperselbstkonzepts, wie ‚XY ist viel hübscher als ich‘, ‚Ich hätte auch gern so eine Figur wie XY‘ inklusive vieler (unbewusster) sozialer negativer Vergleiche“. Der Kriterienkatalog wurde an Lehrer*innen oder Sozialpädagog*innen ausgehändigt, die anschließend Mädchen identifizierten, die in dieses Spektrum fallen. Vier Fragebögen konnten nicht in die Auswertung einfließen, da die Voraussetzung, an mindestens vier Modulen teilzunehmen, nicht erfüllt wurde. 15 der 21 TN waren bei allen Modulen anwesend, vier bei fünf Modulen und zwei bei vier Modulen (n = 21, MAlter = 15,38; SD = 0,97). Die KG umfasste n = 20 TN (MAlter = 15,15; SD = 0,75) und setzte sich aus einer selbstselektierten Auswahl von Schülerinnen in gleichen Altersklassen zusammen und wurde im gleichen Abstand zu zwei Messzeitpunkten befragt. Die KG erhielt keine Intervention. Alle Teilnahmen erfolgten freiwillig und die Mädchen konnten jederzeit aufhören.

Erhebung

Neben personenbezogenen Daten wie Alter, Schulform und Sportumfang (Sport treiben ja/nein; Stunden Sport pro Woche: weniger als 1 Std, 1–2 Std, 2–3 Std, mehr als 3 Std; Stunden Fahrradfahren und zu Fuß gehen pro Woche: 1 Std, 1–2 Std, 2–3 Std mehr als 3 Std), wurden der Physical Self-Inventory (PSI-S‑R, Maïano et al. 2022) und die Multidimensionale Selbstwertskala (MSWS, Schütz et al. 2017) zu t1 und t2 ausgefüllt. Das PSI-S‑R wurde zur Erfassung des physischen Selbstkonzepts genutzt. Hier werden 21 Items in Form von Aussagen auf einer sechsstufigen Skala von „trifft überhaupt nicht zu“ bis „trifft vollständig zu“ auf persönliche Passung eingeschätzt. Der PSI-S‑R beinhaltet sechs Subskalen: Globaler Selbstwert, Physischer Selbstwert, Physische Attraktivität, Physische Stärke, Physische Kondition/Ausdauer und Sportkompetenz. Die Skalen weisen eine zufriedenstellende bis gute interne Konsistenz auf α = 0,72 bis 0,83. Ein Beispielitem der Subskala Sportkompetenz lautet „Ich finde, dass ich generell im Sport gut bin“.

Zur Erfassung des globalen Selbstwertgefühls wurde die MSWS genutzt. Diese Skala besteht aus 32 Items in Form von Fragen über Einstellungen auf einer siebenstufigen Skala von „gar nicht“ bis „sehr“, bzw. „nie“ bis ‚immer‘ und umfasst die sechs Subskalen „Emotionale Selbstwertschätzung“, „Soziale Selbstwertschätzung: Sicherheit im Kontakt“, „Soziale Selbstwertschätzung: Umgang mit Kritik“, „Leistungsbezogene Selbstwertschätzung“, „Selbstwertschätzung physische Attraktivität“ und „Selbstwertschätzung Sportlichkeit“. Die Skalen zeigen gute bis sehr gute Reliabilitätswerte für die Subskalen α = 0,75 und 0,87, die übergeordneten Skalen Körperbezogene Selbstwertschätzung α = 0,90 und Soziale Selbstwertschätzung α = 0,75. Ein Beispielitem für die Subskala Emotionale Selbstwertschätzung lautet „Zweifelst du an dir selbst?“. Aufgrund der Zielgruppe wurden die Items in die zweite Person Singular statt der Höflichkeitsform umgeschrieben.

Die Datenanalyse erfolgt mittels SPSS Version 28.0.1.1 anhand einer zweifaktoriellen Varianzanalyse (ANOVA) mit Messwiederholung (Faktor 1: Kontrollgruppe – Interaktionsgruppe, Faktor 2: Zeit).

Ergebnisse

Zu t1 zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen IG und KG im Sportumfang pro Woche: 61,9 % der IG und 75 % der KG treiben in der Freizeit Sport (χ2 = 12,14; p < 0,001). Ebenso zeigt sich für die Stunden Sport pro Woche bei t22 = 5,575; p = 0,018) ein signifikanter Unterschied. Bezogen auf die weiteren Aktivitäten Fahrradfahren und zu Fuß gehen zeigt sich ein tendenzieller Unterschied in der Form, dass 60 % der TN der IG angeben, „mehr als 45 min“ aktiv zu sein, während dies nur 31,6 % der KG tun (χ2 = 3,17; p = 0,075). Dieser Unterschied löst sich zu t2 auf (χ2 = 2,39; p = 0,122).

Die deskriptiven Statistiken zeigen zunächst, dass die Mittelwerte der IG zum Zeitpunkt t2 auf allen Gesamt- und Subskalen, bis auf die Subskala PC (PSI-S-R) und SWKR (MSWS), höher liegen als zu t1 und sich den Mittelwerten der KG, die bereits zu t1 im höheren Bereich lagen, angleichen (s. Tab. 2).

Tab. 2 Darstellung der Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD) und Haupt- und Interaktionseffekte der Skalen und Subskalen des PSI-S‑R und MSWS

Die zweifaktorielle Varianzanalyse ergibt für die Mehrzahl der Subskalen keine signifikanten Haupt- und Interaktionseffekte. Für Soziale Selbstwertschätzung: Umgang mit Kritik (SWKR) sowie Selbstwertschätzung Physische Attraktivität (SWPA) ergeben sich Haupteffekte der Zeit. Mittlere bis große signifikante Interaktionseffekte zeigen die Gesamtskala des PSI-S‑R und die Subskalen Physischer Selbstwert (PSW) und Physische Stärke (PS) (s. Tab. 2) in der Form, dass sich die IG in den Werten der KG annähert. Tendenziell zeigt sich dies ebenfalls für die Selbstwertschätzung physische Attraktivität (PA).

Teilstudie B: Formative Evaluation

In der formativen Evaluation geht es darum, wie die teilnehmenden Mädchen die Intervention bewerten und welche Aspekte aus Sicht der Mädchen adaptiert werden müssen, um daraus Änderungen für die Hauptstudien abzuleiten.

Stichprobe

An der formativen Befragung nahmen insgesamt 15 TN nach Abschluss des letzten Moduls teil. Die Auswahl setzte sich aus den TN zusammen, die bei allen Modulen anwesend waren. Die Teilnahme erfolgte freiwillig.

Erhebung

Mit der formativen Evaluation wurde das Interventionskonzept anhand eines schriftlichen Fragebogens hinsichtlich der Verständlichkeit, Umsetzbarkeit, des Hintergrundes, der Wirksamkeit und zukünftiger Anwendung auf einer vierstufigen Skala von „voll und ganz“ bis „gar nicht“ geprüft. Die individuelle Einschätzung wurde durch drei offene Fragen „Was hat dir am besten gefallen?“, „Was könnte beim nächsten Mal verbessert werden?“ und „Das habe ich durch mindmittens gelernt“ abgefragt.

Die Auswertung erfolgte anhand von Excel Version 16.76 anhand einer deskriptiven Statistik. Bei der Auswertung der offenen Fragen wurde zwischen der Nennung sportlicher und psychosozialer Elemente unterschieden.

Ergebnisse

Die Ergebnisse der formativen Evaluation zeigen, dass ein Großteil der Mädchen die Verständlichkeit (74 % voll und ganz), Praktikabilität (59 % voll und ganz), Hintergrund der Methode (65 % voll und ganz) und Wirksamkeit im Alltag (44 % voll und ganz) positiv bewerteten (s. Abb. 4). Insgesamt 63 % geben an, dass sie voll und ganz bzw. eher überzeugt sind, die Übungen zukünftig anzuwenden.

Abb. 4
figure 4

a Ergebnisse der formativen Evaluation: Bewertung der einzelnen Methoden (++ voll und ganz, + eher, − weniger, –– gar nicht). b Ergebnisse der formativen Evaluation: Offene Fragen (hellgrau Nennung sportlicher Elemente, dunkelgrau Nennung psychosozialer Elemente)

Bei den offenen Fragen benannten insgesamt 77 bis 84 % psychosoziale, 16 bis 23 % rein sportliche Elemente. Konkrete Antworten auf die Frage, was den TN am besten gefallen hat, waren u. a. „die ruhigen Schreibaufgaben […]“, „[…] Übersicht über Gedanken“, „[…] unsere innere Kämpferin und Gegnerin kennenzulernen und gegen oder mit ihr zu kämpfen“, „[…] vor allem das mit den Bildern aussuchen und das Video schauen, auch die Boxgrundstellung und auszuweichen oder zu blocken“.

Auf die Frage, was die TN gelernt haben, antworteten 77 % mit ähnlichen Eindrücken, wie „selbstbewusst zu sein“, „mich selbst zu schätzen“, „ich habe mich selbst etwas besser kennengelernt“ und „[…], dass wir über uns selbst gesprochen haben […], denn meistens weiß man nicht so ganz, wie man eigentlich ist“. Auch sportliche Elemente wurden in 23 % der Fälle genannt, wie „[…] wie man die Grundstellung hält, zuschlägt, ausweicht und sich zu trauen“ (s. Abb. 4). Vier TN nannten bei der dritten Frage der Verbesserungsvorschläge den zu kurzen Zeitaspekt und eine Teilnehmerin die körperliche Anstrengung sowie die Anstrengung durch die Schreibaufgaben. Diese werden in der folgenden Diskussion erneut aufgegriffen.

Diskussion

Prozess der Interventionsentwicklung

Die Orientierung am Intervention Mapping-Ansatz, um eine bewegungsunterstützende Intervention mit psychosozialen Elementen zu entwickeln, bietet einen standardisierten theoriegeleiteten Prozessansatz, der unseres Wissens nach bislang in der Sportwissenschaft noch keine Anwendung gefunden hat. Die Anwendung dieses Ansatzes erwies sich als positiv. Die Hinzunahme der Theorien, wie dem SOC und der SDT, hat sich für die Ausgestaltung als sinnvoll gezeigt. Insbesondere die gezielte Verknüpfung der sportlichen Aktivität Boxen mit der spezifischen psychosozialen Intervention auf das Selbstkonzept sowie der Bezug zur Vulnerabilität der Mädchen ist in dieser Form neuwertig und bietet ein niederschwelliges personenbezogenes Angebot, da die Mädchen in die Lage versetzt wurden, eine individuumsbezogene Verknüpfung zu ihren individuellen Themen herzustellen.

Wirkung der Intervention

Die Ergebnisse zeigen, dass sich der erwartete Anstieg des Selbstkonzepts nach der Teilnahme an der Intervention teilweise bestätigt. Anhand der Ergebnisse der Subskalen Physischer Selbstwert, Physische Stärke und Selbstwertschätzung Physische Attraktivität ist zu erkennen, dass sich auf der physischen Ebene eine signifikant positive Veränderung der IG in der Form zeigt, dass sich das physische Selbstkonzept der IG an das der KG annähert. Die KG weist zu t1 ein höheres Selbstkonzept auf, dass über den Messzeitraum hinweg stabil bleibt. Die Unterscheide zu t1 lassen sich zum einen auf die unterschiedlichen Auswahlprozesse der beiden Gruppen zurückzuführen. Während für die IG spezifisch Mädchen mit einem niedrigen Selbstkonzept ausgewählt wurden, galt dies für die KG nicht. Zum zweiten wies die Kontrollgruppe zu t1 bereits einen höheren Sportumfang pro Woche auf. Vor diesem Hintergrund lässt sich interpretieren, dass durch zusätzliche sportliche Aktivität in der Intervention eine Veränderung des physischen Selbstkonzepts bei den Mädchen der IG angestoßen wurde, sodass die IG das Niveau der KG erreicht. Hingegen werden keine Änderungen der Selbstkonzeptkomponenten höherer Abstraktionsebenen (z. B. globaler Selbstwertschätzungen) erreicht, die insbesondere durch die psychosozialen Elemente adressiert werden sollten.

Bewertung des Interventionskonzeptes

In der formativen Evaluation werden einzelne Übungen bewertet und geprüft. Die TN beurteilen das Programm als grundsätzlich schlüssig und nehmen eine positive Wirkung des Gesamtprogramms an. Die Ergebnisse der offenen Fragen betrachtend, stellen die psychosozialen Elemente und deren metaphorische Übertragung aufgrund der häufigen Nennung wichtige Wirkfaktoren für die TN dar. Es lässt sich schlussfolgern, dass die TN grundlegend verstanden haben, worauf die Intervention abzielt, sich die Wirkung der Intervention jedoch noch nicht vollständig entfaltet hat. Dies ist unter anderem auch an den Antworten zur Verständlichkeit der langfristigen Anwendung im Alltag zu sehen. Zudem wurden auch die körperliche Anstrengung sowie die Anstrengung durch die Schreibaufgaben von einer TN genannt. Diese Aspekte werden für die Hauptstudie nicht geändert, da sich die Anstrengung der sportlichen Aufgaben an der Intensität des Schulsports orientiert und versucht wurde, eine ausgewogene Balance zwischen den sportlichen und den psychosozialen Methoden herzustellen.

Limitationen

Ziel der Pilotierung war es, Verbesserungspotenziale für die anschließende Hauptstudie zu identifizieren. Grundsätzlich hat sich die Intervention als gewinnbringend erwiesen. Dennoch lassen sich einige Limitationen identifizieren, die in der Hauptstudie adressiert werden müssen, um eine höhere Wirksamkeit der Intervention zu erreichen.

Die Intervention erbrachte zwar eine Veränderung des generellen physischen Selbstkonzeptes und physischen Selbstwerts, jedoch keine signifikante Veränderung des globalen Selbstwerts. Dies deutet darauf hin, dass ein Transfer von der physischen auf die globale Selbstwertebene noch nicht vollzogen wurde. Diese beiden Aspekte lassen vermuten, dass die Interventionsdauer von sechs Einheiten à 90 min mit einer Einheit pro Woche nicht ausreichend ist, um eine Veränderung auf globaler Ebene zu erreichen. Diese Annahme lässt sich mit der Interventionsstudie von Wang (2008) belegen, in der Studierende eine dreimonatige Tai-Chi-Intervention besuchen und sich Veränderungen im physischen als auch mentalen Bereich zeigen. Auch vier Probandinnen selbst nannten bei der formativen Evaluation die zu geringe Dauer des Programms. Daher wird dieser Aspekt für die Hauptstudie entsprechend angepasst.

In der formativen Evaluation wurden die offenen Fragen ohne konkreten Theoriebezug gewählt. Die Nennung der psychosozialen und sportlichen Elemente deuten darauf hin, dass die Teilnehmerinnen über die Intervention reflektiert und Bezüge hergestellt haben. Eine theoriebasierte qualitative Befragung würde hingegen ermöglichen, tiefergehende Informationen über den Internalisierungsprozess zu erlangen.

Für die Auswahl der Kontrollgruppe ergeben sich zwei Limitationen. Zum einen war diese im Gegensatz zur Interventionsgruppe eine selbstselektierte Gruppe. Die KG wies bereits zu t1 ein höheres Selbstkonzept auf und ist damit nur bedingt mit der IG vergleichbar. Eine weitere Limitation ist, dass die KG weder an einer bewegungsunterstützenden noch einer psychosozialen Intervention teilgenommen hat und daher nicht festgestellt werden kann, worauf die Veränderungen im Selbstkonzept der IG zurückzuführen sind: auf das Boxtraining, auf die psychosoziale Intervention oder auf die Verknüpfung.

Auch in Bezug auf die Durchführung zeigt sich hinsichtlich des Gütekriteriums der Objektivität eine Schwäche, da es sich bei der Trainerin ebenfalls um diejenige handelt, die die Intervention entwickelt hat. Dies wird für die Hauptstudie kritisch reflektiert.

Implikationen für die Hauptstudie

Für die Hauptstudie ergeben sich daraus sechs Forderungen.

  1. 1.

    Größere Stichprobe

    Für die Hauptstudie wird eine größere Stichprobe geplant, um die hier gefundenen Veränderungen zu überprüfen. Geplant sind sowohl für die Interventions- als auch die Kontrollgruppe N = 60 bis 90.

  2. 2.

    Längere und intensivere Interventionsdauer

    Da sich die Forderung von Ntoumanis et al. (2021) nach der Identifizierung der optimalen Trainingsdauer für SDT-Interventionen nur teilweise beantworten lässt, sollte die Interventionsdauer in der Hauptstudie intensiviert werden. Zum einen werden die einzelnen Module um 30 min verlängert, sodass für jedes Modul 120 min angesetzt sind und sich eine Gesamtdauer von 720 min ergibt. Zum anderen wird die Intervention für einige Gruppen im wöchentlichen Rhythmus stattfinden, für andere wird eine intensivere Dauer von zwei bis drei Tagen mit je zwei bis drei Modulen pro Tag getestet. Damit ist es auch möglich, unterschiedliche Interventionsumfänge gegeneinander zu testen.

  3. 3.

    Ergänzung von leitfadengestützten Interviews

    Auch der Anpassung und Ergänzung der Forschungsweise wird sich angenommen, indem im Anschluss an die Intervention leitfadengestützte Interviews stattfinden und diese anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet werden. Durch diese Befragungen kann die Wirkweise der durch die soziale Kognitionstheorie und SDT geleiteten Intervention näher erforscht werden. Die Intervention wird hinsichtlich der Ergebnisse der formativen Evaluation überarbeitet, indem ein Augenmerk auf die Wirksamkeit für den Alltag und die zukünftige Anwendung gelegt wird und ggf. entsprechende Methoden ergänzt werden.

  4. 4.

    Prä-post-post-Design

    Da die post-Befragung direkt im Anschluss an die Intervention stattfand, lassen sich keine Aussagen über die mittelfristige Wirkung treffen. Vor diesem Hintergrund ist für die Hauptstudie ein dritter Erhebungszeitpunkt nach drei bis sechs Monaten geplant.

  5. 5.

    Kontrollgruppendesign

    Kontrollgruppendesigns sind für Interventionen notwendig, um die Wirksamkeit zu prüfen. Sie stellen in der Praxis aber eine Herausforderung dar, insbesondere dann, wenn eine Verknüpfung von Elementen geprüft wird. Nicht nur bedeutet es, wie in diesem Fall, dass es jeweils Kontrollgruppen braucht, die ausschließlich boxen, ausschließlich eine psychosoziale Intervention erhalten sowie keinerlei Intervention erhalten. Es bedeutet auch, dass die Kontrollgruppen in der Zusammensetzung vergleichbar sein müssen. In der Hauptstudie erhält die KG im Anschluss ebenfalls die Möglichkeit der Teilnahme an der Intervention.

  6. 6.

    Sportliche Aktivität in der Freizeit

    Wenig Beachtung hat in der Pilotstudie die sportliche Aktivität in der Freizeit erfahren. Da Studien zeigen, dass das physische Selbstkonzept und die Sportlichkeit im engen Zusammenhang stehen, ist es sinnvoll, hierfür zu kontrollieren. Daher wird in der Hauptstudie die sportliche Aktivität als weiterer Faktor intensiver berücksichtigt.

Resümee

Insgesamt lässt sich summieren, dass die auf der Intervention Mapping Methode beruhende Intervention „mindmittens“ (Abb. 5) zu einer Steigerung des physischen Selbstkonzepts bei der hier untersuchten vulnerablen Mädchengruppe beitragen kann. Eine Vielzahl der Mädchen gibt an, dass sie die erlernten Elemente für übertragbar auf ihren Alltag hält und die Übungen anwenden möchte. Dies stellt ein fundiertes Argument für die Anwendung einer solchen Intervention zur Förderung der psychischen Gesundheit von Mädchen und jungen Frauen im Rahmen einer Hauptstudie dar, die den oben genannten Forderungen entspricht.

Abb. 5
figure 5

Einblick in die Durchführung der Intervention mit boxspezifischen Elementen zur Stärkung des Selbstkonzepts jugendlicher Mädchen. (Fotos: Nadine Albrecht)