Sport fördert die körperliche Entwicklung im Kindes- und Jugendalter und unterstützt ein gesundes Heranwachsen (Abb. 1). Sport stärkt das Selbstbewusstsein und schafft Motivation, Sport gibt Halt, er bringt Menschen zusammen, er sozialisiert. Die regelmäßige Teilnahme am Sport erweitert das soziale Netzwerk, indem sich Freund- und Bekanntschaften entwickeln. Die Liste der postulierten Wirkungen des Sports ist lang und könnte noch fortgesetzt werden. Gerade der gemeinnützige, organisierte Sport gilt hier als besonders bedeutsam, da er Zugang zu einer Vielzahl sozialer Wirkungen ebnen kann und derzeit rund 27 Mio. Menschen in rund 87.000 Sportvereinen alleine in Deutschland erreicht (Deutscher Olympischer Sportbund e. V. 2022).

Abb. 1
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Sport im Kindes- und Jugendalter, hier Hürdenlauftraining. Foto: LSB NRW/Michael Grosler

Wie in den im Jahr 2015 formulierten UN-Nachhaltigkeitszielen sichtbar wird, stehen wir national wie global vor einer Reihe komplexer Probleme. Die Weltgemeinschaft hat sich im Zusammenschluss der Vereinten Nationen mit der Agenda 2030 zu globalen Zielen für eine bessere Zukunft ausgesprochen. So soll unter anderem Armut bewältigt werden, Gesundheit und Wohlergehen gesteigert, Geschlechtergleichheit hergestellt und soziale Ungleichheiten sollen reduziert werden (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2022).

Im Hinblick auf die Erfüllung der UN-Nachhaltigkeitsziele wirkt der organisierte Sport ambivalent. Die zahlreichen evidenten gesundheitsförderlichen und sozialintegrativen Funktionen des Sports bringen viele Chancen mit sich, um gesellschaftspolitische Probleme anzugehen. Gleichzeitig wissen wir aber auch: Sport kann nur für diejenigen wirksam sein, die daran partizipieren. Werfen wir einen Blick auf die Mitgliederstrukturen in Sportvereinen, wird die Ambivalenz des Sports schnell deutlich. So liegen gerade in den Sportvereinen besondere soziale Selektionsschwellen vor: Je höher die Schulform oder der soziale Status, desto höher ist die Partizipationsrate, Jungen gehen eher in den Sportverein als Mädchen und Kinder aus einkommensschwachen Familien sind deutlich weniger in Sportvereinen aktiv (Hanssen-Doose et al. 2021; Mess et al. 2011; Nagel 2003a). Es wird schnell ersichtlich: Das Durchschnittsmitglied eines Sportvereins ist männlich, wohlsituiert, körperlich und geistig gesund. Exkludierende Prozesse finden im organisierten Sport ähnlich statt wie im gesellschaftlichen Alltag. Trotz des hohen integrativen Potenzials des Sports und hierbei insbesondere des organisierten Sports, ist bereits lange bekannt, dass gerade der traditionell organisierte Sport durchsetzt ist von Praktiken sozialer Ungleichheiten und Exklusion (Collins 2014; Spaaij et al. 2014).

Wenn wir also im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele den organisierten Sport mit seiner enormen Reichweite nutzen möchten, um Armut und Armutsfolgen zu bewältigen, um Gesundheit und Wohlergehen für benachteiligte Personengruppen zu steigern oder Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, müssen wir uns mit der Frage konfrontieren, ob die bisherigen Strukturen und Strategien dem gewachsen sind. Der Anspruch auf nachhaltige Entwicklung korrespondiert zu wenig mit tatsächlichen Transformationsprozessen (Gieß-Stüber und Werkmann 2023). Der Kinder- und Jugendsport steht hierbei in besonderer Verantwortung, da er das Sportverhalten im Erwachsenenalter prägt (Klostermann und Nagel 2011).

Soziale Innovationen und der Sport

Was sind soziale Innovationen? Scheerer (2015) sieht darin „die wahrscheinlichste Grundlage gesellschaftlichen Wandels“. Soziale Innovationen werden in der Bewältigung von gesellschaftlichen Herausforderungen zunehmend als wesentliche Faktoren für die Entwicklung von Lösungen sozialer Probleme angesehen. Spezifische Ausgestaltungen des Sports mit den vielfältigen Wirkungen sind dabei einerseits als Sozialinnovation selbst interessant, wenn es zum Beispiel um Maßnahmen zur Armutsbewältigung geht. Andererseits könnten Strategien zur Entwicklung von Sozialinnovationen hilfreich sein, traditionelle Strukturen zu überdenken und den Zugang zum Sport chancengerechter zu gestalten und damit soziale Ungleichheiten abzubauen.

Wenn wir von Innovationen im Allgemeinen sprechen, bezeichnen wir damit kurz gesagt etwas Neues, dass eine Verbesserung zu etwas Bisherigem darstellt (McKeown 2008; Schumpeter 1947). Im Spitzensport dient die Wettbewerbsfähigkeit geradezu als Ansporn für Innovationen. Hierbei handelt es sich jedoch meist um technologische (zum Beispiel Schuhe mit verbesserter Dämpfung) oder technische (zum Beispiel neue Skisprungtechnik) Innovationen. Diese Innovationen sind in der Regel nur für einen sehr kleinen Kreis an Sportler*innen wirklich interessant. Sozialinnovationen hingegen grenzen sich deutlich vom klassischen Innovationsbegriff ab. So steht am Anfang jeglicher Sozialinnovation ein gesellschaftliches Problem, welches öffentlich präsent ist und Lösungen benötigt. Nach Zapf (1989, S. 177) können soziale Innovationen wie folgt definiert werden: „Soziale Innovationen sind neue Wege, Ziele zu erreichen, insbesondere neue Organisationsformen, neue Regulierungen, neue Lebensstile, die die Richtung des sozialen Wandels verändern, Probleme besser lösen als frühere Praktiken, und die deshalb wert sind, nachgeahmt und institutionalisiert zu werden.“ Wie sich dabei Sozialinnovationen ausgestalten, kann sehr verschieden sein. So können es neue Regularien in Sportarten oder neue Sportarten selbst sein, die zum Beispiel die traditionelle Geschlechterkategorisierung im Sport überdenken (beispielsweise QuidditchFootnote 1). Stiftungen und wohlfahrtsorientierte Organisationen entwickeln heute zielgruppenspezifische Programme mit Lösungen für Probleme von benachteiligten Personengruppen im Sport. Aber wie entstehen Sozialinnovationen?

Mit Design Thinking zu Sozialinnovationen

Ein weit verbreiteter Ansatz für die Entwicklung von Sozialinnovationen nennt sich Design Thinking – wie die Namensgebung vermuten lässt, ein Ansatz, der sich an Gestaltungsprozessen von Designer*innen orientiert. Design Thinking basiert auf der Annahme, dass Probleme besser gelöst werden können, wenn Menschen unterschiedlicher Disziplinen in einem die Kreativität fördernden Umfeld zusammenarbeiten, gemeinsam eine Fragestellung entwickeln, die Bedürfnisse von Menschen berücksichtigen und daraus mehrfach geprüfte Konzepte entwickeln. Die Rolle des Prozesses im Kontext von Sport for Development hat Schulenkorf (2017) bereits identifiziert. Der Ablauf besteht in der Regel aus einem iterativen Prozess in sechs Schritten.

Phase 1 (Verstehen): Zu Beginn geht es immer darum, ein Problem zu erkennen und sich damit vertraut zu machen. Idealerweise wird dies in einem Team definiert, welches sich zuvor mit der Thematik auseinandersetzt. Ungeklärte Fragen können dann für die weiteren Schritte bedeutsam werden.

Phase 2 (Beobachten): Hier geht es darum, die Zielgruppe zu verstehen und Empathie zu entwickeln. Häufig werden dazu Interviews und Gespräche mit den Menschen geführt, die das Angebot letztlich auch erreichen soll. Schritt zwei lässt sich nicht klar vom ersten Schritt abgrenzen und häufig werden diese auch miteinander kombiniert betrachtet.

Phase 3 (Standpunkt definieren): Nun werden die Ergebnisse und Erkenntnisse aus drei allgemeinen Komponenten verdichtet – Zielgruppe, Bedarf und gewonnene Erkenntnisse.

Phase 4 (Ideen finden): Der zuvor definierte Standpunkt dient als Bezugspunkt, aus dem wir wiederum Fragestellungen ableiten können. Dabei können verschiedenste Ideen entstehen, die auch nicht immer realistisch umsetzbar sein müssen. Durch die gemeinsamen Absprachen im Team reifen nach und nach potenzielle Lösungen.

Phase 5 (Prototypisieren): Nachdem nun potenzielle Lösungen ausgearbeitet wurden, geht es darum, die Idee durch die Entwicklung eines Prototypen greifbar zu machen. Bei physischen Prototypen können jegliche verfügbare Materialien genutzt werden (Papier, Knetmasse). Prototypen müssen aber nicht zwingend physisch sein. Es eignen sich beispielsweise Rollenspiele und Storyboards. Wichtig ist, dass die Idee vermittelt wird. Wenn wir uns im organisierten Sport befinden, wird es sich in den meisten Fällen sicherlich um Angebote und Zugänge zu Angeboten handeln (Dienstleistungen). Bei der Prototypisierung geht es somit vor allem um die Funktionalität.

Phase 6 (Testen): Der Zweck des Prototyps ist es, Feedback von der Zielgruppe einzuholen, um daraus Verbesserungen und Änderungen vorzunehmen. Dabei eignen sich zum Beispiel Validierungsraster mit verschiedenen Feldern (positive Aspekte, negative Aspekte, neue Fragen, neue Ideen). Besonders in der Testungsphase kommt der iterative Charakter zum Vorschein, da möglicherweise in früheren Schritten Aspekte übersehen wurden und in der Testphase aufgedeckt werden (Wölbling et al. 2012).

Implikationen für den organisierten Sport

Die geplante und strukturierte Entwicklung von Sozialinnovationen ist im organisierten Sport ein überwiegend unbekanntes Feld. Gieß-Stüber et al. (2018) beschreiben beispielhaft einen solchen Prozess. Möchten wir den organisierten Sport zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele und damit für einen gesellschaftlichen Wandel nutzen, und da erscheint dieser aufgrund seiner nationalen Reichweite mit Sicherheit günstig, könnte die Entwicklung von Sozialinnovationen mit Orientierung am Design-Thinking-Prozess vielversprechend sein. Neben dem gesellschaftlichen Impact, der damit erzielt werden könnte, könnten Vereine auch durch die Gewinnung neuer Vereinsmitglieder profitieren. Die besondere Stärke dieses Prozesses besteht darin, potenzielle Vereinsmitglieder bereits in die Angebotsplanung mit einzubinden. Hier empfehlen auch Wright et al. (2010), dass ein konsequenter Einbezug der Zielgruppe ratsam ist, wenn es darum geht, neue Mitglieder zu akquirieren. Dies wird gerade in Sportvereinen noch unzureichend umgesetzt. Zwar sind Vereine demokratisch organisiert, jedoch tendenziell auch sozial geschlossen. Dies zeigen zum Beispiel Befunde einer Vereinsanalyse von Nagel (2003b). Der Sportwissenschaftler kommt im Rahmen seiner Studie zur sozialen Offenheit von Sportvereinen zu dem ernüchternden Fazit, dass aufgrund der Logik ihrer Entstehung und aufgrund der spezifischen Struktur- und Funktionsprinzipien Vereine für die Verwirklichung sozialpolitischer Ziele, wie zum Beispiel „Sport für alle“, im Grunde nicht geeignet sind und solchen Ansprüchen deshalb nur begrenzt gerecht werden können. Die Teilhabe an den Planungs- und Entscheidungsprozessen liegt derzeit stets bei den bereits bestehenden Vereinsmitgliedern. Doch welche Barrieren erleben Kinder von Eltern in finanzieller Armut? Welche Voraussetzungen müssen für sie erfüllt sein, um an den Vereinsangeboten teilzunehmen? Gespräche mit armutsbetroffenen Menschen machen beispielsweise schnell sichtbar, dass es nicht unbedingt die Mitgliedsbeiträge sind, die zu den hohen finanziellen Belastungen führen, sondern die Begleitkosten für Sportbekleidung und -schuhe sowie die sozialen Kosten und Transportkosten, die durch die Teilnahme entstehen (Vandermeerschen et al. 2017).

Eine weitere Stärke des Design-Thinking-Prozesses ist es, kontinuierlich Feedback einzuholen. Das muss nicht zwingend eine wissenschaftlich umfangreiche Evaluation sein, auch informelle Gespräche können bereits neue Ideen und Fragen aufgreifen, die das Angebot und den Zugang stetig verbessern. Letztlich müssen sich nicht immer direkt Sozialinnovationen entwickeln, die große Paradigmenwechsel im organisierten Sport hervorrufen. Bereits kleine Adaptationen in der bisherigen Vereinsarbeit können einen Schritt zu einem chancengerechteren Zugang schaffen.