Mitarbeiter*innen im Bereich des offenen Ganztags (OGS) haben vielfältige Aufgaben. Sie betreuen die Kinder nach dem Unterricht sowohl beim Mittagessen und den Hausaufgaben in der Lernzeit als auch beim freien Spielen und in betreuten Arbeitsgemeinschaften (AGs). AGs werden an offenen Ganztagsschulen am Nachmittag angeboten. Sie werden von den Kindern in der Regel für ein Schulhalbjahr gewählt. Etwa jedes dritte Angebot im Ganztag ist ein Sportangebot (Abb. 1), wobei zwischen übergreifenden Bewegungsfeldern und spezifischen Sportarten unterschieden werden kann (Neuber et al. 2015). Darüber hinaus werden beispielsweise Bastel‑, Werken‑, Musik- oder auch Wald-AGs angeboten. In den meisten Fällen werden diese AGs von den OGS-Mitarbeiter*innen angeboten. Hinzu kommen weitere Kräfte, um die AGs durchzuführen, etwa externe Übungsleiter*innen, Musikpädagog*innen oder auch Lehrkräfte der Schule.

Abb. 1
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Sportangebot im Ganztag. (Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann)

Im Transferprojekt Gedankensprung, das der Arbeitsbereich „Bildung und Unterricht im Sport“ des Instituts für Sportwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gemeinsam mit dem Willibald Gebhardt Institut (WGI) und dem Diözesan Caritasverbandes Münster von 2018 bis 2022 durchgeführt hat, wurden die Mitarbeitenden offener Ganztage darin fortgebildet und unterstützt, in diesem Bereich der Lebenswelt von Kindern möglichst vielfältige Bewegungsangebote zu gestalten.

Exekutive Funktionen

Dazu wurden in einem ersten Schritt 20 Mitarbeiterinnen (es war tatsächlich eine rein weibliche Gruppe) von November 2018 bis Mai 2019 an fünf Fortbildungstagen darin geschult, vielfältige Bewegungsangebote in ihrer täglichen Praxis durchzuführen. Diese sollten sowohl in AGs als auch in kurzen Bewegungspausen zwischendurch umgesetzt werden. Die Fortbildungen beinhalteten zunächst allgemeine Bewegungs‑, Spiel und Sportvermittlung. Darüber hinaus lag ein besonderer Schwerpunkt aber auf kognitiv förderlichen Bewegungsangeboten. Ziel war es, solche Spiele und Übungsformen kennenzulernen, zu erproben und zu entwickeln, die die exekutiven Funktionen fördern. Exekutive Funktionen sind kognitive Prozesse, die immer dann zum Einsatz kommen, wenn neue und ungewohnte Dinge geleistet werden müssen. Sie entwickeln sich von der Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter und sind für das Lernen, Erledigen von Arbeitsaufträgen und Einhalten von Regeln elementar (Kubesch 2016). Damit sind sie nicht nur für die Schule wichtig. Die exekutiven Funktionen werden unterteilt in Inhibition, kognitive Flexibilität und Arbeitsgedächtnis (Miyake et al. 2000). Das Arbeitsgedächtnis, auch Updating genannt, beschreibt die Fähigkeit neue Informationen kurzfristig im Gedächtnis zu behalten und mit ihnen weiterzuarbeiten, beispielsweise sich bei einer Rechenaufgabe Zwischenergebnisse zu merken. Als kognitive Flexibilität wird die Fähigkeit gefasst, zwischen verschiedenen Anforderungen umschalten zu können, wie zum Beispiel zwischen den Anforderungen von Mathematik- und Deutschunterricht. Unter Inhibition versteht man die Fähigkeit, Störreize auszublenden oder unangemessene Reaktionen zu unterdrücken, damit etwa die Möglichkeit, den Sitznachbarn, der stört, nicht zu beachten oder einem innewohnenden Spieltrieb vorerst nicht nachzugehen (Eckenbach 2019; Walk und Evers 2013).

Spielvarianten

Das Spiel „Feuer, Wasser, Sturm“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie durch verschiedene Spielvarianten unterschiedliche exekutive Funktionen angesprochen werden könnenFootnote 1:

  • Das Arbeitsgedächtnis/Updating wird angesprochen, wenn die Kommandos Feuer, Wasser, Sturm um weitere Kommandos ergänzt werden oder durch Farbkarten ersetzt werden. Wenn die rote Karte hochgehalten wird, gilt beispielweise das Kommando Feuer. Darüber hinaus können Farbkartenkombinationen gebildet werden, dann ergeben die Farbkarten rot und grün zusammen das Kommando „Kaugummi“ und alle Kinder müssen sich einen Platz an einer Wand suchen, um sich „daran zu kleben“.

  • Die Inhibition wird gefordert, wenn Kommandos vertauscht werden. Dann gehört zu dem Kommando Feuer oder der roten Karte plötzlich die Bewegungsantwort für Wasser. Wenn nun ein Kommando gegeben wird, müssen die Teilnehmer*innen den ersten Impuls, auf das Kommando Feuer mit dem Altbekannten zu reagieren, unterdrücken und stattdessen eine andere Bewegung ausführen.

  • Die kognitive Flexibilität wird angesprochen, wenn es neben den normalen Bewegungsantworten auf die Kommandos zusätzlich noch einmal ganz neue und andersartige Bewegungen gibt. Wenn nun Musik im Hintergrund angeschaltet wird, muss bei einem Kommando mit der neuen Bewegung reagiert werden. Ist die Musik aus, gelten die alten Bewegungen.

Am zweiten Teil, dem Hauptteil des Projekts Gedankensprung, nahmen acht OGS-Standorte teil, von denen je ein bis zwei Mitarbeiterinnen an den Fortbildungen teilgenommen hatten. Diese Projektschulen wurden bei der Umsetzung der Fortbildungsinhalte bis Januar 2022 begleitet, jährlich mehrmals besucht, gecoacht und im Jahr 2020 sowie 2021 erneut fortgebildet. Zusätzlich gab es ein- bis zweimal jährlich ein Projektgruppentreffen mit den Mitarbeiterinnen der Projektschulen, die am Projekt beteiligt waren.

In diesem Teil des Projekts hat der Arbeitsbereich „Bildung und Unterricht im Sport“ in den Sommersemestern 2019, 2020 und 2021 zudem jeweils ein speziell auf das Projekt zugeschnittenes Seminar für Lehramtsstudierende im Master angeboten. In dem Seminar wurde mit den Studierenden die Förderung der exekutiven Funktionen in Theorie und Praxis behandelt. Ein Teil des Projektseminars bestand darin, die Seminarinhalte in externen Einrichtungen zu erproben. Dafür konnten sich die Studierenden selber Einrichtungen suchen oder in eine der acht Projektstandorte gehen, um dort zehn Praxiseinheiten durchzuführen.

Bei den selbstgewählten Einrichtungen ergaben sich viele unterschiedliche Formate. Neben AGs in Grund- und Gesamtschulen wurden kognitiv förderliche Bewegungsangebote auch in Sportvereinen in verschiedenen Sportarten und Altersgruppen angeboten. Darüber hinaus wurden die Seminarinhalte zielgruppenspezifisch in Feriencamps und Kindergärten angeboten.

Die Umsetzung an den Gedankensprung-Projektschulen fand ebenfalls in unterschiedlichen Bereichen statt. Insbesondere die geringe Überschneidung der Semester- und Sommerferien in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2020 und 2021 und die Coronapandemie machten kreative Lösungen notwendig. So wurde Gedankensprung nicht nur wie ursprünglich geplant in der Sommerferienbetreuung angeboten, sondern auch während des regulären Schulbetriebs und in den Herbstferien. Die Förderung der exekutiven Funktionen kam somit auch während der Hausaufgabenbetreuung, in AGs im Ganztag und teilweise sogar im Schulunterricht zur Anwendung.

Durch den Einsatz der Studierenden an den Projektschulen sollten die Fortbildungsteilnehmerinnen erneut Ideen für weitere Spiel- und Übungsformen bekommen. Gewünscht war zudem, dass durch den Einsatz noch weitere Mitarbeiter*innen an den Projektschulen einen Zugang zu den Inhalten des Projekts bekommen und ermutigt werden, kognitiv förderliche Spielformen in ihrem Alltag einzusetzen.

Die Resonanz

Nach den Praxisphasen in den externen Einrichtungen wurden mit den Studierenden Reflexionsgespräche in Kleingruppen geführt und der Einsatz von kognitiv förderlichen Spielen für die jeweiligen Adressat*innen diskutiert. Hier ergaben sich viele positive und lehrreiche Rückmeldungen. So machte es den Kindern viel Freude, wenn bekannte Spiele wie beispielsweise „Feuer, Wasser, Sturm“ kognitiv förderlich abgewandelt oder neue Spiele eingeführt wurden. Rückgemeldet wurde aber auch, dass es wichtig war, eine gewisse Ausgewogenheit zwischen kognitivem Anspruch und „sich auspowern und den Kopf mal ausschalten“ zu gestalten. Insbesondere im regulären Schulbetrieb, wenn die Kinder einen normalen Schultag hinter sich hatten, konnte der Einsatz kognitiver Förderung mit Bewegung in der Hausaufgabenbetreuung oder in nachmittäglichen AGs nur dosiert erfolgen.

Für die Studierenden ergaben sich aus dem Einsatz ebenfalls vielfältige Erfahrungen. So konnten sie bei den Kindern beobachten, wie diese in Bewegung kognitive Fähigkeiten lernen, die für ihre Selbstregulation enorm wichtig sind, und dies mit viel Freude tun, weil sie gar nicht merken, dass es ein Training ihrer exekutiven Funktionen ist. Auch persönliche Horizonterweiterungen wurden bei den Studierenden angestoßen. So stellten Studierende des Lehramts für weiterführende Schulen fest, dass sich Grundschulkinder der ersten oder zweiten Klasse nicht so einfach nach ihren Geburtstagen sortieren können, da einige nur wissen, zu welcher Jahreszeit sie Geburtstag haben.

Bei den Auswertungsgesprächen und Coachings an den Projektschulen gab es unterschiedliche Modelle. Zum einen gab es in jedem Jahr ein Coaching, während die Studierenden an den Standorten waren. Dabei haben überwiegend die Studierenden eine Sporteinheit mit einer Kindergruppe durchgeführt. Anwesend war hierbei eine der Dozentinnen und Fortbildungsleiterinnen, zudem kamen auch die fortgebildeten Mitarbeiterinnen des Standorts und weitere interessierte Mitarbeiter*innen hinzu. Im Anschluss wurden die Stunden mit allen Beteiligten reflektiert und diskutiert, um dadurch sowohl bei den Studierenden als auch Mitarbeitenden der Standorte eine Weiterentwicklung hervorzurufen.

Zu den anderen Coaching-Zeitpunkten war der Ablauf ähnlich und hier leiteten die fortgebildeten Mitarbeiterinnen eine Bewegungseinheit an. An manchen Standorten waren weitere Mitarbeitende so interessiert an den Inhalten, hatten bei den anderen Mitarbeiterinnen hospitiert, sich in das Konzept eingearbeitet, so dass auch hier weitere Mitarbeitende Einheiten demonstrierten. In den Reflektionsgesprächen wurde häufig der Wunsch geäußert, möglichst kurze Spielformen mit wenig Material- oder Aufbaubedarf im Repertoire zu haben, um sie in sich spontan ergebenden Freiräumen im Ganztag einstreuen zu können. Hierauf wurde in den erneuten Fortbildungen in 2020 und 2021 besonders Rücksicht genommen.

Darüber hinaus berichteten die OGS-Mitarbeiter*innen, dass die Kinder viel Freude und Engagement bei Bewegungsspielen zeigen, auch wenn sie kognitiv förderlich sind. Einzelne, einfach zu organisierende Spiele haben die Kinder selbstständig gespielt, wenn sich die Gelegenheit bot. Bewegungspausen während der Hausaufgaben wurden häufig von den Kindern eingefordert, nicht nur weil sie Spaß machten, sondern auch weil die Kinder merken, dass danach der Kopf wieder freier war und sie sich besser konzentrieren konnten.

Das Projekt wurde von den Beteiligten am offenen Ganztag wohlwollend aufgenommen und mit Engagement angegangen und umgesetzt. Es wurden aber auch Stolpersteine benannt. So ist meistens der Personalschlüssel im Ganztag auf niedrigem Niveau, so dass es, insbesondere wenn Ausfallzeiten hinzukommen, nicht möglich ist, eine OGS-Kraft für eine Sport-AG zu entbehren, weil sie dann als Aufsicht für andere Kinder fehlt. Oftmals fehlen dem Ganztag auch Hallenzeiten, um Sportangebote durchzuführen. Darüber hinaus gibt es in manchen Städten und Kommunen Regelungen, dass die Sporthallen nur benutzt werden dürfen, wenn mindestens eine Person mit Übungsleiter*innenlizenz anwesend ist.

Durch den Austausch der Projektschulen in den Projektgruppentreffen haben sich zu einigen dieser Herausforderungen Lösungsansätze ergeben. So hat eine Mitarbeiterin aus dem Projekt begonnen, eine Übungsleiter*innenausbildung zu machen. Ein Standort berichtete, dass man in manchen Städten eine zusätzliche Vergütung für Sportangebote im Ganztag erwirken kann, so dass zusätzliches Personal eingestellt werden kann oder die Stunden über die Arbeitszeiten hinaus erbracht werden können. Aus Sicht der Projektarbeit sind die Projektgruppentreffen also sehr zu befürworten. Auch wenn sie zusätzliche Arbeitszeit bedeuten, sind sie ein wertvoller Beitrag, weil die Fachkräfte untereinander in konstruktiven Austausch kommen, Lösungsstrategien entwickelt werden und sich Netzwerke ergeben.

Insgesamt hat das Projekt dazu geführt, dass die Mitarbeiter*innen die neuen Inhalte gerne in die schon bestehenden AGs im Ganztag einfließen lassen. Sofern die fortgebildeten Ganztagskräfte vor dem Projekt noch keine Bewegungs-AG geleitet hatten, trauten sie sich nun zu, selber eine anzubieten. Auch die kurzen Bewegungsspiele, die unter anderem als Bewegungspausen während der Hausaufgabenbetreuung angewendet werden können, kommen vielseitig im OGS-Alltag der Projektschulen zum Einsatz.