Einleitung

Die Peergroup gilt als zentrale Sozialisationsinstanz des Jugendalters (u. a. Köhler 2016), deren Aktionsfelder sowohl außerhalb als auch innerhalb der Schule liegen (Zinnecker 2008). In ihrem ortsübergreifenden Handeln sind Peergroups auch ein Vermittlungsmedium zwischen Schule und Freizeit, was sie für Forschungen zu den Verhältnissen sportiver Kontexte im Spektrum von formellen, informellen und kommerziellen Angeboten interessant werden lässt. Die durch Peergroups vermittelte Beziehung zwischen Schule und Freizeit dürfte innerhalb der Schule für die einzelnen Unterrichtsfächer unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Vor allem der Sportunterricht greift durch seine unmittelbare Nähe zur Jugendkultur Elemente aus der Freizeit von Heranwachsenden auf (Zinnecker 2008), wobei aber diese Vermittlungsprozesse für den Sportbereich bislang nicht aus der Perspektive von Peergroups untersucht wurden. Bisherige Studien (u. a. Albert 2017; Burrmann 2005; Bindel 2015; Gerlach und Brettschneider 2013; Mutz 2012; Neuber 2007) zeigen vielmehr anhand von Einzelpersonen, welche Sportkontexte präferiert oder abgelehnt werden und wie sich schulische und außerschulische Sportengagements ergänzen oder auch konfligieren können. Während in der Primarstufe die Passung von schulischem und außerschulischem Sporttreiben noch als harmonisch-wechselseitig beschrieben wird (Erhorn 2012), wird sie im Verlauf der Sekundarstufe I aus der Perspektive von Schüler*innen zunehmend als diskrepant-einseitig erlebt. Zwar schließt der Sportunterricht weiterhin (soweit vorhanden) an den Vorerfahrungen der Schüler*innen an, jedoch werden kaum Impulse für den Sport in der Freizeit gegeben (Gerlach et al. 2006; Burrmann 2015). Auch ist davon auszugehen, dass im Laufe des Jugendalters zunehmend ein enges und eher wettkampforientiertes Sportverständnis an Bedeutung gewinnt (Bindel 2015), wobei auch hierzu Analysen aus der Perspektive von Peergroups ausstehen.

Obwohl die Relevanz der Peergroup für das Sporttreiben von Jugendlichen in verschiedenen Studien bestätigt wird, wurde bislang kaum erforscht, wie das Sporttreiben in der Schule und in der Freizeit innerhalb jugendlicher Peergroups wahrgenommen und bewertet wird. In den vorliegenden Studien der sportwissenschaftlichen Peerforschung (u. a. Fussan 2006; Grimminger 2012; Krieger 2005; Messmer und Brea-Steffen 2016; Schmitz und Burrmann 2020) werden meist die Positionen einzelner Gruppenmitglieder innerhalb der Peergroup untersucht oder es wird der Einfluss der Gruppe auf die Persönlichkeit einzelner Mitglieder, auf die Partizipation an sportiven Angeboten oder auf Prozesse sozialer Integration gelenkt. Die Peergroup ist jedoch mehr als die Summe ihrer einzelnen Mitglieder. Sie entfaltet insbesondere im Jugendalter als Gruppe ein Eigenleben und stellt in Anlehnung an wissenssoziologische Überlegungen (Bohnsack 2017) eine kollektive Erlebnis- und Erfahrungsgemeinschaft dar (Abb. 1). Als Gemeinschaft verfügt sie über kollektiv geteilte Wissensbestände, die das Handeln der Gruppenmitglieder orientieren, was jedoch in der Forschung bislang nicht ausreichend berücksichtigt wird.

Abb. 1
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Die Peergroup entfaltet insbesondere im Jugendalter als Gruppe ein Eigenleben und stellt eine kollektive Erlebnis- und Erfahrungsgemeinschaft dar. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Vor dem Hintergrund der skizzierten Desiderata wird mit dem vorliegenden Beitrag das Anliegen verfolgt, das Sporttreiben von jugendlichen Peergroups als Gruppe im Sinne ihrer kollektiv geteilten Erlebnis- und Erfahrungsdimensionen zu untersuchen und die damit verbundenen (Passungs‑)Verhältnisse zwischen Schule und Freizeit zu beschreiben. Ausgehend von diesem Anliegen werden zu Beginn in theoretischen Überlegungen erste Annäherungen an den Forschungsgegenstand jugendliche Peergroups vollzogen und mithilfe eines wissenssoziologischen Zugangs die für den Beitrag zentralen Fragestellungen entwickelt: Welche (sportiven) Themen sind für jugendliche Peergroups relevant? Inwieweit lassen sich kollektive Orientierungen des Handelns jugendlicher Peergroups in Schule und Freizeit identifizieren? Was kennzeichnet die Handlungspraxis jugendlicher Peergroups in Schule und Freizeit? Im Anschluss daran wird zur Beantwortung dieser Fragen das methodische Vorgehen beschrieben. Der Beitrag stützt sich auf Daten einer qualitativen Längsschnittstudie zur Rekonstruktion der kollektiv geteilten Perspektive jugendlicher Peergroups im Alter von ca. 12/13 Jahren und 14/15 Jahren, die mit dem Gruppendiskussionsverfahren erhoben und mit der dokumentarischen Methode ausgewertet wurden. Aufbauend auf dem Ergebnisteil, der entlang der drei Fragestellungen strukturiert ist, werden die Erkenntnisse zur Bestimmung der Verhältnisse von Schul- und Freizeitsport diskutiert und weiterführende Fragen für die sportwissenschaftliche Peerforschung aufgeworfen.

Theoretische Überlegungen

Der Begriff „Peergroup“ wird selbst in der Peerforschung unterschiedlich verwendet und kann daher auch sehr Verschiedenes bedeuten (vgl. im Überblick Hoffmann 2020). Im Folgenden wird auf Basis einer ersten Annäherung an den Forschungsgegenstand ein wissenssoziologischer Zugang zur Erforschung der Peergroup begründet.

Annäherungen an den Forschungsgegenstand jugendliche Peergroups

Wenn in diesem Beitrag von Peergroups gesprochen wird, dann sind informelle Kleingruppen von mehr oder weniger eng befreundeten Personen gemeint, die zum Beispiel auch als Clique oder Freundesgruppe bezeichnet werden. Informell bedeutet, dass die Zugehörigkeit zur Gruppe freiwillig ist und auf einer Zustimmung der beteiligten Personen beruht. Eine Peergroup ist dabei immer durch eine gewisse Gleichartigkeit gekennzeichnet. Unter Peergroups wird zum Beispiel oft ein Zusammenschluss von altersgleichen, sozial gleichgestellten oder gleichgesinnten Personen verstanden (Köhler et al. 2016). Insbesondere im Vergleich zu den Beziehungen innerhalb der Familie sind Beziehungen innerhalb der Peergroup nicht durch eine Generationsdifferenz gekennzeichnet: „Der besondere Reiz der Gleichaltrigengruppen liegt in ihrer symmetrischen Konstitution“ (Hurrelmann und Quenzel 2012, S. 176). Anders als in der primären Sozialisation begünstigt die symmetrische Beziehungsstruktur der Peergroup im Rahmen der sekundären Sozialisation eine wechselseitige Aushandlung von Handlungsorientierungen zwischen ihren Mitgliedern (zum Beispiel sportbezogene Präferenzen und Prioritäten), was mit besonderen Entwicklungspotenzialen einhergeht. Jugendliche Peergroups können die Entwicklung von Heranwachsenden sowohl positiv als auch negativ beeinflussen. Einerseits helfen sie zum Beispiel bei der Entwicklung von Identität oder beim Erwerb sozialer Kompetenzen, andererseits kann die Mitgliedschaft in Peergroups Heranwachsende auch vor Probleme stellen, indem sie beispielsweise Konkurrenz- oder Konformitätsdruck erzeugt (Köhler 2016).

Die Relevanz peerbezogener Entwicklungsprozesse korrespondiert mit dem hohen Stellenwert, der der Peergroup von den Heranwachsenden selbst zugesprochen wird. Jugendliche verbringen gerne viel Zeit mit ihren Freund*innen und die Anerkennung von Gleichaltrigen bedeutet ihnen viel (Hoffmann 2020). In der Peergroup dürfte so in besonders ausgeprägter Weise voneinander und miteinander gelernt werden, was auch für sportliche Belange interessant sein kann, wenn zum Beispiel in einem informellen Rahmen verschiedene Rollen der Vermittlung oder Organisation von Sport zum Einsatz kommen (Bindel 2008). Darüber hinaus werden im Jugendalter – als einer Lebensphase zwischen Moratorium und Transition (u. a. Neuber 2007) – in der Peergroup verschiedenste Lebensstile ausprobiert und kultiviert. Die Peergroup ist damit als eine komplexe Sozialform zu sehen, in der Jugendliche weitreichende, aber auch sehr unterschiedliche Entwicklungen vollziehen, die in ihrer Art und Weise vor dem Hintergrund der Verhältnisse von Schule und Freizeit gesehen werden können.

Das Verhältnis von Schule und Freizeit ist selbst eingebettet in einen Wandel der Entscholarisierung von Schule und Scholarisierung der Freizeit (Fölling-Albers 2000). Die Grenzen der Differenzsetzung zwischen beiden Lebensbereichen verwischen also und die der Differenz zugrunde liegende Logik kann sich punktuell umkehren: Schule wird auch zum Freizeitraum und der Freizeitraum zum Unterricht (Zinnecker 2008). Längsschnittstudien zeigen empirisch, wie eng schulische Bildungsverläufe mit jugendlichen Peergroups verwoben sind und welche verschiedenen Funktionen die Peergroup in der Schullaufbahn einnehmen kann, indem sie zum Beispiel eine Parallel- oder auch Gegenwelt zu schulischen Anforderungsstrukturen darstellt (Krüger et al. 2012). Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass sich Peergroups durch das Zusammenspiel von schulischen und peerkulturellen Normen konstituieren. Schule und Peergroup, aber auch Peergroup und Freizeit sind eng miteinander verbunden. Wie genau diese Verbindungen im Sportbereich ausfallen, ist eine empirische Frage, da Peergroup, Schule und Freizeit immer „im Plural“ existieren und dementsprechend heterogen konstituiert sind. Auch die Vielfalt der Erscheinungsformen des Sports in der Schule (Sportunterricht, Pausensport u. a. m.) und in der Freizeit (zum Beispiel Vereinssport, Szenesport etc.) lässt sich kaum angemessen systematisieren, geschweige denn an dieser Stelle im Hinblick auf alle real möglichen Konstellationen zueinander auffächern. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden zunächst der Blick auf den für alle Heranwachsenden verpflichtenden Sportunterricht gelenkt.

Auf Basis einer Reanalyse der SPRINT-Daten zum Sportunterricht (Abb. 2) in der Sekundarstufe I identifiziert Burrmann (2015) die fünf Schüler*innentypen „Hoch Engagierte“ (28 %), „Durchschnittliche“ (29 %), „Unzufriedene“ (15 %), „Unmotivierte“ (18 %) und „Negativ Eingestellte“ (10 %). Wie die Typenbezeichnungen bereits deutlich machen, zeigen sich die zentralen Unterschiede zwischen den Schüler*innen entlang motivationaler und volitionaler Variablen (zum Beispiel fachspezifisches Interesse und Anstrengungsbereitschaft im Sportunterricht). Auch wenn die Angaben der Schüler*innen zum Verhältnis von schulischem und außerschulischem Sport für die Unterscheidung der Typen eher weniger ins Gewicht fallen, fällt jedoch in der Reanalyse auf, dass sich die „unmotivierten“ und „negativ eingestellten“ Schüler*innen weniger als andere am außerschulischen Sport beteiligen. Auffällig für das Verhältnis von Schule und Freizeit ist auch, dass nicht nur die „Hoch Engagierten“, sondern auch die „Unzufriedenen“ häufiger im Sportverein aktiv sind, sich also ein außerschulisches Sportengagement nicht zwangsläufig positiv auf die Wahrnehmung und Bewertung des Sportunterrichts auswirkt. Unterschiede zwischen den Schüler*innentypen im Hinblick auf Schulformen, die gerade auch bezüglich der Partizipation am Vereinssport in anderen Studien konstatiert werden (u. a. Mutz 2012), sind jedoch nicht relevant. Sportunterricht dürfte demnach bildungsnahe wie auch bildungsferne Milieus ansprechen (Burrmann 2015). Inwieweit sich die fünf Schüler*innentypen und die damit verbundenen Erkenntnisse auf Peergroups übertragen lassen, bleibt zu prüfen. Hierzu wird im Folgenden der Fokus auf die soziale Praxis jugendlicher Peergroups im schulischen und außerschulischen Sport mit ihren impliziten Wissensbeständen und kollektiv geteilten Sinnkonstruktionen gelenkt.

Abb. 2
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Szene aus einem Sportunterricht. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Wie in der Einleitung bereits angesprochen, lassen sich das sportive Handeln jugendlicher Peergroups und die damit verbundenen Verhältnisse von Schule und Freizeit nicht auf Einzelpersonen beziehungsweise den Einfluss einzelner Gruppenmitglieder (zum Beispiel auf individuelle Motive) reduzieren. So macht zum Beispiel die erziehungswissenschaftliche Jugendforschung deutlich, dass Peergroups im Rahmen von Schule und Unterricht als „eigensinnige soziale Welten“ verstanden werden können (Helsper und Böhme 2002, S. 588). Diese sozialen Welten verfügen über kollektiv geteilte Wissensbestände, die das Handeln der Gruppenmitglieder orientieren. Aus dieser ersten Gegenstandsbestimmung ergeben sich theoretische Konsequenzen: Die Peergroup ist selbst als Akteurin zu begreifen und agiert als Ganzes im Sinne einer kollektiven Wissens- und Handlungsträgerin (vgl. auch Schäffer 2011). Des Weiteren sind Peergroups auf einer mittleren Ebene zwischen den „großen“ Kollektiven und den „einzelnen“ Individuen angesiedelt. Als soziale Gruppierung nehmen sie eine eigene Position im gesellschaftlichen Gefüge ein. Einerseits bringen sie einzelne Individuen in Gruppen zusammen, andererseits verkörpern sie diverse soziale Zugehörigkeiten und sind dadurch auch eingebunden in „größere“ soziale Kollektive (zum Beispiel Schulklassen oder Sportmannschaften). Der theoretische Zugang zur Erforschung einer so verstandenen Peergroup soll nun theoretisch näher bestimmt und auch für die konkrete Erforschung des Verhältnisses von Schule und Freizeit modelliert werden.

Wissenssoziologischer Zugang zu jugendlichen Peergroups

Um die kollektiv geteilte Perspektive jugendlicher Peergroups auf das (sportive) Handeln in Schule und Freizeit untersuchen zu können, bietet sich das wissenssoziologische Konzept des konjunktiven Erfahrungsraums an (Bohnsack 2017; Mannheim 1980). Das Konzept beschreibt das Handeln von Menschen, die durch existenzielle Beziehungen in einer Erfahrungsgemeinschaft miteinander verbunden sind. Existenzielle Beziehungen entstehen durch Gemeinsamkeiten des Schicksals, des biografischen Erlebens und durch eine gemeinsame Sozialisationsgeschichte. Empirisch lassen sich konjunktive Erfahrungsräume daher nicht nur an gemeinsam vollzogenen, sondern auch an strukturidentischen Erlebnissen festmachen und auf den drei Ebenen Gesellschaft, Organisation und Interaktion/Gruppe verorten (Bohnsack 2017, S. 117ff.). Der existenzielle Charakter der Beziehungen kommt dadurch zustande, dass die konjunktiven Erfahrungen die Existenz der Person betreffen, also in der Regel auch Spuren in der Persönlichkeit hinterlassen. In einer empirischen Untersuchung jugendlicher Peergroups gilt es (möglichst) offen zu fragen, welche (sportiven) Themen hier von Bedeutung sind.

Konjunktive Erfahrungen sind den Akteur*innen weitgehend unbewusst und nur in Teilen verbalisierbar. Innerhalb des Erfahrungsraums vollzieht sich die Interaktion als unmittelbar intuitives Verstehen, während sie bei ungeteilten Erfahrungsräumen auf kommunikative Verständigung im Sinne rationaler Abstraktions- und Interpretationsleistungen der Akteur*innen angewiesen ist (Mannheim 1980, S. 271ff.). Konjunktive Erfahrungsräume sind als konkrete sozio-historische Erfahrungsgemeinschaften überindividuell und gehen den einzelnen, neu in sie eintretenden Mitgliedern zeitlich voraus (Mannheim 1980, S. 127ff.). Die Mitgliedschaft in einem Sportverein, die Zughörigkeit zu einer Sportszene oder die Teilnahme am Sportunterricht können Hinweise für konjunktive Erfahrungsräume sein. Die gemachten Erfahrungen sind dabei an die konkrete Handlungspraxis gebunden und weisen für die Personen eine leiblich-sinnliche Fundierung auf. Der wissenssoziologische Ansatz möchte nun aber nicht die einzelnen Personen, sondern die soziale Handlungspraxis in ihrer Herstellung und ihrem Vollzug untersuchen und die dabei zur Geltung kommenden konjunktiven Erfahrungsräume beschreiben. Über die Arbeit mit dem Konzept konjunktiver Erfahrungsräume werden ontologisch-faktische Verständnisse von Schule und Freizeit hinterfragt. Ob und wie eine Handlungspraxis zu welcher Art von Schule oder Freizeit gemacht wird, gilt es nicht entlang normativer Setzungen pauschal für alle Akteur*innen zu bestimmen, sondern empirisch aus einer kollektivzentrierten Perspektive entlang konjunktiver Erfahrungsräume zu untersuchen.

Zur kollektiv geteilten Perspektive von jugendlichen Peergroups auf Sport lassen sich bisher nur wenige empirische Befunde finden, die vor allem in der Jugendforschung angesiedelt sind (zum Beispiel Amling 2015; Krüger et al. 2012), also dementsprechend keinen ausdifferenzierten Sportbezug aufweisen. Prinzipiell lassen sich jugendliche Peergroups im Sport aufgrund der gemeinsamen Sozialisationsgeschichte ihrer Gruppenmitglieder als konjunktive Erfahrungsräume beforschen. In einzelnen Peergroups können auf Basis strukturidentischer Erlebnisse weitere Erfahrungsräume entstehen. Zum Beispiel können die Mitglieder einer Peergroup aufgrund geteilter Geschlechts- oder Milieuzugehörigkeiten in zusätzlichen Erfahrungsräumen miteinander verbunden sein. Konjunktive Erfahrungsräume sind daher grundsätzlich mehrdimensional, da sie mit verschiedenen sozialen Zugehörigkeiten einhergehen. Das heißt, in ihnen überlagern sich immer unterschiedliche Erfahrungen aus mehreren Handlungskontexten. Das Konzept des konjunktiven Erfahrungsraums lässt sich demnach auch für die Analyse der Relationen beziehungsweise Verhältnisse verschiedener Erfahrungen in und zwischen Handlungskontexten nutzen. Inwieweit für jugendliche Peergroups Sportunterricht, Vereinssport oder informeller Sport konjunktive Erfahrungsräume darstellen und in welchen Relationen diese zueinander stehen, ist eine empirische Frage. Es gilt dabei, immer erst die strukturidentischen Erlebnisse innerhalb der jeweiligen Kontexte des Sports zu rekonstruieren, um von einem spezifischen Erfahrungsraum sprechen zu können. Auf dieser Basis gilt es dann zu prüfen, wie sich das Verhältnis von Schule und Freizeit zeigt. Vergleichbar der Analysen zum „Schüler*innenhabitus“ (Helsper et al. 2014) ist davon auszugehen, dass auch die Passungsverhältnisse zwischen außerschulischen und schulischen Erfahrungsräumen des Sports in Abhängigkeit außerschulisch „mitgebrachter“ Habitusfigurationen der Schüler*innen sowie schulisch „erwarteter“ Habitusfigurationen in Form feldspezifischer Anforderungsstrukturen variieren.

Auf empirischer Ebene zeigen sich konjunktive Erfahrungsräume insbesondere in den kollektiv geteilten Wissensbeständen jugendlicher Peergroups. Diese Wissensbestände orientieren das Handeln der Gruppenmitglieder und lassen sich als kollektive Orientierungsmuster bezeichnen (Bohnsack 2010). Innerhalb der Orientierungsmuster wird zudem ein explizites und implizites Wissen auf einer kommunikativen beziehungsweise konjunktiven Sinnebene unterschieden (Bohnsack 2010). Beide Wissensbestände haben für Peergroups im Sport handlungsorientierendes Potenzial und nehmen Einfluss, ob und vor allem auch auf welche Art und Weise gehandelt wird. Eine Erforschung der Orientierungsmuster eignet sich daher nicht nur dafür, kollektiv geteiltes Wissen zu erfassen, sondern ermöglicht darüber hinaus, das sonst schwer zugängliche habitualisiert-verkörperte Wissen zu identifizieren, um über die der Handlungspraxis zugrunde liegenden Logiken aufzuklären.

Ausgehend von dem besonderen Potenzial des wissenssoziologischen Zugangs lassen sich drei Forschungsfragen zur Untersuchung jugendlicher Peergroups formulieren: Welche (sportiven) Themen sind für jugendliche Peergroups relevant? Inwieweit lassen sich kollektive Orientierungen des Handelns jugendlicher Peergroups in Schule und Freizeit identifizieren? Was kennzeichnet die Handlungspraxis jugendlicher Peergroups in Schule und Freizeit?

Methodisches Vorgehen

Zur Untersuchung der drei Forschungsfragen bezieht sich der Beitrag auf Daten aus einer DFG-geförderten LängsschnittstudieFootnote 1, in der 16 Gruppendiskussionen mit Jugendlichen geführt und mit der dokumentarischen Methode ausgewertet wurden. Die Kombination aus Gruppendiskussionsverfahren zur Datenerhebung und dokumentarischer Methode zur Datenauswertung hat sich in diversen Studien bewährt und ist prädestiniert für eine Erforschung konjunktiver Erfahrungsräume beziehungsweise kollektiver Orientierungen (u. a. Bohnsack 2010).

Gruppendiskussionsverfahren zur Datenerhebung

Als Gruppen wurden zwischen drei und sechs miteinander befreundete Personen im Alter von 12 bis 13 Jahren und dann noch einmal im Alter von 14 bis 15 Jahren in eineinhalbstündigen Diskussionsrunden befragt. In der ersten Erhebungswelle, die in der 7. Jahrgangsstufe an verschiedenen Schulen in Nordrhein-Westfalen umgesetzt wurde, waren es 16 Gruppen mit insgesamt 71 Personen. Zum zweiten Erhebungszeitpunkt in der 9. Jahrgangsstufe konnten von den 16 Gruppen noch 14 Gruppen befragt werden. Hier waren es insgesamt 55 Personen. Bei der Auswahl der Gruppen wurde auf ein möglichst heterogenes Sample geachtet entlang der Kriterien Geschlecht, Migration und Schulform. Das Sample konnte als sportaffin bezeichnet werden, da nur zwei Schülerinnen einer Gruppe explizit angaben, in ihrer Freizeit überhaupt nicht sportlich aktiv zu sein. Schüler*innen vom Gymnasium waren im Vergleich zu Schüler*innen von Hauptschulen besonders häufig in den Vereinssport involviert, bei zugleich niedrigen Drop-out-Raten. Zeitintensive szene- und leistungssportliche Engagements wurden nur von wenigen Einzelpersonen betrieben (vgl. zum Sample ausführlich Zander 2020a).

Gruppendiskussionen, die unter Bezugnahme auf die Methodologie dokumentarischer Interpretation geführt werden, sind als Interaktions- und Kommunikationsprozesse zu verstehen, die in ihrem regelhaften Ablauf auf gemeinsame biografische und kollektivbiografische Erfahrungen verweisen (vgl. Schäffer 2011, S. 76). Das für das Verfahren zentrale Merkmal der Selbstläufigkeit ist dann gegeben, wenn die Gruppe der Diskutant*innen sich ihres eigenen Relevanzsystems in Erzählungen und Beschreibungen versichert und (vorrangig) nicht die Relevanzen der Diskussionsleiter*innen bearbeitet (Schäffer 2011, S. 76). Alle Gruppen bekamen zu Beginn der Diskussion die gleiche Ausgangsfrage gestellt, wie sie zur „Gruppe“ geworden sind. Mit dieser Frage sollte herausgefunden werden, wie die Gruppenmitglieder miteinander verbunden sind (zum Beispiel über sportliche Aktivitäten). Immanent anknüpfend an diese Frage wurde für den weiteren Verlauf der Diskussion der erzählgenerierende Grundreiz bezogen auf die zentralen Aktivitäten der Gruppe gesetzt. Hierbei war das Anliegen, schulische und außerschulische Aktivitäten der Gruppe zu erfragen. Im weiteren Verlauf der Diskussion sprach die Gruppe zudem über selbstinitiierte, aber auch vorgegebene Themen.

Dokumentarische Methode zur Datenauswertung

Die Auswertung der Gruppendiskussionen erfolgt nach der dokumentarischen Methode in vier Schritten (Bohnsack 2010, S. 34ff.): Erstens wurden alle Gruppendiskussionen in ihrem thematischen Verlauf paraphrasiert und transkribiert. Die Transkripte basieren auf Richtlinien, die für die dokumentarische Methode entwickelt wurden (Bohnsack 2010, S. 236f.). „@“ steht für Lachen. Die Schüler*innen sind mit einer Kombination von großen und kleinen, das Geschlecht anzeigenden Buchstaben markiert („Aw“ steht für Schülerin A), die Diskussionsleiterin und der Diskussionsleiter sind mit „Y1“ und „Y2“ bezeichnet. Bei allen genannten Namen handelt es sich um Anonymisierungen. Auslassungen in den Zitaten werden so […] markiert. Unverständliche Redebeiträge werden mit einer leeren Klammer ( ) zum Ausdruck gebracht, wobei die Länge der Klammer die zeitliche Dauer des Redebeitrags widerspiegelt. Zweitens wurden einzelne Passagen als Analyseeinheiten nach bestimmten Kriterien ausgewählt (vgl. hierzu u. a. Bohnsack 2010, S. 138) und eine formulierende Interpretation erstellt, die auf den kommunikativ-generalisierten Sinngehalt der Orientierungsschemata bezogen ist. Drittens wurde für dieselben Passagen eine reflektierende Interpretation (zum Teil im Rahmen von Interpretationswerkstätten) verfasst, die eine sequenzanalytische Rekonstruktion des Orientierungsrahmens zum Gegenstand hatte. Hierbei ist besonders relevant, wie die Gruppe ein spezifisches Thema behandelt, was vor allem über die Diskursorganisation zum Ausdruck kommt. Viertens wurden über fallinterne und -übergreifende Vergleiche fallspezifische Orientierungsmuster rekonstruiert. Diese vergleichende Analyse ist für die dokumentarische Methode wesentlich. Sie mündet in sinn- und anschließende soziogenetische Typen.

Untersuchungsergebnisse

Die Ergebnisse werden entlang der drei Fragestellungen in drei Teilkapiteln dargestellt. Für eine Bestimmung der Verhältnisse von Schule und Freizeit bauen die Erkenntnisse der Teilkapitel aufeinander auf, wobei der erste Ergebnisteil auch dazu gedacht ist, die 16 befragten Gruppen näher zu beschreiben.

Themen jugendlicher Peergroups

In dem Sample finden sich zum einen eng miteinander verbundene kleinere Peergroups mit drei bis vier Mitgliedern und zum anderen lose größere Peergeflechte mit bis zu sechs Jugendlichen. Es gibt Peergroups, die sich dezidiert als eine Gruppe verstehen und damit auch ihre Grenzen deutlich nach innen und außen markieren, und andere, die sich stärker in Peerkollektiven verortet sehen und zum Beispiel auf den gemeinsamen Klassen‑, Jahrgangs- oder Schulkontext rekurrieren. Unabhängig von der Varianz in den Formen ihrer Vergemeinschaftung sind den befragten Peergroups das gemeinsame Lachen und miteinander Reden wichtig und sie vertreten Werte wie Freundschaft, Verschwiegenheit und Hilfsbereitschaft.

Die Gemeinsamkeiten der Gruppenmitglieder innerhalb einer Peergroup werden häufig im Zusammenhang mit den Unterschieden zu anderen Peergroups von den befragten Jugendlichen zum Thema gemacht. Wie auch andere Studien der Peerforschung bestätigen (Amling 2015), ist die Selbstdefinition jugendlicher Peergroups als Gruppe durch die Thematisierung von Normalitätsvorstellungen geprägt und durchsetzt von einer Beschreibung des Anders-Seins (vgl. Zitat der Gruppe 2):

Cw: Also unsere Gruppe (.) wir sind voll schräg, also wir sind nich normal.

Bw: @

Y1: LEcht ( )

Dw: Also wir sind wie eine Familie.

Über die Thematisierung von Zugehörigkeits- und Differenzverhältnissen wird deutlich, dass den befragten Jugendlichen ihre Peerbeziehungen sehr wichtig sind und die Peerbeziehungen einen besonderen Erfahrungsraum darstellen. Allein durch das Zusammensein mehrerer Personen entstehen innerhalb Peergroups besondere Erlebnis- und Gesprächsanlässe. Sich „treffen“, „chillen“ oder „in die Stadt gehen“ sind nur einige Labels dafür, dass eine Peergroup nicht viel braucht, wenn sie sich mit sich beschäftigen kann. Peergroups können auf viele Routinen zurückgreifen und einige sind darüber hinaus durch eine hohe Kontinuität gekennzeichnet, da sich die Jugendlichen schon über einen längeren Zeitraum kennen. So reicht die Genese der befragten Gruppen in Teilen bis in die frühe Kindheit zurück, wo die Gruppen in Institutionen (Kindergarten) und privaten Zusammenhängen (Nachbarschaften oder erweiterter Familienkreis) entstanden sind. Maßgeblich für die Gruppenkonstellation zum Zeitpunkt der Befragung war dann aber die Schule, da es durch sie zu einer Intensivierung bestehender und/oder zum Aufbau neuer Beziehungen kam. Während in Teilen zwar noch Beziehungen aus der Grundschulzeit den Wechsel in Schulen der Sekundarstufe überdauern, haben sich im 7. Schuljahr die befragten Gruppen als Gruppen so gefestigt, dass sie jeweils auch weitgehend noch zur zweiten Erhebungswelle im 9. Schuljahr bestanden.

Aus der Außensicht der Forschenden sind die befragten Peergroups in der Regel nicht über ein einziges Leitthema angemessen zu beschreiben. Ganz im Gegenteil: Peergroups verfügen über mehrere geteilte Interessen und sind nicht zuletzt über mehrere gemeinsame Aktivitäten im Rahmen der Schule miteinander verbunden. Schule ist für den Alltag der befragten Peergroups von hoher Bedeutung, da sie dort viel Zeit gemeinsam verbringen. Als zentraler Peerkontext ist sie für die Peergroup mehr als nur ein Lehr-Lernsetting. Sie ist auch nicht immer nur von Harmonie geprägt: Streitigkeiten, Beleidigungen und auch subtile Ausgrenzungspraktiken gehören dazu. Schule ist mithin ein komplexer Erfahrungsraum, der alle 16 befragten Peergroups voll umfasst, wenngleich die einzelnen Gruppen diesen Raum sehr unterschiedlich mit Aktivitäten und Bedeutungen füllen. Insbesondere in Bezug auf den Umgang mit typisch schulischen Ansprüchen (zum Beispiel im Unterricht mitzuarbeiten), Normen (zum Beispiel Regeln des sozialen Umgangs zu befolgen) oder Funktionen (zum Beispiel Bildung zu ermöglichen) zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Peergroups (siehe ausführlich Abschnitt „Kollektive Orientierungen jugendlicher Peergroups“).

Im Hinblick auf den Erfahrungsraum Schule konnten vor allem die Pausen, Klassenfahrten, Ausflüge, AGs, aber auch Schulwege als besonders intensive Peerkontexte identifiziert werden, wo Erlebnisse verstärkt auch in Kleingruppen möglich sind, von denen dann in den Gruppendiskussionen besonders ausführlich berichtet wurde. Auf Unterrichtsebene gewinnt vor allem der Sportunterricht als Bewegungsfach im Vergleich zum „normalen“ Sitzunterricht für Peergroups an Bedeutung. Sportunterricht speist damit seinen peerbezogenen Wert aus seiner schulischen Rahmung beziehungsweise aus dem Kontrast zu anderen Fächern. Er wird oft mehr oder weniger als das „geringste Übel“ im Schulalltag angesehen, da er aus Sicht der befragten Jugendlichen erweiterte Handlungsmöglichkeiten für Peergroups bietet. Sportunterricht zeichnet sich durch großräumige Interaktionen (zum Beispiel Sportspiele), vor den Blicken der Lehrkraft geschützte Räumlichkeiten (zum Beispiel Umkleidekabinen) und gruppenbezogene Praktiken aus (zum Beispiel Einteilung der Schüler*innen in Mannschaften), wodurch die Peergroups auf die Vorderbühne des Unterrichts gelangen. Sportunterricht kann trotz diverser Differenzen in der kollektiven Sinnzuschreibung zwischen den 16 Peergroups als Art von Freizeit innerhalb von Schule gedeutet und als Ort einer Verwirklichung peerbezogener Orientierungen innerhalb von Schule wahrgenommen werden. Für das Verhältnis von Schule und Freizeit ist an dieser Stelle interessant, dass mit dieser Wahrnehmung zugleich auch auf Seiten der Peergroups sehr unterschiedlich Bezüge zu (Sport‑)Aktivitäten in der Freizeit hergestellt werden, was nicht heißt, dass diese Bezüge in Gänze und in jeder Situation des Unterrichts realisiert werden. Einige Peergroups wünschen sich ein wettkampforientiertes Fußballspiel wie im Sportverein, die anderen möchten zu Musik tanzen wie zu Hause, andere möchten risikoreiche Trendsportarten kennenlernen, die sie auf Instagram gesehen haben und wieder andere Peergroups nehmen (zumindest punktuell) nicht am Sportunterricht teil (vgl. Zitat Gruppe 10):

Y1: Was heißt das, ihr macht nicht mit?

Cw: Ja also ich mach schon meistens mit, nur die beiden nicht. Die haben manchmal keine Lust oder haben keine Sachen dabei oder keine Ahnung. Manchmal hab ich auch kein Bock.

Nach der Schule trifft sich ein Großteil der befragten Gruppen auch in der Freizeit. Wie in anderen Studien bestätigt wird (vgl. bereits Büchner und Krüger 1996), fungiert Schule damit nicht nur als Ort für Gleichaltrige, sondern auch als Ausgangspunkt für außerschulische Aktivitäten. Es zeigt sich aber, dass diese Peererfahrungen in der Freizeit selbst sehr unterschiedliche Ausprägungen haben und in diesem Zusammenhang insbesondere auch gemeinsame Freizeitaktivitäten in der Peergroup für einzelne Jugendliche unterschiedlich zugänglich sind. Diese Unterschiedlichkeit lässt sich auch an der sozialen Zusammensetzung der Mitglieder einer Peergroup und ihrer Einbettung in verschiedene größere gesellschaftliche Kollektive ablesen. Während die Peergroups, die am Gymnasium angetroffen wurden, nachmittags als Einzelpersonen in viele Termine und Verpflichtungen eingebunden waren (zum Beispiel Sportverein oder Hausaufgaben), konnten die Peergroups an Hauptschulen relativ frei über ihre gemeinsame Zeit als Gruppe verfügen (siehe ausführlich Abschnitt „Handlungspraxis jugendlicher Peergroups“). Milieuspezifische Vorstellungen (unter anderem Geschlechterrollen), familiäre Einflüsse (Verbote oder Anregungsstrukturen) und wohnräumliche Konstellationen (wie Entfernung zur Schule und zu anderen Peers) spielen in diesem Zusammenhang auch eine wesentliche Rolle.

Wie repräsentative Studien zeigen, nehmen Sportaktivitäten in der Freizeitgestaltung von Jugendlichen häufig einen zentralen Stellenwert ein (u. a. Wolfert und Leven 2019), was sich auch in dieser Studie auf der Ebene der Einzelpersonen bestätigte. Folgt man den Relevanzen der jugendlichen Peergroups, ist dies nicht so eindeutig. Ähnlich wie der Sport in der Schule, ist auch der Sport in der Freizeit nur eine Aktivität unter vielen anderen, die innerhalb von Peergroups vollzogen und vor allem auch verbal verhandelt wird. Peergroup-Handeln ist vor allem Reden. Das Miteinander-Reden verweist nicht nur auf zum Beispiel sportive Erlebnisse, sondern ist selbst ein in der Regel für die Peergroups unterhaltsames Erlebnis. Dies zeigt sich zum Beispiel im „Reden übers Reden“: In den Gruppendiskussionen werden Figuren aus den Massenmedien mit den von ihnen kommunizierten Botschaften aufgegriffen, neben berühmten Stars aus der Film- und Musikbranche waren dies auch bestimmte Influencer oder „normale“ YouTuber, die über ihre Aktivitäten im Netz bei nahezu allen Peergruppen eine hohe Anerkennung erfuhren.

Auch wenn Sport nur bei einzelnen Gruppen die dominante Gruppenaktivität darstellt, gibt es in dem Sample eigentlich nur eine Gruppe, die sich sportiver Bewegung verweigert. Sportivität erscheint als ein gesellschaftlicher Leitwert ohne Alternative, der für die Gruppen zumindest auf kommunikativer Ebene bedeutsam ist. So sind zum Beispiel alle Peergroups gegenüber den Gruppendiskussionsleiter*innen in der Lage, die positiven Wirkungen des Sports („Sport tut gut“) zu benennen, was jedoch kaum Auskunft über die konkrete Handlungspraxis gibt. Zur differenzierten Beschreibung der Praxis des Sporttreibens gilt es daher gerade, die handlungsleitenden Orientierungen der Peergroups in den Blick zu nehmen.

Kollektive Orientierungen jugendlicher Peergroups

Die Auswertung der Gruppendiskussionen zeigt, dass sich innerhalb der jeweiligen Peergroups relativ homogene kollektive Orientierungen herausbilden und diese nicht nur im Sport Geltung beanspruchen. Zudem lassen sich bei den Gruppen (bis auf wenige Ausnahmen) ähnliche Ausprägungen der Orientierung für schulische und für außerschulische Handlungskontexte rekonstruieren, womit auf der Ebene kollektiver Orientierungen die in der Theorie angenommene Entgrenzung des Schul- und Freizeitbereichs bestätigt werden kann. Es sind insgesamt fünf Orientierungstypen jugendlicher Peergroups zu unterscheiden (vgl. ausführlich für die Schule Zander und Stamm 2020 und für die Freizeit Zander 2020b).

Orientierung an Beziehung/Gemeinschaft.

Dieser Orientierungstyp fokussiert auf das Hervorbringen und Ausleben von Gemeinschaft in der Peergroup. Alles dreht sich um die Beziehungen zwischen den Jugendlichen und den Umgang miteinander im Rahmen einer gemeinsamen Handlungspraxis als Gruppe. Schule und Freizeit sind bei diesem Typ ein übergreifender Kontext für Peerbeziehungen. Mit Blick auf die Schule und den Sportunterricht geht die Orientierung an Beziehung/Gemeinschaft mit der Umdeutung und Negierung schulischer und sportiver Erwartungen und Normen einher, getreu der Devise „Wir machen hier unser eigenes Ding“. Diese Orientierung korrespondiert vor allem mit einer selbstorganisierten Freizeitgestaltung, in der die Wahl von Aktivitäten und der Besuch von Orten durch die Peers selbst entschieden werden. Sportaktivitäten werden von den Gruppen nicht betrieben, obwohl sie Interesse am Sport bekunden.

Orientierung an Leistung/Action.

Dieser Orientierungstyp überschneidet sich zum Teil mit dem vorangegangenen. Bezogen auf die Schule setzt er den Akzent, wie vor allem auch körperliche und sportive Leistungen gezeigt und anerkannt werden. Im Sportunterricht demonstrieren Gruppen dieses Typs sportmotorische Fähig- und Fertigkeiten. Mehr auf die Freizeit geschaut ist er stärker auf die Herstellung von Action ausgerichtet, die sich in spannungsvollen Situationen durch informell organisierte Aktivitäten mit Peers einstellen kann. Für die befragten Peergroups, die diesem Orientierungstyp zugordnet werden können, schafft Action eine Art von Zeitvertreib in einer „monotonen“ Freizeit, da die Freizeitgestaltung der einzelnen Jugendlichen auf individueller Ebene kaum ausdifferenziert ist (sie haben zum Beispiel keine festen wöchentlichen Termine etc.). Actionbezogene Erlebnisse haben damit in gewisser Hinsicht eine strukturierende Funktion für die schulfreie Zeit in der Peergroup (Abb. 3). Informelle Sportaktivitäten (zum Beispiel Fußballspielen auf dem Bolzplatz) gehören bei einigen Gruppen dazu, während andere Action ohne Sport erzeugen.

Abb. 3
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Actionbezogene Erlebnisse können eine strukturierende Funktion für die schulfreie Zeit in der Peergroup haben. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Orientierung an Routinen.

Dieser Orientierungstyp ist v. a. in der Freizeit zu finden, aber stark von der Schule gerahmt. Er bildet einen direkten Kontrast zu der Orientierung an Action, da er an wöchentlichen Nachmittagsterminen in Institutionen (zum Beispiel Sportverein) ausgerichtet ist, die zu festgelegten Zeitpunkten regelmäßig an bestimmten Wochentagen bindend stattfinden und die schulfreie Zeit strukturieren. Im Zuge einer jahrelangen Gewöhnung ist die Freizeit der Gruppen damit durch feste Abläufe geprägt und an der Fortschreibung des Bewährten orientiert. Neues oder gar Abenteuerliches (im und außerhalb des Sports) auszuprobieren spielt hier eine nachgeordnete Rolle.

Orientierung an Entwicklung/Optimierung.

Dieser Orientierungstyp fokussiert auf die Entwicklung und Optimierung der Persönlichkeit über die Teilhabe an institutionalisierten schulischen und außerschulischen Angeboten. Im Sportunterricht geht es etwa um die Verbesserung von Bewegungskompetenzen. Die Gruppen teilen kollektiv das Verständnis individualisierter Entwicklungs- und Optimierungsverläufe, was darin zum Ausdruck kommt, dass alle Gruppenmitglieder unterschiedlichen Aktivitäten auf selbstverständliche Weise nachgehen und dies zum Beispiel auch als persönliche Hobbys thematisieren. In diesem Zusammenhang werden auch vielfältige Sportaktivitäten im Verein ambitioniert betrieben, denen eine Wirkung auf die Persönlichkeit zugeschrieben wird. Informelle Sportaktivitäten (unter anderem Freibadbesuche) haben eher einen die Freizeitgestaltung ergänzenden Charakter und dienen der Abwechslung und dem Ausgleich.

Orientierung an Autonomie.

Dieser Orientierungstyp fokussiert auf die Herstellung und Aufrechterhaltung der Autonomie der Jugendlichen in ihrem Handeln in und außerhalb der Schule. Die kollektive Orientierung wird zwar von Gruppen zum Ausdruck gebracht, bezieht sich aber auf die einzelne Person. Vor allem in der aktiv hergestellten Abgrenzung zu anderen Personen wird Autonomie auch als Individualität sichtbar. Im Mittelpunkt steht dabei das Erleben von Übereinstimmung jedes Einzelnen mit seinen Gefühlen, Bedürfnissen, Interessen etc. und einer damit verbundenen Entscheidungsfreiheit bezüglich der Teilnahme an Angeboten. Sport in und außerhalb der Schule ist vor allem als selbstbestimmte Sportrealisation für diese Gruppen interessant.

Die fünf Orientierungstypen verdeutlichen, dass die Handlungspraxis jugendlicher Peergroups sehr unterschiedlich ausgerichtet sein kann. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Orientierungen beschreiben auf Wissensebene das Erleben jugendlicher Peergroups als jeweils eigenständige Erfahrungsräume. Aus der kollektivzentrierten Perspektive treffen damit pauschalisierende Aussagen über „die“ Schule oder „die“ Freizeit von Jugendlichen nicht zu. Dies gilt auch hinsichtlich des Sporttreibens in Schule und Freizeit, was eng die inhaltlichen Ausprägungen der Orientierungen und ihre Genese begünstigen kann. Innerhalb der übergeordneten Orientierungen erhalten Bewegung, Spiel und Sport unterschiedliche Funktionen. In Abhängigkeit der jeweiligen Orientierung steht dabei nicht die Frage im Vordergrund, was für ein Sport gemacht wird, sondern wie diese Aktivität betrieben wird. Gerade ein mehr oder weniger regelmäßiges Sportengagement muss zur jeweiligen Orientierung der Jugendlichen passen. Vereinssport wird insbesondere unter einer Orientierung an Routinen oder Optimierung von Gymnasialgruppen kombiniert mit anderen institutionalisierten Aktivitäten praktiziert, während institutionelle Freizeitangebote von den befragten Hauptschüler*innen generell kaum genutzt werden. Die Ausprägungen ihrer Orientierung gehen tendenziell mit einer besonders großen Kluft zu solchen Freizeitangeboten einher. Ihre Orientierungen an Action und Autonomie stehen in einer tendenziell spannungsreichen Passung zu Sportvereinen und zu Institutionen allgemein.

Wird der Blick auf die konkrete Sportpraxis in Schule und Freizeit gelenkt, zeigen sich Unterschiede der Handlungsstrategien von jugendlichen Peergroups zu anderen Personengruppen mit differierenden Orientierungen. Während die Freizeitgestaltung durch ihren Wahlcharakter zu relativ homogenen Peerkonstellationen führt, kennzeichnen widersprüchliche Situationen oder Spannungen zwischen unterschiedlichen Verhaltenserwartungen den Erfahrungsraum Schule. Im teils konflikthaften Zusammenspiel verschiedener Orientierungseinflüsse bilden sich auch im Sportunterricht spezifische Handlungspraxen heraus, was als eine Art informellen Lernens im Sinne eines sukzessiven „Anpassungsprozesses“ an die Erlebnisstrukturen des Sportunterrichts charakterisiert werden kann. In Abhängigkeit von zum Beispiel tendenziell leistungs-, entwicklungs- oder beziehungsbezogenen Orientierungen lassen sich die Handlungspraxen im Sportunterricht exemplarisch unterscheiden. Während bei leistungsbezogenen Orientierungen eher eine Benotung diskutiert, sportive Leistungen als Schulleistungen präsentiert werden oder Inhalte mitbestimmt und Regeln verändert werden, sind die Handlungspraxen bei entwicklungsbezogenen Orientierungen eher auf eine Distanzierung von störenden Mitschüler*innen oder die Rolle von Lehrer*innen ausgerichtet. Neben dem Einfordern von Fürsorge, können hier auch das Vortragen von Kritik am Unterricht, das Einordnen schlechter Noten und anderes mehr als pragmatische Handlungsstrategien der Bearbeitung einer diskrepanten Passung verstanden werden. Schüler*innengruppen mit beziehungsbezogenen Orientierungen hingegen fokussieren eher auf ein Vermeiden beschämender Situationen, ein Beleidigen oder Auslachen von Mitschüler*innen, ein sich Herausziehen aus dem Unterricht, auf den Umgang mit dem anderen Geschlecht etc. Diese hier nur grob benannten Handlungspraxen zeigen, wie Jugendliche die Anforderungen der Teilnahme auch im Rückgriff auf Erfahrungen aus anderen Kontexten bewältigen, (An‑)Passungsarbeit leisten und dadurch gruppenspezifische Verhältnisse von Schule und Freizeit herstellen. Auch wenn die befragten Gruppen mehrheitlich von ihren außerschulischen Erfahrungen im Sportunterricht profitieren dürften, sind für einige wenige kaum Anschlussstellen gegeben.

Handlungspraxis jugendlicher Peergroups

Die Rekonstruktion kollektiver Orientierungen lenkt den Blick auf die Herstellung und den Vollzug der Handlungspraxis jugendlicher Peergroups. Dabei werden situationsübergreifende Logiken sichtbar, die die Art und Weise des Handelns bestimmen. Bezogen auf das Sporttreiben wird so auch keine isolierte Sicht eingenommen, sondern stattdessen der Blick geöffnet für das „Drumherum“ der körperlich-motorischen Aktivitäten, die sozialen Kontexte und ihre Relationen zueinander. Hierbei wird deutlich, dass sich das sportbezogene Handeln jugendlicher Peergroups in Schule und Freizeit in einem größeren Rahmen zwischen den Polen geplantes vs. spontanes Handeln verorten lässt. Im schulischen Handeln zeigt sich diese Polarisierung eher subtil, in der Freizeitgestaltung hingegen ganz offenkundig. Während die Mitglieder einiger Peergroups als Einzelpersonen einen jeweils stark strukturierten Wochenablauf haben (zum Beispiel neben der Teilnahme am Musik- und/oder Konfirmandenunterricht noch systematisch in Sportvereinen trainieren und an Wochenenden an Wettkämpfen teilnehmen), verbringen andere Jugendliche ihre Freizeit vor allem in ihrer Peergroup. Informelle Sportaktivitäten sind hier Teil eines ganz spontanen Handelns (vgl. Zitat Gruppe 13):

Y2: Und was macht ihr so zusammen?

Cm: Ehm Fußball spielen.

Dm: Fußball spielen, manchmal Spaßkloppe-

Cm: LFußball spielen, Ketschen, sowas-aber natürlich verstehen wir alle so Spaß. Dann-was machen wir noch?

Dm: Im Park chillen.

Cm: So einmal nach Schule vielleicht, wenn wir eine Stunde frei haben, im Park so zu spielen oder so. Was lachst du? Ja sag-sag du doch was-

Bm: Ne du-Ja das gleiche was er gesagt hat.

Em: Oder wir fahren auch manchmal Fahrräder. Eh da fahren wir bis zu Kanal. Wir gehen Park-X-ja da kommen wir eben wieder zurück. Dann nach paar Tagen gehen wir-verabreden wir uns wieder und dann gehen wir nach Stadtteil‑X. Auf die Berge. Und dann ja-bleiben wir da eine Stunde so und kommen wieder zurück.

Ob die Mitglieder einer Peergroup geplant oder spontan handeln, korrespondiert eng mit ihren Orientierungen. Insbesondere die Orientierungstypen von Gemeinschaft und Action, bei denen die Peergroup die konstante Bezugsgruppe und das Zentrum der Freizeitgestaltung darstellt, zeigen, dass der Zugang zu weiteren, also mehreren Bezugsgruppen, zwischen den befragten Jugendlichen ungleich verteilt ist. Hier lassen sich zwei polar unterschiedliche Formen der Freizeitgestaltung mit differenten Erfahrungsräumen identifizieren: eine individuelle Freizeitgestaltung in mehreren Bezugsgruppen (in der Regel Familie, Sportverein, Musikschule) und/oder kollektive Freizeitgestaltung innerhalb weniger beziehungsweise nur einer Bezugsgruppe (in der Regel der Peergroup). Die befragten Hauptschüler*innen zeigen eine Art peerbezogene Grundorientierung, die als Reaktion auf die Problemlage der Hauptschüler*innen allgemein verstanden werden kann (Wellgraf 2012): Die schul- und berufsbezogene Perspektivlosigkeit – bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Stigmatisierung – steigert die Attraktivität der Peergroup als zentraler Bezugsgruppe, da die Schüler*innen (nur) hier Selbstwirksamkeit und Anerkennung erleben. Bildungsungleichheit kann damit als zentraler Schlüssel für die Erklärung der Unterschiede in den kollektiven Orientierungen jugendlicher Peergroups verstanden werden (vgl. ausführlich Zander 2016).

Innerhalb der grundlegenden Rahmung von geplantem und spontanem Handeln sind auch die Bedeutung und Funktion von Schule, aber auch von Freizeit zu sehen. Freizeit kann schulische Anliegen unterstützen und Schule ein Teil der alles umfassenden freizeitartigen Peerwelt sein. Die oben beschriebenen Orientierungen werden mit ihrer situationsübergreifenden Logik gleichsam zu einem Vermittlungsphänomen zwischen Schule und Freizeit, das Handlungskontexte überformen und Erwartungen aktualisieren kann. Die Orientierungen liefern Einblicke in vergangene Erlebnisse, die jedoch aufgrund ihres handlungsleitenden Charakters auch für die Zukunft von Bedeutung sind. Orientierungsprozesse sind dabei dynamisch zu verstehen. Mit Blick auf die sich stetig orientierenden jugendlichen Peergroups kommt es so auch zu einem Auftauchen und Verschwinden einzelner Orientierungsgehalte aus dem Horizont der Akteur*innen. Zum Beispiel gewinnt die Schule bei allen befragten Peergroups im Zeitraum von der 7. bis zur 9. Jahrgangsstufe an Bedeutung, was wohl mit dem näher rückenden Schulabschluss und dem damit verbundenen Statusübergang in die Berufswelt zu erklären ist.

Fazit und Ausblick

Die Ergebnisse zusammenfassend wird deutlich, dass für die 16 befragten Peergroups vor allem solche Themen bedeutsam sind, die an gemeinsame Erlebnisse in der Gruppe (Abb. 4) gebunden kollektiv geteilte Erfahrungen möglich machen. Besondere Relevanz erhalten dabei auch Aktivitäten, die vielleicht auf den ersten Blick banal wirken („chillen“, „in die Stadt gehen“, „miteinander reden“), aber Räume für Interaktionen innerhalb der Gruppe schaffen. Neben dem informellen Sport in der Freizeit wird auch der Sportunterricht von den befragten Gruppen gerne als Kontext für Peerinteraktionen genutzt. Die hohe Bedeutsamkeit von Peerinteraktionen für Jugendliche kann jedoch erst einmal unabhängig vom Handeln in Schule und Freizeit sowie von schulischen und außerschulischen Sportengagements konstatiert werden. Bestätigt werden damit Befunde, die mit Blick auf das Jugendalter die Bedeutung von Peerkontexten als zentrale Erfahrungsräume hervorheben und betonen, dass diese nicht nur im Rahmen der Freizeit, sondern vor allem auch innerhalb von Institutionen wie Schule existieren (u. a. Krüger et al. 2012). Während in diesen Befunden nur punktuelle Bezüge zum Sport aufgemacht werden, zeigt der vorliegende Beitrag unter anderem differenziert die sportiven Erfahrungsräume in Schule und Freizeit auf und wie diese aus kollektiv geteilter Perspektive jugendlicher Peergroups genutzt, wahrgenommen und bewertet werden.

Abb. 4
figure 4

Gemeinsame Erlebnisse in der Gruppe, hier auf dem Beachvolleyballfeld. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Auch wenn die befragten Peergroups gewisse Gemeinsamkeiten im Hinblick auf die Relevanz von Themen zeigen, werden auch diverse Unterschiede zwischen ihnen sichtbar. Diese Unterschiede betreffen die Art und Weise des Handelns, was entlang der fünf im Beitrag beschriebenen Orientierungstypen verdeutlicht werden kann (Beziehung/Gemeinschaft, Leistung/Action, Routinen, Entwicklung/Optimierung, Autonomie). Anders als bisherige Studien, die über Typologien vor allem das sportive Handeln beschreiben (vgl. zum Beispiel für den Vereinssport Messmer und Brea-Steffen 2016), gelten diese Orientierungstypen auch über den Sport hinaus. Darüber hinaus konnten mithilfe der fünf Orientierungstypen starke Homologien des Handelns in Schule und Freizeit herausgearbeitet werden. Peergroups handeln tendenziell ortsunabhängig, zumindest streben sie sowohl in der Schule als auch der Freizeit nach der Verwirklichung ihrer Orientierung. Die theoretisch angenommenen Tendenzen einer Entgrenzung von Schule und Freizeit (u. a. Zinnecker 2008) lassen sich daher mit Blick auf das Handeln jugendlicher Peergroups auch empirisch konstatieren. Schule und Freizeit sind für jugendliche Peergroups zwar eng miteinander verwoben, wobei das, was die einzelnen Gruppen jeweils unter Schule und Freizeit verstehen, in Abhängigkeit von den kollektiven Orientierungen gesehen werden kann. Sowohl der Schul- als auch der Freizeitbereich sind einerseits so stark ausdifferenziert und anderseits so unterschiedlich konstruiert, was generelle Aussagen über „die“ Bedeutung des Vereins‑, Schul- oder informellen Sports auch für jugendliche Peergroups schwierig macht.

Mit Blick auf die Verhältnisse von schulischem und außerschulischem Sport rückt im Beitrag vor allem der für alle Heranwachsende verpflichtende Sportunterricht in den Fokus. Während Sportengagements in der Freizeit aufgrund von verschiedenen (auch schulischen) Einflüssen begonnen, gewechselt oder beendet werden können, gilt es für Peergroups, sich mit dem Schulsport vor dem Hintergrund ihrer (auch außerschulisch) gemachten Erfahrungen mithilfe von Handlungsstrategien zu arrangieren. In diesem Zusammenhang lassen sich bei den 16 befragten Gruppen sowohl harmonische, ambivalente als auch diskrepante Passungsverhältnisse zwischen schulischen und außerschulischen Sportengagements identifizieren. Harmonische Passungen sind durch eine hohe Übereinstimmung der sportbezogenen Orientierungsmuster einer Gruppe in Bezug auf die außerschulischen und schulischen Felder des Sports gekennzeichnet. Ambivalente Passungen zeichnen sich durch eine partielle Übereinstimmung aus, während diskrepante keine Übereinstimmung oder eine gegensätzliche Ausrichtung der sportbezogenen Orientierungsmuster aufweisen. Ähnlich wie die Reanalyse der SPRINT-Daten für Einzelpersonen deutlich macht (Burrmann 2015), ist auch für Gruppen von Schüler*innen von unterschiedlichen Einflüssen auf die Wahrnehmung und Bewertung des Sportunterrichts auszugehen, wobei sich ein außerschulisches Sportengagement nicht zwangsläufig positiv auswirkt. Die Reanalysen ergänzend geraten durch die vorliegende Studie auch die Handlungspraxis sowie die damit verbundene Herstellung der Passungsverhältnisse in den Blick. So wird zum Beispiel bei diskrepanten Passungen die Distanz zu den Anforderungen des Sportunterrichts durch eine schulnahe Orientierung kompensiert. Alternativ wird der Ausrichtung des Unterrichts mit einer starken Kritik an der Lehrkraft begegnet oder die Teilnahme am Unterricht verweigert. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass die Prozesse und Ergebnisse der sozial hergestellten Passung zwischen außerschulischem und schulischem Sport entlang sozialer Zugehörigkeiten und Anerkennungsverhältnisse variieren und damit auch einen Beitrag zur (Re‑)Produktion sportbezogener Ungleichheit leisten. Zugleich wirken grundlegende Rahmenbedingungen, die in einer geplanten vs. spontanen Handlungspraxis jugendlicher Peergroups von Gymnasien und Hauptschulen zum Ausdruck kommen und durch implizite Mechanismen im Umgang mit der Bildungsungleichheit in Deutschland erklärt werden können.

Der vorliegende Beitrag wirft neben seinen Erkenntnissen auch offene Fragen auf. Das nicht abgeschlossene Spektrum an Orientierungen deutet die große Vielfalt an Erwartungen, Wünschen und Interessen jugendlicher Peergroups an, wobei sich die Spezifizität der Gruppen noch einmal auf Einzelfallebene zuspitzen dürfte und einzelne Typen nicht mit dem Handeln einzelner Gruppen gleichgesetzt werden können. Ob und wie Sport in der Schule und in der Freizeit betrieben wird und inwieweit beide Sportbereiche miteinander kompatibel sind, ist für Peergroups mit Blick auf einzelne Gruppen empirisch durch fallbezogene Prozessanalysen weiter im Detail zu klären. Insbesondere differenzierte Fallrekonstruktionen zu den konkreten Transferprozessen zwischen schulischem und außerschulischem Handeln sind in Zukunft weiter für Peergroups zu forcieren. Eine Erforschung der Transferprozesse eröffnet der sportwissenschaftlichen Peerforschung vielfältige Fragestellungen und kann darüber hinaus für die Bearbeitung sportpraktischer Aufgaben genutzt werden, zum Beispiel wie das Lernen im Sportunterricht für Peergroups auf Basis vereinssportlicher Vorerfahrungen gestaltet werden kann oder wie sich im Hinblick auf das Jugendalter Trainingsprozesse im Vereinssport von sportunterrichtlichen Vermittlungskonzepten abgrenzen lassen.