FormalPara Originalpublikationen

Christoph Breuer (Gesamtleitung), Christine Joisten und Werner Schmidt (Hrsg.): Vierter Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht. Gesundheit, Leistung und Gesellschaft. Schorndorf 2020: Hofmann. 430 Seiten; 60 €; ISBN 978-3-7780-9180‑7.

Marc Calmbach, Bodo Flaig, James Edwards, Heide Möller-Slawinski, Inga Borchard, Christoph Schleer: SINUS-Jugendstudie 2020. Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. Bonn 2020: Bundeszentrale für politische Bildung. 624 Seiten; 4,50 €; ISBN 979-3-7425-0531‑6.

Kürzlich sind zwei umfangreiche Publikationen erschienen, die Auskunft geben über eine Frage, die uns alle interessiert: Was wissen wir eigentlich aktuell über den Kinder- und Jugendsport? Beide Publikationen, der vierte Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht und die SINUS-Jugendstudie, sind völlig unterschiedlich „gestrickt“. Bei der einen Veröffentlichung handelt es sich um einen Sammelband mit verschiedenen Aufsätzen, bei der anderen um Ergebnisse einer Befragung von Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren in Deutschland, die gezielt über ihren Lebensalltag und Interessenfelder Auskunft geben. Dazu gehörte jetzt erstmals der Sport.

Die Frage bleibt: Was wissen wir nun aktuell über den Sport von Kindern und Jugendlichen? Beide Werke zusammen umfassen mehr als 1000 Druckseiten. Deswegen soll hier der Weg in die Lektüre der beiden dicken Bände ein wenig vorgespurt werden für alle, die im Kinder- und Jugendsport tätig sind beziehungsweise sich für den Sport mit Kindern und Jugendlichen interessieren. Womöglich lassen sich dabei so ganz nebenbei auch die eigenen praktischen Erfahrungen mit dem wissenschaftlichen Forschungsstand aus den Publikationen kontrastieren und perspektivisch neu verorten.

Zunächst zum neuen Kinder- und Jugendsportbericht: Wie seine drei Vorgänger aus den Jahren 2003, 2008 und 2015 will auch der vierte Bericht „ein umfassendes Bild der aktuellen Situation des Kinder- und Jugendsports in Deutschland vermitteln“ (S. 8). Insgesamt 19 Autorinnen und 19 Autoren aus Deutschland (von Paderborn bis Leipzig), der Schweiz (hier: Zürich) und aus Österreich (hier: Innsbruck und Graz) haben daran mitgewirkt. Sie kommen größtenteils aus der Sportwissenschaft, aber auch aus anderen Wissenschaftsdisziplinen (zum Beispiel Humanernährung und Lebensmittelkunde) und Einrichtungen (zum Beispiel Deutsches Gelenkzentrum Heidelberg). Der Aufbau mit insgesamt 18 Beiträgen ist ähnlich wie bei seinen drei Vorgängern – nur: Die Schwerpunktsetzung gemäß Untertitel mit den drei Themen „Gesundheit, Leistung und Gesellschaft“ ist diesmal neu.

Neu zusammengesetzt ist auch das Herausgeber*innenteam um Werner Schmidt (Universität Duisburg-Essen), der schon seit dem ersten Bericht dabei ist, ferner jetzt mit Christoph Breuer als (neue) „Gesamtleitung“ und mit Christine Joisten (beide Deutsche Sporthochschule Köln). Die drei liefern gleich vorn in der Einleitung auch eine Begründung für die neue Schwerpunktsetzung – explizit formuliert als „Leitgedanken“. Demnach sind erstens Sport und Bewegung im Kindes- und Jugendalter zunehmend gesundheitsrelevant geworden (Abb. 1). Weiterhin verschiebt sich zweitens die Bedeutung von Leistung als Kernelement des Kinder- und Jugendsports zunehmend. Und schließlich wirft drittens die neuere Sportentwicklung grundsätzliche Fragen nach dem gesellschaftlichen Wert des Sports auf – nicht nur, aber auch gerade für den Kinder- und Jugendsport.

Abb. 1
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Ein Leitgedanke im vierten Kinder- und Jugendsportbericht: Sport und Bewegung sind im Kindes- und Jugendalter zunehmend gesundheitsrelevant geworden. (Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann)

Damit wird dem vierten Kinder- und Jugendsportbericht eine Rahmung gegeben, die erst recht reges Leseinteresse bei allen Interessierten nach sich ziehen könnte, die Verantwortung im Kinder- und Jugendsport tragen – mehr noch: Wir können diese „Leitgedanken“ auch als Thesen begreifen, die in den einzelnen Beiträgen mit aktuellen empirischen Befunden unterfüttert werden oder aber zu verwerfen sind. Nur: Ein solches abschließendes Urteil setzt die gründliche Lektüre aller Beiträge voraus.

Was den Aufbau des neuen Kinder- und Jugendsportberichts angeht, bietet das Herausgeber*innenteam schon in der Einleitung eine inhaltliche Einordnung quasi als Leseanleitung für die insgesamt vier Hauptkapitel an – denn: Den drei schon genannten thematischen Schwerpunkten ist ein erstes Kapitel mit vier Aufsätzen über die „Gegenwärtige Situation“ (Titel des Kapitels) im Kinder- und Jugendsport vorangestellt. Die hier referierten Daten und Informationen sollen ein differenziertes Bild der aktuellen Situation geben und sind gleichsam Ausgangspunkte für die weiteren Analysen der Folgekapitel.

Worum geht es hier genau? Mitherausgeber Werner Schmidt beispielsweise schreibt über „Gesellschaftliche Rahmenbedingungen von Kindheit, Jugend und Sport im Wandel der Zeit“, während der Gießener Sportsoziologe Michael Mutz „ein Update des Forschungsstands“ zu „Sport- und Bewegungsaktivitäten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ anbietet. Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich zum einen mit „Motorische Leistungsfähigkeit“ (hier: eine siebenköpfige Gruppe aus dem Karlsruher Institut für Technologie und der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe) und zum anderen mit „Digitalisierung und körperlicher Aktivität“ im Spannungsfeld von „Risiken und Nutzen digitaler Medien für Bewegung und Gesundheit“ (hier: Petra Wagner und Hagen Wulf von der Universität Leipzig).

Gesundheit ohne Befunde

Beim Schwerpunktthema Gesundheit, dem ebenfalls vier Beiträge im Band zugeordnet sind, überwiegt eine natur- beziehungsweise medizinische Zugangsweise: Es geht hier zunächst ganz elementar um „Bewegung als Fundament einer gesunden Entwicklung von Kindern und Jugendlichen“ (Autorin: Christine Joisten), aber zum Beispiel auch um „Präventives Potenzial von Bewegung und Ernährung in verschiedenen Lebenswelten“ (von einer dreiköpfigen Gruppe der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) sowie um „Bewegung und Sport bei ausgewählten chronischen Erkrankungen“ (von Susanne Kriemler aus Zürich und Holger Schmitt aus Heidelberg).

Kontrastiert man diese Themen beziehungsweise Beitragstitel mit dem ursprünglichen Leitgedanken der Herausgebenden des Bandes, wonach Sport und Bewegung im Kindes- und Jugendalter angeblich zunehmend gesundheitsrelevant geworden sind, dann fragt man sich erst recht, wo genau das im Band (vielleicht sogar über eine aktuelle Längsschnittstudie?) erhärtet wird – oder noch ganz anders: Inwiefern spielt sich denn diese neue Gesundheitsrelevanz auch in den Köpfen der Kinder und Jugendlichen ab: Erheben sie womöglich das Gesundheitsmotiv zunehmend zur eigenen subjektiven Präferenz bei der Interessenzuschreibung ihrer sportlichen Aktivitäten? Und wie lassen sich eigentlich in der Wahrnehmung der körperlichen Aktivitäten der Kinder und Jugendlichen zum Beispiel Gesundheit und Fitness „als Sport“ abgrenzen beziehungsweise zusammen denken? Sorry – aber soweit ersichtlich, werden dazu weder in den Aufsätzen zur Gesundheit noch anderswo im Band aktuelle Befunde geliefert.

Leistung mit Verbesserungsbedarf

Beim Schwerpunktthema Leistung, dem ebenfalls vier Beiträge im Band zugeordnet sind, überwiegt neben dem Beitrag über „Schulsport und Leistungsprinzip“ (von Günter Stibbe aus dem Institut für Sportdidaktik und Schulsport der Deutschen Sporthochschule Köln und Sebastian Ruin von der Karl-Franzens-Universität Graz) ein leistungssportlicher Zugang (Abb. 2): Dabei geht es beispielsweise um die „Möglichkeiten und Rolle des Sportvereins im leistungsorientierten Kinder- und Jugendsport“ (von einer dreiköpfigen Gruppe um Christoph Breuer aus dem Institut für Sportökonomie und Sportmanagement der Deutschen Sporthochschule Köln), ferner um die „Talententwicklung im Fördersystem des Nachwuchsleistungssports“ (von Michael Barth aus Innsbruck und Eike Emrich aus Saarbrücken) und um die „Förderung Dualer Karrieren im Leistungssport“ (von Jerry Sallen und Erin Gerlach von der Universität Potsdam).

Abb. 2
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Im vierten Kinder- und Jugendsportbericht überwiegt beim Schwerpunktthema Leistung der leistungssportliche Zugang. (Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann)

Stellt man diese Themen beziehungsweise Beitragstitel dem ursprünglichen Leitgedanken der Herausgebenden des Bandes gegenüber, wonach sich die Bedeutung von Leistung im Kinder- und Jugendsport angeblich verschiebt, dann bleibt bis hierin zumindest offen, in welche Richtung diese Verschiebung geht: Wollen vielleicht immer weniger Kinder und Jugendliche immer weniger Leistungssport betreiben? Dafür gibt es zumindest keine Befunde von den Kindern und Jugendlichen selbst. Das Interesse der Herausgebenden beziehungsweise Autor*innen lautet vielmehr, „insbesondere Unterstützungsstrukturen und -systeme für den Nachwuchsleistungssport, aber auch grundlegende Ansätze der Talentförderung kritisch“ (S. 13) zu beleuchten. Offenbar gibt es hier Defizite respektive Verbesserungsbedarfe.

Gesellschaft mit weit gespanntem Bogen

Beim Schwerpunktthema Gesellschaft, dem mit sechs Beiträgen größter Raum im Band zugemessen wird, liegt der Zugang beim gesellschaftlichen Wert des Sports speziell aus der Sicht des Kinder- und Jugendsports: Hier geht es um „Prosoziale Werte und Werthaltungen im Sport“ (von Ulrike Burrmann aus der Humboldt-Universität zu Berlin und Svenja Konowalczyk von der TU Dortmund) genauso wie um „Körpernormen und Körperdevianzen“ (von einer dreiköpfigen Tübinger Gruppe um den Sportsoziologen Ansgar Thiel) und um „Vorbilder für den Kinder- und Jugendsport“ (von Pamela Wicker von der Universität Bielefeld), aber auch um die „Kosten des Kinder- und Jugendsports“ (von einer dreiköpfigen Gruppe aus dem schon genannten Institut der Deutschen Sporthochschule Köln) sowie um den „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt und Missbrauch im Sport“ (von Bettina Rulofs von der Bergischen Universität Wuppertal) und schließlich um „Inklusion im Kinder- und Jugendsport unter besonderer Berücksichtigung der Heterogenitätsdimension Behinderung“ (von Sabine Radtke und Cindy Adolph-Börs aus Paderborn).

Kontrastiert man diese Themen beziehungsweise Beitragstitel mit dem ursprünglichen Leitgedanken der Herausgebenden des Bandes, wonach die neuere Sportentwicklung Fragen nach dem gesellschaftlichen Wert, respektive für den Kinder- und Jugendsport aufwirft, dann wird mit den sechs Beiträgen der Bogen inhaltlich weit gespannt zwischen wünschenswerten Erwartungen beziehungsweise positiven Entwicklungen auf der einen Seite, die es zu unterstützen gilt, und Defiziten und Gefährdungen, die eingedämmt beziehungsweise bestenfalls vollständig beseitigt werden müssen auf der anderen Seite. Insofern ist es fast schon etwas bedauerlich, dass zwar vorn in der Einleitung der Herausgebenden Schlagworte wie Medikamentenmissbrauch und Doping als thematische Begriffe fallen, sie aber in den Beiträgen selbst nicht weiter in ihrem aktuellen Stellenwert als mögliche Gefährdungspotenziale problematisiert werden.

Kurz noch einmal zurück an den Anfang des vierten Kinder- und Jugendsportberichts: Der beginnt nämlich mit dem Hinweis der Herausgebenden, dass die Anfertigung aller Beiträge zeitlich voll vom pandemischen Lockdown des Kinder- und Jugendsports erfasst wurde, aber die Auswirkungen für den Kinder- und Jugendsport verständlicherweise nicht in die Texte miteinfließen konnten. Aus der Perspektive der sportbezogenen Kinder- und Jugendforschung erwächst daraus jetzt „ein Feldexperiment zur Bedeutung von Sport und Bewegung für die kindliche und jugendliche Entwicklung“ (S. 9). Egal, wie dieses Feldexperiment rein forschungsmäßig dann zu bearbeiten ist, ganz entscheidend wird sein, ob der Kinder- und Jugendsport gestärkt aus der hoffentlich bald beseitigten Pandemie hervorgeht. Dazu können die neun prägnanten Handlungsempfehlungen im Band („Bewegungsanreize im Alltag ausbauen“, „Nachfrage erhalten“ (nach Kinder- und Jugendsport), „System Schule anpassen“, „Physical Literacy leben“, „Chronisch kranke Kinder unterstützen“, „Leistungsbereitschaft vermitteln“, „Programmentwicklung vorantreiben“, „Implementationsschwierigkeiten überwinden“, „Daten zu unerforschten Gefährdungslagen bereitstellen“Footnote 1) als wegweisende Leitplanken dienen. Bleibt zu hoffen, dass der fünfte Kinder- und Jugendsportbericht freudige Entwicklungen im Kinder- und Jugendsport verkündet, wenn er denn wiederum „auf Anregung und mit Fördermitteln der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung“ in ein paar Jahren auf den Weg gebracht wird. Wenn dann noch der Verkaufspreis des Bandes von „stolzen“ 60 (!) Euro sozialverträglich gesenkt würde, wäre das zumindest eine willkommene Steilvorlage dafür, dass der Bericht auch dort gelesen wird, wo der Kinder- und Jugendsport stattfindet.

SINUS-Studie: Wie ticken Jugendliche?

Und damit zur SINUS-Jugendstudie 2020, die knapp 200 Seiten mehr umfasst als der neue Kinder- und Jugendsportbericht, dafür aber um einiges billiger in der Anschaffung ist: Die Publikation wird von der Bundeszentrale für politische Bildung zum Preis von 4,50 € (zuzüglich Versandkosten) verschickt. Dafür widmen sich auch „nur“ rund 50 Seiten im neunten Kapitel explizit dem Sport. Die SINUS-Studien haben eine ähnliche Tradition wie die Kinder- und Jugendsportberichte. Sie erscheinen seit 2008 alle vier Jahre. Die jüngste Veröffentlichung mit dem Fragetitel „Wie ticken Jugendliche?“ ist die fünfte Ausgabe.

Immer gleichgeblieben dabei ist, dass hier (auch im Kontrast zum Kinder- und Jugendsportbericht) eigens Jugendliche persönlich befragt werden. Die forschungsleitenden Fragen lauten unter anderem: Was ist Jugendlichen wichtig im Leben? Wie gestalten sie ihre Freizeit? Wie blicken sie in die Zukunft? Forschungsmethodisch kommt dabei ein sogenannter qualitativ-explorativer Ansatz zum Tragen, unter anderem diesmal mit insgesamt 72 narrativen Interviews mit Jugendlichen, ferner die Anfertigung von sogenannten Hausarbeitsheften der Jugendlichen sowie weitere qualitative Inhome-Lebensweltexplorationen (zum Beispiel fotografische Dokumentation von Wohnwelten und Lieblingsorten der Jugendlichen).

Und was ist nun mit Sport? Der wurde tatsächlich im vergangenen Befragungszeitraum erstmals neben Themenfeldern wie Gesundheit, Politik, Schule und Berufswahl mit aufgenommen. Das wurde möglich beziehungsweise (auch finanziell) gefördert, weil sich die Deutsche Sportjugend, der Deutsche Fußball-Bund und die Stiftung Deutsche Fußball Liga als neue Partner mit ihren inhaltlichen Interessen unter anderem über den zwölfköpfigen Projektbeirat einbringen konnten.

Damit ist im Grunde schon das Erkenntnisinteresse zum Sport der befragten Jugendlichen klar umrissen: Sie sollten Auskunft darüber geben, wie sie ganz allgemein zum Sport stehen, welchen Sport sie freiwillig (abseits des verpflichtenden in der Schule) betreiben und was sie zum Sporttreiben überhaupt (nicht) motiviert. Dann ging es vertiefend um Vor- und Nachteile des Vereinssports aus der Sicht der Jugendlichen, ferner speziell um Einstellungen zum Thema Fußball; abschließend sollten sie noch angeben, wie sie über die in der Studie so bezeichneten „Sportvideospiele“ denken. Ein qualitativer Forschungszugang bringt es in aller Regel mit sich, dass am Ende keine statistischen Häufigkeiten als Ergebnisse herauskommen, die dazu noch repräsentative Gültigkeit beanspruchen können – denn bei qualitativen Untersuchungsdesigns werden keine numerischen, sondern weitgehend verbale Daten erhoben. Sie schmücken dann die Auswertungen im transkribierten O‑Ton der Jugendlichen.

Vor diesem Hintergrund lässt sich ein klares Bild darüber nachzeichnen, welchen Stellenwert die Jugendlichen dem Sport zuschreiben – auf Seite 339 im Buch findet sich aus der Sicht des Sports folgender erfreulicher Befund: „Ein Leben ohne Sport ist für die meisten Jugendlichen unvorstellbar.“ Offenbar haben die Jugendlichen klare Vorstellungen darüber, was ihnen der Sport bedeutet und was ihnen fehlt, wenn sie ihn (zeitweilig) nicht betreiben können (Abb. 3). Dazu bietet die Studie durchgängig wörtliche Auszüge aus den Interviews mit den Jugendlichen: „Man hat immer so diesen Drang Sport zu machen, weil man sich sonst in seinem Körper nicht wohlfühlt“, sagt ein 14-jähriger Junge. Die Macher*innen der Studie verweisen auch darauf, dass diejenigen, die gerade keinen Sport treiben, die Nachteile des sportfreien Lebens durchaus zu thematisieren in der Lage sind. Positiv gewendet resümieren sie deswegen an einer Stelle sogar: „Für die meisten gilt daher: Ein Leben ohne Sport ist kein Leben“ (S. 339).

Abb. 3
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Ein Befund der SINUS-Jugendstudie 2020: Ein Leben ohne Sport ist für die meisten Jugendlichen unvorstellbar geworden. (Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann)

Was Sport im Verein attraktiv macht

Weiterhin wurde nach den Motiven der Jugendlichen zum Sporttreiben gefragt, speziell in Form von schriftlichen Hausarbeiten über die Interviews hinaus: Gesundheit, Gemeinschaft und sportliche Erfolge sind einige der zentralen Sportmotive, die für Jungen und Mädchen gleichermaßen gelten. Offenbar sind Jugendliche, die regelmäßig Sport treiben, sogar vielschichtiger motiviert. Dabei wird die These aufgestellt, „dass sich die Frequenz des Sporttreibens primär dann erhöht, wenn sich intrinsische und extrinsische Motivationen überschneiden“. Die These mag zutreffend sein, aber welche Motivationszuschreibungen sind eigentlich intrinsisch oder extrinsisch und wie kann dabei eine Überschneidung konkret aussehen? Ein 15-jähriger Junge beispielsweise favorisiert das Gesundheitsmotiv im Sport und schreibt: „Das Gefühl, was ich danach habe. Man fühlt sich einfach gesund und als könnte man alles machen.“

Zwischendurch: Grundlegend für die SINUS-Studie ist der Lebensweltansatz. Er besagt, dass die interviewten Jugendlichen im Rahmen der Befragung einer von sieben Lebenswelten zugeordnet wurden, die vorn im Band auf gut 150 Seiten ausführlich beschrieben werden. Die Lebenswelten werden unter anderem mit „Traditionell-Bürgerliche“, „Konsum-Materialisten“ oder als „Experimentalisten“ beschrieben. Das hat alles noch nichts mit Sport zu tun – aber: Die Jugendlichen wurden auch nach ihren bevorzugten Sportarten befragt. Lebensweltliche Unterschiede: Fehlanzeige – mit anderen Worten: Der Sport strahlt seine integrativen Kräfte markant aus, er verbindet die Jugendlichen über alle Lebenswelten, allerdings mit geschlechtsspezifischen Präferenzen, die kaum überraschen: Fußball und Basketball sind Domänen der Jungen, Tanzsport und Reiten (Abb. 4) hingegen der Mädchen. Eine Geschlechtsexklusivität betrifft zum Beispiel die Jungen bei Bergsteigen und Boxen, die Mädchen im Softball.

Abb. 4
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Sport verbindet die Jugendlichen über alle Lebenswelten, allerdings mit geschlechtsspezifischen Präferenzen: Tanzsport und Reiten (Foto) sind Domänen der Mädchen. (Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann)

Was macht den Sport im Verein für Jugendliche attraktiv? Was hält sie andererseits davon ab? Zu diesen Fragen gibt es durchaus aufschlussreiche Antworten, die jedoch auf eine „sportinterne“ Ambivalenz hindeuten: Die einen schätzen die Regelmäßigkeit der Angebote und die damit verbundene Verbindlichkeit der Teilnahme, andere lehnen genau deswegen den Sport im Verein ab. Aber: Das Zusammensein mit anderen unter fachlicher Anleitung sehen die Jugendlichen als bedeutsamste Merkmale an – mehr noch: „Auch das Vereinsleben abseits des Sportfelds stellen viele positiv heraus (gemeinsame Ausflüge, Weihnachtsfeier, Zeltlager etc.)“ – ein Befund, der große Freude auslösen sollte bei allen, die sich im Sportverein engagieren und auch das „Drumherum“ mit den Jugendlichen dabei kultivieren. Weiter so!

Mit Fußball und Coronabezug

Etwas überraschend kommt dann im Sport-Kapitel der Studie ein Fragenkomplex zur „Nachwuchsarbeit“ – nämlich, ob sich die Jugendlichen vorstellen können, später einmal als Trainer*in im Verein aktiv zu werden. Die Antworten fallen nicht allzu verblüffend aus: Nur wenige haben sich bisher darüber Gedanken gemacht. Aber diejenigen, die es getan haben, äußern, dass sie es dann wegen der Freude an der Vermittlung sportlicher Kompetenzen und weniger an der Aufbesserung ihres Taschengeldes tun würden. Freudiger Idealismus ist sicher nicht das schlechteste Einstiegsmotiv für junge „sportpädagogische Talente“.

Was den gesonderten Abschnitt zum Fußball angeht, unterstellen ihm die Jugendlichen „ein weitgehend gutes Image“ (S. 373). Vieles von dem guten Image ließe sich vermutlich sogar ganz allgemein auf andere Teamsportarten übertragen, weil es wesentlich die soziale Dimension betrifft, nicht jedoch beim Fußball die gesamtgesellschaftliche Bedeutung, nach der gar nicht gefragt wurde. Noch ein ganz anderer Befund stimmt zum Nachdenken: „Bei den Mädchen fällt die Identifikation mit Fußballclubs geringer aus als bei den Jungen. Aber auch unter den Mädchen finden sich Anhängerinnen konkreter Clubs.“ Schade, dass hier keine Clubs genannt werden, und schade auch, dass wir nicht erfahren, ob Mädchen explizit gefragt wurden, Vereine der Frauen-Bundesliga zu nennen.

Zu den Sportvideospielen, die am Ende des Kapitels auf vier Seiten abgehandelt werden, nur so viel: „Wirklich regelmäßig spielen aber die wenigsten“ (S. 386). Bei den Jungen ist „FIFA Soccer“ der Hit, bei den Mädchen sind es Sportspiele auf der Wii-Konsole unter anderem mit Tennis und „Just Dance“. Da können sie sich tatsächlich auch bewegen. Apropos Bewegen: Auch die SINUS-Studie geht auf Corona ein. Im Gegensatz zum Kinder- und Jugendsportbericht, der in seiner Einleitung nur ein paar Annahmen formuliert, was mögliche Auswirkungen der Pandemie zum Sport der Kinder und Jugendlichen angeht, wurde im Rahmen der SINUS-Studie Ende April 2020 eine Nachbefragung vorgenommen, deren Ergebnisse am Ende in einem Sonderkapitel dargestellt werden. Auch wenn es hier keine Befragung explizit zum Sport gegeben hat, wird zum Beispiel allein über das Thema Gesundheit deutlich, dass Sport für die befragten Jugendlichen gerade während des Lockdowns eine „gesundheitsfördernde Eigenmaßname“ (beispielsweise neben gesunder Ernährung) ist, wobei dann gilt: „Wer sich vor Corona nicht besonders sportlich betätigt hat, tut es auch jetzt nicht (Ausnahmen bestätigen die Regel)“ (S. 593).

Ganz am Ende noch einmal mitten hinein in die SINUS-Studie, und zwar mit einer kleinen Quizfrage aus dem Abschn. 5.4. „Marken und Style“: Hier wurden die Jugendlichen nach ihren Favoriten aus dem Markenuniversum gefragt. Nun die Quizfrage: Waren Marken aus dem Sport dabei, und wenn ja, welche könnten das sein? Die richtige Antwort lautet: Ja, es waren zwei ganz vorn sogar mit höchster Affinität dabei, nämlich Adidas und Nike. Fila und Lacoste sind nachgeordnet speziell bei den Jungen gefragt, Converse bei den Mädchen – noch Fragen, was den Stellenwert des Sports bei Jugendlichen anbelangt?