Einleitung

„Wie war es eigentlich vor Corona?“ Diese Frage muss gestellt werden, soll die Konstruktion von Jugend unter Pandemiebedingungen bewertet werden. „We are unstoppable. Another world is possible“, war auf den Plakaten der Fridays-for-Future-Aktionen zu lesen, für die Tausende junge Menschen regelmäßig auf die Straße gingen. „No boarder, no nation – no coal power station!“ Ein anderer Satz, der die internationale Ausrichtung dieser Jugendbewegung verdeutlicht. Zeitgleich debattierten die Jugendorganisationen auch des Sports auf Bundes- und Landesebene wie vor Ort über den Jugendcheck, die Jugendstrategie der Bundesregierung, repräsentative Beteiligungsformate für junge Menschen, den Bildungsauftrag in der Kinder- und Jugendarbeit, die Ermöglichung von Teilhabe und Partizipation oder die Stärkung der politischen Jugendbildung. Nicht nur im Kinder- und Jugendsport waren tagtäglich zahlreiche Hauptberufliche wie Ehrenamtliche im Einsatz, um jungen Menschen Bewegung und Spaß, Bildung und Teilhabe zu ermöglichen. Im März 2020 haben die Corona-Eindämmungsstrategien alle diese Aktivitäten von heute auf morgen gestoppt. Für das Aufwachsen von jungen Menschen begann eine neue Zeitrechnung. Die Interessen gerade von Jugendlichen wurden vergessen – so die Ausgangsthese dieses Artikels. Erst sehr spät und zögerlich wurden die für das Aufwachsen von jungen Menschen bedeutenden Orte der Kinder- und Jugendarbeit wieder geöffnet. Die Normalität der Vor-Corona-Zeiten ist jedoch noch lange nicht wieder eingezogen. Welche Folgen das bis heute hat und was das auch für das Engagement im Kinder- und Jugendsport und in den Jugendverbänden der Deutschen Sportjugend bedeuten könnte, soll in diesem Artikel betrachtet werden.

Eine Analyse des „Jugend vergessen“ in Corona-Zeiten

In den Medien wie in Verlautbarungen politisch Verantwortlicher in Corona-Zeiten ist eine einseitige Konstruktion von Jugendlichen zu beobachten, die diesen den Status als verantwortliche Akteur*innen in unserer Gesellschaft abspricht. Junge Menschen werden – wenn überhaupt – als Schüler*innen adressiert und damit in eine institutionell zugewiesene Rolle gezwängt. Als „Zu-Beschulende“ oder „Zu-Qualifizierende“ sind sie im Blick, wenn über das Homeschooling im Lockdown oder die Wiedereröffnung von Schulen diskutiert wird. Im Vordergrund der Debatten stehen dabei allerdings häufig die Eltern, die aufgrund der Schließung der Schulen im erforderlichen Homeoffice nur eingeschränkte Arbeitsleistungen erbringen können. Abstruse neue Begriffe wie „Lernferien“ oder „Lernsommer“, hinter denen sich staatlich gesteuerte Nachhilfeprogramme zum Aufholen von Lernstoff in meist schulischer Verantwortung verbergen, erlangen Konjunktur. Nach den Meinungen und Ideen der Kinder und Jugendlichen scheint dabei niemand ernsthaft zu fragen.

Zu erkennen ist weiterhin eine vielfache Stigmatisierung von jungen Menschen zu „Virenschleudern“, „Corona-Party-Feiernden“ und „Abstands-Regeln-Verletzenden“. Diese Zuschreibungen finden sich in den medialen Darstellungen in Print, Funk und Fernsehen bis zu öffentlichen Portalen von Staatskanzleien (Voigts 2020a). Hübner und Rose sprechen in diesem Kontext kritisch davon, dass „vielleicht […] die öffentlichen Reden zu den jugendlichen Corona-Partys auch schlicht das Jugend-Narrativ der Erwachsenengesellschaft wieder zurecht [rücken], das für kurze Zeit durch Fridays for Future durcheinandergeraten schien“ (Hübner und Rose 2020).

Sozial unterschiedliche Lebenslagen und deren Implikationen für das Leben in Corona-Zeiten werden dagegen gerne ausgeblendet. Das Mehr an Zeit in den Familien wird gesellschaftspolitisch als positiv assoziiert, ohne die Folgen für Kinder und Jugendliche in problembelasteten Familienkonstellationen zu bedenken. Dass das Verschließen öffentlicher Bewegungsräume wie Spiel‑, Sport- und Treffplätze für junge Menschen je nach familiärer Wohnsituation sehr verschiedene Belastungen mit sich bringt, wird nachrangig. Die Bedarfe von jungen Menschen mit Behinderungen oder mit Fluchterfahrungen scheinen zu Beginn der Pandemie komplett aus den Augen verloren zu sein (aej 2020; bjk 2020; DGfE 2020).

Insgesamt führen diese Beschreibungen zu der Analyse, dass die Interessen und Bedarfe junger Menschen mindestens zu Beginn des Lockdowns komplett aus dem öffentlichen und politischen Blick geraten sind. Vom viel geforderten und beschriebenen „Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung“ (BMFSFJ 2002) war kaum etwas zu spüren. Dieses Szenario war auch deshalb möglich, weil die Stimmen der Jugendlichen von heute auf morgen aus dem öffentlichen Raum verschwanden: Schulen und Offene Jugendzentren schlossen ihre Türen, Jugendverbandstreffen und Sportvereinsangebote wurden verboten, Turnhallen, Sportplätze, Mountainbike‑, Skateboard- und Fitnessanlagen abgesperrt (Abb. 1). Dass die für Jugendpolitik zuständigen Ministerien auf Bundes- wie Landesebenen in den Corona-Krisenstäben kaum oder gar nicht beteiligt und zuständige fachpolitische Verantwortliche zu Bittstellenden in den Prozessen der eigenen föderalen Ebene degradiert waren, erschwerte es, die Interessen junger Menschen zurück in die öffentliche Wahrnehmung und vor allem die Entscheidungsebenen zu bringen. Und dass junge Menschen sich in dieser Zeit wie auch sonst zahlreich für andere Menschen und damit gesellschaftlich engagierten – beispielsweise indem sie digitale Trainingseinheiten für die von ihnen betreuten Kindermannschaften entwickelten, Einkaufsdienste für Senior*innen organisierten oder selbstgestaltete Bilder und Briefe in Pflegeheimen verteilten – blieb in den öffentlichen Diskursen dagegen nahezu unerwähnt.

Abb. 1
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Im Lockdown verschwanden Stimmen der Jugendlichen von heute auf morgen aus dem öffentlichen Raum: Schulen und Offene Jugendzentren schlossen ihre Türen, Jugendverbandstreffen und Sportvereinsangebote wurden verboten, Turnhallen, Sportplätze, Mountainbike‑, Skateboard- und Fitnessanlagen abgesperrt. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Stimmen der Jugendorganisationen und Fachverbände

Auch die Fach- und Jugendorganisationen schienen in den ersten Wochen der Pandemie gelähmt, mussten ihre Arbeitszusammenhänge neu organisieren, teilweise auch (bis heute) um ihre finanzielle Existenz bangen. So waren ihre Positionierungen mit Bezug auf die Perspektiven der Kinder und Jugendlichen erst zeitverzögert zu hören. Dafür nahmen sie dann auf der Bundesebene und in den Ländern in Geschlossenheit und mit Vehemenz Stellung. Das Bundesnetzwerk Kinder- und Jugendarbeit (BNKiJu), an dem die Deutsche Sportjugend (dsj) beteiligt ist, forderte beispielsweise, Kindern und Jugendlichen umgehend wieder „soziale Teilhabe, Beteilung und Bildung“ (Sprecher*innenkreis BNKiJu 2020) zu ermöglichen. Es wurde darauf hingewiesen, dass junge Menschen „Erlebnis- und Begegnungsräume“ benötigen und „Kinder- und Jugendarbeit […] auch in Corona-Zeiten unverzichtbar“ (ebd.) sei. Auch die Deutsche Sportjugend meldete sich mit einer Pressemitteilung zu Wort und wies darauf hin, dass die Schließung der Sportanlagen und des Vereinsbetriebs sich „massiv auf den Alltag von Kindern und Jugendlichen aus[wirke] und […] nicht zuletzt wegen des damit verbundenen Bewegungsmangels zu körperlichen und mentalen Belastungen [führe]“ (dsj 2020). Der zum 1. Mai 2020 unter dem Titel „Jugendliche brauchen Freiräume!“ (Voigts 2020b) veröffentliche Appell, in dem unter anderem gefordert wird, „Bolzplätze, die Tischtennisplatten, die Skateparks und die Basketballkörbe in den städtischen Räumen [zu öffnen], damit junge Menschen Optionen haben, sich auszutoben“ wurde von vielen Akteur*innen aus dem Kinder- und Jugendsport genutzt und unterstützt.

Trotz all dieses Engagements ist auch im Herbst 2020 zu resümieren, dass die Kinder- und Jugendarbeit längst noch nicht wieder die Freiräume, Beteiligungs- und Bewegungsorte für junge Menschen bieten kann, die ihr gesetzlich im SGB VIII, §11 (1) formulierter Anspruch sind: „Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.“ Die Corona-Erlasse und Eindämmungsverordnungen schränken die Aktivitäten in der Kinder- und Jugendarbeit weiter stark ein. Dass die sozialgesetzlich verankerte Zusage keine Wahloption, sondern ein jungen Menschen dezidiert zugestandenes Recht ist, muss gerade in Corona-Zeiten immer wieder betont und eingefordert werden. Dies setzt starke Jugendorganisationen und den ernsthaften Anspruch in den Aktivitäten und Angeboten auch vor Ort voraus, junge Menschen beteiligen zu wollen – und das auch zu tun.

Beteiligung von jungen Menschen unter Pandemiebedingungen

Eine direkte Beteiligung von jungen Menschen lässt sich im Kontext der sie betreffenden Fragen in Corona-Zeiten in politischen und institutionellen Zusammenhängen nicht erkennen. Ein zentrales Ergebnis einer bundesweiten Studie, in der junge Menschen zwischen 15 und 30 Jahren selbst befragt wurden, lautet wenig überraschend: „Junge Menschen haben sich nicht ausreichend informiert, gehört und in ihren Sorgen und Bedürfnissen ernst genommen gefühlt“ (Andresen et al. 2020a). Die Debatte darum, ob die Beteiligung von jungen Menschen krisenfest sei, wurde im Anschluss auf diversen digitalen Fachveranstaltungen der Kinder- und Jugendarbeit diskutiert. Zumindest empirisch steht die Antwort noch aus.

Das gilt nicht nur auf politischer Ebene, sondern mitunter auch in den Aktivitäten in der Kinder- und Jugendarbeit selbst. Eine Studie zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Pandemiezeiten zeigt beispielsweise auf, dass das Aktivitätsniveau der Einrichtungen auch in geschlossenen Zeiten sehr hoch war, eine Beteiligung von Jugendlichen in den Szenarien der teilweisen Wiedereröffnung aber selten stattfand (Voigts u. a. 2020).

Noch deutlicher wird die Nicht-Beteiligung im schulischen Kontext: Junge Menschen haben durchaus Ideen, wie Schulen und (digitale) Lernumgebungen in den aktuellen Bedingungen neu gestaltet werden könnten, jedoch werden ihre Stimmen weder gehört noch in den Kulturministerien erkennbar einbezogen.

In diesem Sinne ist Kinder- und Jugendarbeit und damit auch der Kinder- und Jugendsport weiterhin herausgefordert, auch unter Corona-Bedingungen nach umsetzbaren Beteiligungsformaten Ausschau zu halten. Denn von ihrem eigenen Anspruch her stehen sie für Beteiligung, soziales Miteinander, Bildung, Vielfalt und gemeinsames Erleben (dsj 2018). Gerade die Lebensphase Jugend muss die „Option eröffnen, Bestehendes in Frage zu stellen, um damit wichtige Veränderungsimpulse zu ermöglichen“ (Deutscher Bundestag 2017). Jugend in diesem Sinne zu denken erfordert, junge Menschen auch in einer Gesellschaft im Krisenmodus als kompetente Akteur*innen anzusehen und zu akzeptieren.

„Partizipation ist Gestaltungsmacht. Partizipation bedeutet Kindern und Jugendlichen die Möglichkeiten zu bieten, ihr Recht wahrzunehmen, die Gesellschaft, in der sie leben und aufwachsen, aktiv mitzugestalten. […] Der Grad der Partizipation von Kindern und Jugendlichen gibt Auskunft über die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft“ (DBJR 2002). Diesen Gedanken folgend ist es nicht nur Teil der Bildungs- und Lobbyarbeit der Jugendverbände auch im Sport, für ein Recht auf Jugend unter Pandemiebedingungen einzutreten, es sollte auch ihr nach innen gerichtetes organisatorisches Ziel sein, jungen Menschen gerade jetzt offene Beteiligungsräume zu ermöglichen. Beteiligung ist ein sehr zentraler Modus politischer und sozialer Integration. Beteiligung „erfordert Jugendliche und junge Erwachsene nicht als Koproduzenten pädagogischer und sozialer Institutionen zu betrachten, sondern ihnen in Auseinandersetzung mit ihren Alltagswelten demokratische Positionierungen zu ermöglichen“ (Deutscher Bundestag 2017).

Jugend durch Bewegungs‑, Beteiligungs- und Freiräume ermöglichen

Gemeinsames Ziel aller Akteur*innen in der Kinder- und Jugendarbeit und weitergefasst in der Kinder- und Jugendhilfe sollte es vor dieser Analyse sein, ihren engagierten Beitrag zum „Jugend ermöglichen“ zu leisten. Dabei hilft es, den Blick auf die drei Kernherausforderungen des Jugendalters zu richten, die im 15. Kinder- und Jugendbericht herausgearbeitet sind: die Qualifizierung, die Verselbstständigung und die Selbstpositionierung. Mit der Kernherausforderung „Qualifizierung“ verbindet sich das Ziel, dass alle jungen Menschen allgemeinbildende, soziale und berufliche Handlungsfähigkeiten erlangen. Verselbstständigung meint die Übernahme einer individuellen Verantwortung für das eigene Leben, soziokulturell, ökonomisch und politisch. Im weitesten Sinn geht es darum, wie der Übergang ins Erwachsenenalter strukturieren und sich das persönliche Leben „unabhängig“ gestalten kann. Selbstpositionierung zielt darauf ab, dass junge Menschen eine sogenannte „Integritätsbalance zwischen subjektiver Freiheit und sozialer Zugehörigkeit“ und damit ihre eigene Position in der Gesellschaft finden. Die Sachverständigenkommission des Berichts ist der Auffassung, dass Kinder- und Jugendarbeit als institutionelles Gefüge des Aufwachsens – und damit auch der Kinder- und Jugendsport – einen Beitrag zu einer gelingenden Bewältigung dieser Kernherausforderungen leisten kann. Voraussetzung dafür sei, dass es ihr gelingt „Jugendlichen Handlungs‑, Erfahrungs- und Entscheidungsräume zur Verfügung zu stellen, die möglichst weitgehend eigene Gestaltungsoptionen eröffnen“ (Deutscher Bundestag 2017).

Um die Kernherausforderung des Jugendalters bewältigen zu können, benötigen junge Menschen Freiräume. Die Debatte genau um diese ist gesellschaftlich virulent – in Corona-Zeiten mehr denn je. Wenn hier von Freiräumen gesprochen wird, werden diese analog zum 15. Kinder- und Jugendbericht als Aktivitäten, Räume oder Zeit verstanden, die „nicht unter dem Gesichtspunkt (externer) Verwertbarkeit und einer Zweckrationalität gesehen, strukturiert, ausgerichtet und bewertet, sondern ihren Sinn aus Perspektive des/der Handelnden selbst bestimmt, verändert und entwickelt werden“ (Deutscher Bundestag 2017). Das, was mit Freiraum gemeint ist, wird so zu einer sehr subjektiv empfundenen Angelegenheit (Abb. 2).

Abb. 2
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Um die Kernherausforderung des Jugendalters bewältigen zu können, benötigen junge Menschen Freiräume: Aktivitäten, Räume oder Zeit, die sie selbst bestimmen, verändern und entwickeln. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Als Gegenbild zum Freiraum gerade im Jugendalter wird häufig der Begriff der Verzweckung genutzt. Für Jugendliche können Freiräume in diesem Gegensatz Auszeiten, Rückzugsorte, Erprobungsräume, Orte ohne Leistungszwang wie Leistungsdruck und Fremdbestimmung sein. Vor allem sogenannte nicht-institutionalisierte Räume, wie es öffentliche Plätze, Grünflächen, Parks, aber auch Bushaltestellen, der Weg von der Schule nach Hause oder der Weg zum Sportsvereinsangebot sein können, nehmen dabei als Orte der unkontrolliert oder zumindest wenig kontrollierten Peervergemeinschaftung eine wichtige Rolle ein (Deutscher Bundestag 2017). Aber auch institutionalisierte öffentliche Räume, wie sie Sport- und Vereinsanlagen, Jugendtreffs oder Räume von Jugendverbänden darstellen, können für junge Menschen zum Freiraum werden bzw. als dieser empfunden werden. Die Kernfrage lautet hier: Wie selbstbestimmt und selbstständig können Jugendliche an diesen Orten handeln? Der Grat, ob etwas als Freiraum subjektiv empfunden wird oder nicht, verläuft für Jugendliche häufig entlang der empfundenen Kontrolle und den fremdbestimmten Regeln im Gegenpol zu den eigenmächtigen Entscheidungshoheiten. Im Kinder- und Jugendsport gibt es so gedacht eine Vielzahl von Optionen, Freiräume zu bieten.

Kinder- und Jugendarbeit – und schon gar nicht der Kinder- und Jugendsport mit seinen Zielen und rechtlichen wie sozialen Anforderungen oder dem Wettkampfcharakter – kann per se als Freiraum für junge Menschen bezeichnet werden. Dies ist auch nicht das zentrale alleinige Anliegen. Und doch ist es ein Anspruch, der im Sinne der Definition als Kinder- und Jugendarbeit Teil des Angebots und des Engagements sein muss, welches oben aus dem SGB VIII zitiert wurde. Zugleich „sind die Orte der Kinder- und Jugendarbeit möglicherweise der ‚freieste Bereich‘ (Sturzenhecker/Richter 2013, 699) des Aufwachsens“ (Deutscher Bundestag 2017). Darin liegen enorme Chancen – und eine große Verantwortung. Wenn es gelingt, „dass Jugendliche selbst als aktive Subjekte die Gestaltungsverantwortung solcher Räume wahrnehmen können“ (Deutscher Bundestag 2017), dann entstehen Freiräume.

Freiräume für junge Menschen bilden sich nur heraus, wenn Erwachsene Gestaltungsmacht abgeben. Der Diskurs (und Kampf) um Freiräume ist zugleich ein Machtdiskurs. Denn ernsthaft angelegte Gestaltungsverantwortung benötigt Gestaltungsmacht. Diese zu erlangen, bedeutet zugleich, dass andere auf Macht verzichten oder zumindest davon abgeben (Voigts 2017). Jugendlichen Freiräume zu geben bedeutet also in der Regel einen Transfer von Macht zwischen den Generationen. Nicht nur in Sportvereinen ist das kein leichter Weg. Aber nur wenn dieser mutig gegangen wird, können Jugendliche ihre Position in dieser Gesellschaft finden. Oder um mit dem 15. Kinder- und Jugendbericht zu sprechen: Nur dann ist es ihnen möglich, die Kernherausforderungen des Jugendalters zu bewältigen und das Ziel der Selbstpositionierung und Verselbstständigung zu erreichen. Im Vereinssport mit seiner Breite an Angeboten, seiner Vielzahl an ehrenamtlichen Funktionen und Aufgaben sollte das möglich sein – und ist enorm wichtig, denn die „Corona-Jugend-Generation“ ist das Pfund der Vereinsarbeit von morgen – und mitunter auch bereits der von heute. Insofern muss es mehr als nachdenklich stimmen, wenn junge Menschen in der schon zitierten Studie formulieren, dass sie an Entscheidungen beteiligt werden möchten, sich aber nicht gehört fühlen und wörtlich äußern: „Ich bin Schwimmer und möchte das wieder tun. Alle reden aber immer nur vom bezahlten Sport, nicht wie es uns geht die wir aus Idealen das tun aber auch von großartigen Wettkämpfen träumen. Wer schreibt darüber dass alle Titelkämpfe im Schwimmen ausfallen oder verschoben werden? Das wir nicht trainieren können ohne Wasser?“ (Andresen et al. 2020b).

Fazit: Perspektiven der Jugendlichen wieder nach vorne rücken

Nach den ausgeführten Beschreibungen und Kontextualisierungen könnte die Quintessenz darin bestehen, die Kernherausforderungen des Jugendalters (wieder) in den Vordergrund zu stellen und darauf hinzuwirken, dass es in den gesellschaftlichen Diskursen nicht nur um Qualifizierung, sondern auch um Verselbstständigung und Selbstpositionierung geht. Die Pandemie, mit und in der wir derzeit und vielleicht noch lange leben, entlastet junge Menschen nicht davon, einen eigenen Lebensentwurf zu entwickeln, der im Kontext privater, ökonomischer und öffentlicher Erwartungshaltungen als gelungen betrachtet werden kann. Doch die Rahmenbedingungen für diese große Herausforderung des Aufwachsens sind derzeit noch schwieriger und in ihren Untergleichheiten noch differenzierter geworden. Jugendliche finden sich in sehr komplexen Prozessen wieder, in denen sie Prioritäten setzen sollen, sich zum Beispiel für einen Bildungsweg oder einen Berufsweg entscheiden sollen. Parallel müssen sie auf vieles verzichten, was im jugendlichen Alltag Bedeutung hat, beispielsweise das Treffen mit Freund*innen oder das in dieser Lebensphase so wichtige Kennenlernen und Entdecken von neuen Menschen auf (internationalen) Fahrten, in Diskotheken, auf Konzerten oder großen Sportevents.

In den in diesem Lebensalter anspruchsvollen und weitreichenden biografischen und sozialen Entscheidungen sollten sie nicht allein gelassen werden. In diesen Corona-Zeiten sich selbst, die eigenen persönlichen Beziehungen, die Ansprüche an sich selbst und von anderen, die sozialen Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten neu auszubalancieren, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Junge Menschen müssen sich dieser mit und trotz Corona stellen. Hafeneger spricht davon, dass diese Jugendgeneration „mit einer Krisenerfahrung, mit Risiken und Ungewissheiten in einem neuen Alltag konfrontiert [sei], die sie so nicht erlebt hat, für die es keine Blaupause gibt und die sie vor allem auch emotional bewältigen muss“ (Hafeneger 2020).

Junge Menschen in diesen Herausforderungen zu unterstützen, ist Aufgabe aller Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe – und damit auch des Kinder- und Jugendsports. Es ist an uns, die Folgen der Einschränkungen in unseren Strukturen und öffentlich immer wieder im Sinne der jungen Menschen zu thematisieren. In Zeiten, in denen Sportvereine mehr als je zuvor Hallenzeiten genommen sind, da sie unter Corona-Bedingungen zuerst von Schulen beansprucht werden, ist es wichtig, den politischen, den bildenden, den junge Menschen unterstützenden Beitrag der Kinder- und Jugendarbeit im Sport immer wieder mit Vehemenz an allen uns möglichen Orten zu verdeutlichen. Partizipation ermöglichen, Demokratieerleben ermöglichen, Bildung ermöglichen – und vor allem Freiräume, Beteiligungsräume und Bewegungsräume zu erkämpfen und für junge Menschen zur Verfügung zu stellen, ist dabei ein Schlüssel, um ihnen Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Aufgaben anzubieten (Abb. 3). Es hilft dabei, immer wieder die Perspektiven der jungen Menschen einzunehmen – und in den Fokus zu rücken, dass jede Generation ihre Jugend nur einmal leben kann. Dann kann auch der Kinder- und Jugendsport deutlich machen: „Wir sind #zukunftsrelevant – schon in der Gegenwart“ (aej & BAG EJSA 2020).

Abb. 3
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Freiräume, Beteiligungsräume und Bewegungsräume zu erkämpfen und jungen Menschen zur Verfügung zu stellen, ist ein Schlüssel, um ihnen Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Aufgaben anzubieten. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann