Im Folgenden wollen wir die Verwirklichung und die pädagogische Förderung des Bedürfnisses nach Kompetenzerleben in verschiedenen sportlichen Kontexten beleuchten. Als erstes fragen wir, welches Maß an selbstbestimmter Motivation Kinder im Sport erfahren. Danach werden wir die Förderung des Bedürfnisses nach Kompetenzerleben und die Befriedigung des Kompetenzerlebens untersuchen.
Stufen der Motivationsqualität im Kindersport von Verein und Schule
In Schule und Verein findet Sporttreiben unter unterschiedlichen Bedingungen und mit unterschiedlichen Sinngebungen statt. Kinder im Vereinssport haben sich die Aktivität in der Regel selbst ausgesucht und gehen freiwillig zum Training. Die hier befragten Kinder sind in traditionellen Sportartengruppen engagiert, die an Standards der jeweiligen Sportart ausgerichtet sind und eine mittlere bis sehr starke Orientierung auf Wettkämpfe aufweisen. Während Wahlfreiheit und Freiwilligkeit der Teilnahme günstig für ein hohes Selbstbestimmungserleben sein könnten, verhält es sich mit anderen Kontextbedingungen umgekehrt. Im sportartbezogenen Vereinssport müssen Regeln befolgt und technische Bewegungsstandards eingeübt werden. Diese Standards sind fremdbestimmt. Eine höhere Wettbewerbsorientierung könnte externen und inneren Druck erzeugen, etwa wenn Leistungsvergleiche mit Wertschätzungsunterschieden verknüpft werden. Die Orientierung auf Wettkampferfolg könnte Trainer*innen zu stärker kontrollierendem statt förderndem Verhalten tendieren lassen. Im Hinblick auf das Kompetenzerleben könnten die Befriedigungsmöglichkeiten auf den sozialen Vergleich (Anderer-Vergleich) eingeengt werden und die anderen beiden Befriedigungsmöglichkeiten entwertet werden. Durch eine ungünstige Relation von Bedürfnisversagung durch Niederlagen und Bedürfniserfüllung durch Siege könnte das Gefühl der Wirksamkeit und damit die motivationale Orientierung negativ beeinflusst werden. Andererseits können Wettbewerbe hohe Anreize darstellen und bei optimaler Herausforderung zu besonders intensivem Erleben von Spannung und Kompetenz führen.
Beim Schulsport handelt es sich um eine Pflichtveranstaltung mit Notenvergabe. Die Standards von Sportarten, das penible Einhalten spezifischer Techniken und Wettbewerbe werden jedoch eine viel geringere Rolle spielen als im Vereinssport. Auch könnte der Neuigkeitsanreiz und die Regulierung des Schwierigkeitsgrades im Sportunterricht leichter zu gewährleisten sein und positiv auf die Motivationsqualität wirken.
Die Stichprobe besteht aus 613 Kindern im Alter von 8 bis 13 Jahren (M = 9,99; SD = 1,25), die schriftlich zu ihrem Training (T)Footnote 5 oder Sportunterricht (S) befragt wurden. Dabei wurde die motivationale Orientierung über fünf Skalen (intrinsisch, identifiziert, introjiziert, external und Amotivation) mit je drei Items erfasst (z. B. „Ich mache im Sportunterricht mit, weil ich es spannend finde“ (intrinsisch) oder „Ich gehe zum Training, weil ich regelmäßig trainieren will, um besser zu werden“ (identifiziert)). Die internen Konsistenzen der Skalen sind zufriedenstellend für gruppendiagnostische Zwecke (0,71 < α < 0,79). Weitere psychometrische Kennzeichen des Instruments wurden in anderen Studien testtheoretisch und faktorenanalytisch geprüft (Kohake und Lehnert 2018).
Die Ergebnisse zur motivationalen Orientierung sind in Abb. 3 dargestellt.
Die angegebenen Mittelwerte sind im Rahmen einer vierstufigen Skala zu interpretieren (1 = stimmt nicht, 4 = stimmt genau). Besonders imponierend ist der auffallende Anteil selbstbestimmter motivationaler Orientierungen (intrinsisch und identifiziert) – er liegt für den Vereinssport bei der identifizierten Motivation nur einen halben Skalenpunkt unter dem Maximalwert, auch für den Schulsport liegt er deutlich über dem virtuellen Skalenmittelwert von 2,5 (Midentifiziert,T = 3,54; Midentifiziert,S = 3,19). Die intrinsische Motivation liegt für beide Gruppen niedriger, aber wiederum über dem Skalenmittelwert (Mintrinsisch,T = 2,95; Mintrinsisch,S = 2,65).
Die befragten Kinder finden sowohl im Verein wie im Schulsport ein fruchtbares Betätigungsfeld für ihre Kompetenzmotivation oder verwandte, hoch selbstbestimmte Motivationsaspekte. Nur an wenigen Kindern geht das motivationale Angebot völlig vorbei (Amotivation). Äußerer Druck durch Lehrkräfte, Trainer*innen oder Eltern scheint weniger bedeutsam, auch wenn einige Kinder auch externe Forderungen und Kontrollen empfinden – und zwar stärker in der Schule als im Verein.
T‑Tests für unabhängige Stichproben zeigen für beide Gruppen signifikante Unterschiede über vier von fünf motivationale Orientierungen: Die Kinder im Training geben eine systematisch höhere intrinsische (T(589,87) = 4,62; p < 0,001; d = 0,37) und identifizierte Motivation (T(568,11) = 6,25; p < 0,001; d = 0,50) an als die Kinder im Sportunterricht. Die Effektstärken liegen dabei im niedrigen bis mittleren Bereich (Cohen 1988). Die kontrollierten motivationalen Orientierungen (introjiziert und external) zeigen ebenfalls signifikante Unterschiede. Dabei liegt der Mittelwert auf der introjizierten Skala im Training höher als im Schulsport (T(585,43) = 3,34; p < 0,01; d = 0,27) und auf der externalen Skala niedriger (T(609) = −2,99; p < 0,01; d = 0,24); beide Effekte sind jedoch klein.
Das Engagement von Kindern ist also sowohl im Sportunterricht wie im Verein von einem hohen Maß an selbstbestimmter Motivation getragen. Wie die Daten zeigen, erleben die befragten Kinder im Verein das Sportengagement noch stärker selbstbestimmt als im Schulsport.
Die Rolle der Lehrkräfte im Motivationsgeschehen
Lehrpersonen können durch ihr Verhalten und die Gestaltung des sportlichen Angebots das Kompetenzbedürfnis günstig oder ungünstig beeinflussen. Die Gestaltung eines optimalen Schwierigkeitsgrades ist ein wichtiger Aspekt. Auch durch Instruktion, Feedback und Ermutigung wirken Lehrkräfte darauf ein, ob Kinder herausfordernde Aufgaben bewältigen. Positives Feedback unterstützt intrinsische Motivation, es kann sogar die bedürfnisversagende Wirkung von Niederlagen kompensieren (Vansteenkiste und Deci 2003). Emotionale Unterstützung bei schwierigen Aufgaben kann die Beharrlichkeit der Kompetenzversuche fördern. Besonders aber fachliche Hilfe unterstützt die Bewältigung von Aufgaben.
Wir haben mit einer weiteren Skala, die diese Aspekte abbildet (3 Items; z. B. „Mein Trainer/Sportlehrer ermutigt mich immer wieder, bei schwierigen Übungen nicht aufzugeben“; α = 0,71) erhoben, wie die Kinder die Förderung ihres Kompetenzerlebens durch ihre Leitungskräfte wahrnehmen. Abb. 4 zeigt die Ergebnisse.
Zunächst fallen wieder die hohen positiven Werte auf. Der Gesamtwert für die Trainer*innen liegt bei MFöK,T = 3,45 und damit wieder nur einen halben Skalenpunkt unter dem Maximum. Der Gesamtwert für die Lehrer*innen fällt mit MFöK,S = 2,94 deutlich niedriger, aber immer noch recht positiv aus.
Wie der T‑Test für unabhängige Stichproben zeigt, erreicht dieser Unterschied das Signifikanzniveau (T(560,11) = 9,23; p < 0,001). Die Mittelwertdifferenz entspricht mit d = 0,75 sogar einem großen Effekt. Dies ist insofern unerwartet, als man im Schulsport eine stärkere Ausrichtung des Lehrkräftehandelns auf den Aspekt der Förderung erwartet hätte als im Verein.
Die Befriedigung des Bedürfnisses nach Kompetenzerleben
In einem dritten Schritt prüfen wir nun, in welchem Umfang die Kinder ihr Bedürfnis nach Kompetenzerleben in den Sportkontexten befriedigt sehen. Die eingesetzte Skala umfasst wieder drei Items (z. B. „Ich schaffe immer alle Übungen im Training/Sportunterricht“; α = 0,83).
Wiederum sind die Ergebnisse deutlich positiv (MBeK,T = 2,73; MBeK,S = 3,00), allerdings weniger ausgeprägt als bei der Förderung des Kompetenzerlebens (vgl. Abb. 5). Die Befriedung des Kompetenzerlebens im Vereinssport ist in der Nähe des Skalenmittelwertes angesiedelt, während es im Schulsport spürbar höher liegt. Der Unterschied lässt sich statistisch absichern (T(609) = −4,30; p < 0,001) und entspricht einem kleinen Effekt (d = 0,35).
Dieses Ergebnis ist überraschend. Denn nach den theoretischen Annahmen sollte die stärkere Förderung des Kompetenzerlebens im Verein eine stärkere Befriedigung des Wirksamkeitsbedürfnisses zur Folge haben. Aber die Bedürfnisbefriedigung fällt im Verein geringer aus als in der Schule. Weiterhin sollte eine stärkere Bedürfnisbefriedigung sich in einer stärker selbstbestimmten motivationalen Orientierung niederschlagen. Dies finden wir nicht – die motivationale Orientierung fällt im Verein wieder höher aus als in der Schule. Für diese Unstimmigkeit können viele Faktoren wichtig sein, die wir in dieser Untersuchung nicht kontrolliert haben.Footnote 6 Möglicherweise lässt sich aus einer Inspektion der Skala etwas lernen (vgl. Tab. 1).
Tab. 1 Wahrgenommene Befriedigung von Kompetenz im Training und im Schulsport auf Skalen- und auf Itemebene Zwei der drei Items thematisieren die schiere Bewältigung aller Aufgaben. Aber wie Harter gezeigt hat, erzeugt nicht die Bewältigung von Aufgaben allein die Bedürfnisbefriedigung, sondern das Meistern eines optimalen Schwierigkeitsgrades. Im Rahmen der Selbstbestimmungstheorie wird das ursprüngliche Gefühl der Wirksamkeit nach White in den Mittelpunkt gestellt, also aufgabenbezogenes Kompetenzerleben. Daran orientiert sich die Skala. Individuelle oder soziale Leistungsvergleiche, also das Kompetenzerleben auf späteren Entwicklungsstufen, werden nicht thematisiert, obwohl diese die Kontexte ja unterscheiden. Möglicherweise ist hier die Skala deshalb für unseren Zweck zwar reliabel, aber nicht ausreichend treffgenau.
Vergleiche zwischen Breitensport und Leistungssport
Wir wollen die Vergleiche weiter vertiefen, indem wir nun Kinder aus leistungssportlichen Kontexten vergleichen mit Kindern, deren Sportengagement wir als breitensportlich eingeschätzt haben. Kinder könnten in leistungssportlichen Umwelten durch die noch einmal betontere Ausrichtung auf Wettkampferfolge die angesprochenen Unterschiede für das Bedürfnis nach Kompetenzerleben verstärkt vorfinden. Die Trainingsgestaltung könnte noch stärker auf den Erfolg in Prüfungen und Wettkämpfen ausgerichtet sein. Die Trainer*innen werden an Erfolgsbilanzen gemessen. Ihre Tendenz zu Kontrolle und engen Zielvorgaben könnte stärker sein als bei breitensportlich tätigen Trainer*innen – mit den erwähnten negativen Auswirkungen. Durch die stärkere Ausrichtung des Sporttreibens auf Wettkämpfe werden die mögliche ambivalente Wirkung und das Risiko negativer Folgen von Wettkämpfen intensiviert.
Von breitensportlichen Umwelten wird man eine schwächere Orientierung auf Wettkampferfolge erwarten. Die Trainingsarbeit wird eher auf die Sicherung einer langfristigen Teilnahme der Kinder abzielen, da die Teilnahmezahlen die Arbeit des Vereins sicherstellen.
Diese Kontraste wird man in der Praxis jedoch weniger als schroffe Gegensätze, sondern eher als Pole eines Kontinuums mit vielen Zwischenstufen ansehen müssen (Güllich und Richartz 2015). Um breiten- und leistungssportliche Kontexte einigermaßen trennscharf gegenüberzustellen, folgen wir dem Vorgehen von Richartz et al. (2009). Als Indikatoren leistungssportlicher Orientierung werden hier eine Trainingshäufigkeit von mindestens drei Trainingseinheiten pro Woche sowie regelmäßige Wettkampfaktivität festgelegt. 12 Trainingsgruppen (N = 96) wurden dem Kontext Leistungssport zugeordnet und 15 Trainingsgruppen dem Kontext Breitensport (N = 209) (vgl. Tab. 2).Footnote 7 Alle leistungssportliche Trainingsgruppen stammen aus dem Turnen und der Rhythmischen Sportgymnastik und sind an Turn-Talentschulen angesiedelt (Abb. 6). Es handelt sich also um explizit dem Leistungssport gewidmete Gruppen. Der Pol des Breitensports wird hier vertreten durch Trainingsgruppen aus den Sportarten Turnen, Judo und Handball.
Tab. 2 Stichprobenbeschreibung Im ersten Schritt betrachten wir wieder die Ergebnisse zur motivationalen Orientierung. Sie sind in Abb. 7 dargestellt.
Die Ergebnisse zeigen für beide Gruppen wieder ein starkes Maß hoch selbstbestimmter Motivation. Die Kinder aus leistungssportlichen Kontexten zeigen sogar noch signifikant höhere intrinsische (T(303) = −2,00; p < 0,05; d = 0,24) und identifizierte Motivation (T(208,45) = −2,14; p < 0,05; d = 0,26) als die Kinder im Breitensport. Die Effektstärken sind jedoch gering. Bemerkenswerterweise zeigt sich kein Unterschied im Anteil externaler Motivation, der zudem gering ausfällt. Die Vielzahl an Kontrollen, auferlegten Zielen und externalen Bewertungen durch Trainer*innen oder elterlicher Druck schlagen sich hier weder für den Leistungs- noch den Breitensport nieder. Dies gilt auch für die introjizierte Motivation, also beim verinnerlichten Druck. Der überaus hohe Anteil identifizierter Motivation zeigt eine hohe Übereinstimmung mit Trainingszielen. Daraus hätte man nicht zwingend folgern können, dass auch die intrinsischen Anteile hoch repräsentiert sind, also der Spaß und das Interesse am Training über Wettkampfziele hinaus. Aber auch für diesen Aspekt übertreffen die Bewertungen der Kinder im Leistungssport die der breitensportlich engagierten.
Nun betrachten wir wieder, wie die Kinder die Förderung ihres Kompetenzerlebens durch die Trainer*innen wahrnehmen und welche Angaben sie zur Befriedigung des Kompetenzbedürfnisses machen (Abb. 8).
Die Förderung des Kompetenzerlebens wird von den Kindern im Leistungssport etwas stärker wahrgenommen, der Unterschied ist jedoch nicht signifikant (T(301) = −1,74; p = 0,08). Bezüglich der Befriedigung des Kompetenzbedürfnisses geben die Kinder im Breitensport signifikant höhere Werte an (T(301) = 2,35; p < 0,05; d = 0,29). Der Unterschied entspricht einem kleinen Effekt. Wir finden hier also ein ähnliches Phänomen wie beim Vergleich von Schul- und Vereinssport: Im Sportkontext mit jeweils höherer Leistungs- und Wettkampforientierung wird die Förderung durch die Lehrkräfte positiver wahrgenommen, die Befriedigung des Kompetenzerlebens jedoch geringer.
Insgesamt bestätigen die Ergebnisse, dass Kinder in allen drei Sportsettings sehr günstige Gelegenheit finden, ihr Grundbedürfnis nach Kompetenzerleben zu aktivieren und zu befriedigen. In Settings mit höherer Orientierung an Leistung und Wettkampf wird die Aktivität in höherem Maß als selbstbestimmt und in geringerem Maße als fremdbestimmt wahrgenommen. Auch die Förderung des Kompetenzerlebens durch die jeweiligen Lehrkräfte erleben Kinder in Kontexten mit höherer Leistungs- und Wettkampforientierung als stärker. Andererseits wird die Befriedigung des Kompetenzbedürfnisses in den jeweils weniger leistungs- und wettkampforientierten Kontexten stärker wahrgenommen.