Einleitung

Im Kindesalter gelten die motorische Leistungsfähigkeit (MLF) und das physische Selbstkonzept (PSK) als wichtige Prädiktoren für die körperliche Aktivität (Jekauc et al. 2017; Stodden et al. 2008). Auch der Body-Mass-Index (BMI) beeinflusst die körperliche und sportliche Aktivität von Kindern und Jugendlichen (Janssen und LeBlanc 2010). Gleichzeitig hängt der BMI mit der motorischen Leistungsfähigkeit (Albrecht et al. 2016; Barnett et al. 2016) und dem physischen Selbstkonzept (Babic et al. 2014) zusammen und hat einen Einfluss auf das Zusammenspiel zwischen motorischen Kompetenzen und Selbstkonzept (Utesch et al. 2018a) als Prädiktoren für körperliche Aktivität.

Die MLF kann definiert werden als ein Beschreibungssystem für alle motorischen Fähigkeiten, die den Steuerungs- und Funktionsprozessen der Haltung und der Bewegungsabläufe des menschlichen Körpers zugrundeliegen (Bös 2001; Starker et al. 2007). Sie stellt die Grundlage für die Ausprägung der motorischen Fertigkeiten dar. Trotz unterschiedlicher theoretischer Konzepte wird der Begriff Fitness oft mehr oder weniger synonym verwendet (Caspersen et al. 1985). Utesch und Kollegen (Utesch et al. 2018b) zeigen, dass sich MLF bereits im Kindesalter zu einem komplexen, messbaren Konstrukt entwickelt, das eine Grundvoraussetzung für körperliche Aktivität darstellt. Die MLF bei Kindern zu fördern hat nicht nur Auswirkungen auf deren körperliche Aktivität, sondern direkt und indirekt auch auf ihre Gesundheit. Sie stellt daher eine wichtige Gesundheitsressource dar (Graf et al. 2013; Krug et al. 2012). Dabei kann die von der MLF und Bewegung an sich beeinflussbare Gesundheit in physische, psychische und soziale Parameter unterteilt werden, die direkt oder indirekt durch die Höhe der MLF beeinflusst werden. So zeigen Janssen und LeBlanc (2010), dass die MLF die physische Gesundheit nachhaltig positiv beeinflusst und ihr Zustand im Kindes- und Jugendalter einen Prädiktor für die Wahrscheinlichkeit späterer Herz- und Kreislauferkrankungen darstellt. Darüber hinaus zeigen andere Autoren, dass sich die MLF als Ressource für psychische Gesundheitsparameter wie den globalen Selbstwert, das Wohlbefinden und das Selbstkonzept positiv auswirkt (Poitras et al. 2016; Ravens-Sieberer et al. 2007). Weitere Studien belegen enge Zusammenhänge zu motivationalen Parametern und sozialen Gesundheitsparametern (Poitras et al. 2016).

Das PSK wird von Mrazek (1987) definiert „als die Gesamtheit der körperbezogenen Kognitionen, Bewertungen und Handlungspläne […], die jedes Individuum im Hinblick auf seinen eigenen Körper sowie dessen Teile, Funktionen und Fähigkeiten entwickelt“ (S. 1). Es kann als Teil des nicht-akademischen Selbstkonzepts nach Shavelson et al. (1976) betrachtet werden. Marsh und Redmayne (1994) und für den deutschsprachigen Raum Stiller et al. (2004) schlagen eine Gliederung des physischen Selbstkonzepts in Subfacetten, analog zu den Facetten der MLF, Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Schnelligkeit und Koordination vor. Ein entsprechendes Instrument, der Fragebogen zur Erfassung des physischen Selbstkonzepts im Kindesalter (PSK‑K; Dreiskämper et al. 2015), zeigt für das Alter von acht bis elf Jahren signifikante Zusammenhänge zwischen den physischen Selbstkonzept-Facetten und den entsprechenden motorischen Leistungen sowie zu gesundheitlichen Parametern wie Gewicht und Wohlbefinden auf. Es wird angezweifelt, dass im Kindergartenalter wie auch zu Beginn der Grundschulzeit bereits realistische und differenzierte Selbstkonzepte vorliegen (Harter 1999). Beides erscheint allerdings notwendig, damit auch das PSK einen Beitrag zur körperlichen Aktivität von Kindern leistet. Weiterhin gilt es zu prüfen, ob in diesen Altersstufen neben der MLF auch das PSK einen Zusammenhang zum BMI als Gesundheitsparameter zeigt, wie verschiedene Studien andeuten (Dreiskämper et al. 2015; Fairclough et al. 2012).

Zur Beschreibung kausaler Zusammenhänge zwischen der motorischen Leistungsfähigkeit und dem physischen Selbstkonzept werden drei Hypothesen diskutiert: a) die skill-developmental Hypothese, die besagt, dass eine bessere MLF ein höheres PSK fördert, b) die self-enhancement Hypothese, die postuliert, dass ein erhöhtes Selbstkonzept durch damit verbundene erhöhte körperliche Aktivität die MLF steigert und c) das reciprocal-effect model, das wechselseitige Effekte zwischen der MLF und dem PSK annimmt (Marsh und Craven 2006). Während Asendorpf und Teubel (2009) konstatieren, dass im Grundschulalter das skill-developmental Modell dominiert, gehen Marsh und Kollegen (Marsh und Craven 2006) von reziproken Effekten zwischen dem physischen Selbstkonzept und der motorischen Leistungsfähigkeit aus. Insgesamt liegt jedoch sowohl für das Grundschul- als insbesondere auch für das Kindergartenalter kaum Evidenz dazu vor, inwieweit sich die tatsächliche motorische Leistung und ihre Selbstwahrnehmung gegenseitig beeinflussen, da es einen Mangel an Längsschnittstudien in diesem Themenfeld gibt.

Der BMI kann einerseits als Korrelat zu MLF und PSK betrachtet werden, andererseits wird er in Studien als abhängige Variable dieser beiden Faktoren (Dreiskämper et al. 2018; Robinson et al. 2015; Stodden et al. 2008) diskutiert. Hierbei stellt er zwar nur einen von vielen, dafür jedoch einen ökonomischen und valide erfassbaren Teilbereich der physischen Gesundheit dar. Er wird daher oft als eine reliabel nutzbare Proxy-Variable zur Bestimmung der physischen Gesundheit von Kindern interpretiert.

In einem theoretischen Modell der Bedingungsfaktoren für eine gelingende motorische und psychosoziale Entwicklung im Kindesalter unterstreichen zudem Dreiskämper und Kollegen, dass die motorische Leistungsfähigkeit selbst und das physische Selbstkonzept von Bedeutung dafür sind, ob Kinder sich bewegen und sportlich aktiv sind (Dreiskämper et al. 2018). Der BMI wird hier als Teilvariable der physischen Gesundheit verstanden, die wiederum genau wie andere Variablen der Gesundheit von körperlicher Aktivität beeinflusst wird (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Angenommenes Forschungsmodell zum Einfluss von motorischen und Fitness-Parametern sowie dem physischen Selbstkonzept auf körperliche Aktivität und Gesundheitsparameter. (In deutscher Übersetzung nach Dreiskämper et al. 2018)

Ziel der Studie

Da sowohl die MLF als auch das PSK als individuelle und miteinander koagierende Prädiktoren für die körperliche Aktivität und Gesundheit im Kindesalter angenommen werden können, ist das Ziel dieser Studie, die Entwicklung der motorischen Leistungsfähigkeit und des Selbstkonzepts längsschnittlich zu untersuchen und dabei die reziproken Effekte in den drei Altersklassen (Kindergarten, Klasse 1 und Klasse 3) zu analysieren. Hierbei wird davon ausgegangen, dass alle drei Facetten (MLF, PSK und BMI) in einem Zeitraum von einem Jahr relativ stabil sind (H1), diese Stabilität aber beim BMI höher als bei der MLF als beim PSK ist (H2). Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen der tatsächlichen MLF und dem PSK wird angenommen, dass diese in den Altersgruppen Kindergarten und Klasse 1 kaum vorhanden sind, sich jedoch in Klasse 3 signifikante Zusammenhänge zeigen (H3) (vgl. Dreiskämper et al. 2015; Gerlach 2008; Harter 1999). Schließlich wird angenommen, dass in Klasse 3 wechselseitige, längsschnittliche Effekte (skill-developmental + skill-enhancement = reciprocal effects) zwischen der motorischen Leistungsfähigkeit und dem physischen Selbstkonzept gezeigt werden können (H4) sowie dass die motorische Leistung sowohl querschnittlich mit dem BMI korreliert (H5) als diesen auch längsschnittlich prädiziert, wie beispielsweise von Stodden und Kollegen angenommen (Stodden et al. 2008) (H6).

Methode

Stichprobe

Insgesamt nahmen 1378 Kinder aus Kindergärten (n = 403) sowie der ersten (n = 456) und dritten Klasse (n = 519) am Anfang und Ende eines Schuljahres 2017 in zwei verschiedenen Kommunen an dem Projekt „Gesund Aufwachsen“Footnote 1 teil. Für die folgenden Analysen wurden nur diejenigen Kinder berücksichtigt, die an beiden Messzeitpunkten an den Erhebungen teilgenommen haben. Tab. 1 gibt einen Überblick über das Alter und Geschlecht der Kinder zu t1 und t2. Bei der Stichprobe handelt es sich um ein gezogenes Sample, das nur bedingt repräsentativ für die Allgemeinheit dieser Altersklassen gelten kann, weil bei der Ziehung die Zugehörigkeit zu Sozialräumen (Quartieren) berücksichtigt wurde. Hierdurch wurden in Kommune 1 zwei eher besser situierte und zwei eher schwächere Quartiere hinzugezogen, bei Kommune 2 handelte es sich um drei schwache und zwei eher schwache Quartiere. Die Zuordnung erfolgte nach den Kriterien Arbeitslosenquote, SGB-II-Quote und Prozentwert der Bevölkerung mit Migrationshintergrund im jeweiligen Quartier (hierzu ausführlich Ehlen et al. 2018). Die Aufteilung der Kinder auf die jeweiligen Quartiere war wie folgt: gutes Quartier = 24,3 %, mittleres Quartier = 23,9 %, schwaches Quartier = 51,8 %. Diese Faktoren wurden bei der Überprüfung der Hypothesen allerdings nicht berücksichtigt, da die jeweiligen Modelle zum Sozialstatus zu geringe Stichprobengrößen aufgewiesen hätten.

Tab. 1 Alter der Kinder (in Klammern Standardabweichung) zu beiden Messzeitpunkten (Beginn des Schuljahres, Ende des Schuljahres) für den reinen Längsschnitt aller Kinder, die an beiden Messzeitpunkten teilgenommen haben

Instrumente

Die MLF wurde mit dem Kinder-Motorik-Test (KiMo-Test) im Kindergarten (Klein et al. 2012) und dem Dordel-Koch-Test in der Schule (Graf et al. 2004) mit fünf beziehungsweise sieben Items untersucht, die die einzelnen Dimensionen der motorischen Leistungsfähigkeit Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit, Ausdauer und Koordination abdecken. Der KiMo-Test gliedert sich in Einbeinstand (Koordination, Anzahl des Absetzens des Spielbeins innerhalb von 60 s), seitliches Hin- und Herspringen (Koordination und Schnelligkeit, gültige Versuche in 2 × 15 s), Pendellauf (Schnelligkeit, Dauer für 4 × 5 m in Sekunde), Sit & Reach (Beweglichkeit, in Zentimetern) und Standweitsprung (Kraft, bester von zwei Versuchen in Zentimetern). Der Dordel-Koch-Test beinhaltet mit Ausnahme des Pendellaufs alle Items der KiMo-Testbatterie, zudem wurden zur Messung der Kraft die Items Sit-ups und Liegestütz hinzugezogen sowie zur Messung der Ausdauer der 6‑Minuten-Lauf.Footnote 2 Die Items beider Testbatterien können mithilfe von auf Referenzdaten basierenden standardisierten Noten (1 = weit überdurchschnittlich bis 6 = hoher Förderbedarf) kategorisiert werden. Aus den Kategorialwerten kann laut Manual der Autor*innen ein Mittelwert-Score „MLF“ gebildet werden. Die KiMo-Testbatterie erwies sich als ausreichend reliabel (Cronbach’s α: t1 = 0,67, t2 = 0,63). Der Dordel-Koch-Test zeigte gute Werte für die Reliabilität (Cronbach’s α: t1 = 0,70, t2 = 0,73).

Das PSK wurde mit der Bilderskala PSK im Kindesalter (P-PSC‑C; Tietjens et al. 2018) (4-Punkt-Likert-Skala, Kindergarten und Klasse 1) beziehungsweise mit dem Fragebogen zur Erfassung des physischen Selbstkonzepts im Kindesalter (PSK‑K; Dreiskämper et al. 2015) (4-Punkt-Likert-Skala, Klasse 3) untersucht. Beide basieren auf dem Physical Self-Description Questionnaire (PSDQ) von Marsh und Redmayne (1994) und bilden das PSK auf Basis der Komponenten Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit, Kraft, Koordination sowie der Skala allgemeine Sportlichkeit ab. Während der P‑PSC‑C eine zweifach dichotome Abfrage in kindgerechter Art auf Bilderebene erfordert (ein Item pro Subdomäne, insgesamt sechs Items werden zu einem Mittelwertscore zusammengefasst), sind im PSK‑K zu jeder der Subskalen drei Items auf einer 4‑Punkt-Likert-Skala („stimme gar nicht zu“ bis „stimme voll zu“) zu bewerten. Die Subskalen werden zu einem Gesamtscore (Mittelwert der Subskalenwerte) aggregiert. Beide Instrumente wiesen zufriedenstellende (Cronbach’s α P‑PSC‑C t1 = 0,73, t2 = 0,70) beziehungsweise gute Reliabilitäten (PSK‑K t1 = 0,79, t2 = 0,87) auf.

Das Realitätsmaß des physischen Selbstkonzepts wurde über den Zusammenhang von motorischer Leistung und physischem Selbstkonzept operationalisiert.

Der BMI wurde mithilfe der Erfassung von Körpergröße und Gewicht im Rahmen der motorischen Testungen berechnet. Die Erhebung erfolgte in leichter Sportkleidung ohne Schuhe mithilfe von geeichten Messgeräten. Die Werte wurden nach deutschen Referenznormen nach Kromeyer-Hauschild et al. (2001) in acht Stufen (von starkem Untergewicht bis Adipositas, auf Basis von Perzentilen) eingeteilt. Die Verteilung hinsichtlich des BMI (nach Kromeyer-Hauschild et al. 2001) in Übergewicht und Adipositas ist in Tab. 2 dargestellt.

Tab. 2 Ergebnisse der Kinder hinsichtlich des BMI zu beiden Messzeitpunkten. Die Klassifikation in acht Perzentilgruppen erfolgte nach Kromeyer-Hauschild et al. (2001) (Gruppe 1 und 2 = Untergewicht, Gruppe 7 = Übergewicht, Gruppe 8 = Adipositas); angegeben sind jeweils Mittelwerte und in Klammern die Standardabweichung

Durchführung

Die Messungen der motorischen Leistungsfähigkeit und des BMI fanden im Klassenverband beziehungsweise in den Kindergartengruppen statt. Eine Testung dauerte circa 90 min und wurde durch zehn ausgebildete Testleiter*innen durchgeführt. Die Erhebung des physischen Selbstkonzepts fand im Kindergarten in Einzelinterviews, in Klasse 1 in Kleingruppen und in Klasse 3 im Klassenverband statt. Sie wurde von geschulten Testleiter*innen angeleitet. Die Reihenfolge von motorischen Tests und Befragung war randomisiert und wurde den Möglichkeiten der Einrichtungen (Schule, Kindergarten) angepasst. Die Messungen fanden zu zwei Testzeitpunkten statt, t1 zu Beginn des Schuljahres (September bis Oktober 2016), t2 zum Abschluss des Schuljahres (Juni bis Juli 2017), um die Entwicklung der motorischen Leistungsfähigkeit in einem Zeitraum von einem Schuljahr zu untersuchen. In diesem Zeitraum wurden unter anderem durch Elternfragebögen und qualitative Erhebungen weitere Daten zu den Rahmenbedingungen in den Einrichtungen und Quartieren erhoben, die darauf abzielen, in weiteren Schritten zunächst die Ergebnisse zur Entwicklung der motorischen Leistungsfähigkeit in Zusammenhang mit Ergebnissen zu Partizipation und Umweltfaktoren zu setzen und hieraus Hinweise für Interventionen und kommunale Programme zu erhalten.

Die Einrichtungen wurden durch die Kommune ausgewählt. Alle Eltern wurden schriftlich über das Vorgehen informiert und willigten per Unterschrift zu der Teilnahme ihres Kindes ein. Die Studie war im Vorfeld durch ein Ethikvotum (DSHS Köln) genehmigt worden.

Analyse

Zur Überprüfung der Hypothesen wurden für die jeweiligen Altersklassen (Kindergarten, Klasse 1, Klasse 3) Strukturgleichungsmodelle mit Maximum-Likelihood-Schätzer mit dem Programm AMOS berechnet (Hu und Bentler 1999). Als Kennwerte wurden der CFI (>0,90), der TLI (>0,90) sowie der RMSEA (<0,08) definiert. Deskriptive Ergebnisse und Zusammenhänge wurden zudem mit SPSS.25 berechnet.

Ergebnisse

Die deskriptiven Ergebnisse hinsichtlich der motorischen Leistungsfähigkeit können in den Tab. 3 (Rohwerte) und Tab. 4 (Werte eingeordnet nach Klassifikation der nationalen Referenzwerte der Testinstrumente in die Noten 1–6) eingesehen werden. Es zeigen sich einerseits altersbedingte Verbesserungen zwischen den zwei Messzeitpunkten, andererseits jedoch keine eindeutigen Unterschiede im Vergleich zu den gegebenen Referenzwerten.

Tab. 3 Ergebnisse hinsichtlich der motorischen Leistung in den drei Altersklassen zu beiden Messzeitpunkten. Angegeben sind die Rohwerte mit der jeweiligen Maßeinheit (sofern nicht angegeben: erfolgreiche Versuche in 40 s; in Klammern: Standardabweichung)
Tab. 4 Ergebnisse in kategorialen Werten (in Klammern Standardabweichung) hinsichtlich der motorischen Leistungsfähigkeit in den drei Altersklassen zu beiden Messzeitpunkten. Angegeben sind die Mittelwerte auf einer Skala von 1 bis 6 (weit überdurchschnittlich bis dringender Förderbedarf)

Bezüglich des BMI (Tab. 2) zeigen sich altersbedingte Steigerungen in den Rohwerten (16,64 zu 16,83 in Klasse 1, beziehungsweise 18,12 zu 18,81 in Klasse 3). Die Kategorisierungen in die acht Gewichtsstatus-Gruppen zeigen jedoch keine zeitlichen Effekte in den jeweiligen Altersklassen.

Die Werte der Einzel-Items zum physischen Selbstkonzept (Tab. 5) sowie die des berechneten Mittelwerts erweisen sich insgesamt als sehr hoch (3,20 bis 3,82 auf einer Skala von 1–4) für alle drei Altersklassen, was jedoch im Kindesalter nicht ungewöhnlich ist (Dreiskämper et al. 2015; Harter 1999). Die Korrelationen zwischen den Faktoren sind in Tab. 6 dargestellt.

Tab. 5 Ergebnisse der Einzelitems und der Gesamtskala (Mittelwertbildung) zum physischen Selbstkonzept (erhoben durch den P‑PSC‑C in Kindergarten und Klasse beziehungsweise den PSK‑K in Klasse 3) für beide Messzeitpunkte in allen Altersklassen
Tab. 6 Spearman-Korrelationen zwischen PSK, MLF (Summenscores, kategorial von 1 (sehr gut) bis 6 (Förderbedarf)), und BMI SDS (Variablen wie in den Modellen)

Insgesamt zeigen die gerechneten Strukturgleichungsmodelle gute Modellfits für ein cross-lagged panel model (Abb. 2) in allen Altersklassen (Kindergarten: χ2/df = 2,51 p > 0,05, RMSEA = 0,06, CFI = 0,95, TLI = 0,96; Klasse 1: χ 2/df = 1,31, p > 0,05, RMSEA = 0,03, CFI = 0,98, TLI = 0,98; Klasse 3: χ2/df = 1,64, p > 0,05, RMSEA = 0,04, CFI = 0,99, TLI = 0,99), wobei eine deutlich bessere Modellpassung für Klasse 3 im Vergleich zu Klasse 1 und Kindergarten verzeichnet werden kann.

Abb. 2
figure 2

Strukturgleichungsmodell für alle Altersklassen (hellgrau = Kindergarten, mittelgrau = Klasse 1, dunkelgrau = Klasse 3), *<0,01, **<0,001. Angezeigt sind nur signifikante Pfadwege für die jeweiligen Altersklassen, die Fit-Indices beziehen sich jedoch auf die vollständigen durch die Pfeile angezeigten Beziehungen, PSK physisches Selbstkonzept. Vergleiche sind nur deskriptiv zwischen den Altersklassen möglich, da unterschiedliche Messinstrumente (sowohl für MLF als auch für PSK) in den Altersklassen verwendet wurden, sodass eine Invarianzanalyse zur Prüfung der Unterschiede nicht zulässig ist

In Bezug zur Hypothese 1 zeigt sich für den Beobachtungszeitraum von einem Schuljahr, dass sich der BMI in allen drei Altersklassen als sehr stabil erweist (β = 0,82, 0,88, 0,85, p < 0,001). Auch die MLF erweist sich als stabil in allen drei Altersklassen (H2), wobei mit zunehmendem Alter auch eine zunehmende Stabilität des Konstrukts deskriptiv erkennbar ist (β = 0,54, 0,64, 0,70, p < 0,001). Selbiges gilt für das PSK, wobei vor allem im Kindergarten und in Klasse 1 geringe Effekte von t1 auf t2 zu erkennen sind (β = 0,36, 0,44, 0,61).

Bezüglich der Korrelationen zwischen objektiv gemessener und selbst eingeschätzter motorischer Leistung (H3), zeigt sich, dass für den Kindergarten und Klasse 1 gemischte Resultate vorliegen (Kindergarten: rt1 = 0,16, p < 0,01, rt2 = −0,14, p = 0,10; Klasse 1 = rt1 = 0,19, p < 0,01, rt2 = 0,12, p = 0,10), in Klasse 3 hingegen schwache Korrelationen zwischen tatsächlicher MLF und PSK zu beiden Messzeitpunkten identifiziert werden können (rt1 = 0,32, p < 0,01, rt2 = 0,15, p < 0,01). Im Hinblick auf längsschnittliche Effekte zwischen den Konstrukten zeigen sich gemischte Ergebnisse: In Klasse 3 kann zwar ein angenommener Effekt der motorischen Leistung auf das PSK identifiziert werden (β = 0,16, p < 0,001; skill-developmental hypothesis), nicht aber ein umgekehrter Effekt (self-enhancement hypothesis) von dem physischen Selbstkonzept auf die motorische Leistung. Hypothese 4 kann damit nur teilweise bestätigt werden. Für die jüngeren Kohorten zeigen sich die Ergebnisse darüber hinaus ebenfalls als divers (keine Effekte in Klasse 1, schwacher Effekt im Kindergarten; self-enhancement hypothesis).

Der negative Zusammenhang zwischen BMI und der motorischen Leistung (Hypothese 5) kann für alle drei Altersklassen relativ stabil gezeigt werden (Kindergarten: rt1 = −0,16, p < 0,01, rt2 = −0,16, p < 0,01; Klasse: rt1 = −0,16, p < 0,01, rt2 = −0,07, p = 0,06; Klasse 3: rt1 = −0,33, p < 0,01, rt2 = −0,14, p < 0,01). Längsschnittlich zeigen sich hypothesenkonforme Effekte (Hypothese 6) zwischen dem BMI und der motorischen Leistung nur in Klasse 1 (BMI auf motorische Leistung: β = −0,12, p < 0,01, motorische Leistung auf BMI: β = −0,07, p < 0,01) und Klasse 3 (BMI auf motorische Leistung: β = −0,10, motorische Leistung auf BMI: β = −0,08, p < 0,01).

Diskussion

Ziel dieser Studie war es, drei unterschiedliche Altersgruppen von Kindern längsschnittlich hinsichtlich der Entwicklung ihrer MLF, ihres PSK und ihres BMI zu untersuchen. Da die motorischen Leistungen und das PSK als wichtige Bedingungsfaktoren für körperliche Aktivität insbesondere bei Kindern in Risikogewichtsgruppen postuliert werden (Utesch et al. 2018a), ist dies im Hinblick auf die bereits im Kindesalter beginnende Verminderung der körperlichen Aktivität von hoher Relevanz (Graf et al. 2013; Rütten und Pfeifer 2016). Die Ergebnisse zeigen, dass bereits im frühen Kindesalter alle drei Konstrukte relativ stabil sind. Vor allem der BMI erweist sich bereits bei Kindergartenkindern als sehr stabil, was sich mit bisherigen Erkenntnissen zur BMI-Entwicklung deckt (Schienkiewitz et al. 2018). Die Verbleibe-Wahrscheinlichkeit eines übergewichtigen Kindes in dieser gesundheitsgefährdenden Gewichtsklassifikation ist damit als sehr hoch einzuschätzen. Hypothesenkonform ist die Stabilität des BMI größer als die der MLF als wiederum die des PSK. Da die Facetten miteinander korreliert sind, ist es demnach sinnvoll, die MLF und das PSK in etwaigen Interventionen zur Verbesserung des Gewichtsstatus bei Kindern einzubeziehen (Barnett et al. 2015). Zwischen der motorischen Leistung und dem physischen Selbstkonzept finden sich bereits im Kindergarten, aber auch in den älteren Altersstufen Zusammenhänge (mit niedrigen Effektgrößen), wie in Hypothese 3 angenommen. Hier decken sich die Ergebnisse mit denen anderer empirischer Studien für das mittlere Kindesalter wie sie von Babic und Kollegen (Babic et al. 2014) in einer Meta-Analyse gezeigt werden konnten.

Der BMI hängt in fast allen Messzeitpunkten negativ mit der motorischen Leistung zusammen, was zum einen zur empirischen Befundlage passt (Albrecht et al. 2016; Poitras et al. 2016), zum anderen die Notwendigkeit einer hinreichenden motorischen Leistungsfähigkeit – und deren Förderung – im Kindesalter unterstreicht und die oben genannte Ableitung ebenfalls untermauert. Dieses Ergebnis deckt sich mit dem empirischen Status quo zum Zusammengang von BMI und motorischer Leistungsfähigkeit (vgl. zum Beispiel Albrecht et al. 2016). Schlussendlich können allerdings in Bezug auf Hypothese 4 längsschnittlich keine klaren einseitigen oder wechselseitigen Bezüge zwischen der motorischen Leistung und dem physischen Selbstkonzept identifiziert werden. Hier scheint es alters- und entwicklungsbedingt noch keine eindeutigen Zusammenhänge zu geben. Jedoch zeigen sich in Klasse 1 und Klasse 3 signifikante negative wechselseitige Effekte zwischen dem BMI und der MLF, die erneut unterstreichen, dass die Förderung der MLF einen bedeutenden Anteil zur physischen Gesundheit – auch langfristig – beitragen könnte. Diese Ergebnisse sind konform mit aktuellen Forschungsbefunden zu der MLF und dem PSK in diesen Altersstufen (Robinson et al. 2015; Stodden et al. 2008; Utesch et al. 2018a). Bezüglich des Zusammenhangs zwischen der MLF und dem Gewicht weisen bereits Robinson et al. (2015) darauf hin, dass hier wechselseitige Effekte für das mittlere Kindesalter und Jugendalter vorliegen (vgl. auch Kastner et al. 2010).

Hinsichtlich der Rolle des PSK im frühen Kindesalter bleiben weiterhin Forschungsfragen offen. So konnten auch Barnett und Kollegen keine Effekte des Gewichtsstatus auf die physische Selbstwahrnehmung finden (Barnett et al. 2015) und auch Harter und Pike (1984) berichten davon, dass Kinder in diesem Alter ihre Leistungen noch nicht realistisch einschätzen können, also eher keine Zusammenhänge zwischen PSK und MLF zu erwarten sind. Einerseits kann argumentiert werden, dass die hier im Kindergarten und in Klasse 1 gefundenen schwachen Zusammenhänge auf eine geringere Relevanz des Konstrukts PSK für den BMI und die MLF hinweisen. Andererseits kann auch im Hinblick auf die deskriptiv eher größeren Zusammenhänge in der dritten Klasse interpretiert werden, dass die Ergebnisse den Schluss nahelegen, Interventionen zur Bekämpfung von Übergewicht bereits im Kindergarten anzusetzen und das PSK bewusst einzubeziehen, da es das zu diesem Zeitpunkt noch veränderbarste Konstrukt ist, dass längerfristig einen Einfluss auf die MLF und den BMI haben kann. Dass hier insgesamt mehr Forschung erforderlich ist, unterstreichen die Ergebnisse zum Messzeitpunkt t2, da sich in Kindergarten und Klasse 1 keine Korrelationen zwischen den Konstrukten zeigen. Ob diese Ergebnisse beispielsweise mit Wiederholungseffekten beim Einsatz der Instrumente oder mit Testeffekten auf die Leistungen beziehungsweise Einschätzungen der Kinder zusammenhängen, lässt sich an den vorliegenden Daten nicht analysieren. Sie zeigen jedoch, dass in diesen Altersstufen Test-Wiederholungs- und/oder Entwicklungseffekte genauer zu betrachten sind.

Ein weiterer Faktor, der in den gezeigten Ergebnissen bisher nicht berücksichtigt wurde, ist das Geschlecht der Kinder. Wie Stiller et al. (2004) oder auch die Forschungsgruppe um Babic et al. (2014) hervorheben, liegen bereits im Kindesalter Geschlechterunterschiede hinsichtlich des PSK vor. Ergebnisse aus diesem Forschungsprojekt (Henning et al. 2017) zeigen bereits Geschlechterunterschiede hinsichtlich der Subfacetten des PSK zwischen Mädchen und Jungen. Da Jungen beispielsweise eher dazu tendieren, sich zu überschätzen, können Geschlechtereffekte hinsichtlich der Bezüge zwischen MLF und PSK vermutet werden (Marsh und Redmayne 1994; Stiller et al. 2004). Dies zu prüfen war in Anbetracht der Stichprobengrößen nicht möglich, da die Modelle bei einer Trennung nach Geschlecht auf zu geringen N-Zahlen basieren würden. Dies stellt eine klare Limitation der Ergebnisse dar und sollte bei weiteren Analysen berücksichtigt werden.

Insgesamt weisen die Ergebnisse weitere Limitationen auf. Die drei unterschiedlichen Altersgruppen führten zum Einsatz von unterschiedlichen, altersangemessenen Testinstrumenten, sowohl im Bereich der motorischen Leistung als auch bei der Messung des physischen Selbstkonzepts. Die Messung des physischen Selbstkonzepts im frühen Kindesalter mit Bilderskalen kann insgesamt als kritisch angesehen werden, weil hierzu insgesamt nur wenige Forschungsergebnisse vorliegen und angezweifelt werden kann, ob Kinder in diesem Alter entwicklungsbedingt bereits in der Lage sind, Aussagen dieser Art über sich selbst treffen zu können (Tietjens et al. 2018). Hierzu besteht weiterer Forschungsbedarf, wie auch andere Forscher*innengruppen konstatierten (Weinert und Helmke 1998). Als weitere Limitationen kommen hinzu, dass aus ökonomischen Gründen die Befragungen in Klasse 1 nicht in Einzelinterviews stattgefunden haben und die Reihenfolge von motorischen Testungen und Befragungen randomisiert werden musste. Auch die motorische Leistungsfähigkeit wurde im Kindergarten und in der Klasse 1 weniger differenziert erhoben als in Klasse 3. Da unterschiedliche Tests für MLF und PSK in den Altersklassen eingesetzt wurden, sind Invarianzanalysen zwischen den Modellen der Altersklassen nicht möglich, weswegen Unterschiede zwischen den Modellen nur beschrieben, nicht aber interpretiert werden sollten. Gleichzeitig muss das Bilden des Summenscores für die MLF für diese Altersgruppen kritisch hinterfragt werden, da für diese Altersklassen eine gemischte Befundlage hinsichtlich der Spezifität der einzelnen Parameter von MLF vorliegt (vgl. Lämmle et al. 2013; Utesch et al. 2018b).

Darüber hinaus muss sicherlich auch die Spezifität der Stichprobe betrachtet werden: Da es sich um eine an den Sozialindikatoren gemessene nicht repräsentative Stichprobe aus speziellen Sozialräumen handelt (alle Kinder sind aus Ballungszentren, ländliche Regionen sind nicht inkludiert, zugleich erweist sich der Anteil von Kindern aus sozialschwächeren Quartieren als relativ hoch, vgl. hierzu auch Rehaag und Ehlen 2018; vgl. auch Jekauc et al. 2018), sind die Ergebnisse gegebenenfalls nicht für alle Vergleichsgruppen repräsentativ.

Fazit

Dass Kinder gesund aufwachsen können, stellt eine besondere Herausforderung für die Gesellschaft und einen wichtigen Untersuchungsgegenstand für die Wissenschaft dar. Zur Gesundheit eines Kindes gehören sowohl physische als auch psychische und soziale Faktoren. Sie alle sind assoziiert mit Sporttreiben und körperlicher Aktivität (Dreiskämper et al. 2018; Robinson et al. 2015). Damit Kinder aber körperlich aktiv sind, müssen verschiedene Ebenen, Umwelt- und Individuumsebene, berücksichtigt werden. Im Forschungsprojekt „Gesund Aufwachsen“ wurden beide Ebenen gleichermaßen berücksichtigt. Die in diesem Beitrag vorgestellten Ergebnisse zu individuellen Eingangsfaktoren wie der MLF und dem PSK zeigen, wie wichtig die Selbsteinschätzung im Sinne des physischen Selbstkonzepts für die MLF sein kann.

Unter Berücksichtigung der komplexen Bedingungsfaktoren, in denen Kinder aufwachsen, können die Ergebnisse dazu beitragen, Interventionen auch langfristig so zu entwickeln, dass die Potenziale von motorischer Leistungsfähigkeit und körperlicher Aktivität nachhaltig gefördert werden können. Betrachtet man die überaus große Stabilität der Konstrukte BMI und MLF, vor allem im Grundschulalter, die in dieser Studie verdeutlicht wurden, so liegt der Schluss nahe, dass man die möglichen reziproken Effekte der Konstrukte nutzen muss, um motorische Schwächen oder Übergewicht zu bekämpfen und dass man andere, sich noch verändernde Faktoren wie das PSK hierzu miteinbeziehen sollte. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen dem PSK, der MLF und dem BMI, die über die Kindheit immer stärker werden, stellen somit eine Chance dar, Ansatzpunkte für ein gesundes Aufwachsen zu finden und zu fördern.