Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags …

  • sind Ihnen die der anterolateralen Rotationsinstabilität zugrunde liegende Anatomie und Biomechanik bekannt,

  • können Sie mögliche Risikofaktoren für eine ausgeprägte anterolaterale Rotationsinstabilität benennen und diese in Ihrer operativen Strategie berücksichtigen,

  • sind Ihnen mögliche Indikationen für die Augmentation einer Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands mit einer anterolateralen extraartikulären Stabilisierung geläufig,

  • wissen Sie um mögliche Vor- und Nachteile der anterolateralen extraartikulären Stabilisierung.

Hintergrund

Die Ruptur des vorderen Kreuzbands (VKB-Ruptur) stellt eine der häufigsten Sportverletzungen des Kniegelenks dar und führt zu einer anterolateralen Rotationsinstabilität (ALRI, [1]), welche ein abnormes Bewegungsmuster, bestehend aus einer kombinierten anterioren tibialen Translation und tibialen Innenrotation, darstellt. Entsprechend umfasst das Ziel der operativen Therapie die bestmögliche anatomische VKB-Rekonstruktion [2], um die translatorische sowie rotatorische Stabilität des Kniegelenks wiederherzustellen und somit sekundäre Folgeschäden, wie die Entwicklung einer Arthrose, zu vermeiden bzw. reduzieren. Hierdurch konnten in der vergangenen Dekade sehr gute klinische Ergebnisse mit vergleichsweise geringen Arthroseraten erzielt werden [3, 4]. Jedoch werden trotz anatomischer VKB-Rekonstruktion persistierende bzw. wiederkehrende Instabilitäten, welche sich klinisch durch einen positiven Pivot-shift-Test [5] manifestieren, mit einer unverändert hohen Rate von bis zu 15 % beobachtet [6, 7, 8]. Während zunächst der Einfluss der Transplantatwahl [9] und Tunnelpositionierung [10] auf die Versagensrate untersucht worden war, entbrannte erst mit der Beschreibung bzw. Neuentdeckung des anterolateralen Ligamentes [11] eine Debatte über die Relevanz der anterolateralen Strukturen. Letztendlich führte diese Diskussion zu einem eher ganzheitlichen Verständnis der VKB-Ruptur bzw. ALRI, welche in einer Lenkung des wissenschaftlichen und klinischen Fokus auf die Peripherie und somit den anterolateralen Komplex mündete. Mittlerweile durchleben die z. T. in Vergessenheit geratenen lateralen extraartikulären Wiederherstellungsverfahren als Zusatz zur VKB-Rekonstruktion eine Art Renaissance, was sich in vielversprechenden klinischen Kurzzeitergebnissen mit einer deutlich reduzierten Reruptur‑/Versagensrate widerspiegelt [7, 12].

Im Folgenden sollen die zugrunde liegende Anatomie und Biomechanik sowie die therapeutischen Möglichkeiten der anterolateralen Rotationsinstabilität erläutert werden.

Anatomie des anterolateralen Komplexes

Für das Verständnis der zugrunde liegenden Biomechanik der anterolateralen Instabilität ist eine differenzierte Kenntnis der beteiligten anatomischen Strukturen unerlässlich, sodass im Folgenden die Anatomie des anterolateralen Komplexes detailliert dargestellt werden soll.

Tractus iliotibialis

Oberflächliche Schicht

Die oberflächliche Schicht („superficial layer“), die prominenteste Struktur des anterolateralen Komplexes, beinhaltet den Tractus iliotibialis, in den Fasern der Fascia lata, des Retinaculum patellae laterale sowie der Aponeurosen des M. vastus lateralis und M. biceps femoris einstrahlen [13, 14]. Seine proximalen Anteile sind über das Septum intermusculare laterale entlang der Linea aspera mit dem Femur verbunden, wobei er distal am Tuberculum gerdyi der proximalen Tibia inseriert ([13, 14]; Abb. 1a).

Abb. 1
figure 1

Anatomische Präparation des anterolateralen Komplexes, a nach Entfernung des Subkutangewebes: oberflächlicher Tractus iliotibialis (sITB), distal am Tuberculum gerdyi (TG) inserierend, gestrichelte Linie Fasern der kräftigen posterioren Begrenzung des Tractus iliotibialis, teilweise in den M. biceps femoris (BF) einstrahlend, b tiefe Schichten, ersichtlich nach Präparation des sITB; gemeinsam mit dessen oberflächlichen Anteilen nach distal in Richtung TG verlaufend (Pfeil), KF (Kaplan-Fasern) inserieren an distaler Femurmetaphyse und bilden mit kapsuloossärer Schicht des Tractus iliotibialis (Sternchen) eine redressierende, das anterolaterale Tibiaplateau nach posterior ziehende Schlinge, TT Tuberositas tibiae, PT Patella, FK Fibulakopf, AntKap anterolaterale Gelenkkapsel

Tiefe Schicht

Die tiefe Schicht („deep layer“) beinhaltet die Kaplan-Fasern, welche eine dynamische Verbindung zwischen dem Tractus iliotibialis sowie der distalen Femurmetaphyse darstellen und sich im Wesentlichen in 2 Faserbündel unterteilen lassen [13, 15, 16, 17]. Das proximale Bündel ist durch einen horizontalen Faserverlauf und eine femorale Insertion distal des Septum intermusculare laterale gekennzeichnet, wohingegen das distale Bündel einen länglichen Faserverlauf aufweist und supraepikondylär an der distalen Femurmetaphyse ansetzt [15, 17, 18]. Distal des lateralen Femurepikondylus verlaufen die restlichen Fasern des tiefen Tractus iliotibialis gemeinsam mit den oberflächlichen Anteilen nach distal zum Tuberculum gerdyi (Abb. 1b).

Kapsuloossäre Schicht

Die kapsuloossäre Schicht („capsulo-osseus layer“) beinhaltet retrograde Fasern, welche sich zwischen dem suprakondylären Femur sowie der anterolateralen proximalen Tibia aufspannen (Abb. 1b). Proximal entspringen diese Fasern vom lateralen Gastrocnemiuskopf, M. plantaris [13] sowie von dem posterolateralen kurzen Bizepskopf [13, 15, 18] und setzen zwischen Fibulakopf und Tuberculum gerdyi an der anterolateralen proximalen Tibia an [13, 15, 18, 19]. Diese kapselverstärkende Schicht bildet eine redressierende Schlinge um den posterolateralen Femurkondylus [14, 17, 19], welche das anterolaterale Tibiaplateau nach posterior zieht. In dieser Region kann durch forcierte Innenrotationskräfte die sog. Segond-Fraktur (Abb. 2) beobachtet werden, welche als pathognomonisch für die VKB-Ruptur gilt [13]. Entsprechend stellt der Tractus iliotibialis mit seinen tiefen und kapsuloossären Fasern den entscheidenden anatomischen Baustein für das biomechanische Verständnis der anterolateralen Instabilität dar.

Abb. 2
figure 2

Segond-Fraktur im Bereich des anterolateralen Tibiaplateaus als röntgenmorphologisches Korrelat einer möglichen anterolateralen Instabilität

Anterolaterale Gelenkkapsel

Die laterale Gelenkkapsel besteht aus 2 Schichten, welche das laterale Kollateralband umhüllen [18, 20]. Entsprechend des aktuell gültigen Konsensus beinhaltet die anterolaterale Gelenkkapsel auch das anterolaterale Ligament [19], wobei in diesem Kapselabschnitt die oberflächliche Schicht das anterolaterale Ligament und die tiefe Schicht die eigentliche anterolaterale Gelenkkapsel repräsentieren [20].

Cave

Neben dem vorderen Kreuzband trägt der anterolaterale Komplex maßgeblich zur Kontrolle der anterolateralen Rotationinstabilität bei.

Biomechanik der anterolateralen Rotationsinstabilität

Die ALRI stellt ein komplexes Instabilitätsmuster des Kniegelenks, welches aus einer Rotations- (vermehrte tibiale Innenrotation) und Translationskomponente (vermehrte anteriore tibiale Translation) besteht, dar. Für die anteriore tibiale Translation wirkt das VKB als primärer Stabilisator [21, 22, 23]. Die Situation bezüglich der primären und sekundären Hemmung der tibialen Innenrotation dagegen stellt sich deutlich komplexer dar: In Streckstellung fungiert das VKB als deren primärer Stabilisator, bei zunehmender Flexion hingegen werden die Kaplan-Fasern als Hauptstabilisator der tibialen Innenrotation rekrutiert [22, 23]. Dies erscheint logisch, da zum einen das intakte VKB bei vollständiger Streckung eine tibiale Außenrotation (sog. Schlussrotation) bewirkt und zum anderen der schräge anatomische Verlauf des Tractus iliotibialis und der anterolateralen Gelenkkapsel (von anterodistal nach posteroproximal) die Beteiligung bei der Innenrotationshemmung in einer Flexionsstellung suggeriert.

Entsprechend gilt die VKB-Insuffizienz als Voraussetzung für Entwicklung einer ALRI – ohne jedoch deren unabdingbare Bedingung darzustellen. Durch eine VKB-Ruptur verlagert sich die tibiale Rotationsachse vom Zentrum des Tibiaplateaus nach medial, was durch den vergrößerten Rotationsradius zu einer vermehrten anterioren Subluxation der lateralen Tibia führt ([24]; Abb. 3). Diese anterolaterale Rotationsbewegung wird nun zunehmend durch die Strukturen des anterolateralen Komplexes gehemmt, welche im VKB-insuffizienten Kniegelenk als Stabilisatoren rekrutiert werden [22], sodass eine kombinierte Verletzung des VKB und der anterolateralen Strukturen mit einer gesteigerten anterolateralen Instabilität [23] sowie einem höhergradigen Pivot-shift-Phänomen assoziiert ist [25, 26]. Entsprechend entsteht die akute ALRI vermutlich aus einer kombinierten Verletzung des VKB und der anterolateralen Strukturen, wohingegen die chronische ALRI am ehesten als ein progressives Auslockern der anterolateralen Strukturen infolge der ständigen „giving ways“ (anterolaterale Subluxation der Tibia) zu verstehen ist.

Abb. 3
figure 3

Rotationsachse des Tibiaplateaus in Abhängigkeit der Integrität des vorderen Kreuzbands (VKB). a VKB-intakter Zustand mit zentraler Rotationsachse, bei Innenrotation Bewegung des lateralen Kompartiments nach anterior und analog des medialen Kompartiments nach posterior, b VKB-defizienter Zustand mit pathologischer Medialisierung der Rotationsachse sowie Vergrößerung des Rotationsradius und dadurch vermehrter Bewegung des lateralen Tibiaplateaus. (Mod. aus [24], mit freundl. Genehmigung von Elsevier)

Relevanz von posteriorem tibialem „slope“ und Außenmeniskus

Die dreidimensionale Morphologie des lateralen Tibiaplateaus beeinflusst die Ausprägung der ALRI. So kann eine erhöhte Neigung des Tibiaplateaus in der Sagittalebene (sog. posteriorer tibialer „slope“) zu einer höhergradigen anterolateralen Instabilität beitragen [27, 28], da das Femur bei einem steileren „slope“ vermehrt nach posterior abrutschen kann und somit der Tractus iliotibialis eine deutliche höhere Spannung bzw. Kraft benötigt, um das laterale Tibiaplateau wieder nach posterior reponieren zu können. Des Weiteren führt die posterolaterale Impressionsfraktur des Tibiaplateaus, welche durch den dynamischen Valgus- und Innenrotationsmoment im Rahmen der VKB-Ruptur entstehen kann, zu einer höhergradigen Ausprägung der ALRI [29]. So bedingt die forcierte Innenrotations- und Valguskomponente des Pivot-shift-Tests das posterolaterale Eintauchen des lateralen Femurkondylus und somit eine höhergradige anterolaterale Subluxationsstellung, welche aufgrund der posterolateralen Verhakung des Femurkondylus deutlich schwerer zu reponieren ist ([30], Abb. 4). Derselbe Mechanismus ist wahrscheinlich auch für die posterolaterale Meniskuswurzelläsion im Rahmen der VKB-Ruptur verantwortlich, sodass für diese Verletzung ebenfalls eine Korrelation mit einer vermehrten ALRI nachgewiesen werden konnte [31].

Abb. 4
figure 4

Beeinflussung der Ausprägung der anterolateralen Rotationsinstabilität durch die dreidimensionale Morphologie des lateralen Tibiaplateaus, a steiler posteriorer tibialer „slope“ (PTS) mit vermehrtem Abrutschen des lateralen Femurkondylus nach posterior und kompensatorischem Gleiten des lateralen Tibiaplateaus nach anterior, b von der Größe der posterolateralen Impressionsfraktur abhängiges, durch Innenrotations- und Valguskomponente des Pivot-shift-Tests bewirktes posterolaterales Eintauchen des lateralen Femurkondylus und somit höhergradige anterolaterale Subluxationsstellung

Cave

Die Genese der anterolateralen Rotationsinstabilität ist multifaktoriell.

Anterolaterale extraartikuläre Stabilisierung

Eine anterolaterale extraartikuläre Tenodese kann in Kombination mit einer VKB-Rekonstruktion die Kinematik des Kniegelenks wiederherstellen, insbesondere auch, wenn neben der VKB-Ruptur eine zusätzliche Verletzung der anterolateralen Strukturen vorliegt [32, 33, 34]. Zudem reduziert eine anterolaterale Stabilisierung die auf das VKB-Transplantat wirkenden Kräfte [35], wodurch ein Schutz der Rekonstruktion erreicht wird, was sich klinisch in einer deutlich reduzierten Rerupturrate widerspiegelt [7, 12]. Allerdings birgt eine anterolaterale extraartikuläre Stabilisierung das Risiko der unphysiologischen Gelenkkinematik mit einer Überspannung des lateralen Kompartiments [32, 36], sodass mit der Erhöhung des lateralen tibiofemoralen Drucks [37] die Sorge um eine vorzeitige Arthroseentwicklung besteht. Jedoch konnten die tibiofemoralen Kontaktdrücke in einem biomechanischen Experiment auf einem physiologischen Level gehalten werden, wenn die Tibia bei der Fixation in Neutralstellung gehalten und das Transplantat mit maximal 20 N angespannt wurden [38].

Trotz der vielversprechenden biomechanischen und klinischen Resultate dieser modernen Rekonstruktionsverfahren darf nicht vergessen werden, dass diese Techniken in den 1990er-Jahren aufgrund eines erhöhten Arthroserisikos [39] verlassen wurden und eine Bestätigung dieser guten Resultate mit einer geringen Versagens- und Arthroserate [3, 4, 7, 12] durch Langzeitergebnisse noch aussteht.

Indikationen zur anterolateralen Stabilisierung

Aktuell existieren keine klaren evidenzbasierten Indikationen für eine anterolaterale extraartikuläre Stabilisierung [19, 40]. Nichtsdestotrotz wurden im International ALC Consensus Group Meeting mögliche Indikationen für die Durchführung einer anterolateralen Stabilisierung definiert (Evidenzgrad IV, [19]), welche im klinischen Alltag als Hilfestellung für die Entscheidungsfindung herangezogen werden können:

  • Revisionsplastik bei VKB-Reruptur/-Rezidivinstabilität

  • Hochgradiger Pivot-shift

  • Generalisierte Hyperlaxität (Beighton-Score ≥ 5)

  • Genu recurvatum bzw. Hyperextension > 10°

  • Patienten < 25 Jahre mit Rückkehr zu pivotierenden Sportarten

Entsprechend sehen die Autoren dieser Arbeit bei primären, akuten Rupturen des vorderen Kreuzbands ohne Risikofaktoren in aller Regel keine Indikation zur anterolateralen Augmentation. Allerdings kann bei Hochrisikopatienten (Alter < 25 Jahre, hochgradiger Pivot-shift, Risikosportarten auf Leistungsniveau oder Hyperlaxität) eine anterolaterale Stabilisierung in Betracht gezogen werden [19]. Hingegen sollte bei Revisionsfällen die Indikation zur anterolateralen Stabilisierung großzügiger gestellt werden, da häufig eine chronische anterolaterale Rotationsinstabilität mit insgesamt ausgeprägter Laxität der anterolateralen Strukturen vorliegt [19]. Nichtsdestotrotz ist an dieser Stelle zu betonen, dass die ALRI einer multifaktoriellen Genese unterliegt, sodass erst weitere Begleitpathologien, wie z. B. ein erhöhter posteriorer tibialer „slope“, ausgeschlossen bzw. adressiert werden sollten, bevor eine extraanatomische anterolaterale Stabilisierung in Betracht gezogen wird.

Pivot-shift-Test

Dabei handelt es sich um einen mehrdimensionalen Test zur Detektion der anterolateralen Subluxation [1], welcher am besten mit der klinischen Symptomatik korreliert [41] und somit die Indikationsstellung maßgeblich beeinflusst. Das biomechanische Grundprinzip hinter dem Pivot-shift-Phänomen ist der Verlust der Schlussrotation (tibiale Außenrotation bei vollständiger Kniestreckung) im VKB-defizienten Kniegelenk, sodass trotz dessen Streckstellung eine vermehrte tibiale Innenrotation möglich ist und das laterale Tibiaplateau nach anterior subluxiert werden kann. Bei sukzessiver Flexion kommt der Tractus iliotibialis zunehmend unter Spannung, sodass das Tibiaplateau zwischen 30° und 60° durch den nach dorsal gerichteten Kraftvektor mit einem dumpfen Schnappen ruckartig nach posterior reponiert wird [42].

Jedoch zeigt dieser Test eine hohe Variabilität der Ergebnisse zwischen verschiedenen Untersuchern und Kniegelenken [43], sodass keine einheitliche Klassifikation existiert. Derzeit unterteilt das IKDC-Untersuchungsblatt (IKDC: International Knee Documentation Committee, [44]) den Pivot-shift-Test wie folgt:

  • gleitend („glide“): +

  • dumpf („clunk“): ++

  • grob („gross“): +++

Cave

Eine risikospezifische Anamnese und differenzierte klinische Untersuchung beeinflussen maßgeblich die operative Strategie und Indikationsstellung.

Technik der anterolateralen extraartikulären Stabilisierung nach Lemaire

Bis in die 1990er-Jahre wurden laterale extraartikuläre Tenodesen [45, 46, 47, 48, 49] als Standardverfahren für die operative Versorgung von VKB-Rupturen durchgeführt, welche mittlerweile eine Art von Renaissance durchleben und vermehrt als Add-on zur VKB-Rekonstruktion bei hochgradiger ALRI eingesetzt werden. Es existiert eine Vielzahl an unterschiedlichen Techniken, wie z. B. die Macintosh- [48] oder Ellison-Prozedur [45], bei denen ein Teil des Tractus iliotibialis abgelöst und auf verschiedene Arten an unterschiedlichen Positionen des lateralen Femurepikondylus oder der anterolateralen proximalen Tibia refixiert wird. Jedoch bevorzugen die Autoren dieser Arbeit die anterolaterale Stabilisierung modifiziert nach Lemaire mit einem distal gestielten Traktusstreifen, welche im Folgenden detailliert dargestellt werden soll.

Der Hautschnitt erfolgt über dem Epicondylus lateralis in Richtung Tuberculum gerdyi (5–7 cm), wobei die Schnittführung etwas weiter nach proximal verlaufen sollte, um eine ausreichende Länge des Traktusstreifens zu gewährleisten (Abb. 5a). Nach der subkutanen Präparation und Darstellung des Tractus iliotibialis dient das Tuberculum gerdyi, welches mit dem Daumen des Chirurgen markiert wird, als anatomische Landmarke für die sich anschließende Entnahme des Traktusstreifens. Hierfür wird an dessen Oberrand und distal des lateralen Seitenbands mit dem Skalpell eine Stichinzision durchgeführt, welche den Tractus iliotibialis bis auf die anterolaterale Gelenkkapsel eröffnen sollte (Abb. 5b). Anschließend wird diese unter Schonung des lateralen Seitenbands mit der Schere nach proximal verlängert (Abb. 5c). Im nächsten Schritt werden der Epicondylus lateralis identifiziert und das laterale Seitenband mit einer Overholt-Klemme unterminiert sowie mit einem Shuttlefaden umschlungen (Abb. 5d). Nun kann der posteriore Anteil des Traktusstreifens analog zum anterioren Schritt präpariert werden, sodass ein distal gestielter Traktusstreifen etwa 3 cm proximal des lateralen Epikondylus abgesetzt werden kann. Nach Armierung des proximalen Endes in einer Whipstitch-Technik wird der Traktusstreifen mit dem vorgelegten Shuttlefaden unter dem lateralen Seitenband hindurch bewegt. Danach wird ein Kirschner-Draht im Bereich der Isometriestelle proximal und posterior des lateralen Femurepikondylus in einer 30° anteroproximalen Angulation eingebracht. Während der Überbohrung des Kirschner-Drahts kann der femorale VKB-Tunnel über das anteromediale Portal arthroskopisch kontrolliert werden, um einen Tunnelkonflikt zu vermeiden. Abschließend wird das Transplantat nach medial bewegt und im Knochenkanal mit einer Spannung von 20 N bei 30–60° Flexion sowie Neutralposition des Unterschenkels fixiert.

Abb. 5
figure 5

Anterolaterale Stabilisierung nach Lemaire, a Einzeichnen der anatomischen Landmarken und des Hautschnittes, b nach Markierung des Tuberculum gerdyi mit Daumen an dessen Oberrand Stichinzision mit Skalpell, c Längsspaltung des Tractus iliotibialis in dessen Faserverlauf nach proximal, d Vorlegen eines Shuttlefadens um das laterale Kollateralband mittels Overholt-Klemme, e Präparation des posterioren Anteils des Traktusstreifens mittels Stichinzision und Längsspaltung im Faserverlauf, f Verbringen des Traktusstreifens unter das laterale Seitenband, g Einbringen eines Kirschner-Drahts im Bereich der Isometriestelle (5 mm proximal und posterior des lateralen Femurepikondylus) in einer 30° anteroproximalen Angulation, h Fixierung des Traktusstreifens unter Verwendung einer Interferenzschraube in 30–60° Flexion und Neutralrotation des Unterschenkels

Fallstricke und Komplikationen dieses Verfahrens sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1 Fallstricke und Komplikationen der lateralen extraartikulären Tenodese und Hilfestellungen zu deren Vermeidung/Bewältigung

Fazit für die Praxis

  • Die Ruptur des vorderen Kreuzbands (VKB) führt zu einer anterolateralen Rotationsinstabilität (ALRI).

  • Die ALRI unterliegt einer multifaktoriellen Genese, sodass weitere Risikofaktoren, wie ein überhöhter posteriorer tibialer „slope“, posterolaterale Impressionsfaktoren oder Läsionen des Außenmeniskus, in der therapeutischen Strategie berücksichtigt werden sollten.

  • Potenzielle Indikationen für eine anterolaterale Stabilisierung stellen Revisionsfälle sowie primäre VKB-Rupturen mit Hochrisikokonstellationen (Alter < 25 Jahre, hochgradiger Pivot-shift, Risikosportarten auf Leistungsniveau oder Hyperlaxität) dar.

  • Anterolaterale Stabilisierungen als Add-on zur VKB-Rekonstruktion zeigen vielversprechende klinische Kurzzeitergebnisse mit einer deutlich reduzierten Versagensrate, die Langzeitfolgen dieser Prozeduren können noch nicht abgeschätzt werden.

  • Die Autoren dieser Arbeit bevorzugen die anterolaterale Stabilisierung modifiziert nach Lemaire mit einem distal gestielten Traktusstreifen.