Das deutsche Gesundheitssystem ist gegenwärtig mit verschiedenen Problemen konfrontiert. Das betrifft auch das Fachgebiet der Orthopädie und Unfallchirurgie deutlich. Durch die epidemiologische Entwicklung in der Gesellschaft steigt das Fallvolumen kontinuierlich insbesondere auf dem Gebiet der Alterstraumatologie und der Behandlung degenerativer Gelenkerkrankungen an. Dies führt gezwungenermaßen zu entsprechend zunehmenden Gesundheitsausgaben. Dem gesteigerten Fallvolumen steht leider ein zunehmender Personalmangel im Hinblick auf Fachkräfte im Gesundheitswesen gegenüber. Das betrifft derzeit vorrangig die Pflegeberufe, wo bereits ein relevanter Fachkräftemangel herrscht. In nächster Zeit werden jedoch die geburtenstarken Jahrgänge das Ruhestandsalter erreichen, sodass auch im ärztlichen Bereich mit Personalengpässen zu rechnen sein wird.

Die Ambulantisierung stationärer Leistungen wird als ein Teil der Lösung dieser Probleme gesehen, die im Sinne einer Ambulantisierungsinitiative vom Bundesgesundheitsministerium mit Hochdruck vorangetrieben wird. Durch die Verlagerung planbarer Operationen in den ambulanten Bereich sollen personelle und räumliche Ressourcen im stationären Bereich geschaffen werden.

Der Gesetzgeber hatte bereits 2019 die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV) beauftragt, das ambulante Operieren zu fördern und Anreize für die Durchführung ambulanter Operationen in Krankenhäusern zu schaffen. Das IGES-Institut identifizierte zu diesem Zeitpunkt nahezu 2500 OPS-Kodes, welche aus dessen Sicht prinzipiell dem AOP-Katalog hinzugefügt werden könnten.

Das Verlagern planbarer Operationen in den ambulanten Bereich soll Ressourcen im stationären schaffen

Mit dem Inkrafttreten des neuen AOP-Katalogs am 01.01.2023 haben sich einige wichtige Änderungen für die Versorgung von Patienten ergeben. Die Änderungen haben eine weitreichende Bedeutung für die Behandlung im stationären Bereich und sind der Beginn einer geplanten Krankenhausreform. Im ersten Schritt wurden nun weitere 208 Operationen dem AOP-Katalog hinzugefügt, sodass dieser nun insgesamt etwa 2780 Eingriffe beinhaltet. Das betrifft die Kniechirurgie in hohem Maße (siehe Tab. 1). Krankenhäuser und stationäre Einrichtungen sind seit dem 01.01.2023 verpflichtet, die im AOP-Katalog aufgelisteten Operationen primär bei der Indikationsstellung ambulant zu planen und durchzuführen. Sollten die im ambulanten Operations-Katalog (AOP-Katalog) enthaltenen Leistungen stationär durchgeführt werden, sieht der AOP-Vertrag nun eine Begründungspflicht für Krankenhäuser vor. Nach der neuen Regelung muss anhand von ICD-10- und/oder OPS-Kodes dokumentiert werden, warum ein Patient stationär behandelt wurde, obwohl der Eingriff prinzipiell ambulant durchführbar gewesen wäre. Die bislang dafür vorgesehenen G‑AEP-Kriterien (Appropriateness Evaluation Protocol) wurden mit dem Inkrafttreten des neuen Vertrags von Kontextfaktoren abgelöst, die eine stationäre Behandlung rechtfertigen würden. Die Kontextfaktoren für eine mögliche stationäre Behandlung der Patienten sind in Tab. 2 aufgelistet. Liegen jedoch abweichend von den in Tab. 2 genannten Kontextfaktoren medizinische oder soziale Faktoren vor, die dazu führen, dass die Versorgung des Patienten in der häuslichen Umgebung nicht sichergestellt werden kann und dadurch der medizinische Behandlungserfolg gefährdet ist, so kann in diesen Fällen eine stationäre Durchführung des Eingriffes begründet sein [6]. Spezifiziert werden diese Faktoren allerdings nicht.

Tab. 1 Auswahl von im AOP-Katalog enthaltenen Operationen am Kniegelenk
Tab. 2 Kontextfaktoren, die eine stationäre Behandlung rechtfertigen

Die Prüfung einer stationären Behandlung erfolgt leider erst nachträglich durch den Medizinischen Dienst (MD). Mögliche Kürzungen der Leistungsvergütung bergen entsprechend ein großes finanzielles Risiko für stationäre Einrichtungen, wenn Eingriffe aus dem AOP-Katalog stationär durchgeführt werden. Ein retrospektives Ändern zu einem ambulanten Fall ist nicht möglich, sodass der gesamte Erlös dann gestrichen werden könnte. Zudem können nachträglich auch keine Verbrauchsmaterialen mehr abgerechnet werden. Die Konsequenz ist, dass bereits einige stationäre Einrichtungen ambulant durchführbare Operationen gestrichen haben, um kein wirtschaftliches Risiko einzugehen. Diese Angebotsreduktion wird zumindest kurzfristig zu noch längeren Wartezeiten für bestimmte Eingriffe führen. Das ist bereits jetzt für Implantatentfernungen zu beobachten, da es bei diesen Eingriffen oft zu ungeplanten Abweichungen von der geplanten Operationszeit kommen kann (z. B. durch kaltverschweißte Schrauben).

Durch den neuen AOP-Katalog wird die Ambulantisierung der arthroskopischen Chirurgie unweigerlich weiter vorangetrieben. Grundsätzlich gibt es bei vielen Indikationen am Kniegelenk und in der Orthopädie allgemein keine wesentlichen Einwände gegen eine ambulante Durchführung. So konnte für die Rekonstruktionen des vorderen Kreuzbandes (VKB) gezeigt werden, dass Komplikationen, Schmerzen, Zufriedenheit und Gelenkfunktion nach ambulanter Behandlung ähnlich gut oder besser sowie kostengünstiger als nach stationärer Versorgung waren [1, 3]. Auch für größere Knieeingriffe (Knietotalendoprothese) werden positive Erfahrungen nach ambulanter Durchführung dieser Eingriffe berichtet [2, 4].

Die Art und Weise der Umsetzung der Ambulantisierung in Deutschland bietet jedoch Anlass für Kritik.

Ein Kritikpunkt betrifft die sehr eng gefassten Kontextfaktoren, die eine stationäre Behandlung rechtfertigen (Tab. 2). Die Ambulantisierung der operativen Eingriffe anhand von Abrechnungscodes zu organisieren ohne operations- und patientenspezifische Aspekte (Operationszeit, Begleitverletzungen und -eingriffe, Schmerzniveau etc.) miteinzubeziehen, muss aus ärztlicher Sicht kritisch gesehen werden. Eine individuelle, auf Patienten und den Verletzungsgrad angepasste Behandlung wird so deutlich erschwert. Unklar ist außerdem, ob bei Kombinationseingriffen, die mit mehreren OPS-Kodes kodiert werden können (z. B.: Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes (VKB) mit lateraler extraartikulärer Tenodese und Meniskusnaht) eine stationäre Behandlung erlaubt wäre, wenn ein OPS-Kode im AOP-Katalog gelistet ist. Neuere wissenschaftliche Daten haben zeigen können, dass insbesondere Zusatzeingriffe bei einer VKB-Rekonstruktion Risikofaktoren für eine Wiederaufnahme mit stationärer Behandlung darstellen können [3]. Dabei ist insbesondere die VKB-Ruptur eine Verletzung, die immer häufig Zusatzeingriffe erfordert. Auch andere wissenschaftlich begründete Risikofaktoren wie Übergewicht, ASA-Stadium (ASA: American Society of Anesthesiologists) oder höheres Lebensalter (> 75 Jahre) finden bei den Kontextfaktoren keine Berücksichtigung [2].

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Zeitdruck, mit dem die Ambulantisierung vorangetrieben wird. In vielen Krankenhäusern und stationären Einrichtungen ist die Infrastruktur für ambulante Operationen derzeit nur rudimentär vorhanden, weshalb eine Umstellung auf ambulantes Operieren größere bauliche Maßnahmen verlangt. Hier fehlt es beispielsweise neben Operationssälen auch an Umkleiden, Warteräumen und Aufwachräumen. Das Umsetzen dieser Maßnahmen benötigt neben Zeit auch einen hohen finanziellen Aufwand, weshalb eine Anpassung der politischen Vorgaben an vielen Kliniken kurzfristig nicht möglich ist. Dies wird aufgrund der Infrastrukturproblematik zu einer Verschiebung der Patienten in den ambulanten Sektor führen. Dies führt auf der einen Seite zwar zur Entlastung im stationären Bereich mit Freiwerden von personellen Ressourcen und Bettenkapazitäten, aber auch zu einer weiteren Überlastung im ambulanten Bereich. Wartezeiten auf notwendige Operationen werden sich dabei noch verlängern, weil zumindest kurzfristig Behandlungskapazitäten reduziert werden. Es besteht die Gefahr, dass das Gesundheitssystem und die Infrastruktur in Deutschland auf diese Änderung nicht vorbereitet sind. Langfristig werden sicher vermehrt Kapazitäten im ambulanten Bereich geschaffen werden. Möglicherweise kommt es aber dann auch aufgrund der günstigeren Arbeitsbedingungen (keine Dienste) zu einer Verlagerung von Fachkräften aus dem stationären in den ambulanten Bereich.

Ein Problem werden auch arthroskopische „Notfalleingriffe“ darstellen

Ein Problem werden auch arthroskopische „Notfalleingriffe“ wie zum Beispiel die akute Bewegungseinschränkung bei eingeklemmtem Meniskusriss darstellen, da die elektiven OP-Programme ambulanter OP-Zentren oft über Wochen im Voraus gefüllt sind und für eine Notfalloperation oft keine Kapazitäten vorhanden sind. Solche Eingriffe wurden bisher oft in Kliniken durchgeführt, da hierfür Notfallkapazitäten eingeplant haben.

Ein weiteres Thema, welches in der öffentlichen Diskussion um die Ambulantisierung zu wenig beachtet wurde, betrifft die chirurgische Ausbildung. Ein Verdrängen der arthroskopischen Operationen und von Operationen mit weniger hohem Schwierigkeitsgrad aus dem stationären Sektor führt außerdem dazu, dass die Ausbildung dieser Eingriffe hochgradig gefährdet ist. Die strukturellen Anforderungen (Facharztstandard) und die finanziellen Erlöse ambulanter Operationen machen eine chirurgische Ausbildung in diesem Bereich derzeit unmöglich. Bereits heute findet im niedergelassenen Bereich aufgrund des hohen Zeit- und Kostendrucks nur ein Bruchteil der Ausbildung statt. Eine qualitativ hochwertige chirurgische Ausbildung ist unter den jetzigen finanziellen Bedingungen nicht mehr möglich, da diese sehr zeitintensiv ist. Auch die strukturellen Anforderungen an ambulante Operationen (Facharztstandard) erschweren die Ausbildung in diesem Bereich. Unter den jetzt eingeleiteten Bedingungen ist zu erwarten, dass es im Bereich der operativen Medizin in den nächsten Jahren zu erheblichen Nachwuchsproblemen kommen wird. Dieser wird durch den zu erwartenden Ruhestand der geburtenstarken Jahrgänge noch verstärkt. Unverständlicherweise wird diese Problematik in der bisherigen Diskussion zur Ambulantisierung nur unzureichend berücksichtigt. Hier muss dringend nachgebessert werden. Denkbar wären deutliche Aufschläge für Eingriffe, die unter Ausbildungsbedingungen durchgeführt werden, oder großzügige Ausbildungspauschalen pro Assistenzarzt/Assistenzärztin für die ausbildenden Abteilungen.

Zusammenfassend ist die Ambulantisierungsinitiative in Deutschland grundsätzlich zu begrüßen, da wissenschaftliche Daten die ambulante Durchführung einer Vielzahl operativer Eingriff am Kniegelenk rechtfertigen. Kritik betrifft aber vor allem den eng gefassten Zeitplan, die streng gesteckten Kontextfaktoren und unklar definierten medizinischen Faktoren, die eine stationäre Behandlung begründen würden. Weiters muss die mit der Ambulantisierung verbundene Erlösreduktion kritisch gesehen werden, da so Vorhaltekosten für Dienstbereitschaften oder auch die chirurgische Ausbildung etc. nicht abgedeckt werden. Hier müssen dringend Lösungen erarbeitet werden, um die gesundheitliche Versorgung in Deutschland in Zukunft nicht zu gefährden.

Eine Lösung um das enge Zeitkorsett für stationäre Einrichtungen ein wenig zu entspannen, wären beispielsweise die bereits vorgeschlagene Tages-DRG (DRG: Diagnosis related groups). Für die gesamte Ambulantisierungsinitiative sollte das Prinzip „first better – then faster“ Anwendung finden, denn nur so führt ein kürzerer Krankenhausaufenthalt auch zur Verbesserung der Patientenversorgung [5].