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Der digitale Wandel des 21. Jahrhunderts verändert mit zunehmender Geschwindigkeit nahezu alle Lebensbereiche. Die Grundlagen dafür sind Fortschritte auf den Gebieten der Computertechnologie, Sensorik, Robotik, Bilderkennung und künstlichen Intelligenz. Durch „Smartphone“, „Tablets“ und „Application Software“ (App) sind multiple Anwendungsmöglichkeiten entstanden, um unser Leben und unseren Alltag auf verschiedene Weise zu vereinfachen. Als Beispiel sei die Mobilität angeführt, ein Bereich, in dem der digitale Fortschritt besonders spürbar ist (digitale Buchungssysteme, Navigation, autonomes Fahren etc.).

Hier hinkte die Medizin lange Zeit hinterher, obwohl sich seit der Jahrtausendwende verschiedene Gesundheitsminister für eine Verbesserung der Digitalisierung im Gesundheitswesen stark gemacht haben. Hier spielte sicher auch eine gewisse Skepsis der potenziellen Anwender eine große Rolle, die in den letzten Jahren teilweise auch negative Erfahrungen mit dem digitalen Wandel in der Medizin gemacht haben. Als Beispiel seien hier träge und komplizierte Krankenhausinformationssysteme (KIS) zu nennen, deren potenzielle Vorteile im Hinblick auf eine Arbeitserleichterung durch den gestiegenen Dokumentationsaufwand der letzten Jahre zunichte gemacht wurden. Aber auch ungelöste ethische und legale Probleme haben die Geschwindigkeit der Digitalisierung in der Medizin in den letzten Jahren gehemmt.

Durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erfolgte dann jedoch eine Digitalisierungsinitiative, mit dem Ziel die elektronische Patientenakte, e‑Rezepte, Telemedizin und digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) zu fördern.

Durch die Coronapandemie hat das Thema der Digitalisierung jedoch einen enormen Aufschwung erfahren, der auch die Orthopädie und Unfallchirurgie miterfasst hat [1, 9]. Im Speziellen zu erwähnen sind hier die Videosprechstunden, Telekommunikation im Fortbildungswesen (Online-Fortbildungen, Online-Kongresse) und Online-Konferenzen oder Besprechungen mit mehreren Teilnehmern [2]. Auch die Deutsche Kniegesellschaft ist auf diesem Gebiet schnell aktiv gewesen (DKG-live Serie, Online-Kongress 2020).

Die Vorteile dieser Applikationen liegen klar auf der Hand. Sie sparen Kosten und Zeit durch den Wegfall der Anreise. Das ermöglicht höhere Teilnehmerzahlen ohne finanzielle Einschränkungen bei der Wahl der Referenten. Auch die ökologische Dimension mit Einsparungen der CO2-Emissionen ist hier anzusprechen. Leider trägt die Medizin ja wesentlich zur CO2-Emission bei [6]. Nachteile dieser neuen digitalen Möglichkeiten liegen jedoch in der eingeschränkten persönlichen Interaktion [3]. Diese Interaktion ist insbesondere für die bisher in der Medizin üblichen „Marketingmechanismen“ von hoher Relevanz, sodass die neuen Online-Formate seitens der Industrie nur eine eingeschränkte Förderung erfahren. Auch wenn gegenwärtig ein rückläufiger Trend zur Präsenzveranstaltung erkennbar ist, werden diese Formate auch in der Post-Covid-19-Ära weiter Bestand haben (abendliche Fortbildungsveranstaltungen, internationale „Events“ etc.).

Im Hinblick auf das medizinische Fortbildungswesen sind auch die neuen Möglichkeiten der Simulation chirurgischer Eingriffe anzusprechen, die bereits vor Covid-19 ihren Einzug in die chirurgische Ausbildung gefunden haben und neue Möglichkeiten in der chirurgischen Ausbildung bieten [7]. Vorreiter ist hier die Arthroskopie am Kniegelenk [7].

Das Knie steht auch bei vielen anderen digitalen Anwendungen in der Orthopädie im Vordergrund, da es das Gelenk ist, welches am häufigsten von Verletzungen und degenerativen Erkrankungen betroffen ist. So beziehen sich bereits 2 von 4 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassenen DiGA für das Muskel- und Skelettsystem auf Indikationen am Kniegelenk. Digitale Gesundheitsanwendungen sind bereits in der konservativen Therapie oder in der Rehabilitation im klinischen Einsatz. Zu den DiGA zählen unter anderem Apps oder browserbasierte Anwendungen, die entweder vom Patienten selbst oder gemeinsam mit dem Arzt benutzt werden können. Sie können mit externen Sensoren kombiniert werden, die der Qualitätskontrolle durchgeführter Übungen dienen können. Auch eine Abfrage klinische Scores (patient reported outcome measures [PROMs]) ist möglich. Ein Überblick über die bisher zugelassenen und rezeptierbaren DiGA ist auch auf der Webseite des BfArM einsehbar (https://diga.bfarm.de/de). Da die Anforderungen einer DIGA zur Aufnahme in das BfArM-Verzeichnis mittlerweile zusätzlich zum Nachweis von Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Datenschutz auch den Nachweis des medizinischen Nutzens umfassen, sind viele potenzielle Anwendungen derzeit noch in Erprobung. Hier sind weitere Entwicklungen zu erwarten.

DiGA sind Apps oder browserbasierte Anwendungen, die vom Patienten allein oder mit Arzt benutzt werden können

Auch in der Knieendoprothetik spielen digitale Applikationen durch die Kombination von Sensorik und Robotik schon seit einigen Jahren eine Rolle [4]. Beim Einsatz von Robotern im OP ging es bisher vor allem darum, die Sägeschnitte in der Knieendoprothetik zu optimieren und dem Operateur genaue Informationen zur Balancierung der Weichteile zu geben, um das Alignment zu optimieren. Derzeit arbeiten die meisten Robotersysteme in der Knieendoprothetik allerdings passiv, das bedeutet, dass sie zwar Informationen über das erreichbare „Alignment“ geben können, die Steuerung aber durch den Operateur erfolgt. In Zukunft wird maschinelles Lernen (ML) die Systeme dabei unterstützen können, für den individuellen Patienten eine das „Outcome“ optimierende „Alignmentstrategie“ zu finden. Maschinelles Lernen stellt eine eigenständige Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) dar, die Algorithmen zur automatischen Funktionsoptimierung beschreibt [4, 5]. Es werden Vorhersagen möglich, indem nichtlineare Beziehungen in großen Datensätzen erkannt werden. Dazu ist es notwendig, dass die Operationsroboter in digitale Systeme integriert sind, die eine prä- und postoperative Datensammlung ermöglichen (z. B. Alter, Aktivität, Geschlecht, präop. „Alignment“, Komplikationen, PROMs etc.). So können digitale Systeme in Zukunft helfen, die Prozessqualität in der Orthopädie und Unfallchirurgie zu optimieren, um auch eine verbesserte Ergebnisqualität zu erreichen (Abb. 1; [8]).

Abb. 1
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Schematische Darstellung, wie in Zukunft mithilfe digitaler Applikationen die Prozess- und Ergebnisqualität in der Orthopädie und Unfallchirurgie erfasst und miteinander verknüpft werden können. (Aus Petersen et al. [8])

Wie alle Neuerungen in der Medizin bietet die Digitalisierung allerdings nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. Das betrifft auch die sozialen Netzwerke, über die bereits ein bedeutender Teil der beruflichen und wissenschaftlichen Kommunikation in Orthopädie und Unfallchirurgie erfolgt.

Mit diesem Themenheft wollen wir das Thema der Digitalisierung in der Orthopädie und Unfallchirurgie fokussiert auf das Kniegelenk beleuchten, die Chancen und Risiken analysieren, um gemeinsam die digitale Zukunft in unserem Fach zu gestalten.