Die Bedeutung von ‚Landschaft‘ und ihre kartographische Darstellung wurde methodisch mit modelleisenbahnbezogener Literatur ausgewertet. Die Auswertung basiert auf 24 Publikationen von 1959 bis 2020 (siehe „Appendix“). Ziel war es, wesentliche Deutungs- und Bewertungsmuster in Bezug auf Landschaft sowie deren kartographische Darstellung herauszuarbeiten und mit deskriptiven statistischen Analyseergebnissen zu beschreiben.
Die Bedeutung von Landschaft für Modelleisenbahnen
Die Präsenz von ‚Landschaft‘ in der Modelleisenbahn reicht von einer wenig beachteten Kulisse (mit dem ‚Fahrbetrieb‘ im Vordergrund) bis hin zu einer absoluten Dominanz in kaum betriebsfähigen Dioramen, in denen kleinere Szenerien aufwändig und mit hohem Detaillierungsgrad gestaltet sind. Da mit Modelleisenbahn auch Spielzeug für Kinder verbunden wird, finden sich in zahlreicher Modellbahnliteratur Hervorhebungen, wie Gestaltung und Betrieb einer ‚ernsthaften‘ Modellbahn zu vollziehen sind. Dies hebt bspw. Hill (2007, S. 5) im ersten Kapitel seines Buches hervor: „Mit diesem Band, liebe Leser, soll Ihnen geholfen werden, vom ‚Spielbahner’ zum ‚Modellbahner’ zu werden“ (ähnliche Beispiele finden sich auch bei Hill 2000; Stein 1994 u.a.). Ansprüche dieser Art zeigen einerseits die Differenz der ‚expertenhaften Sonderwissensbestände‘, wobei diese gemeinhin nicht durch ein wissenschaftliches Studium erworben wurden, sondern durch Praxis und Erfahrung, aus der – teilweise (wie noch gezeigt wird) forciert – vorgetragene Normen und kategorische Bewertungen abgeleitet werden. Andererseits lässt sich das angesprochene ‚Helfen‘ mit Paris (2005, S. 25) als „Macht ohne Eigennutz, aber mit Selbsterhöhung “ verstehen, indem modellbahnspezifischer Normen der Distinktion gegenüber dem ‚Spielbahner‘ erläutert werden.
Den als ‚Modellbahnlandschaft‘ gestalteten und angeordneten physischen Objekten jenseits den Bahnlagen (als Landschaft wird gemeinhin das bezeichnet, was nicht Bahnanlage ist) kommen die Aufgaben zu, der Anlage der Gleisanlagen Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Dieses erfolgt in Anlehnung an common-sense-Erfahrungen aus dem ‚Vorbild‘ in mehrfacher Hinsicht:
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1.
Legitimation: Gleisanlagen sind durch Siedlungen, Industrieanlagen, Anlagen für Güterumschlag etc. zu legitimieren. So wirkt ein großer Hauptbahnhof (der für einen abwechslungsreichen Fahrbetrieb – nicht Spielbetrieb – wesentlich ist) vor der Kulisse eines Dorfes unglaubwürdig.
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2.
Zeitliche Kontextualisierung: Die ‚Landschaftsgestaltung‘ muss (andernfalls droht die Disqualifizierung zum ‚Spielbahner ‘) zur Betriebsepoche des rollenden Materials passen. Eine Windkraftanlage der Gegenwart (Epoche VI) wirkt ansonsten im Vergleich zu einer Anlage, die die Reichsbahnära der Zwischenkriegszeit (Epoche II) darstellt, als deplatziert.
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3.
Kaschierung: Zu einem abwechslungsreichen Betrieb (beim Vorbild taucht derselbe Zug schließlich nicht alle zwei Minuten in einem Bahnhof auf) müssen Züge verdeckt abgestellt werden (Schattenbahnhöfe), ‚Landschaft‘ muss also so gestaltet werden, dass die Anlage solche Schattenbahnhöfe (häufig in einer unteren Ebene) ermöglicht (Abbildung 1).
In diesem Kontext moniert Balcke (2003, S. 11) bei vielen Anlagen ein „störendes Nebeneinander von zu vielen Bahnstrecken und Bahnhöfen zu kleiner Anlagenfläche“. Stattdessen wird von Kiegeland (1981, S. 7) das Ziel formuliert, eine Anlage so zu gestalten mit einer „Landschaft, die so wirkte, als sei sie zuerst dagewesen, und später die Eisenbahn“. Als wesentliche Herausforderung gilt dabei das ‚Maßstabsproblem‘, so entsprechen im populären Maßstab H0 (1:87) ein Kilometer Streckenlänge im Vorbild 11.5 m Streckenlänge im Modell (was natürlich auch für die Reliefenergie gilt). Entsprechend ist auch die Zahl der Darstellung ‚landschaftlicher‘ Kompartimente begrenzt (norddeutsche Küste und Alpen darstellen zu wollen gilt als Indikator für ‚Spielbahner‘). Aus dieser Reglementierung sowie dem Bedarf der Kaschierung heraus wird das Thema ‚Mittelgebirgslandschaft mit (Mittel)stadt und Dorf‘ besonders häufig gewählt und auch weil dies den in Deutschland verbreiteten ästhetischen landschaftlichen Stereotypen entspricht (Kühne 2018c) – bis auf die Stadt, die jedoch infolge der Legitimation des beliebten Anlagenthemas ‚zweispurige Hauptstrecke mit abzweigender Nebenstrecke‘ nötig ist. Die Wahl der Sonderthemen, wie etwa ‚Industrielandschaft‘ oder ‚Küste mit Hafen‘ entspringen entweder besonderen thematischen Vorlieben (häufig des Bahnbetriebs) oder entsprechenden heimatlich-normallandschaftlichen Bezügen (Kühne 2018b; Kühne und Schmitt 2012a, b). Auch wenn eine ‚realistische‘ Gestaltung der Anlage als Norm gilt, wird analog zum ‚Nietenzähler’ (der eine extrem vorbildgerechte Gestaltung des rollenden Materials erwartet) der ‚Blätterzähler’ (der danach bestrebt ist, Vegetation möglichst nahe dem Vorbild nachzubilden; Rieche et al. 2002) als Devianzform definiert.
Kartographische Abstraktionen in der Modelleisenbahnliteratur
Der Betrieb von rollendem Material setzt die Gestaltung einer Modelleisenbahnanlage voraus. Insofern widmet sich die Modelleisenbahn bezogene Literatur nicht allein der Vorstellung von Lokomotiven und Waggons in Modell und Vorbild, sondern auch der Gestaltung von Gelände, Siedlungen, Vegetation usw. Diese Gestaltung wird nicht allein in Fotos und Zeichnungen vermittelt, sondern insbesondere durch kartographische Darstellungen. Diese dienen der abstrahierenden Zusammenschau ganzer Anlagen oder größerer Teile davon. Mit dem Ziel wesentliche Merkmale der Modelleisenbahn bezogenen Literatur herauszuarbeiten wurden die in der oben genannten Literatur vorhandenen 525 kartographischen Darstellungen anhand einer induktiv gewonnenen Kategorisierung hinsichtlich wesentlicher Inhalte und deren kartographischer Darstellungsformen untersucht.
Die untersuchten kartographischen Darstellungen lassen sich in drei Hauptkategorien unterteilen: (1) Blockbilder, (2) topographische Repräsentationen und (3) Gleispläne. Letztgenannte wiederum lassen sich in ausschließliche Gleispläne unterteilen, in denen allein Gleisverläufe, bestenfalls mit Höhenangaben, zu finden sind: (a), Gleispläne, die auch Darstellungen von Bahnbetriebsgebäuden bzw. wenige topographische Angaben, etwa Gebäude in Nähe der Bahnanlagen, enthalten (b) und (c) Gleispläne, die darüber hinaus flächendeckend, auf der gesamten Anlagendarstellung, topographische Angaben enthalten, aber dennoch die Gleisanlagen im Vordergrund der Darstellung stehen. Dies ändert sich bei den topographischen Repräsentationen, hier rückt die Bedeutung der Gleisanlagen auch in der Darstellung zurück. Es dominieren landschaftliche Aspekte. Das Blockbild stellt einen Sonderfall dar, in der ganze Anlagen oder Anlagenteile in dreidimensional dargestellt werden (Abbildungs 2, 3, 4).
Die ‚Signaturensprache‘ folgt den oben dargestellten Kategorien: Während bei den ausschließlichen Gleisplänen abstrakte Signaturen (einfache Liniensignatur für Gleise) zum Einsatz kommen und entsprechend die Vielfalt an Signaturen gering ist, nimmt der Anteil bildhafter Signaturen bis zur topographischen Darstellung zu, wobei zur Darstellung der Gleise bis auf wenige Ausnahmen auf eine einfache Liniensignatur vertraut wird und entsprechend auch die Vielfalt der Signaturen zunimmt (Abbildung 5). In Blockbildern sind abstrakte Signaturen vollständig zugrunde einer bildhaften Darstellung verschwunden. Mit Ausnahme von Gleisen und bisweilen Gebäuden werden in den untersuchten kartographischen Darstellungen selten abstrakte Signaturen eingesetzt. Anstelle der Nutzung einer Legende (2.9 Prozent) werden Erläuterungen unmittelbar in die kartographischen Darstellungen (28.8 Prozent) durch Schrift platziert. Mehr als zwei Drittel der untersuchten Darstellungen (68.4 Prozent) verzichten gänzlich auf schriftliche Erläuterungen. Augenscheinlich wird einerseits auf Lesekonvention der Nutzerinnen und Nutzer vertraut: einfache Liniensignaturen stets als Gleis zu verstehen, und andererseits auf die Fähigkeit, bildhafte Signaturen korrekt zu deuten. Zu dieser Konvention findet sich eine andere Besonderheit in den Modellbahn bezogenen kartographischen Darstellungen: Bis auf in einer (!) wird auf die Darstellung von Isohypsen verzichtet. Zur Reliefdarstellung werden Schraffuren, seltener Schummerungen gewählt. Diese sind offenbar intuitiv einfacher verständlich, passen besser zur bildhaften Signaturensprache, zumal es in der Modellbahnkartographie selten auf exakte Höhenangaben des Geländes ankommt (mit Ausnahme der Definition von Steigungsstrecken, die dann aber durch Beschriftung der Gleissignaturen mit Höhenangaben geleistet werden; Abbildung 6).
Infolge der oben dargestellten hohen Bedeutung der Orographie für die Kaschierung der nicht maßstabsgerechten Gestaltungsmöglichkeiten der Modellbahn sind Angaben dazu in rund zwei Dritteln der untersuchten Darstellungen zu finden (Abbildung 7), wiederum mit der bereits thematisierten Dominanz von Mittelgebirgsräumen. Auf diese große Bedeutung der Orographie weisen auch indirekt die geringeren Darstellungsgrade von Siedlungen bzw. Gebäuden, diese finden sich in 47.2 Prozent der untersuchten kartographischen Darstellungen nicht. Für noch entbehrlicher scheinen die Autoren der kartographischen Darstellungen von Modellbahnanlagen Hinweise zur Vegetation zu halten: Diese fehlt in 57.7 Prozent der Darstellungen.
Wie im vorangegangenen Abschnitt ausgeführt, wird von Autoren der Modellbahn bezogenen Literatur die landschaftliche Norm formuliert, die Modelleisenbahnanlage so zu gestalten, als sei die Bahn in die ‚Landschaft‘ gebaut worden und nicht die ‚Landschaft‘ um die Gleisanlagen herum. Dieser Anspruch wird von den untersuchten Darstellungen allerdings nur in Teilen eingelöst (Abbildung 8). Auch wenn von der Kategorie ‚Reine Bahnanlagen, keine landschaftliche Kontextualisierung’ abgesehen wird, die auf die Darstellung reiner Gleispläne zurückgeht, in denen keine landschaftlichen Kontextualisierungen vorgesehen sind, zeigt sich bei den untersuchten kartographischen Darstellungen, dass doch eine große Dominanz von Eisenbahnanlagen zu finden ist. Landschaft fungiert hier dann eher als Kulisse für den Betrieb und die Präsentation des rollenden Materials.
Insgesamt dominiert eine eher einfache kartographische Darstellung, die auf eine konkrete Zeichensprache vertraut und durch ihre bildhafte Anschaulichkeit (vgl. Dickmann 2018, S. 147) intuitiv verständlich ist. Diese verzichtet auf komplexere Darstellungen und abstrakte Signaturen, die nicht unmittelbar intuitiv eingängig sind. Zudem wird auf die Darstellung des Maßstabs weitgehend verzichtet. Er wird häufig über ein untergelegtes Raster angelegt und vermittelt (dessen Seitenlängen dann für unterschiedliche Modellbahnmaßstäbe unterschiedliche Distanzen repräsentieren). Entsprechend fehlen auch mehrschichtige Darstellungen.
Auch wenn die dargestellten Konventionen der Modelleisenbahnkartographie offenbar zugrunde liegen, findet sich dennoch eine große Variationsbreite: Die Publikationen weisen in sich jeweils auch bei vergleichbaren kartographischen Darstellungen keine einheitliche Zeichenauswahl auf. Selbst bei reinen Gleisplänen, die eine eher geringe Variationsbreite der Signaturendarstellung nahelegt, variieren etwa die Strichstärken der Liniensignaturen deutlich. Ähnliches gilt auch für die Nutzung von Farben: zumeist ohne inhaltlich zwingenden Grund werden die kartographischen Darstellungen – womöglich auch aus druckpragmatischen Überlegungen beteiligter Verlage – farbig, schwarz-weiß oder in Graustufen abgedruckt.