1 Problemaufriss

Der Sachunterricht der Grundschule muss im Sinne einer doppelten Anschlussaufgabe (GDSU 2013) sowohl an die Lernvoraussetzungen und Vorstellungen der Kinder als auch an das entsprechende Fachwissen und die Konzepte der einzelnen Fachdisziplinen anschließen. Um Kindern adaptive, an ihre Lernausgangslagen anschließende, Lernangebote zur Verfügung stellen zu können, ist die Kenntnis der Lernausganslagen von Bedeutung. Im Sachunterricht spielt dabei neben motivationalen und emotionalen Voraussetzungen nicht nur das Vorwissen der Kinder eine Rolle, bspw. welche Kinderrechte sie kennen oder ob ihnen der Begriff der Kinderrechte vertraut ist, sondern auch ihre vorhandenen Vorstellungen bzgl. verschiedener Konzepte, bzw. über welches Rechtsverständnis sie verfügen.

In der UN-Kinderrechtskonvention (BMFSFJ 2022), im Beschluss der Kultusministerkonferenz zur Menschenrechtsbildung in der Schule (KMK 2018) und in den Lehrplänen, z. B. im LehrplanPLUS für Bayern (StMBW 2014), hier wurde die Studie durchgeführt, ist die Auseinandersetzung der Kinder mit ihren Rechten verankert, wodurch die Relevanz von Kinderrechten als Unterrichtsinhalt in der Grundschule verdeutlicht wird. Kinderrechte werden dabei aber nicht nur als inhaltlicher Bestandteil einzelner Fächer, wie bspw. im Heimat- und Sachunterricht, Religion und Ethik (z. B. StMBW 2014), berücksichtigt, sondern die Thematisierung und Verwirklichung der Kinderrechte soll Teil einer umfassenden Unterrichts- und Schulentwicklung sein (KMK 2018).

Die Vorstellungen und das Wissen von Kindern im Grundschulalter zum Themenfeld Kinderrechte sind bislang kaum untersucht. Auch wenn für die Gestaltung adaptiven Unterrichts die konkreten Vorstellungen und Lernvoraussetzungen der Kinder in den jeweiligen Klassen berücksichtigt werden müssen (z. B. Kopp und Martschinke 2022), so können Studienergebnisse dennoch einen ersten Überblick über zu erwartendes Vorwissen und mögliche Vorstellungen der Kinder liefern. Hier setzt die vorliegende Studie an.

2 Vorstellungen von Grundschulkindern

„Ganz allgemein können unter Schülervorstellungen Vorstellungen verstanden werden, die von Schülerinnen und Schülern vor bzw. neben dem Unterricht, im Unterricht und auch nach dem Unterricht gebildet werden“ (Möller 2018, S. 35; Hervorhebung im Original). Bei Vorstellungen handelt es sich um subjektive gedankliche Konstruktionen (Gropengießer und Marohn 2018, S. 51) in Form von enaktiven, ikonischen oder symbolischen Repräsentationen von Wissensbestandteilen, Erfahrungen, Erlebnissen oder geistigen Entwürfen (Möller 2018, S. 36). Vorstellungen (Vorwissen, Vorerfahrungen etc.), die vor Beginn des Unterrichts bzw. danach zu einem Thema vorhanden sind (ebd.), werden als Präkonzepte bzw. Postkonzepte bezeichnet. Vorstellungen, die nicht den fachwissenschaftlichen Vorstellungen entsprechen, wurden oftmals als Fehlkonzepte oder missconceptions bezeichnet (z. B. Gropengießer und Marohn 2018; Möller 2019, 2018). Mittlerweile haben sich in einer lernunterstützenden Weise die Begriffe alternative Vorstellungen, alternative concepts oder children’s science durchgesetzt (Möller 2019, 2018). Des Weiteren können die Vorstellungen von Schüler:innen nach dem Grad ihrer Beständigkeit unterschieden werden (ebd.): So lassen sich tief verankerte deep structures von sogenannten current constructions oder Ad-hoc-Konstruktionen unterscheiden. Während erstere häufig den Lernprozess und damit die Veränderung alternativer Vorstellungen hin zu wissenschaftlich korrekten Vorstellungen erschweren, da sie sich für die Lernenden in vielfacher Weise bewährt haben und für diese eine hohe Glaubwürdigkeit aufweisen, lassen sich zweitere leichter ändern, da sie häufig spontan und aus Verlegenheit heraus entstehen.

Die Veränderung bestehender Konzepte wird als Conceptual Change bezeichnet (z. B. Möller 2018). Die dabei ablaufenden „Lernprozesse erfordern – auf der Basis bereits vorhandener Vorstellungen – das aktive (Um)Konstruieren von Vorstellungen durch die Lernenden, wobei es sich um eine Differenzierung, Erweiterung oder um einen Neuaufbau oder eine Umstrukturierung von Vorstellungen handeln kann“ (Möller 2018, S. 38). Dies kann ein langwieriger Prozess sein (Hardy und Meschede 2018, S. 25), je nach Verankerung der Vorstellungen. Unter anderem aus dieser konstruktivistischen Sichtweise auf Lernen ergibt sich die Notwendigkeit der Erfassung und Berücksichtigung von SchülervorstellungenFootnote 1 bei der Planung von Lernangeboten (z. B. Möller 2018; Adamina 2008; Gropengießer und Marohn 2018).

Gut untersucht sind Schülervorstellungen in den Naturwissenschaften sowie im Bereich der Technik, zunehmend auch im Bereich des geographischen und historischen Lernens; am wenigsten untersucht sind bislang Schülervorstellungen im Bereich der Sozialwissenschaften, der Wirtschaft, der Ethik und der Religionskunde (Adamina et al. 2018, S. 13). Im Bereich der Sozialwissenschaften liegen vor allem Befunde zum ökonomischen Lernen (zsfd. Gafner Knopf und Wulfmeyer 2018) und zu politischen Vorstellungen vor (zsfd. Dängeli und Kalcsics 2018). Darüber hinaus finden sich einzelne Studien, wie bspw. von Baar (2014), zu kindlichen Präkonzepten bzgl. Familie und Familienkonstellationen. Die Ergebnisse der verschiedenen Studien weisen insgesamt eine hohe Heterogenität in den Vorstellungen auf (zsfd. Kopp und Martschinke 2022). Zu Schülervorstellungen im Bereich der Kinderrechte liegen nur vereinzelte, vorrangig internationale Befunde vor (s. 3.).

3 Kinderrechte

Bei einem Recht handelt es sich um einen „Sammelbegriff für alle Ordnungssysteme, deren Ziel es ist, das Zusammenleben in einer Gesellschaft verbindlich und auf Dauer zu regeln bzw. soziale Konflikte zu vermeiden“ (Schubert und Klein 2020). Rechte bestimmen also das gesellschaftliche Zusammenleben maßgeblich, indem sie sinnstiftend für die gesellschaftliche Ordnung sind und Herrschaftsverhältnisse reproduzieren (Zippelius 2012). Dabei wird zwischen objektiven Rechten, darunter fallen staatlich festgelegte und gesetzte Rechte, wie bspw. öffentliche Rechte, und subjektiven Rechten, die als Sammelbegriff für Grundrechte, Grundfreiheiten und Menschenrechte des Einzelnen verwendet werden, unterschieden (Lehmann 2021; Zippelius 2012). Rechtswissenschaftlich sind verschiedene gesellschaftliche Funktionen des Rechts anerkannt, z. B. Ordnungs‑, Friedens- und Herrschaftskontrollfunktion (Zippelius 2012), jedoch ist nicht weiter ausdifferenziert, ob Rechte zu etwas befähigen, etwas zugestehen oder bspw. auch zum Schutz etc. dienen. Dass keine eindeutige und einheitliche Rechtsdefinition vorliegt, begründet sich vermutlich darin, dass sich Rechte aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten lassen, z. B. dogmatisch-juristisch, historisch, soziologisch, naturwissenschaftlich, deskriptiv sowie philosophisch (von der Pfordten 2008).

Kinderrechte gelten als universelle Menschenrechte für Kinder, die auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern im Vergleich zu Erwachsenen ausgerichtet sind (Maywald 2012). Sie sind also „keine Sonderrechte für Kinder, sondern […] konkretisieren die universellen Menschenrechte im Hinblick auf die Lebenssituation von Kindern“ (Rudolf 2014, S. 22) und berücksichtigen deren Bedürfnis nach z. B. beständigen liebevollen Beziehungen, nach körperlicher Unversehrtheit und Sicherheit sowie nach individuellen entwicklungsgerechten Erfahrungen (Maywald 2012).

Die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) umfasst 54 Artikel, wurde 1992 in Deutschland ratifiziert und basiert auf vier Grundprinzipien (z. B. BMFSFJ 2022): Diskriminierungsverbot, Recht auf Leben und persönliche Entwicklung, Kindeswohlvorrang, Recht auf Beteiligung. Die Kinderrechte gelten für alle Kinder unabhängig bspw. ihrer Herkunft oder Religion. Zudem sollen die Kinder in ihrer Entwicklung gefördert werden und damit zum Beispiel auch vor Krankheiten und Gewalt geschützt werden. Das Kindeswohlvorrang umfasst, dass alle Einrichtungen, wie bspw. auch Gerichte, stets das Kindeswohl und die Interessen des Kindes in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen haben. Darüber hinaus sind die Kinder in allen sie betreffenden Angelegenheiten – entsprechend ihres Alters und ihrer Reife – zu hören und ihre Meinung ist zu berücksichtigen. Zudem steht den Kindern ein Beschwerderecht zu, bspw. auch bei Nichteinhaltung ihrer Rechte.

Einen Überblick über die konkreten Inhalte der Kinderrechtskonvention gibt das Haus der Kinderrechte (s. Abb. 1; BMFSFJ 2022; Deutsches Kinderhilfswerk o.J.): Über allem steht eines der vier Grundprinzipien, das Wohl des einzelnen Kindes, Artikel 3. Die ‚konkreten‘ Kinderrechte lassen sich thematisch in drei Säulen, die gleichermaßen von Relevanz sind, einteilen: Aufgrund der erhöhten Schutzbedürftigkeit von Kindern lässt sich ein Teil der Kinderrechte unter dem Begriff der Schutzrechte zusammenfassen, wie z. B. das Recht auf Schutz vor körperlicher und seelischer Gewalt oder das Recht auf Schutz vor Ausbeutung. Neben ihrer Schutzbedürftigkeit benötigen Kinder jedoch auch eine besondere Förderung, die sich auf die Gewährleistung ihrer Grundbedürfnisse und von besonderen Bedürfnissen hinsichtlich ihrer Entwicklung bezieht, wie z. B. Gesundheit, Bildung oder eine persönliche Identität. Beteiligungsrechte, wie z. B. das Recht auf Gehört werden und freie Meinungsäußerung, beschreiben sowohl das Recht der Kinder, ihre Meinung zu äußern, als auch an Entscheidungen, die ihre Person betreffen, beteiligt zu werden. Im Fundament des Hauses finden sich verschiedene Artikel der UN-KRK zur Umsetzung der Kinderrechte. Diese umfassen zunächst die Gültigkeit der Kinderrechte für Menschen bis zu einem Alter von 18 Jahren. Artikel 4 bezieht sich auf zu ergreifende Maßnahmen durch die Vertragsstaaten, um die Umsetzung der Kinderrechte zu garantieren. Die Vertragsstaaten sind zur Bekanntmachung der Kinderrechte verpflichtet (Art. 42), explizit auch bei den Kindern, damit diese über ihre Rechte informiert sind und deren Einhaltung auch einfordern können, indem sie bspw. von ihrem Beschwerderecht Gebrauch machen. Um die Umsetzung und Wahrung der Kinderrechte kontrollieren zu können, sind die Vertragsstaaten verpflichtet, regelmäßig Rechenschaft bzgl. der ergriffenen Maßnahmen und Fortschritte zur Umsetzung der Kinderrechte abzulegen.

Abb. 1
figure 1

Haus der Kinderrechte. Eigene Darstellung in Anlehnung an BMFSFJ (2022) und Deutsches Kinderhilfswerk (o.J.)

Laut Perry-Hazan (2021) verfügen Kinder und Jugendliche über eine intuitive Rechtswahrnehmung. Sie beschreiben ihre Rechte insbesondere im Zusammenhang mit moralischen Grundsätzen, ihrem Wohlbefinden sowie ihren Gefühlen und beziehen sich dabei nicht auf einen juristischen Sprachgebrauch.

Ergebnisse der Children’s Worlds+ Studie (Andresen et al. 2019) zeigen, dass nur etwas über ein Drittel der Grundschulkinder nach eigener Angabe weiß, welche Rechte Kinder und Jugendliche haben. Zudem haben 60,7 % der Grundschulkinder noch nie etwas von der UN-KRK gehört (ebd.). Laut Kinderreport 2018 (DKHW 2018) sind lediglich 16 % aller befragten Kinder und Jugendlichen der Meinung, sich gut mit Kinderrechten auszukennen. Dagegen kennen 60 % Kinderrechte nur vom Namen her und fast ein Viertel aller Befragten hat noch nichts von Kinderrechten gehört (ebd.).

Ähnliche Befunde finden sich auch in internationalen Untersuchungen (af Ursin und Haanpää 2018): Demnach geben im Durchschnitt 31,8 % aller Kinder an, Kinderrechte zu kennen, 45,4 % meinen zu wissen, welche Rechte Kinder haben und über die Hälfte der Kinder gibt an, dass ihre Rechte respektiert werden.

Bezüglich des (Kinder‑)Rechtsverständnisses ergaben Gruppendiskussionen von Kindern und Jugendlichen (Andresen et al. 2019), dass Kinderrechte als Abwehr von Gefahren oder im Sinne der Ermöglichung verstanden werden und die befragten Kinder und Jugendlichen Rechte vor allem auf Bildungs- und Schutzrechte, auf Versorgungsrechte und auf das Recht auf Spielen beziehen. Auch in internationalen Studien (Hareket und Yel 2017; Quennerstedt 2016) zeigt sich eine Fokussierung von Kindern auf Schutz- (z. B. vor Gewalt) und Förderrechte (z. B. Recht auf Bildung, Spiel).

Aus dem aktuellen (inter)nationalen Forschungsstand lässt sich ableiten, dass es insbesondere national an qualitativen Untersuchungen zu Vorstellungen von Grundschulkindern zum Thema (Kinder‑)Rechte mangelt. Vorliegende Studien erfassen vorrangig den Bekanntheitsgrad der Kinderrechte, ohne konkrete Inhalte oder deren Relevanz zu erfassen. Unerforscht ist auch, ob Kinder tatsächlich kaum etwas über ihre Kinderrechte wissen oder ob sie mit dem Begriff des Rechts nicht vertraut sind. Doch nur wenn die Kinder wissen, was Rechte bedeuten und vor allem auch welche Rechte sie haben, können sie bspw. auch deren Einhaltung einfordern. Die vorliegende Studie möchte einen Beitrag zur Bearbeitung der aufgezeigten Desiderata leisten.

4 Forschungsfragen

Im Beitrag soll das (Kinder‑)Rechtsverständnis von Grundschulkindern fokussiert werden, indem folgenden Fragen nachgegangen wird:

  1. 1.

    Was verstehen Kinder unter einem Recht?

  2. 2.

    Welche Vorstellung haben Kinder zur Relevanz von Rechten?

  3. 3.

    Was verstehen Kinder unter Kinderrechten?

  4. 4.

    Welche Relevanz weisen Kinder den Kinderrechten im Vergleich zu Menschenrechten zu?

5 Methode

In einem qualitativen Querschnitt wurden 59 Grundschulkinder der 3. und 4. Jahrgangsstufe (n3.Jgst. = 23, n4.Jgst. = 36; nmännlich = 34; nweiblich = 25) aus insgesamt sieben Klassen und fünf Schulen mithilfe eines teilstandardisierten und materialgestützten Einzelinterviews zu Kinderrechten befragt. Der vorliegende Beitrag fokussiert einen Teilaspekt des Gesamtprojekts zu Schülervorstellungen von Grundschulkindern zu Kinderrechten. Fast alle Kinder gaben an, bereits von den Kinderrechten gehört zu haben, vorrangig im Unterricht oder in der Schule (n = 45). Lediglich drei Kinder gaben an, noch nie vom Begriff der Kinderrechte gehört zu haben. Der Interviewleitfaden umfasst unter anderem Leitfragen zur Rechtsvorstellung der Kinder (z. B. Was ist ein Recht?) und der Relevanz von Rechten sowie zum Begriff der Kinderrechte (z. B. Was stellst du dir unter Kinderrechten vor?) und deren Relevanz. Aufgrund von Schwierigkeiten einzelner Kinder mit der Thematik Kinderrechte wurden nicht alle Kinder gleichermaßen zu ihren Rechtsvorstellungen befragt. Als Gesprächsimpuls wurden Bildkarten einzelner Kinderrechte der Bundeszentrale für politische Bildung (2018) genutzt, die zum Einstieg in das Interview dienten.

Die Daten wurden mit MAXQDA sowohl qualitativ inhaltsanalytisch (Mayring 2015) als auch quantitativ (Lamnek 2016) anhand eines deduktiv-induktiv entwickelten Kategoriensystems ausgewertet (s. Tab. 1). Auf Ebene der Hauptkategorien fand die Kategorienbildung sowohl deduktiv als auch induktiv statt. Die induktiven Hauptkategorien bilden dabei die alternativen Vorstellungen der Kinder ab. Die Subkategorienbildung fand induktiv statt.

Tab. 1 Kategoriensystem zur qualitativen Auswertung

Bezüglich der Dimension des Rechtsverständnisses wurden entsprechend der Rechtsdefinition (s. 3.) die deduktiven Hauptkategorien der Verbindlichkeit und dauerhaften Gültigkeit unterschieden. Induktiv wurden die beiden Hauptkategorien nicht verbindlich und Erlaubnis sowie die Subkategorien Allgemeine Erlaubnis und Erlaubnis bzgl. bestimmter Rechte ergänzt.

Im Rahmen der Dimension Relevanz von Rechten wurden ebenfalls gemäß der zugrundeliegenden Rechtsdefinition zwei Hauptkategorien deduktiv unterschieden: Zusammenleben in der Gesellschaft sowie Vermeidung von Konflikten, die jeweils um weitere Subkategorien ergänzt wurden, wie z. B. Struktur oder Beteiligung. Induktiv wurden die Hauptkategorien um Förderung – mit den Subkategorien bei Behinderung bzw. aller Menschen – und individuelle Selbstbestimmung erweitert. Bezüglich der Vorstellung zu Kinderrechten sowie zur Relevanz der Kinderrechte wurde die Dreiteilung der Kinderrechte in Schutz- Förder- und Beteiligungsrechte (s. 3.) zur Formulierung der deduktiven Hauptkategorien herangezogen, die in der Dimension der Relevanz der Kinderrechte um die induktiven Subkategorien Allgemeine Förderung und Mangelndes Wissen/Fähigkeiten ergänzt wurden. Äußerungen der Kinder wurden den Schutz‑, Förder- oder Beteiligungsrechten zugeordnet, wenn sich diese allgemein auf den Schutz, die Förderung oder die Beteiligung der Kinder bezogen haben oder wenn spezifische Kinderrechtsartikel genannt wurden, die einem dieser drei Bereiche zuzuordnen sind. In der Dimension Vorstellung Kinderrechte wurde die Hauptkategorie Allgemeine Kinderrechtsvorstellung induktiv ergänzt, die zwei Subkategorien, Rechte für Kinder sowie Rechte in Bezug zu Erwachsenen, umfasst. Außerdem wurde im Rahmen der Dimension Relevanz der Kinderrechte die induktive Hauptkategorie Unterschied Kinder und Erwachsene gebildet mit den Subkategorien Altersunterschied sowie unterschiedliche Lebenssituationen/Interessen.

Die Interraterreliabilität liegt mit Cohens’s K = 0,70–0,90 für die einzelnen Kategorien in einem zufriedenstellenden bis guten Bereich.

6 Ergebnisse

Die Ergebnisse werden entlang der Forschungsfragen präsentiert.

6.1 Was verstehen Kinder unter einem Recht?

Die Befunde zeigen, dass die Mehrheit (n = 47) aller dazu befragten Kinder (n = 55) eine Vorstellung zum Rechtsbegriff äußern konnte. Acht Kinder gaben an, dass sie keine Antwort auf die Frage, was ein Recht sei, besitzen und somit auch keine Rechtsvorstellung äußern können. 17 Kinder berücksichtigten in ihrem Verständnis wesentliche Aspekte der Rechtsdefinition, indem sie Rechten einen verbindlichen Charakter zuschrieben und Rechte damit als etwas Verpflichtendes beschrieben, an das man sich halten muss, z. B. „Dass man das haben muss“ (5.2, Pos. 49). Dabei bezogen sich die Kinder auch auf die Korrelation von Rechten und Konsequenzen: „Ein Gesetz. Das, wo (…) sich jeder daran halten muss. … Und wenn man es nicht tut, hat man halt/ also wird man im Gefängnis landen“ (11.2, Pos. 95–99). Kein Kind bezog sich bei der Rechtsvorstellung auf den Aspekt der dauerhaften Gültigkeit.

Insgesamt wiesen 30 Kinder eine alternative Rechtsvorstellung auf, indem sie äußerten, dass Rechte als nicht verbindlich (n = 3) und/oder als Erlaubnis zu verstehen sind (n = 28). Bezüglich der nicht bindenden Zuschreibung von Rechten beschrieben die Kinder Rechte als etwas, woran man sich halten kann: „Ein Recht ist, dass man etwas machen darf und man darf es machen und muss es nicht machen“ (7.1, Pos. 60). Hinsichtlich der alternativen Rechtsvorstellung Erlaubnis führten die Kinder entweder eine allgemeine Erlaubnis an (n = 13), wie z. B. „Dass man irgendwas machen darf“ (4.2, Pos. 83), oder bezogen die Erlaubnis auf bestimmte Rechte (n = 15), wie z. B. die Selbstbestimmung „Dass man immer, also vielleicht, dass man selber also für sich entscheiden darf, was man macht und halt, wie man aussieht und dass man halt auch ein bisschen selber über sich entscheiden darf“ (1.2, Pos. 140). Rechte wurden jedoch auch als Schutz vor Grenzüberschreitungen formuliert, indem sich Menschen beispielsweise zur Wehr setzen dürfen: „Also ich habe das Recht etwas zu sagen, dass er das nicht macht“ (8.3, Pos. 55). Die Kinder nannten in diesem Kontext beispielsweise auch das Recht auf Meinungsfreiheit, Bildung und Leben.

Des Weiteren zeigt sich, dass die Mehrheit der Kinder, die im Weiteren nach einem Zusammenhang zwischen Rechten und Pflichten gefragt wurde (n = 48), einen entsprechenden Zusammenhang beschrieb (n = 33). 15 Kinder konnten dabei auf Anhieb einen Zusammenhang zwischen Rechten und Pflichten erläutern, 18 Kinder erst nach einem Hilfsimpuls, indem sie beispielsweise auf das Recht auf Bildung hingewiesen wurden „Ja, zum Beispiel Schule. Bildung ist ein Recht, aber auch eine Pflicht“ (1.5, Pos. 162). Die Kinder nannten jedoch auch andere Zusammenhänge, wie beispielsweise anhand des Rechts auf Versorgung: „Wenn ich mir jetzt zum Beispiel ein Bein breche, dann muss der Kinderarzt oder das Krankenhaus mich pflegen“ (9.2, Pos. 161).

Vier weitere Kinder äußerten zwar einen Zusammenhang zwischen Rechten und Pflichten, waren sich jedoch eher unsicher und sagten, dass sie „ein bisschen“ (2.3, Pos. 226) einen Zusammenhang sehen, konnten dies aber nicht weiter erläutern. Elf Kinder sahen keinen Zusammenhang zwischen Rechten und Pflichten.

6.2 Welche Vorstellung haben Kinder zur Relevanz von Rechten?

Bezüglich der Relevanz von Rechten weisen die Vorstellungen der dazu befragten Kinder (n = 57) eine große Varianz auf. 10 Kinder hatten keine Vorstellung dazu, 14 Kinder äußerten eine alternative Vorstellung und 33 Kinder berücksichtigten Aspekte der Rechtsdefinition.

Dabei bezogen sich 17 Kinder auf das Zusammenleben in der Gesellschaft, indem sie die Aspekte Struktur (n = 8), Gerechtigkeit (n = 6), Freiheit (n = 4) und Beteiligung (n = 3) nannten. Hinsichtlich der Struktur bezogen sich die Kinder auf Regeln und die Vermeidung von „Chaos“ (12.2, Pos. 48), z. B. „Weil sonst würde es gar keine Regeln auf der Welt geben. Und alles würde schieflaufen“ (14.2, Pos. 46). In der Kategorie Gerechtigkeit bezogen sich die Kinder darauf, dass es ohne Rechte unfair wäre und es Rechte für eine gerechte Welt brauche. So erklärte ein Kind: „Damit andere nicht vernachlässigt werden und man selber nicht vernachlässig wird. Und dass keine Ungerechtigkeiten vorkommen“ (11.3, Pos. 70–72). Im Sinne der Freiheit führten Kinder an, dass es Rechte brauche „damit man frei leben kann“ (13.2, Pos. 51). So beschrieb ein Kind, dass Rechte wichtig wären, damit man seine Freiheiten genießen könne und ein anderes Kind erklärte: „Dass man sich selber sein kann und nicht gleich immer das Gleiche, was der andere macht, sondern was man selber denkt“ (14.3, Pos. 40). Zwei Kinder führten im Rahmen der Beteiligung die politische Mitbestimmung an, indem sie die Relevanz von Rechten in Bezug zur Möglichkeit des Protests oder zu demokratischen Wahlen erläuterten.

Ähnlich viele Kinder (n = 16) bezogen sich auf die Vermeidung von Konflikten und nannten dabei die allgemeine Schutzfunktion (n = 12) von Rechten, wie z. B. „Wenn es keine Rechte gäbe, dann könnte ja jeder mit dem anderen machen, was er wollte“ (7.2, Pos. 37). Sie berücksichtigten aber auch explizit den Frieden (n = 5), damit es ein „gutes Miteinander“ (14.3, Pos. 40) gibt und damit „alle friedlich zusammenleben“ (3.3, Pos. 64).

Insgesamt 14 Kinderäußerungen wurden den alternativen Vorstellungen Förderung (n = 13) und individuelle Selbstbestimmung (n = 1) zugeordnet. Bezüglich der Förderung bezogen sich die Kinder zum einen explizit auf die Förderung von Menschen mit Behinderung (n = 3), z. B. „[…] die halt so Behinderung haben, könnten auch nicht zur Schule gehen und würden einfach nur da rum sitzen und die anderen auch Kinder, die Behinderung haben, könnten nicht spielen und würden ganze Zeit vor dem Fenster traurig sitzen und zuschauen“ (9.3, Pos. 69). Zum anderen bezogen sich die Kinder aber auch auf die Förderung aller Menschen (n = 10). „Damit man nicht sein ganzes Leben lang traurig ist“ (1.3, Pos. 169) und „Na ja, dass die Kinder sich vielleicht auch wohlfühlen“ (1.6, Pos. 153), was eine Verbindung von Rechten und Gefühlen darstellt. Im Sinne der individuellen Selbstbestimmung führte ein Kind an „Dass man auch selber entscheiden darf, was ich tue“ (1.2, Pos. 146).

6.3 Was verstehen Kinder unter Kinderrechten?

Hinsichtlich der Vorstellungen zu Kinderrechten ergibt sich, dass die dazu befragten Schüler:innen (n = 57) mehrheitlich eine richtige Vorstellung (n = 37) hatten, indem sie diese inhaltlich beschrieben und sich dabei vor allem auf Schutzrechte und/oder Förderrechte bezogen, die sich verschiedenen Bereichen zuordnen lassen.

Äußerungen zu den Schutzrechten (n = 20) bezogen sich dabei konkret auf den Schutz vor Gewalt, vor allem körperlicher Art, z. B. „Dass du nicht geschlagen wirst“ (1.5, Pos. 15), auf den Schutz vor Benachteiligung, z. B. „Und, dass Kinder nicht benachteiligt werden dürfen“ (1.7, Pos. 23), den Schutz vor Arbeit, z. B. „Dass die Kinder halt nicht arbeiten gehen müssen“ (4.2, Pos. 49) oder auch den Schutz in Bezug auf Eltern, z. B. „Dass Kinder das Recht haben, bei ihren Eltern aufzuwachsen“ (7.2, Pos. 15).

Neben den Schutzrechten bezogen sich die Kinder aber auch auf ihre Förderrechte (n = 13) und stützten sich dabei auf die Aspekte Freizeit und Spiel, z. B. „[…] die brauchen zum Beispiel so Kindersachen. Die haben ein Recht zum Spielen, die haben auch Recht Spaß zu haben“ (3.3, Pos. 8), Bildung, z. B. „Ich glaube, dass Kinder in die Schule gehen dürfen“ (4.1, Pos. 13), sowie Versorgung, z. B. „[…] es braucht auf jeden Fall immer so ein Zuhause, Essen und Trinken und es braucht auch auf jeden Fall einen Platz, wo es sich wohlfühlt“ (6.5, Pos. 16).

Nur wenige Kinder berücksichtigten auch Beteiligungsrechte (n = 6). In diesem Kontext beschrieben Kinder Kinderrechte als Recht auf Information und Mitbestimmung: „Naja, sowas wie du darfst halt auch Dinge erfahren. Das heißt, dir wird nichts verheimlicht und sowas“ (1.5, Pos. 13) oder „Dass man entscheiden darf, was man will […]“ (13.2, Pos. 15).

Einige Kinder (n = 13) wiesen eher allgemeine Vorstellungen von Kinderrechten auf, was als alternative Vorstellung eingeordnet wurde. Dabei beschrieben sie Rechte zum einen lediglich als Rechte für Kinder (n = 10), z. B. „Also halt auch Rechte für Kinder“ (10.4, Pos. 18). Zum anderen bezogen sich drei Kinder bezüglich ihrer Vorstellung von Kinderrechten auf Erwachsene und sagten beispielsweise „Ehh, Kinder haben Rechte so wie Erwachsene. Zum Beispiel Kinderrechte sind Rechte für Erwachsene plus Kinder“ (1.7, Pos. 9). Sieben Kinder konnten keine Vorstellung zu Kinderrechten äußern.

6.4 Welche Relevanz weisen Kinder den Kinderrechten im Vergleich zu Menschenrechten zu?

Von den befragten Kindern (n = 50) wiesen etwas mehr als die Hälfte (n = 28) richtige Vorstellungen auf. Sie begründeten die Bedeutung von Kinderrechten zusätzlich zu den allgemeinen Menschenrechten vor allem mit der erhöhten Schutzbedürftigkeit der Kinder (n = 17), z. B. „Weil Kinder sich halt nicht so gut wehren können und nochmal stärkere Rechte brauchen“ (2.1, Pos. 152), berücksichtigten aber auch den Aspekt der Förderung (n = 13), indem sie zum einen allgemeine Förderungsaspekte (n = 7) erläuterten oder zum anderen explizit mangelndes Wissen (n = 6) seitens der Kinder anführten. Bezogen auf die Förderung beschrieben Kinder, dass es Kinderrechte brauche, damit Kinder besser versorgt werden. Ein Kind erklärte die Bedeutung von Kinderrechten wie folgt: „Weil die Menschenrechte sind vielleicht anders. Und die Kinder brauchen es auch anders, damit sie besser aufwachsen“ (8.1, Pos. 73). Bezüglich des Wissens führten die Kinder an, dass Kinder explizite Rechte bräuchten, da es ihnen an Wissen und Fähigkeiten mangele, „[…] weil sie noch nicht so reif sind und noch nicht so viel wissen“ (14.2, Pos. 65).

Nur wenige Kinder (n = 3) bezogen sich ausschließlich auf Beteiligungsaspekte und beschrieben die Relevanz von Kinderrechten beispielsweise mit folgender Aussage: „Kinderrechte brauchen wir dafür, dass Kinder auch eine eigene Meinung haben können“ (9.2, Pos. 127).

Oftmals bezogen sich die Kinder bezüglich der Relevanz von Kinderrechten, zusätzlich zu den Menschenrechten, auf den Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen (n = 14), was als alternative Vorstellung eingestuft wurde. Dabei bezogen sie sich zum einen lediglich auf den Altersunterschied (n = 6), indem die Kinder beispielsweise sagten „Weil Kinder sind Menschen, aber keine Erwachsene“ (5.3, Pos. 65). Zum anderen führten die Kinder bezüglich des Unterschieds jedoch auch konkrete Beispiele an, die sich auf unterschiedliche Interessen und Lebenssituationen von Kindern und Erwachsenen beziehen (n = 8) und berücksichtigten dabei, dass sie unterschiedliche Dinge tun, z. B. Spielen vs. Arbeiten, und es daher Kinderrechte brauche, z. B. „Ich glaub weil Erwachsene halt nicht so spielen wie Kinder sondern eher in die Arbeit gehen und nicht in die Schule“ (1.2, Pos. 162). Acht Kinder wiesen keine Vorstellung zur Relevanz von Kinderrechten auf.

7 Zusammenfassung und Diskussion

Dass Kinder über ihre Rechte informiert sind, diese kennen und sich damit auseinandersetzen, ist sowohl Aufgabe des Staates als auch der Schulen (z. B. BMFSFJ 2022; KMK 2018; StMBW 2014). Bislang liegen kaum nationale Befunde darüber vor, inwiefern Kinder ihre Rechte kennen und vor allem, was sie darunter verstehen sowie welche Bedeutung sie diesen beimessen. Diesem Desiderat widmet sich die vorliegende Studie, mit dem Schwerpunkt auf den Vorstellungen des (Kinder‑)Rechtsverständnisses und der Relevanz von (Kinder‑)Rechten.

Insgesamt zeigt sich, dass bei Grundschulkindern im Wesentlichen (noch) kein Rechtsverständnis vorliegt, teilweise jedoch ein Kinderrechtsverständnis. Die Einordnung der Relevanz von (Kinder‑)Rechten durch die Kinder fällt sehr unterschiedlich aus. Zudem sind die Vorstellungen der Grundschulkinder von einzelnen Kinderrechten geprägt, die sich vor allem auf Schutz- und Förderrechte beziehen, was in Einklang mit den Ergebnissen von Andresen et al. (2019) und Quennerstedt (2016) steht.

Konkret zeigen die Befunde, dass zwar etwas mehr als zwei Drittel der befragten Grundschulkinder über eine Rechtsvorstellung verfügen, sich allerdings nur wenige Kinder auf Aspekte der Rechtsdefinition, wie die Verbindlichkeit oder dauerhafte Gültigkeit beziehen. Deutlich mehr Kinder weisen alternative, eher allgemeine und oberflächliche, Vorstellungen auf, indem sie Rechte als etwas nicht-bindendes oder etwas, das legitimiert, verstehen. Dies könnte zum einen damit erklärt werden, dass auch fachwissenschaftlich keine eindeutige Definition von Rechten vorliegt (von der Pfordten 2008). Zum anderen könnte dies aber auch darauf zurückgeführt werden, dass in den Lehrplänen (z. B. StMBW 2014) beim Thema Kinderrechte inhaltlich die UN-KRK, die Relevanz von Kinderrechten sowie ausgewählte Rechte fokussiert werden, aber der Rechtsbegriff an sich keine Beachtung findet. Anders sieht es bei den Vorstellungen zur Relevanz von Rechten aus. Etwas mehr als die Hälfte der Kinder bezieht sich korrekterweise auf das Zusammenleben in der Gesellschaft oder die Vermeidung von Konflikten. Dabei führen sie relevante Begründungsaspekte von Rechten, wie Struktur, Gerechtigkeit und Frieden, an. Dass die Kinder eher eine Vorstellung zur Relevanz von Rechten als bezüglich des Rechtsverständnisses äußern können, könnte daran liegen, dass sie in ihrem Alltag mit Rechten konfrontiert sind, aber nicht damit, was darunter konkret zu verstehen ist, was den Befund von Quennerstedt (2016) der intuitiven Rechtswahrnehmung, die auf persönlichen Erlebnissen basiert, unterstützt. Demnach scheinen Kindern im Grundschulalter konkrete Rechte geläufig zu sein, jedoch haben sie mit der Einnahme der Metaebene, was sich hinter einem Recht verbirgt, Schwierigkeiten.

Ihre Vorstellungen zu Kinderrechten beschreiben die Grundschüler:innen in Einklang mit bereits vorliegenden Befunden (z. B. ebd.) vorrangig über ausgewählte Schutz- und Förderrechte. Es finden sich aber auch alternative Vorstellungen, wie dass es sich dabei alleinig um Rechte für Kinder handelt, was auf eine sehr oberflächliche Vorstellung hindeutet. Dass sich die Kinder hier entweder zu konkreten Inhalten oder sehr allgemein zu Kinderrechten äußerten, könnte zum einen daran liegen, dass die Mehrheit der Kinder über ein alternatives Rechtsverständnis verfügt und die Kinder damit auch nicht konkret beschreiben können, was sie sich unter Kinderrechten vorstellen, oder zum anderen daran, dass sie kein ausreichendes Bewusstsein über ihre eigenen Rechte haben (Hareket und Yel 2017). Allerdings können die Kinder überwiegend die Relevanz von Kinderrechten gut begründen, indem sie sich auf die besondere Situation von Kindern (Maywald 2012) sowie auf deren Schutzbedürftigkeit, die Notwendigkeit der Förderung oder Beteiligung beziehen. Alternative Vorstellungen umfassen vorrangig lediglich den (Alters‑)Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen. Dass die Kinder insgesamt differenziertere Vorstellungen zu Kinderrechten als zu Rechten allgemein haben, könnte daran liegen, dass die überwiegende Mehrheit der Kinder bereits in Schule und Unterricht etwas von den Kinderrechten gehört hat. Auch wenn unsere Stichprobe aufgrund der qualitativen Anlage zu klein ist, um belastbare Aussagen zu treffen, deuten unsere bisherigen Befunde daraufhin, dass die Kinder im Wesentlichen ihre Kinderrechte, zumindest in Teilen, oder ausgewählte Rechte kennen, da sie einzelne Rechte zur Beschreibung von Kinderrechten nutzen. Welche Kinderrechte die Kinder tatsächlich kennen und was sie darunter verstehen, ist noch auszuwerten. Dass in anderen Untersuchungen (vgl. 3) der Anteil an Kindern, die angaben, ihre Rechte zu kennen, niedriger liegt als unsere Ergebnisse das vermuten lassen, könnte an unterschiedlichen Gründen liegen. Zum einen könnten die unterschiedlichen Befunde auf unsere nicht-repräsentative Stichprobe zurückzuführen sein, zum anderen könnte der Grund im Erhebungszeitraum liegen. Anlässlich von 30 Jahren Kinderrechte und der Diskussion um die Aufnahme ins Grundgesetz wurden diese ab 2019 zunehmend in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt und damit auch vermehrt in Schule und Unterricht berücksichtigt. Ein weiterer Erklärungsansatz könnte im Studiendesign liegen. Während beispielsweise in der Children’s Worlds+ Studie (Andresen et al. 2019) im Rahmen einer Fragebogenerhebung konkret nach dem Wissen bezüglich der Rechte von Kindern gefragt wurde ‚Weißt du, welche Rechte Kinder und Jugendliche haben?‘ und sich die Kinder zwischen ja, nein und bin mir unsicher entscheiden mussten, wurde in unseren qualitativen Einzelinterviews danach gefragt, ob die Kinder bereits von dem Begriff der Kinderrechte gehört haben und was sie sich darunter vorstellen.

Limitierend ist zudem anzumerken, dass keine Informationen darüber vorliegen, in welchen Fächern und wie umfangreich das Thema Kinderrechte in Schule und Unterricht berücksichtigt wurde. Zudem lassen sich keine Aussagen darüber treffen, inwiefern es sich bei den gefundenen Vorstellungen um current constructions oder deep structures (z. B. Möller 2018) handelt. Dies ist in weiteren Analysen zu klären. Trotz der genannten Limitationen lassen sich aus unseren Befunden Implikationen für Forschung und Praxis ableiten.

8 Implikationen für Forschung und Schulpraxis

In weiteren Studien sollten die Lernangebote in Unterricht und Schule näher in den Blick genommen werden, um zu eruieren, inwiefern dadurch ein Conceptual Change (z. B. Möller 2018) angeregt und die Vorstellungen über schulische Lernangebote (weiter)entwickelt werden können. Dazu bedarf es entsprechender Interventionsstudien, die eine konzeptionelle Entwicklung des (Kinder‑)Rechtsverständnisses initiieren und erforschen.

In Schule und Unterricht der Grundschule sollte eine umfassende Behandlung der Kinderrechte angeregt und eine oberflächliche Thematisierung einzelner Kinderrechte vermieden werden. Um ein tragfähiges Rechtsverständnis bei den Kindern grundzulegen, bedarf es der Thematisierung, was überhaupt ein Recht ist, und in der Folge dann auch, was Kinderrechte sind. Das Haus der Kinderrechte (s. Abb. 1) oder die Dreiteilung der Kinderrechte in Schutz‑, Förder- und Beteiligungsrechte (s. 3.) bietet eine gute Grundlage, um auch die Relevanz von Kinderrechten aufzugreifen. Da sich die Kinder vorrangig auf Schutzrechte beziehen, sollten explizit auch Förder- und Beteiligungsrechte thematisiert werden und wie auch von der KMK (2018) gefordert, Kinderrechte nicht nur im (Sach‑)Unterricht aufgegriffen, sondern auch in der Schulentwicklung berücksichtigt werden. Ein Ansatz wäre hier, den Kindern explizit ihre Beteiligungsrechte zu gewähren, bspw. über ein Schüler:innenparlament auf Schulebene oder konkrete Mitbestimmungsmöglichkeiten im täglichen Unterricht.

Um dies umzusetzen, bedarf es entsprechender Angebote in der Lehrkräfteaus- und -fortbildung, und zwar sowohl bezüglich der Erarbeitung (der Relevanz) von (Kinder‑)Rechten im Sachunterricht der Grundschule als auch hinsichtlich einer konsequenten Umsetzung im Rahmen der Unterrichts- und Schulentwicklung. Bzgl. Ersterem können die vorliegenden Befunde dahingehend genutzt werden, dass sie einen Überblick über vorhandene (Kinder‑)Rechtsvorstellungen sowie der Relevanz von (Kinder‑)Rechten liefern, mit denen im Grundschulalter gerechnet werden kann und an die inhaltlich angeschlossen werden muss.