1 Kultur der Digitalität

Seit einigen Jahren wird der Begriff Digitalisierung durch den der Digitalität ersetzt. Dieser begriffliche Wandel ist wesentlich durch Felix Stalders Buch „Kultur der Digitalität“ (2016) befördert worden. Mit der Kultur der Digitalität wird eine „kulturelle Konstellation“ (Stalder 2016, S. 11) beschrieben, bei der sich nicht nur die Technik ausbreitet und verfeinert, sondern die zu einer Veränderung aller Lebensbereiche führt. Digitalität ist als Zustand zu verstehen, bei dem digitale Technik eine unausweichliche Grundbedingung des Alltagshandelns ist (Allert und Asmussen 2017). Voraussetzung für die Dominanz des Digitalen ist die Tatsache, dass analoge Prozesse, Werkzeuge und Objekte nicht nur durch digitale Pendants ergänzt oder ersetzt werden, sondern oftmals erweitert oder verändert werden; Funktionen werden verschoben. Beispielsweise ersetzt ein eBook-Reader nicht nur ein einziges gedrucktes Buch, sondern viele Bücher; zudem kann man Schriftgrößen anpassen, Wörter nachschlagen, Passagen markieren oder Übersetzungshilfen in Anspruch nehmen. Die beobachtete Transformation entsteht dabei nicht durch die digitale Technik allein, sondern durch die Art und Weise, wie digitale Technik eingesetzt wird und wie Menschen durch sie und mit ihr ihr Handeln verändern. Der Begriff der Kultur erweitert den Blick darauf, wie sich durch digitale Technik die gesamte Lebenspraxis wandelt; die Verengung auf technische Geräte und Anwendungen wird überwunden. Kultur wird hier in erster Linie als eine gelebte Praxis verstanden, die durch das Handeln der Menschen und ihre Interaktion mit der Technologie entsteht (Stalder 2016). Sie zeigt sich in der Art und Weise, wie Menschen digitale Technologien nutzen und in ihren Alltag integrieren. Kultur der Digitalität ist nicht statisch, sondern ein dynamischer und sich ständig weiterentwickelnder Prozess. Sie ist geprägt von der fortlaufenden Evolution digitaler Technologien und der Art, wie Menschen diese Technologien annehmen und anwenden. Stalder macht deutlich, dass die digitale Technik zu einer erhöhten Komplexität und Ausdifferenzierung der Gesellschaft beiträgt: In einer Komplexitätsspirale ermögliche es erst die digitale Technik, die durch sie selbst hervorgerufene Komplexität (in Form von Datenmengen und Kommunikation) zu bewältigen. Stalder (ebd.) nennt Praktiken für die Überwindung der Unübersichtlichkeit: 1) Referentialität, 2) Gemeinschaftlichkeit und 3) Algorithmizität; sie kennzeichnen eine Kultur der Digitalität.

Neben der Digitalisierung bestehender Alltagspraktiken bringt die Digitalität auch neue Strukturen hervor: Soziale Netzwerke im Internet (wie Instagram, X, TikTok, LinkedIn) oder das Angebot digitaler Spiele (bspw. Rollen- oder Online-Multiplayerspiele auf PC, Spielkonsolen oder Livestreaming-Plattformen) sind kaum mit analogen Vorläufern oder Alternativen vergleichbar. Digitale Technik stellt vordergründig zwar Werkzeuge bereit, mit denen altbekannte Ziele erreicht werden können (z. B. ein Programm, um einen Text zu schreiben oder ein Whiteboard, um Inhalte zu präsentieren), diese Werkzeuge sind aber typischerweise so beschaffen, dass die Funktionalität nicht nur angereichert, sondern grundlegend verändert wird.

Die Diskussion über Digitalisierung und Digitalität wird durch die Vielzahl ihrer Erscheinungsformen erschwert. Digitalität zeigt sich nicht nur in Geräten oder technischen Objekten Zwar spielen Geräte („Devices“) eine zentrale Rolle, allen voran Smartphone, Tablet und Laptop. Doch ohne Software (Programme, Apps) wären diese nicht funktionsfähig. Hinzu kommt die digitale Vernetzung dieser Geräte über das Internet. Der Sammelbegriff „digitale Medien“ wäre jedoch unzureichend, weil der pervasive Charakter des Digitalen (Kerres 2018) dazu führt, dass digitale Technik auch in Objekten und Prozessen vorhanden ist, die nicht in erster Linie als Medium verstanden werden (z. B. ein Kühlschrank oder eine sprechende Puppe). In diesem Beitrag wird deshalb der offene und multivalente Begriff der „digitalen Technik“ verwendet mit dem Ziel, die gesamte Palette von Objekten, Anwendungen und Prozessen darunter zu versammeln.

2 Digitalität und Schule

Die Perspektive der Digitalität hat auch den Diskurs über den Einsatz digitaler Medien in Schulen verändert. Im Sinne einer digitalen Kultur würde sich diese Veränderung an den Schulen nicht in der Nutzung digitaler Technik im Unterricht erschöpfen; Digitalität in der Organisation Schule betrifft und verändert Schule als Ganzes. Es geht also um einen Wandel von Schul-Kultur(en) insgesamt (Stalder und Kuttner 2022). Der disruptive Charakter für Schulen jedoch, den der Begriff der Digitalität nahelegt, ist bislang nicht hinreichend erfasst worden. Zwar gibt es die Versuche Digitalität auch als Leitbegriff für die (digitale) Schulentwicklung zu etablieren (z. B. Stalder und Kuttner 2022; Hauck-Thum 2021). Doch im Diskurs ist es bislang nicht gelungen, die von Stalder (2016) beschriebene Kultur der Digitalität auf Schule operational zu übertragen. Der erziehungswissenschaftliche Diskurs verharrt oftmals im Abstrakten (z. B. Allert und Asmussen 2017; Hauck-Thum und Noller 2021) und ist für die schulische Praxis daher eher verwirrend als ordnend. Die Schulpolitik fokussiert sich auf den Einsatz digitaler Technik im Unterricht; Beispiele hierfür sind die Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“ (KMK 2016) und das daran anschließende Gutachten „Digitalisierung im Bildungssystem. Handlungsempfehlungen von der Kita bis zur Hochschule“ der Ständigen Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK 2022). In ihnen werden unterrichtsbezogene Aspekte des Einsatzes von digitaler Technik betrachtet, was der umfassenden Theorie von Digitalität nicht gerecht wird. Der Wandel von Digitalisierung zu Digitalität erscheint deshalb bislang lediglich semantischer Natur zu sein; Digitalität ist das Etikett für eine Schulentwicklung, die alten Wein in neuen Schläuchen serviert. Bedeutungsaufladung und Widersprüchlichkeit des Diskurses führen zu einer wenig hilfreichen Situation beim Einsatz digitaler Technik in Schulen.

Mit dem hier vorgelegten Text wird der Versuch unternommen, Spuren von Digitalität auf den verschiedenen Ebenen von Schule als Organisation zu identifizieren. Eine solche Betrachtung kann zu einer weiterführenden Auseinandersetzung der Erziehungswissenschaft mit Digitalisierung/Digitalität beitragen.

Mit diesem Ziel wird im Folgenden anhand eines Mehrebenenmodells von Schule (in Anlehnung an Knauf 2020; siehe Abb. 1) analysiert, wie auf den verschiedenen Ebenen von Schule digitale Technik eingesetzt wird. Dabei werden die Ergebnisse mit der Perspektive einer Kultur der Digitalität in Beziehung gesetzt. Bei diesem Vorgehen bildet die Bedeutung digitaler Technik im Unterricht den Kern (1). Der Unterricht ist eingebettet in die mittelbare Lehrerarbeit (II), also diejenigen Tätigkeiten der Lehrkräfte außerhalb des Unterrichts, die aber auf den Unterricht bezogen sind und für die digitale Technik zum Einsatz kommt. Den Rahmen hierfür bilden digitale Anwendungen für Schulverwaltung und interne Kommunikation (III). Für die Nutzung digitaler Technik auf den Ebenen I bis III ist eine digitale Infrastruktur (IV) notwendig, die sowohl Geräte, Anwendungen und Zugänge umfasst, als auch personellen Support.

Abb. 1
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Ebenen von Schule

3 Ebenen der Organisation Schule in der Digitalität

3.1 Unterricht

Eine Hoffnung, die mit digitaler Technik verknüpft wird, ist eine grundsätzliche Verbesserung der Unterrichtsqualität. Sie bezieht sich dabei einerseits auf den Einsatz von Geräten (insbesondere Smartboards und Tablets), anderseits um die Nutzung von Lernsoftware, etwa in Form von Apps, digitalen Schulbüchern, Lernprogrammen und -plattformen (Qureshi et al. 2021).

Konkret liegen heute viele Erfahrungen und Ansätze vor, wie digitale Technik im (Grundschul‑)Unterricht eingesetzt werden kann: von der Nutzung des Internets zu Recherchezwecken und dem Einsatz von Videos zur anschaulichen Vermittlung der Unterrichtsinhalte über digital bereitgestellte Übungsaufgaben, Tests und Prüfungen mit unmittelbaren Rückmeldungen, bis hin zu gamifizierten Lehrgängen und digitalen und interaktiven Simulationen. Hinzu kommt die Erstellung von digitalen Produkten durch die Schülerinnen und Schüler selbst, wie etwa Präsentationen, Videos, E‑Books und Podcasts. Digitale Technik kommt also sowohl bei der Erarbeitung neuer Inhalte, bei ihrer Vertiefung und Übung als auch bei Präsentationen und Prüfungen zum Einsatz (Beispiele finden sich in Frederking und Ladel 2021).

Eine Chance liegt in der Umsetzung einer seit langem angestrebten Differenzierung und Individualisierung des Unterrichts (Seifert 2020). Digitaler Technik werden hier vor allem deshalb Potenziale zugeschrieben, weil sich Niveau, Umfang, Tempo und Wiederholungshäufigkeit von Übungsaufgaben individuell anpassen lassen; zudem können Hilfestellungen und Rückmeldungen integriert werden (Buhl et al. 2021). Es zeigt sich jedoch, dass digitale Technik bislang vor allem dazu genutzt wird, auf unterschiedliche Arbeitsgeschwindigkeiten der Schülerinnen und Schüler einzugehen, teilweise auch, um das Arbeiten auf verschiedenen Leistungsniveaus zu ermöglichen. Trautmann (2021) argumentiert, dass digitale Technik insbesondere dazu genutzt wird, bereits etablierte Unterrichtsformen zu unterstützen und zu ergänzen. Bei der Nutzung digitaler Technik in Form von Lernprogrammen und -apps wird so oftmals deutlich, dass „das veraltete Paradigma des programmierten Lernens digital verbrämt“ wirkt, welches an behavioristischen Vorstellungen des Lernens orientiert ist (Schaumburg 2022, S. 258). Digitale Technik unterstützt vor allem solche Lehr-Lernformate, die auf Reproduktion von Wissen ausgerichtet sind, während die schülerzentrierten, partizipativen und schöpferischen Methoden, auf die im Diskurs über die Kultur der Digitalität Bezug genommen wird (z. B. Hauck-Thum 2021) kaum eine Rolle spielen. Die von Buhl et al. (2021, S. 40) vorgestellten „Nutzungsmöglichkeiten von ICT im Unterricht“ gliedern sich beispielsweise in die vier Bereiche Informations‑, Übungs‑, Simulations- und tutorielles System – hier geht es jeweils vor allem um die Lösung fest definierter Aufgaben und das Erreichen eindeutiger Ziele. Von den technologischen Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz wird aktuell erwartet, dass sie dazu beitragen können, gerade „Lernende mit Behinderungen, Teilleistungsschwächen oder unzureichenden Kenntnissen der Unterrichtssprache zu integrieren“ (Schirmer et al. 2023).

Digitale Technik kann nicht nur als Unterstützung im herkömmlichen Fächerkanon eingesetzt werden; sie ist auch Gegenstand eines eigenen Fachs: Informatikunterricht wird seit den 1980er-Jahren in deutschen Schulen angeboten (Schwarz et al. 2021). Ziel des Informatikunterrichts ist laut Gesellschaft für Informatik (2019, S. 1) die Anbahnung einer „mündigen Teilhabe in einer von Digitalisierung geprägten Gesellschaft.“ Dies kann im Kontext früher informatischer Bildung bereits in der Grundschule als Teil des Sachunterrichts umgesetzt werden. Begriffe und Konzepte, wie etwa Algorithmen, Automaten, Daten oder Pixel lassen sich bereits im Elementar- und Primarbereich mit Kindern thematisieren (Bergner et al. 2018). Zahlreiche Konzepte und Beispiele für die Umsetzung früher informatischer Bildung liegen inzwischen vor (z. B. Stadler-Altmann und Schumacher 2022). Zukünftig werden sicher auch Themen wie Künstliche Intelligenz und Deep Learning zum Thema in der Schule werden (Schirmer et al. 2023). Die Verankerung im Schulunterricht ist bislang jedoch nur in Ansätzen gelungen (Schwarz et al. 2021). Ein systematischer Informatikunterricht über die gesamte Bildungsbiografie wird nicht nur für den allgemeinen Kompetenzerwerb und als notwendiger Teil von Allgemeinbildung gefordert, sondern auch deshalb, weil er den Unterschieden zwischen Geschlechtern, individuellen Stärken und aufgrund unterschiedlicher sozio-ökonomischer Herkunft entgegenwirken kann (Suessenbach et al. 2022). Die Forderung nach einem Pflichtfach Informatik wird durch das Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK bekräftigt, in dem „verpflichtende Informatikinhalte im Sachunterricht der Grundschulen“ gefordert werden (SWK 2022, S. 63). Die Grundschulen sind also vor die Aufgabe gestellt, entsprechende didaktische Konzepte zu entwickeln.

Trotz aller Potenziale sehen sich Lehrkräfte mit der Aufgabe konfrontiert, die Nutzung digitaler Medien zu regulieren, zu begrenzen oder zu unterbinden (Rabenstein et al. 2022). So werden Smartphone und andere digitale Geräte in der Schule oftmals als „Eindringlinge“ wahrgenommen (Wiesemann und Fürtig 2018, S. 197). In Deutschland kommt es deshalb immer wieder zu Diskussionen über ein Handyverbot, wie es in Frankreich seit 2018 besteht (Der Spiegel 2023a) und in den Niederlanden für 2024 geplant ist (Der Spiegel 2023b). Das in Bayern als einzigem Bundesland bestehende Handyverbot hingegen wurde 2023 gelockert (BayEUG Art. 56 Abs. 5).

Forschungsergebnisse, die unmittelbare Auswirkungen der Nutzung digitaler Medien auf die Lern- und Konzentrationsfähigkeit von Kindern untersuchen, sind nach wie vor rar. In einer Metastudie arbeiten Vedechkina and Borgonovi (2021) heraus, dass die Effekte in hohem Maße vom Alter der Kinder und der tatsächlich mit digitalen Medien verbrachten Zeit zusammenhängen. Betrachtet man den Alltag aus Perspektive von Kindern wird deutlich, dass die Nutzung digitaler Technik zwischen Bildungsinstitutionen und außerschulischen Lebenswelt oftmals gegensätzlich ist. Wiesemann und Fürtig (2018) beschreiben diesen Unterschied sogar als eine digitale Kluft, bei der die familiäre oder jugendkulturelle Nutzung digitaler Medien oft problematisiert und abgewertet wird. Dieser Diskursstrang beschäftigt sich also weniger mit der unmittelbaren und unterrichtsbezogenen Nutzung digitaler Medien in der Schule, sondern den Auswirkungen des Nutzungsverhaltens von Schülerinnen und Schülern außerhalb der Schule. Obwohl die hier thematisierten möglichen Missstände außerhalb des Einflussbereiches der Schule liegen, binden die damit verbundenen Erwägungen viel Zeit und Energie und es finden immer wieder auch Verknüpfungen mit dem innerschulischen Mediengebrauch statt.

Auf der Ebene des Unterrichts kann man mit Hauck-Thum (2021, S. 75) resümieren, dass sich Digitalität „nicht als angestrebte Eigenschaft eines mediengestützten Unterrichts beschreiben“ lässt, sondern zu einer fundamentalen Veränderung von „Kultur und Bildungserfahrungen“ führt. Für die Untersuchung der Kultur der Digitalität wäre deshalb zu fragen, ob und wie herkömmliche generationale Ordnungen, bei denen etwa Ältere als Wissende und Jüngere als zu Unterweisende gelten, in Frage gestellt werden. Ebenfalls zu erforschen sind die Einflüsse auf die Ordnungen des Unterrichts, in denen Lehrkräfte das Lernen der Schülerinnen und Schüler zentral anleiten, steuern und kontrollieren; hier wäre zu fragen, inwieweit sich diese Ordnungen neu strukturieren, wenn etwa an die Stelle eines lehrerzentrierten Unterrichts zunehmend kooperative, entdeckende, ko-konstruktive, spielerische Unterrichtsmodi treten (Allert und Richter 2017; Hauck-Thum 2021). Ob sich also die „Grammatik der Schule“ durch eine „disruptive Innovation“ verändert, wie es Sliwka und Klopsch (2020, S. 216) angesichts der Corona-Pandemie formulierten, wäre ein wichtiger Untersuchungsgegenstand, der über das Handling digitaler Werkzeuge im Unterricht weit hinausgeht. Nicht nur die Ordnungen und Formen der Zusammenarbeit, Beziehungen und Handlungsstrategien dürften sich angesichts der kulturellen Konstellation der Digitalität verändern. Auch die Inhalte von Unterricht werden in einer Kultur der Digitalität zum Verhandlungsgegenstand. Wachsende Komplexität und Vielfalt machen es immer schwerer zu definieren, was ein Mensch wissen und können muss und fordern überkommene Vorstellung eines Kanons der Allgemeinbildung heraus. Die mit der Durchsetzung des Paradigmas der Kompetenzorientierung (Gebhard et al. 2017) einhergehende Offenheit von Curricula gibt Lehrkräften heute deutlich größere Freiheiten bei der Auswahl der Gegenstände ihres Unterrichts. In der Folge des Einsatzes digitaler Technik wird grundsätzlich in Frage gestellt, über welches deklarative Wissen (Fakten) und welche performativen Fähigkeiten (Techniken, Methoden) ein Mensch verfügen muss. Fakten scheinen heute im Internet umfassend zur Verfügung zu stehen und sind jederzeit abrufbar, Methoden wie das Schreiben beherrschen KI-basierte Sprachmodelle immer besser. Hier könnte zukünftige erziehungswissenschaftliche Forschung ansetzen.

3.2 Mittelbare Lehrerarbeit

Bereits 2008 kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass 90 % der Lehrkräfte das Internet als Informations- und Austauschangebot zur Unterrichtsvorbereitung nutzen (Michel 2008). Einen zentralen Stellenwert nahmen zu diesem Zeitpunkt professionell erstellte Unterrichtsmaterialen zum kostenlosen Download ein (ebd.). Daneben tauschen sich Lehrerinnen und Lehrer untereinander im Internet aus (Vorndran et al. 2014). In einer aktuellen Untersuchung zeigten Caruso und Kolleginnen zeigen, dass über 80 % der Lehrkräfte täglich oder wöchentlich digitale Medien zur Unterrichtsvorbereitung nutzen (Caruso et al. 2023). Die jüngsten Entwicklungen im Bereich von digitalen Sprachmodellen und Chatbots lassen erwarten, dass Lehrkräfte zukünftig auch Künstliche Intelligenz zur Unterstützung ihrer Unterrichtsvorbereitung nutzen werden; in einer Handreichung des Schulministeriums NRW (Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2023) etwa werden als Beispiele für die Nutzung durch Lehrkräfte die Erstellung von Tests, Impulse für die Unterrichtgestaltung oder die Durchführung von (Vor‑) Korrekturen genannt. Trotz der augenfälligen Bedeutung gerade des Internets für die Unterrichtsvorbereitung liegen jedoch kaum Erkenntnisse zu Verbreitung und Nutzungsstrategien von Lehrkräften vor, aus denen sich etwaige Konsequenzen für eine Veränderung von Unterrichtsgestaltung und Qualität ableiten ließen.

Zum Berufsprofil von Lehrerinnen und Lehrern gehört auch die Fort- und Weiterbildung. Insbesondere durch die Schulschließungen während der Corona-Pandemie haben sich Online-Angebote deutlich verbreitet. Untersuchungen zur Weiterbildung und Digitalität beschäftigen sich jedoch üblicherweise mit der Frage, wie Lehrkräfte sich digitale Inhalte aneignen (z. B. Bergner 2017; Eickelmann et al. 2020). Zu den Wirkungsweisen digitaler Formate von Fort- und Weiterbildungen selbst, liegen bislang keine empirisch fundierten Erkenntnisse vor. Insgesamt wäre es wichtig, mehr über Veränderungen bei der Qualität von Weiterbildungen, ihrer Frequenz, der Themenauswahl, der Verknüpfung mit dem pädagogischen Alltag bzw. Praxistransfer und nicht zuletzt auch Kosten zu erfahren. Denn mit dem Online-Format verändern sich typischerweise auch die Lehr-Lernsettings, beispielsweise von mehrtägigen Seminaren zu kurzen mehrteiligen Webinar-Serien. Auch wäre zu fragen, ob andere bzw. anders qualifizierte Referentinnen und Referenten die Weiterbildungen geben.

Teil der Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern ist auch die Kommunikation mit Familien. Gerade in der Grundschule ist der Austausch hier meist eng. Kommunikationsplattformen (Schul-Cloud), Apps, E‑Mail-Verteiler und Chatgruppen sind vielerorts an die Stelle ausgedruckter Briefe getreten. Hier stellt sich die Frage, wie diese neuen Kommunikationswege die Beziehungen zwischen Lehrkräften und Eltern verändern. Untersuchungen aus dem anglo-amerikanischen Raum, sowie Studien mit Bezug zu deutschen Kindertageseinrichtungen deuten darauf hin, dass sich die Frequenz der Kommunikation erhöht und auch stärker im Sinne einer Bildungspartnerschaft kommuniziert wird (Bastian und Prasse 2021; Pfützner und Knauf 2023). Zugleich gibt es auch Hinweise, dass die Verlagerung der Kommunikation in den digitalen Raum neue Hindernisse aufbaut, die durch Ängste, Unsicherheiten oder auch mangelnde Bedienkompetenzen zustande kommen (Bastian und Prasse 2021). Hier wäre es wichtig, aktuelle und auf den deutschen Schulkontext bezogene Daten zu erheben. Schließlich wäre auch zu fragen, inwieweit die Digitalisierung der Kommunikation möglicherweise zu einer Entgrenzung der Arbeit führt, etwa indem Lehrerinnen und Lehrer auch in ihrer Freizeit Nachrichten empfangen und beantworten.

3.3 Schulverwaltung und interne Kommunikation

Für Verwaltungsaufgaben werden heute an allen Schulen digitale Instrumente verwendet. Schulverwaltungs- und -informationssysteme sind inzwischen zum Standard geworden; mit ihrer Hilfe werden beispielsweise Schülerdaten erfasst und verwaltet, Stundenpläne erstellt und Lehrmittel verwaltet. Für die Bewältigung der Aufgaben als Schulleitung ist die Unterstützung durch digitale Technik heute essenziell. Insbesondere für den Bereich der Kommunikation sind E‑Mails und gemeinsame Plattformen aus Sicht von Schulleitungen unverzichtbar (Tulowitzki und Gerrick 2020). In einer Befragung aus dem Jahr 2022 gaben 90 % der Schulleitungen an, dass an ihrer Schule alle Lehrkräfte über eine dienstliche E‑Mail-Adresse verfügen (Forsa 2022). Die vereinfachte Kommunikation steht dabei jedoch auch in Verbindung mit einem erhöhten Aufkommen an Informationen, die durch die Leitungen verarbeitet werden müssen, sowie gestiegenen Erwartungen an Transparenz und Informationsweitergabe (Tulowitzki und Gerrick 2020). Inwieweit auch andere auf digitaler Technik basierende Werkzeuge, etwa Videokonferenzen oder die kollaborative Dokumentenbearbeitung, genutzt werden, bleibt derzeit offen. Eine Analyse, wie solche Formen der Zusammenarbeit sich etwa auf Beziehungen, Arbeitszufriedenheit und Arbeitsergebnisse auswirken, wäre hier sicher ertragreich.

Die heute üblicherweise vorhandenen digitalen Systeme der Schulverwaltung sind Teil eines umfangreichen Bildungsmonitorings, das nicht auf die Einzelschule als Organisation beschränkt ist, sondern die verschiedenen Ebenen der Schulverwaltung bis hin zur Schulpolitik umfasst. Dieses Bildungsmonitoring kann einen wesentlichen Beitrag gerade auch zur Unterstützung benachteiligter Schülerinnen und Schüler leisten, weil ihr Lernerfolg besonders gut analysiert werden kann, wenn umfangreiche Daten vorliegen (Marx und Maaz 2023).

Digitale Systeme der Schulverwaltung sind keinesfalls neutral, sondern ihnen liegt ein spezifisches Bild „guter Schule“ zugrunde, wie Troeger et al. (2019) zeigen konnten: Dieses Idealbild ist einerseits durch konfliktfreie, reibungslose Abläufe (und die Verhinderung von Brüchen und Spannungen) und andererseits durch einen Fokus auf Schülerinnen und Schüler bzw. Lehrkräfte als Individuen (und nicht auf die Gemeinschaft) geprägt. Dem liegt die Problemanalyse zugrunde, Lehrkräfte seien überfordert und bedürften der Unterstützung durch die Software zur Gestaltung reibungsloser Abläufe sowie die Vorstellung, dass Schülerinnen und Schüler derzeit an einem eigenverantwortlichen Handeln gehindert werden und deshalb dort mehr Möglichkeiten geschaffen werden müssten. Aufbauend auf diesen Vorannahmen reagieren die Softwaresysteme auf ein bestimmtes, keineswegs alternativloses Bild von Schule und „entwerfen Ideen einer guten Schule, die performative Effekte auf die Praktiken in Schule haben“ (Troeger et al. 2019, S. 121).

Die verschiedenen Formen der digitalen Erfassung von Daten und Kennzahlen (z. B. Arbeitszeit von Lehrkräften, digitales Klassenbuch, Schülerdaten) ermöglichen einerseits eine bessere Übersichtlichkeit und Systematik, andererseits geht damit auch eine höhere Überwachung einher, die von Lehrkräften auch kritisch gesehen wird (Tulowitzki und Gerrit 2020). Weitere problematische Aspekte liegen in der Berücksichtigung von Fragen des Datenschutzes und in der mit der Digitalisierung einhergehenden wachsenden Arbeitsbelastung (ebd.).

Mit der Schulverwaltung besteht eine umfangreiche, bereits in hohem Maße digitalisierte Ebene von Schule. Das von Stalder (2016) analysierte Wachstum an Komplexität und Datenfülle, welches in einem wechselseitigen Verhältnis mit dem Einsatz digitaler Technik steht, lässt sich hier nahezu paradigmatisch zeigen. Eine genauere Untersuchung der hiermit verbundenen Implikationen wäre dringend geboten. Dabei wäre beispielsweise der Einfluss auf das Unterrichtshandeln, die Beziehungen zwischen den verschiedenen an Schule beteiligten Akteuren sowie die damit sich möglicherweise verschiebenden Machtstrukturen zu untersuchen.

3.4 Digitale Infrastruktur

Voraussetzung und Grundlage der gezielten Nutzung digitaler Technik in Schulen ist ihr tatsächliches Vorhandensein. Die vorhandene digitale Technik soll hier als digitale Infrastruktur bezeichnet werden und wird in drei Bereiche differenziert: Internetzugang, vorhandene Geräte und Programme sowie technischer Support.

Internetzugang

Grundsätzlich verfügen Schulen in Deutschland sowohl über Zugang zum Internet als auch über Computer; dieser Stand ist auf das in den 1990er-Jahren vom Bundesbildungsministerium und der Telekom aufgelegte Programm „Schulen ans Netz“ zurückzuführen (Gräsel et al. 2020). Die Qualität von Internetzugang und Geräten ist jedoch sehr heterogen. Noch 2019 gab es nur in einem guten Drittel aller Schulen einen Breitbandinternetzugang und WLAN, 2022 waren es bereits zwei Drittel, wobei der Anteil bei den Grundschulen etwas geringer ist (62 %) als bei weiterführenden Schulen (Haupt‑, Real- und Gesamtschulen: 74 %, Gymnasien: 75 %) (Forsa 2022). Zugleich spiegelt die Geschwindigkeit des Internetzugangs die Situation in Deutschland insgesamt wider, ist also nicht nur eine Frage der Investitionen von bzw. in Schulen, sondern auch der grundsätzlichen lokalen technischen Möglichkeiten (Eickelmann 2018).

Geräte und Programme

Ein Großteil der Schulen verfügt inzwischen über Tablets, Computer oder Smartphones zur Nutzung durch Schülerinnen und Schüler (Insgesamt: 76 %, Grundschulen: 72 %) (Forsa 2022). Auch für Lehrkräfte stehen mehrheitlich Dienstgeräte bereit; an 70 % der Grundschulen verfügen alle Lehrkräfte über Geräte.

Die Frage, in welchem Umfang Schülerinnen und Schüler digitale Geräte nutzen, hängt nicht nur von der Art und der Zahl der vorhandenen Geräte ab. Eickelmann (2018) weisen darauf hin, dass es auch bedeutsam ist, wie sie bereitgestellt werden: Die Verortung von Computern in eigenen Computerräumen stellt eine zusätzliche Nutzungsbarriere dar und begrenzt den Einsatz digitaler Technik auf einzelne Stunden. Andererseits ist auch die Verwendung schülereigener Geräte mit Hemmnissen verbunden (z. B. mangelnde Erfahrungen der Lehrkräfte) (ebd.).

Technischer Support

Über Unterstützung entweder durch Personalressourcen an der eigenen Schule oder durch einen externen Dienstleister verfügen zwei Drittel der Schulen (Forsa 2022). Meist sind dies schuleigene „IT-Koordinator*innen“; in den übrigen Schulen gibt es typischerweise eine innoffiziell mit IT-Fragen betraute Person oder die Schulleitung ist für diese Aufgabe verantwortlich. Inwieweit diese Personen eine Ressource darstellen oder eher hinderlich sind bzw. welche Faktoren die Qualität des IT-Supports beeinflussen, ist bislang nicht untersucht worden.

In allen drei Bereichen der digitalen Infrastruktur (Internetzugang, Geräte und Support) ist in deutschen Schulen in den vergangenen Jahren ein deutlicher Ausbau der Infrastruktur zu verzeichnen. Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil der Aufbau einer digitalen Infrastruktur hohe Investitionen in Material und Personal voraussetzt (Breiter et al. 2017). Als konkreter Anlass für diese Entwicklung ist einerseits die Phase der Schulschließungen und des Distanzunterrichts im Kontext der Corona-Pandemie zu nennen. Der bereits 2019 begonnene „DigitalpaktSchule“ der Bundesregierung hat zudem viele dieser Investitionen angestoßen. Die digitale Infrastruktur bedarf, das sollte nicht verkannt werden, kontinuierlicher Investitionen; die einmalige Anschaffung von Geräten ermöglicht allein noch nicht die verlässliche Nutzbarkeit digitaler Technik im Unterricht.

Auch der Auf- und Ausbau einer digitalen Infrastruktur wäre in der Perspektive der Kultur der Digitalität aus erziehungswissenschaftlicher Sicht zu beleuchten, beispielsweise: Wie verändern vorhandene Ausstattungen die Zusammenarbeit der Beteiligten in der Schule? Wie beeinflusst eine wahrgenommene Armut bzw. ein empfundener Reichtum an digitaler Infrastruktur die Selbstwahrnehmung einer Schulgemeinschaft? Entstehen durch die Etablierung von IT-Fachleuten neue Gatekeeping-Positionen und wenn ja, wie wirken sich diese aus?

4 Fazit

Der Beitrag untersucht die Bedeutung der Kultur der Digitalität als in der Gesellschaft dominantes Prinzip für die Schule. Ziel war es auszuleuchten, was dies konkret für die Schule als Bildungsort und Organisation bedeutet. Zu diesem Zweck wurden vorliegende Forschungsergebnisse systematisch ausgewertet. Dabei wird deutlich, dass die Nutzung digitaler Technik im Kontext Schule vorwiegend in Bezug auf den Unterricht thematisiert wird. Der aktuelle Diskurs setzt sich damit auseinander, inwieweit sich die beteiligten Akteure (vor allem Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler) mit digitaler Technik auskennen, sie nutzen, reflektieren und sogar gestalten können. So wird bereits untersucht, wie digitale Technik die Unterrichtsqualität steigern kann (Ebene I) und wie Lehrkräfte digitale Kompetenzen erwerben (Ebene II). Auch die Frage, welche digitalen Werkzeuge Schulverwaltung und -management unterstützen (Ebene III) ist im Blick von Wissenschaft und Politik, genau wie die Frage des Aufbaus und der Pflege einer digitalen Infrastruktur (Ebene IV).

Jedoch deuten sich auch Begrenzungen der Übertragbarkeit der Kultur der Digitalität auf Schulen an: Der von Stalder entworfene Ansatz basiert auch auf den Prinzipien der Freiwilligkeit und der Freiheit, die ein wesentliches Charakteristikum ur-digitaler Anwendungen des Internets (insbesondere Social Media) sind. Unterricht (Ebene I) hingegen ist grundsätzlich durch Zwang (Schulpflicht) gekennzeichnet. Eine Kultur der Digitalität hat deshalb Mühe, sich auf der Ebene des Unterrichts zu entfalten und kommt eher bei der Aneignung digitaler Kompetenzen der Fachkräfte (Ebene II) zum Tragen. Die Kultur der Digitalität ist dort deutlich, wo der Selbstorganisationsgrad der Lernenden (in diesem Falle der Lehrerinnen und Lehrer) hoch ist. Zukünftige Forschungen zu einer Schul-Kultur der Digitalität könnten hier ansetzen und die in der Schule vorhandenen Barrieren für eine Kultur der Digitalität untersuchen.

Darüber hinaus sollte eine erziehungswissenschaftliche Digitalitätsforschung die fundamentale Frage stärker in den Blick nehmen, wie sich der Einbezug digitaler Technik auf das Denken und Handeln der Akteure auswirkt und dadurch Alltagspraktiken verändert, die zunächst nicht unmittelbar mit digitaler Technik in Verbindung stehen. Wie sich beispielsweise die Bildungsprozesse und Beziehungen von Kindern und Erwachsenen durch die sie umgebende Kultur der Digitalität verändern, ob Verwaltungs- und Managementaufgaben andere Schwerpunkte bilden als in einer prädigitalen Zeit und ob die Art der Bereitstellung digitaler Technik Bildungsprozesse beeinflusst, ist bislang wenig untersucht worden. Mit dem in diesem Beitrag skizzierten Mehrebenenmodell liegt ein Vorschlag zur Strukturierung dieser erziehungswissenschaftlichen Digitalisierungsforschung vor. In der Auseinandersetzung mit der Wirksamkeit von Digitalität auf Handeln und Beziehungen, auf Kommunikation und Interaktion – kurz: auf die Schulkultur liegt ein zentrales Potenzial der Perspektive der Kultur der Digitalität für die Schule.