Der Schlüsselcharakter sprachlicher Fähigkeiten für Bildungsteilhabe – die Typizität des schulischen Sprachgebrauchs bzw. von „Bildungssprache“ – die Heterogenität kommunikativer Erfahrungen von Schüler:innen.

Diese prägenden Diskussionslinien bildungswissenschaftlicher und fachdidaktischer Arbeiten post-PISA greift der Sammelband allesamt auf, verknüpft sie jedoch in innovativer Weise durch seine programmatische Schwerpunktsetzung: So priorisieren die Herausgeberinnen das empirisch fundierte Beschreibens und Verstehen von Partizipationsmechanismen (gegenüber Interventionen) und fokussieren dabei „komplexe[…] diskursive[…] Praktiken der Wissenskommunikation“ (S. 1) im Mündlichen als besonders bildungsrelevante Dimensionen des Sprachgebrauchs (gegenüber Phänomen von Wort- bis Satzebene im Schriftlichen). Ausgehend von der kontextuellen Bedingtheit jeglicher Sprachverwendung sowie dem Potenzial interaktiver Unterstützungsmechanismen für den Ausbau sprachlicher Kompetenzen fragt der Band danach, „Welche sprachlich-diskursiven Ressourcen zur Erfüllung der jeweiligen kontextuellen Anforderungen erworben werden müssen und in welchem Ausmaß unterschiedliche Interaktionsmuster in den jeweiligen Kontexten […] diesen Erwerb jeweils unterstützen oder behindern“ (S. 2). Die Beantwortung dieser Leitfragen erfolgt im Wesentlichen über den Vergleich von audio- und videographierten Interaktionen in verschiedenen Erwerbskontexten – Familie, Peergroup und Unterricht – und auf Basis qualitativer, gesprächsanalytischer und rekonstruktiver Analysen (gegenüber quantitativen Auswertungen). Die umfassende Datenbasis stammt weitestgehend aus drei abgeschlossenen Drittmittelprojekten, die mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten den Ausbau schulrelevanter Sprach- bzw. Diskurskompetenzen in unterschiedlichen Kontexten der Sekundarstufe I erforschten: Das BMBF-Projekt FUnDuS (Die Rolle familialer Unterstützung beim Erwerb von Diskurs- und Schreibfähigkeiten in der Sekundarstufe I), das DFG-Projekt DisKo (Diskursive Praktiken von Kindern in außerschulischen und schulischen Kontexten) und das BMBF-Projekt InterPass (Interaktive Verfahren der Etablierung von Passungen und Divergenzen für sprachliche und fachkulturelle Praktiken im Deutsch- und Mathematikunterricht. Rekonstruktive Unterrichtsstudie zur Erklärung gelingender oder misslingender Teilhabe an schulischen Lernprozessen).

Thematisch gliedert sich der Band bzw. die der Einführung folgenden 13 Beiträge in vier Sektionen bzw. Kapitel.

Kapitel I expliziert die theoretischen und methodischen Grundlagen umfassend in drei Schritten: Im Sinne eines alle Beiträge umspannenden Rahmens skizzieren die Herausgeberinnen zunächst „Grundlegende Konzepte und Untersuchungslinien“. Als Fluchtpunkt ist hier insb. das Verständnis von Partizipation zu nennen, welches vor dem Hintergrund der Interaktionalen Diskursanalyse (Quasthoff et al. 2017) als Beteiligung an schulrelevanten diskursiven bzw. „bildungssprachlichen Praktiken“ (Morek und Heller 2012) in der mündlichen Interaktion gefasst wird. Dabei unterstreichen die Herausgeberinnen die „Doppelfunktion“ solcher „Partizipationsgelegenheiten“ als einerseits (durch außerschulische und schulische Erwerbskontexte unterschiedlich ausgeprägte) Voraussetzung und andererseits Gelegenheit bzw. „Werkzeug“ für die Aneignung von Diskurskompetenz (S. 21). Diese wird in einem medialitäts- und gattungsübergreifenden theoretischen Modell konzeptualisiert, welches drei Teilfähigkeiten (Kontextualisierungskompetenz, Vertextungskompetenz, Markierungskompetenz) und drei Beschreibungsebenen (kommunikative Jobs, semantisch-pragmatische Mittel und sprachlich-körperliche Formen) umfasst. Für den Kontext mündlicher Sprachverwendung zentral ist außerdem das Konzept von Ressourcen, welches interne Ressourcen als „kognitive[…] und sprachlich-diskursive[…] Kompetenzen des Kindes“ (S. 24) unterscheidet von externen Ressourcen, wie interaktive Unterstützungen der konkreten Interaktionspartner oder habitualisierte Praktiken in den Interaktionsgemeinschaften des Kindes. Aus der empirisch nachweisbaren Heterogenität gerade dieser externen Ressourcen ergibt sich schließlich auch die Zielsetzung des Bandes: die unterschiedliche Passung zwischen den außerschulischen Diskurserfahrungen von Schüler*innen und den schulischen Anforderungen detailliert zu erfassen und Möglichkeiten ihrer Verbesserung aufzuzeigen. Es folgt ein Glossar, der einschlägige Begriffe der Interaktionalen Diskursanalyse noch einmal kompakt expliziert und für die Lektüre des Bandes schnell zugänglich macht. Anschließend werden „Methodische Überlegungen zur Datenbasis in der Interaktionalen Diskursanalyse“ vorgestellt, in denen das Spannungsfeld zwischen dem Anspruch möglichst natürlicher vs. vergleichbarer Daten für verschiedene Forschungsdesigns bzw. am Beispiel der drei dem Band zugrunde liegenden Projekte aufgezeigt wird.

Kapitel II widmet sich dem außerschulischen Erwerb diskursiver Kompetenzen im Verlauf der Sekundarstufe I mit fünf Beiträgen. Zunächst beleuchten drei Untersuchungen der FUnDuS-Daten das Potenzial häuslicher Kommunikation zwischen Eltern und ihren Kindern im Verlauf der Sekundarstufe I aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven: 1) unter Nutzung quantitativer Auswertungen mit Blick auf den Aufbau übergreifender Argumentationskompetenzen, 2) auf Basis qualitativ-rekonstruktiver Analysen mit Fokus auf den Ausbau im Mündlichen sowie 3) in einer mixed-method Studie, welche Zusammenhänge zwischen mündlichen Interaktionsmustern und Entwicklungen im schriftlichen Argumentieren nachzeichnet. Der folgende Beitrag komplettiert dies durch die Berücksichtigung eines weiteren relevanten außerschulischen Erwerbskontextes schulrelevanter Diskurskompetenzen, nämlich die Peer-Interaktion von Präadoleszenten in Cliquen. Das Kapitel schließt anwendungsorientiert mit der Vorstellung eines Elterntrainings zur Verbesserung interaktiver Unterstützungen in der Familienkommunikation.

Kapitel III fokussiert den institutionellen Kontext Schule mit seinen Anforderungen und Gestaltungsvarianten in Bezug auf einschlägige Diskurspraktiken. Zunächst entfalten zwei sich ergänzende Beiträge die Spezifik von Unterrichtsinteraktionen hinsichtlich folgender Fragen: 1) Welche besonderen Anforderungen zeigen sich für Erstklässler*innen im Bereich der Kontextualisierung von geforderten Diskursaktivitäten in den Fächern Deutsch und Sachkunde und 2) welche fachspezifischen Verfahren sind im Bereich der Vertextung im Deutsch und Mathematik-Unterricht in Klasse 5 zu rekonstruieren? Auch dieses Kapitel endet mit einem praxisorientierten Beitrag zur Professionalisierung von Lehrkräften im Bereich „diskurssensibler Gesprächsführung“.

Der Band schließt in Kapitel IV mit zwei Beiträgen der Herausgeberinnen, welche den zentralen Aspekt der Passung noch einmal explizit und anwendungsorientiert thematisieren. Zunächst werden vor dem Hintergrund bestehender Ansätze und empirischer Befunde aus dem Feld unterstützender Unterrichtsinteraktion (z. B. Scaffolding) verschiedene Verfahren diskurserwerbsförderlichen Lehrerhandelns auf Ebene des sog. „Finetunings“ in der Primar- und Sekundarstufe vorgestellt. Der letzte Beitrag illustriert schließlich anhand von Lehrer*innen- und Schüler*innen-Gruppendiskussion ausgewählter Klassengespräche, wie unterschiedlich die Perspektiven der verschiedenen Beteiligten auf sprachliche und soziale Aspekte von Unterricht sind und was dies für die zukünftige Betrachtung unterrichtlicher Zielsetzungen bedeutet.

Von den zahlreichen Impulsen, die der Band in seiner besonderen Anlage für aktuelle und zukünftige Fragen teilhabeorientierter Bildungsforschung liefert, sind besonders hervorzuheben 1) der Fokus auf Mündlichkeit und Interaktion als zentrales Moment schulrelevanter Sprachverwendung und 2) das Potenzial qualitativ-rekonstruktiver Analysen. Dies entfalten die Beiträge eindrücklich – sowohl in Form theoretisch und methodisch fundierter Grundlagenforschung als auch in empirisch fundierten Überführungen in die Praxis einer verschiedene Akteure und Kontexte umfassenden Sprachbildung (wobei die Sichtbarkeit der durchweg innovativen, anwendungsorientierten Beiträge durch das thematische Gliederungsprinzip teilweise etwas eingeschränkt wird). Durch den umfassenden Theorierahmen und die gemeinsame bzw. vergleichbare Datengrundlage verweben sich die Befunde der einzelnen Untersuchungen in besonders kohärenter Weise um die zentralen bzw. leitmotivartigen Konzepte Kontext, Ressourcen, Passung und Teilhabe. Deren zukünftige Erforschung würde sicherlich von einem weiteren Ausbau der hier exemplarisch bereits umgesetzten Kombination verschiedener Datenformate (mündlich, schriftlich, …) und Analysezugänge (qualitativ, quantitativ, …) profitieren.