1 Einleitung

Die Stärkung bildungssprachlicher Kompetenzen in der deutschen Sprache gilt als durchgängiges Unterrichtsprinzip über alle Bildungsetappen hinweg (KMK 2019). Fokussiert man insbesondere den Übergang aus dem Primar- in den Sekundarbereich der allgemeinbildenden Schulen sowie die Zielgruppe der Kinder, die Deutsch nicht als ihre Erstsprache erwerben, sind Sprachbildung und Sprachförderung sowie die Bedeutung von Sprache in fachlichen Kontexten ohne fachdidaktische Perspektive schwer umsetzbar. Dies resultiert aus der Tatsache, dass in der Grundschule zum einen die sprachlichen Grundlagen für die Partizipation am Unterricht in allen Lernbereichen vermittelt werden. Somit leistet auch der Sachunterricht einen zentralen Beitrag zur sprachlichen Bildung aller Lernenden (GDSU 2013; Rank et al. 2016). Die hier an die Grundschülerinnen und -schüler gestellten Anforderungen gehen über die alltagssprachlichen Kompetenzen hinaus und variieren stark innerhalb der Grundschulzeit. Zum anderen wird in der Grundschule ein Verständnis von (Natur)Wissenschaft und (natur)wissenschaftlichem Arbeiten aufgebaut, indem die Neugier der Kinder für einen zielgerichteten Wissenserwerb fruchtbar gemacht und ihre Beobachtungen der Umwelt fachlich geordnet und systematisiert werden (Möller et al. 2013). Damit wird der Grundstein für die fachliche Entwicklung in den einzelnen Fächern der Sekundarstufe I gelegt.

Zurzeit werden nicht selten Unterstützungsmaßnahmen konzipiert, die entweder den Fachunterricht eher zufällig um den Fokus auf sprachliche Phänomene erweitern oder die fachlichen Aspekte vernachlässigen und eher die sprachliche Förderung in den Vordergrund rücken (Feigenspan und Michalak 2022; Oleschko 2021; Prediger und Şahin-Gür 2019). Ansätze, die eine enge Verzahnung zwischen dem fachbezogenen Zugang und dem sprachlichen Lernen anstreben bzw. in denen sich die sprachliche Bildung an den fachlichen Denk- und Arbeitsweisen orientiert, sind rar (Beispiele dafür finden sich bei Feigenspan und Michalak 2017, 2018; Quehl und Trapp 2013, 2015; Zentgraf et al. 2021).

Im Folgenden wird aufgezeigt, warum Herangehensweisen erforderlich sind, die auf eine enge Verzahnung zwischen dem fachbezogenen Zugang und dem sprachlichen Lernen abzielen bzw. in denen die sprachliche Bildung vom Fachlichen her gedacht wird. Hierbei setzt sich der Beitrag mit drei Aussagen auseinander, die aktuell im Kontext der Ausgestaltung sprachbewussten Unterrichts sowohl im wissenschaftlichen Diskurs als auch in der unterrichtlichen Praxis propagiert werden. Diese Aussagen werden vor dem Hintergrund wissenschaftlicher (insbesondere fachdidaktischer und spracherwerbstheoretischer) Erkenntnisse präzisiert und diskutiert. Die enge Verflechtung zwischen fachlichem und sprachlichem Lernen wird an biologischen Beispielen des Sachunterrichts mit seiner naturwissenschaftlichen Perspektive verdeutlicht. Das Augenmerk liegt insbesondere auf der Vorbereitung auf den Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe.

2 Jeder Unterricht ist Sprachunterricht

Der sprachlichen Arbeit in allen Fächern wird in der aktuellen Diskussion um sprachbewussten Unterricht eine wichtige Rolle zugesprochen (Rank und Wildemann 2022; Rank et al. 2016; Wildemann und Fornol 2016). Die Aufgabe und die Mitverantwortung aller Unterrichtsfächer für die sprachliche Bildung aller Schülerinnen und Schüler wird in der Literatur häufig mit der Aussage erfasst, dass jeder Unterricht auch Sprachunterricht sei (z. B. Leisen 2013; Peschel 2020; Tajmel und Hägi-Mead 2017; Vollmer und Thürmann 2013). Für neuzugewanderte Kinder wird diese Annahme weiter spezifiziert und empfohlen, jeden Unterricht als Deutsch-als-Zweitsprache-(DaZ)-Unterricht zu verstehen (Ahrenholz 2010; Jeuk 2015). Wird dieses Postulat eindimensional interpretiert, kann dies zu Unsicherheit bzw. Überforderung auf Seiten der (Fach)Lehrkräfte führen, sodass nur wenige ihren Unterricht tatsächlich sprachbewusst ausgestalten (Drumm 2016; Riebling 2013; Tajmel 2013). Eine Herausforderung für die Lehrkräfte entsteht zusätzlich dadurch, dass die auf dem Markt zugänglichen, die jeweilige fachliche Perspektive berücksichtigenden Lehrmaterialien zwar sprachliche Aspekte einbeziehen, dies aber eher unsystematisch vornehmen (Feigenspan und Michalak 2022; Laub und Mikhail 2021; Röttger 2019). Damit ist die Förderung der „Entwicklung einer bestimmten (fach)sprachlichen Kultur“ (GDSU 2013, S. 11) eher dem Zufall überlassen. Zugleich zeigt sich in Hinblick auf neuzugewanderte Schülerinnen und Schüler, dass im DaZ-Unterricht Aufgaben eingesetzt werden, die sich stark an den Themen des Deutschunterrichts sowie an dem sprachlichen Zugang orientieren und überwiegend an Textformen dieses Faches heranführen; die spezifischen Denk‑, Arbeits- und Handlungsweisen der anderen Fächer geraten aus dem Blick (Michalak und Winter 2022). Empirische Befunde zeigen zudem, dass die Einbettung der sprachlichen Formulierungshilfen in fachliche Kontexte insbesondere für Lernende mit DaZ essenziell ist: Werden Sprachgerüste ausschließlich fächerübergreifend eingeführt, orientieren sich die Schülerinnen und Schüler in ihren Argumentationen an diesen, ohne jedoch ihre Anwendung aus der fachlichen Perspektive zu bedenken und eigene Aussagen inhaltlich reflektiert auszuarbeiten (Michalak et al. 2021). Dies führt dazu, dass beispielsweise die komplexen gelernten Satzanfänge zwar eine Orientierung und Sicherheit bieten, um auf Vertrautes routiniert bzw. automatisiert zurückzugreifen. Die Form-Funktions-Zusammenhänge, das Zusammenspiel zwischen Handlungsschemata und den ihnen prototypisch zugeordneten Satzanfängen bzw. Prozedurenausdrücken erkennen aber die Lernenden in der Anfangsphase ihres Zweitsprachenerwerbs nicht und reihen die Sprachgerüste häufig nur aneinander (ebd.).

Sprachliche Bildung umfasst alle Sprachentwicklungsprozesse, die durch das Bildungssystem gezielt angeregt werden (BiSS 2012). Bei der Entwicklung bildungssprachlicher Kompetenzen kommt dem Deutsch- und DaZ-Unterricht bzw. dem Sprachunterricht eine zentrale Rolle zu (KMK 2019), die aus ihrer Fachtradition resultiert und curricular verankert ist. Im SprachunterrichtFootnote 1 werden die für die o. g. Fächer typischen Zugänge berücksichtigt, um die sprachlichen Kompetenzen der Kinder auf verschiedenen Ebenen des sprachlichen Handelns systematisch und kleinschrittig aufzubauen bzw. zu erweitern. Hierbei stehen alle sprachlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten (Sprechen und Zuhören, Lesen und Schreiben) sowie eine flüssige und angemessene Anwendung der sprachlichen Mittel im Fokus. Zugleich werden im Sprachunterricht Fachinhalte transportiert, indem Sprache als Lerngegenstand untersucht wird: Sprachliche Phänomene werden explizit betrachtet, Textformen analysiert, Lese- und Schreibstrategien vermittelt, der Sprachgebrauch wird in verschiedenen Funktions- und Wirkungszusammenhängen untersucht, um die Lernenden dazu zu befähigen, Sprache als Lernmedium bewusst einzusetzen (Budde und Michalak 2021). Auch das grammatische Wissen wird gesondert thematisiert (KMK 2004), wobei sich der Sprachunterricht seiner eigenen Fachsprache bedient. So lernen bereits Grundschülerinnen und -schüler grundlegende linguistische Fachbegriffe wie Buchstabe, Wort, Satz, Adjektiv, Präsens, Nominativ, Personenbeschreibung oder Brief. Dieses Fachvokabular wird bei der Reflexion über Sprache und den Sprachgebrauch angewendet, während die Kinder sprachliche Strukturen untersuchen (z. B. Wie bilde ich bei dem Wort „Tisch“ den Plural? Wo steht das Verb in einem Satz? Aus welchen Elementen besteht das Wort „Schneemann“? Wie schreibt man eine Vorgangsbeschreibung?). Hier werden die Grundlagen für sprachliches Handeln in anderen Fächern z. B. durch den Vergleich verschiedener Register, typischer Textformen und ihrer Funktionen gelegt. Für all diese fachspezifischen Zugänge rund um Sprache und für eine systematische Fokussierung der sprachlichen Regeln wird – vorgegeben durch die Bildungsstandards und die Lehrpläne – genug Zeit im Sprachunterricht eingeplant.

Sprachliche Bildung beschränkt sich aber nicht auf den Sprachunterricht, sondern schließt jeden Fachunterricht ein. Für die Lehrkräfte aller Fächer bedeutet dies, den Unterricht nicht nur fach- sondern auch sprachdidaktisch zu gestalten, geeignete Sprachhandlungssituationen in jedem Unterricht zu identifizieren und passende sprachliche Unterstützung bzw. Förderstrategien zu integrieren. „Die Mitverantwortung aller Fächer (…) ergibt sich [jedoch] aus den jeweiligen Aufgaben und Zielen fachlichen Lernens“ (KMK 2019, S. 3). Damit ist der Fachunterricht bzw. jeder Unterricht nicht mit dem Sprachunterricht gleichzusetzen. Er setzt eine Ausrichtung an den fachlichen Inhalten und den durch die Tradition des jeweiligen Fachgebiets bzw. der fachbezogenen Perspektive geprägten Denk- und Arbeitsweisen voraus. Im Fachunterricht gilt die fachspezifische Systematik. Die Sache ist hier der Hauptgegenstand (Giest et al. 2021). Für den Sachunterricht der Primarstufe z. B. mit seiner biologischen Perspektive – wie von der GDSU (2013) gefordert – bedeutet dies, ein grundlegendes naturwissenschaftliches Verständnis anzubahnen und Fachsprache zu entwickeln. „Wissenschaftsorientiertes Lernen im Sachunterricht ist durch methodisches Erschließen, durch bewusstes, reflektiertes Erkenntnishandeln gekennzeichnet und verlangt als Bedingung und Voraussetzung das Aneignen der entsprechenden wissenschaftlichen Methoden (Denk‑, Arbeits- und Handlungsweisen)“ (Giest 2022, S. 111).

Fachspezifische Kompetenzanforderungen für die weiterführenden Schulen finden sich in den Kompetenzbereichen der jeweiligen Bildungsstandards. Für das Fach Biologie sind insbesondere im Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung zentrale naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen subsummiert (KMK 2005). Der geforderte Kompetenzerwerb in diesem Bereich zielt u. a. darauf ab, „sich mit spezifischen Methoden der Erkenntnisgewinnung und deren Grenzen auseinanderzusetzen. Dazu gehört das theorie- und hypothesengeleitete naturwissenschaftliche Arbeiten (…)“ (KMK 2005, S. 6). Die Schülerinnen und Schüler sollen zum einen also lernen, wie Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler vorzugehen und unter Anwendung verschiedener Erkenntnismethoden (vor allem Beobachtungen, Vergleiche, Experimente und Modellarbeit) naturwissenschaftliche Probleme zu lösen. Dies schließt u. a. die Entwicklung der Fähigkeit ein, einen hypothetisch-deduktiven Erkenntnisweg aktiv zu beschreiten, d. h. idealerweise naturwissenschaftlich beantwortbare Fragen selbst zu stellen, passende Hypothesen zu generieren, geeignete Vorgehensweisen zur Überprüfung der Hypothesen zu planen, Ergebnisse zu protokollieren, zu deuten und auf die Hypothesen rückzubeziehen. Zum anderen sollen die Lernenden Wissen über Charakteristika der Naturwissenschaften und über Unterschiede zwischen naturwissenschaftlichem Wissen und Alltagswissen erwerben (Gropengießer 2013; Mayer 2013).

Im Kompetenzbereich Kommunikation der Bildungsstandards Biologie stehen das Erschließen und Weiterleiten von Informationen aus und mithilfe von fachspezifischen Informationsträgern sowie das fachspezifische Argumentieren im Mittelpunkt (KMK 2005; Ziepprecht et al. 2017). Insbesondere die Fähigkeit zum Entschlüsseln und Erstellen von fachspezifischen Repräsentationen wie z. B. Tabellen, Diagrammen, Schaubildern, Protokollen, aber auch die Differenzierung zwischen Alltags- und Fachsprache gehören untrennbar zur biologiespezifischen Kommunikationskompetenz (KMK 2005). Erkenntnisgewinnung und Kommunikation greifen oft ineinander: So muss z. B. entschieden werden, mit welchem Diagramm experimentell gewonnene Daten fachgerecht dargestellt werden können. Der Sachunterricht der Grundschule birgt das Potenzial, diesen späteren fachspezifischen Kompetenzerwerb des Fachunterrichts weiterführender Schulen anzubahnen. So werden z. B. durch das Durchführen einfacher Untersuchungen und Beobachtungen die Regelhaftigkeiten der Naturvorgänge erforscht (GDSU 2013), d. h. biologisches Prozesswissen und damit fachspezifische Methodenkompetenz angebahnt, welche auch im Zentrum der angesprochenen Kompetenzbereiche der Bildungsstandards Biologie für weiterführende Schulen stehen (KMK 2005).

Im späteren Unterricht ab Sekundarstufe I bestimmt das Fach die Sprache – und nicht umgekehrt. Folgt die sprachliche Bildung bereits im Sachunterricht der fachspezifischen Herangehensweise, kann die Spracharbeit im Fachunterricht der weiterführenden Schulen davon profitieren, was wiederum die Kontinuität der sprachlichen Bildung als durchgängiges Unterrichtsprinzip sichert (KMK 2019). Da im Mittelpunkt das Fachliche, die Sache bzw. die fachbezogene kognitive Aktivierung steht, wird hier die Sprache als ein Werkzeug des Denkens (Giest et al. 2021) funktional angewendet. Das wiederum bedeutet, dass im Fachunterricht nicht genug Zeit für derartige Spracharbeit zur Verfügung steht, wie es im Sprachunterricht der Fall ist. Zudem unterscheiden sich die Zugänge: Der Fachunterricht kann zwar an den Sprachunterricht anknüpfen und die dort eingeführten Strukturen fachspezifisch ausdifferenzieren. Die im Fachunterricht aufgegriffenen sprachlichen Phänomene folgen aber der Systematik des fachlich relevanten Erkenntniswegs – von der Forschungsfrage und Hypothesenbildung über Durchführung und Auswertung einer passenden Erkenntnismethode – an die die sprachliche Progression angepasst wird. Diese Systematik kann als grundlegende Orientierung für die Ausgestaltung des sprachbewussten Fachunterrichts und für die Konzeption von fachsprachlichen Hilfen gelten.

Vor diesem Hintergrund ist die Aussage „Jeder Unterricht ist Sprachunterricht“ insofern zu präzisieren, dass jeder Unterricht seiner durch die fachliche Perspektive geprägten Spezifik treu bleibt, aber sprachbewusst, sprachaufmerksam bzw. sprachbildend (zum Begriff s. Ulrich und Michalak 2019) auszurichten ist. Dies schließt einerseits eine intensive Auseinandersetzung mit den (fach)sprachlichen Anforderungen des Unterrichts und andererseits die Anknüpfung an die Alltagsvorstellungen und den individuellen Sprachstand der Kinder ein, um Fachkonzepte gezielt zu entwickeln und systemisches Denken anzubahnen. Für die Forschung bedeutet es, die sprachlichen Anforderungen sowie die sprachliche Entwicklung der Kinder auch in dem fachlichen Kontext zu sehen. Für empirisch basierte didaktische Ansätze für sprachbewussten Unterricht sind interdisziplinär angelegte Studien erforderlich, welche nicht ausschließlich die sprachliche Realisierung losgelöster sprachlicher Handlungen untersuchen, sondern die fachbezogenen Perspektiven mit ihren Konzepten und spezifischen Arbeitsweisen gleichermaßen berücksichtigen (z. B. Gläser und Becher 2021; Grimm et al. 2018; Leiss und Plath 2020).

3 Der Einsatz von bestimmten Methodenwerkzeugen sichert sprachliche Unterstützung

Für die Planung und Gestaltung sprachbewussten Fachunterrichts werden aktuell Sammlungen von Unterrichtsmethoden wie z. B. 40 Methodenwerkzeuge (Leisen 2013) oder Methodenpool für sprachsensiblen Unterricht (Gantefort et al. 2020) angeboten, die eine integrierte bedarfsgerechte Vermittlung fachlicher und sprachlicher Kompetenzen versprechen. Vermeintlich gelten die Kenntnisse über und der Einsatz von derartigen Methoden als Indikator für sprachsensible Unterrichtsvorbereitung (Sahlender und Gantefort 2022). Die zusammengestellten Tools werden zwar zum Teil an Beispielen aus konkreten Fächern exemplarisch aufgezeigt, sie bieten jedoch keinen Blick auf das sprachliche Handeln in seiner Gesamtheit und die Förderung von fachlichen und sprachlichen Kompetenzen in ihrer engen Verzahnung (Redder et al. 2015). Dies kann dazu führen, dass die Methodenwerkzeuge im Unterricht punktuell und aus der fachlichen Perspektive unreflektiert eingesetzt werden.

Dass reine Methodenwerkzeuge für eine zielgerichtete Unterstützung nicht ausreichen, sondern zuvor die elementaren Kernkonzepte des Faches identifiziert werden müssen, zeigt das folgende Beispiel im Kontext Evolution. Bereits in der Grundschule wird die spezifische Angepasstheit von Organismen an ihren Lebensraum thematisiert, was einen Grundstein für ein späteres Verständnis von Evolution als naturgeschichtlichen Prozess legt. So kann im Zusammenhang mit dem Sachunterrichtsthema „Tiere des Waldes“ eine Aufgabe z. B. lauten:

Der Specht ist an das Leben auf Bäumen angepasst. Erkläre dies anhand von drei Merkmalen.

Ohne den grundlegenden Zusammenhang von Strukturen und Funktionen zu identifizieren, würde ein beigefügter Wortspeicher z. B. die Begriffe Kletterfuß, Meißelschnabel, Widerhaken enthalten. Hiermit kann die Schülerin/der Schüler zwar gegebenenfalls einen Text produzieren, der diese Fachbegriffe enthält, in welchem jedoch in keiner Weise erklärt wird, wodurch sich die spezifische Angepasstheit kennzeichnet. Es wird – wie in dem exemplarischen Lernendentext – kein fachlicher Zusammenhang und keine Erklärung formuliert:

Der Specht hat einen Kletterfuß. Er hat auch einen Meißelschnabel, damit holt er Futter. Auf seiner Zunge sind Widerhaken.

Fachlich betrachtet geht es in der oben genannten Aufgabe um ein grundlegendes Zusammenhangsverständnis eines biologischen Basiskonzepts. Basiskonzepte strukturieren im Fachunterricht Biologie den inhaltsbezogenen Kompetenzbereich Fachwissen. Sie dienen dazu, einer reinen Wissensanhäufung entgegenzuwirken und zugleich einen konzeptuellen Fachwissenserwerb und eine nachhaltige Wissensvernetzung im Fach zu unterstützen (Förtsch et al. 2018; KMK 2005). Die Bildungsstandards Biologie benennen drei biologische Basiskonzepte: System, Struktur und Funktion sowie (individuelle und evolutionäre) Entwicklung (KMK 2005). Der Umgang mit solchen grundlegenden Prinzipien in der Natur stellt auch im Sachunterricht eine wesentliche Komponente der naturwissenschaftlichen Perspektive dar, indem „hinter der Oberfläche der Phänomene (..) liegende Regelhaftigkeiten der Naturvorgänge gesucht, erkannt und sprachlich dargestellt“ werden (GDSU 2013, S. 41).

Im o. g. Beispiel geht es primär um das Basiskonzept Struktur und Funktion. Bestimmte Strukturen ermöglichen bestimmte Funktionen; Strukturen und Funktionen sind untrennbar miteinander gekoppelt (KMK 2005). Schülerinnen und Schüler sollen u. a. fachlich verstehen und erklären können, inwiefern eine bestimmte Struktur eine bestimmte biologische Funktion ermöglicht. Das wiederum bedeutet, es werden sprachliche Hilfen benötigt, die diesen fachlichen Zusammenhang ausdrücken können, wie z. B. indem, weil, dadurch, dass … und Adjektive wie z. B. x‑förmig (Der Kletterfuß ist x‑förmig, was einen stabilen Halt ermöglicht.), klebrig (Dadurch, dass die Zunge klebrig ist, bleiben Insekten daran hängen.).

Ein Wort in seiner Ausdrucks- bzw. Laut‑/Schriftform referiert nicht direkt auf ein Objekt, eine Sache oder einen Sachverhalt, sondern verweist auf die mit dem Wort verbundene Bedeutung und den darüberhinausgehenden Begriff (d. h. das Konzept). Sprachfördernde Wortschatzarbeit setzt somit für die Ausdrucksseite des Wortes bei der Sprache und für die Inhaltsseite des Wortes bei dessen Konzept an und berücksichtigt die Beziehungen zwischen Wort (d. h. der Ausdrucksseite) und der Sache (Kilian 2021). Für die Wortschatzarbeit in fachlichen Kontexten bedeutet dies die Notwendigkeit, jedes neu eingeführte Wort mit dem fachlichen Konzept zu verbinden. Dies kann erfolgen, indem unter Bezugnahme auf das oben genannte Beispiel Abbildungen zu verschiedenen Körperteilen des Spechts (z. B. Fuß, Schnabel, Flügel) sowie unterschiedliche Adjektive (lang, spitz, klebrig, x‑förmig etc.) und schließlich Funktionen (Abstützen, Festhalten, Löcher schlagen, Insekten aus der Baumrinde angeln etc.) angeboten werden. Zunächst werden passende Körperteile (Strukturen) mit ihren Eigenschaften verbunden und dann mit ihren jeweiligen Funktionen in Beziehung gesetzt. Die Aufgabenstellung sollte zudem Unterstützung in Hinblick auf den gewünschten erklärenden Charakter der Antwort sowie auf die intendierte Struktur-Funktions-Beziehung anbieten und damit die notwendigen Zwischenschritte für die Aufgabenbewältigung explizit formulieren:

Erkläre es anhand von drei Körperteilen. Ordne dafür jedem Körperteil eine passende Eigenschaft zu. Beschreibe dann, wie dieses Körperteil dem Specht bei seinem Leben auf den Bäumen hilft.

Eine beispielhafte Musterlösung kann den Lernenden zusätzliche Orientierung bieten:

Die Zunge des Spechts ist sehr lang und hat kleine Widerhaken. Mit dieser Zunge kann er gut Insekten aus der Baumrinde holen, weil sie an der Zunge kleben bleiben.

Ohne Fokus auf daran geknüpfte fachliche Denkweisen gelingt die Hinführung an fachsprachliche Formulierungen also nicht, was an einem Schritt aus dem hypothetisch-deduktiven Vorgehen (Forschungsfrage-Hypothesen-Planung einer passenden Untersuchung – Durchführung – Auswertung) illustriert werden kann: Im Bereich der Hypothesenformulierung werden als vermeintliche Hilfestellungen gerne Satzanfänge angeboten, die – wie in Methoden „Wort- und Phrasensammlungen“ oder „Wort zum Text“ vorgeschlagen (Gantefort et al. 2020) – über Ich glaube/denke, dass … nicht hinausgehen. Dies stellt keine fachlich relevante Formulierung dar, die das dahinterstehende naturwissenschaftliche Denken widerspiegelt, sondern eher eine Alltagsformulierung. Mit Hypothesen, die z. B. echte Experimente erfordern, werden vermutete Abhängigkeiten bzw. Wirkfaktoren vorgeschlagen (Wellnitz und Mayer 2013). Das heißt, in einer solchen Hypothese wird auf mögliche Faktoren Bezug genommen, von denen man annimmt, dass sie eine Auswirkung auf einen Prozess oder ein Phänomen haben. Charakteristische Formulierungen für naturwissenschaftliche Hypothesen sind aus diesem Grund z. B. x beeinflusst y; x ist notwendig für y oder je mehr/weniger x, desto mehr/weniger y. Formulierungshilfen sollten demnach Orientierungen für genau diese Art von Hypothesenformulierungen anbieten, um der spezifischen fachsprachlichen Struktur gerecht zu werden und gleichzeitig die dahinterstehenden Denkprozesse in Bezug auf vermutete Abhängigkeiten anzuregen.

Wird der Fachunterricht entlang der fachbezogenen Herangehensweise bedarfsgerecht gestaltet, so bietet dieser Zugang einen Rahmen für die sprachliche Unterstützung nach dem Scaffoldingprinzip (Gibbons 2015) und einen ganzheitlichen Blick auf fachliches und sprachliches Lernen: Während der Abstraktionsgrad im Unterricht fachlich schrittweise ausgebaut wird, ist die sprachliche Progression parallel von der Alltags- zur komplexen, schriftorientierten Bildungssprache anzulegen. Durch die Auseinandersetzung mit einem konkreten Beispiel sind die Inhalte greifbar und die Sprache in authentischen Kontexten – zuerst meist alltagssprachlich – erfahrbar. Die Alltagsvorstellungen der Kinder werden aufgegriffen. In weiteren Schritten können fachlich angemessene Formulierungen entlang des naturwissenschaftlichen Erkenntnisweges von der Forschungsfrage bis zur Auswertung einer Untersuchung systematisch aufgebaut, in Verbindung mit Alltags- und Weltwissen gesetzt, mit alltagssprachlichen Strukturen verglichen (Tajmel 2017) und durch gestufte Lerngelegenheiten zunehmend präzise aktiviert werden (Prediger und Şahin-Gür 2019).

Für einen derartigen Zugang ist in erster Linie nicht die Auswahl einzelner sprachfördernder Methodenwerkzeuge bzw. Aufgaben entscheidend, sondern ihre Sequenzierung, d. h. die Festlegung bestimmter Aufgabenreihenfolgen (Hammond und Gibbons 2005). Die Progression wird hier in zweierlei Hinsicht bestimmt: Zum einen sind die Lernarrangements so zu sequenzieren, dass die einzelnen (Teil)Aufgaben und deren Bearbeitung als Scaffolding für darauffolgende Aufgaben fungieren bzw. fachlich und sprachlich aufeinander aufbauen. Zum anderen sollen die Lernaktivitäten stets entlang des Sprachkontinuums von Mündlichkeit zur Schriftlichkeit bzw. von der Alltags- zur Bildungssprache gestaltet werden. Dies knüpft an die fachliche Vorgehensweise vom Beispielhaften zum Generalisierenden, von den Alltagsvorstellungen zu Fachkonzepten an. Die immer wiederkehrenden Schritte z. B. im hypothetisch-deduktiven Erkenntnisweg können als fachlicher Zugang und als Gerüst für sprachliche Förderung gezielt genutzt werden. Die fachspezifischen Schritte initiieren bestimmte sprachliche Handlungen und erfordern (fach-)sprachliche Routinen, auf die die Schülerinnen und Schüler stets zurückgreifen können. Die Sprache wird zwar in ihrer dem fachlichen Lernen dienenden Funktion als Werkzeug eingesetzt, aber zugleich systematisch in den Blick genommen (Thürmann 2011). Werden die einzelnen Phasen des Erkenntnisweges fachlich fokussiert, ermöglicht dies, den Lernenden beispielsweise für das Experimentieren geeignete sprachliche Muster zu vermitteln (exemplarisch Feigenspan und Michalak 2018).

Dieser Zugang setzt voraus, dass durch die Lernaufgaben alle bzw. mehrere sprachliche Fertigkeiten (d. h. Hörverstehen, Sprechen, Leseverstehen und Schreiben) miteinander verknüpft werden und lernstrategisches Wissen bewusst und zielgerichtet eingesetzt wird (Echevarria et al. 2010). Für die Praxis bedeutet dies, dass durch geeignete Aufgabenformate und Methodenvielfalt mündliche wie schriftliche Sprachproduktionen von Schülerinnen und Schülern einzufordern sind. Hierzu gehören beispielsweise Vervollständigung gezielter Fragen in Verbindung mit naturwissenschaftlicher Beobachtung, Auswahl passender Hypothesen aus einem Fundus von alltagssprachlichen und fachlich angemessenen Formulierungen, Bestimmung der Reihenfolge und Beschreibung einzelner Schritte des Erkenntnisweges und Aussortierung der unpassenden Schritte mit Begründung (Feigenspan und Michalak 2017) oder die Übertragung der Informationen in verschiedene Darstellungsformen (von Kotzebue und Hollweck 2021). Die Auswahl geeigneter sprachfördernder Aufgabenformate hängt von der Unterrichtsphase und den Lernvoraussetzungen ab. Zuordnungsaufgaben eigenen sich insbesondere für die Einführung von sprachlichen Mitteln oder für sprachliche Anfängerinnen und Anfänger, da sie Lösungen vorgeben und damit musterhafte Formulierungen anbieten. Diese Art von Lernarrangements führt jedoch dazu, dass die Aussagen der Schülerinnen und Schüler weder fachlich noch sprachlich selbständig ausgearbeitet werden können. Mit Lückentexten kann zwar der Wortschatz in bestimmten Kontexten geübt oder ein Textmuster angeboten werden. Ihr fachliches und sprachbildendes Potenzial ist jedoch fraglich. Lückentexte dienen nicht der Förderung von Verstehensprozessen und Anwendungswissen, da nur – häufig sogar nach dem Ausschlussverfahren oder der grammatikalischen Passung – einzelne Begriffe eingefügt werden. Sie regen keine Denk- und Problemlöseprozesse an, sondern befördern allenfalls träges Wissen.

Im Fachunterricht wird prinzipiell das kohärente fachliche Wissen als Grundkonzept, nicht das singuläre detaillierte Wissen über ein Einzelbeispiel vermittelt. Die Schülerinnen und Schüler sollen die Grundprinzipien des Faches erkennen, was einen ganzheitlichen Blick auf den Unterricht und die zu vermittelnden Kompetenzen erfordert. Dies hat auch zur Folge, dass die angebotenen sprachlichen Mittel nicht auf ein Thema zu fokussieren sind, sondern auf andere Bereiche in dem jeweiligen Fachunterricht übertragbar sein müssen. Dafür reicht der bloße Einsatz von fachunspezifischen „sprachsensiblen Unterrichtsmethoden“ (Sahlender und Gantefort 2022) nicht. Erst die Analyse der fachlichen und sprachlichen Anforderungen sowie der Lernvoraussetzungen, die daran anknüpfende Anpassung der Aufgabenstellungen, die Berücksichtigung des fachlichen und sprachlichen Handelns in seiner Gesamtheit in einer Unterrichtseinheit (Redder et al. 2015) sowie eine fachlich begründete Auswahl bzw. Modifizierung von methodischen Werkzeugen bieten Aussicht auf Erfolg.

4 Komplexe Formulierungen bzw. Texte sollen vereinfacht werden

Um eine Balance zwischen den fachlichen und sprachlichen Anforderungen zu schaffen, wird auf die Möglichkeit der Einbindung von Sprachvereinfachungen hingewiesen, wie z. B. durch den defensiven Ansatz beim Umgang mit Sachtexten (Leisen 2013), durch den Einsatz Leichter Sprache (Alavi 2015) oder durch sprachliche Entlastungen (Wildemann und Fornol 2016). Ein derartiger Weg der Vorentlastung für die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen wird meist mit Blick auf sprachlich- und leistungsschwache Lerngruppen oder „Lernende mit Migrationshintergrund“ (Leisen 2013) beschrieben.

Der Sachunterricht ist der einzige Ort, in dem die Lernenden die Möglichkeit erhalten, die fachspezifischen, z. B. naturwissenschaftlichen Sprachroutinen kennenzulernen. Eine sprachliche Orientierung und Anbahnung der Bildungs- bzw. Fachsprache bedeutet somit, dass man den Kindern die typischen fachsprachlichen Strukturen anbietet. Sie sollen an die komplexen Sprachhandlungen herangeführt werden, was nicht durch Sprachvereinfachung geschehen kann. Vereinfachungen auf Begriffs‑, Satz- und Textebene können Schülervorstellungen verstärken und grundlegendes fachliches Verständnis erschweren. Wenn z. B. eine naturwissenschaftliche Hypothese nicht unter diesem Fachbegriff inklusive seiner spezifischen Bedeutung eingeführt, sondern ausschließlich mit dem vermeintlich einfacheren und aus dem Alltag bekannten Begriff Vermutung übersetzt wird, kann kein grundlegendes Verständnis für die Bedeutung, die Funktion und den Stellenwert einer naturwissenschaftlichen Hypothese angebahnt werden. „Eine wissenschaftliche Hypothese ist eine Annahme (…) über einen bisher unbekannten Zusammenhang, mit deren Hilfe bestimmte Ergebnisse von Beobachtungen und Experimenten vorhergesagt und erklärt werden können“ (Langlet 2013, S. 83) (Tab. 1).

Tab. 1 Alltagsvermutungen und naturwissenschaftliche Hypothesen im Vergleich

Auch sprachlich zeigen sich Unterschiede: Vermutungen werden angestellt, gehegt oder geäußert; Hypothesen werden aufgestellt, generiert oder abgeleitet. Geht man davon aus, dass der Begriff Vermutung den Kindern aus dem Alltag bekannt ist, kann er mit der fachlich angemesseneren Bezeichnung Hypothese verglichen werden. Wird mit neuzugewanderten Schülerinnen und Schülern gearbeitet, ist jedoch hierbei Vorsicht geboten. Denn der Unterricht „in der Grundschule scheint besonders auf die nicht explizit gemachte Inanspruchnahme muttersprachlicher Alltagsbegriffe als Brücke zum fachlichen Begriff und damit zum fachlichen Verstehen zu setzen. Dieser Prozess ist in hohem Maße an muttersprachliches Sprachwissen gebunden und stellt Zweitsprachenlerner vor große Probleme“ (Grießhaber 2005, S. 69).

Ziel des Experimentierens in der Grundschule kann und soll es nicht sein, ein abstraktes Naturwissenschaftsverständnis auf höchst anspruchsvoller Meta-Ebene zu erzeugen und die dargestellten Unterschiede zwischen Alltagsvermutungen und naturwissenschaftlichen Hypothesen zu verstehen. Wichtig erscheint es jedoch, dafür zu sensibilisieren, dass Hypothesen nicht mit Alltagsvermutungen gleichzusetzen sind. Das kann zum Teil dadurch gelingen, dass der betreffende Fachbegriff verwendet, von alltagssprachlichen Formulierungen abgegrenzt und ausgewählte Spezifika einer Hypothese vermittelt werden. So hat in der Naturwissenschaft z. B. die Widerlegung einer Hypothese eine größere erkenntnistheoretische Bedeutung als die (vorläufige) Bestätigung (Popper 1984). Beim Aufstellen von Vermutungen sind Kinder jedoch von der im Alltag bewährten Wunschhaltung geprägt, Recht zu haben und damit ihre eigene Vermutung zu bestätigen. Führen experimentelle Ergebnisse nicht zu den im Vorfeld geäußerten Annahmen, werden Versuchsergebnisse nicht akzeptiert oder umgedeutet (Hammann et al. 2006). Insbesondere Grundschülerinnen und -schüler konstatieren enttäuscht, dass sie einen Fehler gemacht haben, da sie nicht richtig lagen. Statt also für den Begriff der Hypothese den der Vermutung zu nutzen und dabei stillschweigend auch die inhaltliche Alltags-Bedeutung mitzutransportieren, wäre eine adressatengerechte Hinführung an zentrale Unterschiede und damit an fachliches Verständnis und Fachsprache nötig. Dazu gehört auch die Sensibilisierung dafür, dass die Widerlegung einer naturwissenschaftlichen Hypothese eine hohe Bedeutung und Aussagekraft hat.

Im Zusammenhang mit dem oben thematisierten Struktur-Funktions-Verständnis hinsichtlich der Angepasstheit von Organismen an ihren Lebensraum (Bsp. Specht) kann sich bei dem Versuch der Vereinfachung ein weiteres Problem ergeben: Vielfach wird bei der Erklärung von Merkmalen auf Formulierungen zurückgegriffen, die den Organismen oder der Natur eine zielgerichtete, planvolle Entwicklung zusprechen. Bei solchen sog. teleologischen Erklärungen wird eine Funktion bzw. Wirkung fälschlicherweise zur Ursache für die Entstehung dieses Merkmals deklariert (Hammann und Asshoff 2014b), wie z. B.: Der Specht hat eine klebrige Zunge, damit er besser an die Insekten in der Baumrinde kommt. Fachlich ist dies falsch, da der in der Zukunft liegende Vorteil der klebrigen Zunge nicht in der Vergangenheit die Ursache für diese Entwicklung war und Prozesse in der Natur nie zielgerichtet ablaufen. Gleichwohl sind teleologische Vorstellungen bei Schülerinnen und Schülern sehr verbreitet und beliebt (Kelemen 1999; Riemeier 2011; Tamir und Zohar 1991) und erschweren ein angemessenes Verständnis von Evolution und Angepasstheit. Zum einen gilt daher die Leitlinie, nicht nach dem Warum? in biologischen Kontexten im Unterricht zu fragen, weil damit Prozessen, Entwicklungen und Phänomenen vermeintliche Zielorientierung unterstellt werden kann (Eschenhagen 1976). Eine mit Warum? eingeleitete Frage evoziert Antworten, in denen auf Ziele, Wünsche, Pläne oder Absichten rekurriert wird, die unter fachlicher Perspektive betrachtet jedoch nie adäquate Auslösefaktoren für Entwicklungsprozesse in der Natur sein können. Zum anderen sollten Formulierungen seitens der Lehrkraft oder in Lehrwerken vermieden werden, die teleologische Formulierungen verstärken. Funktionalität darf nicht mit Kausalität verwechselt bzw. gleichgesetzt werden.

Anhand eines weiteren biologischen Beispiels soll die Problematik einer nicht am Fach orientierten Vereinfachung komplexer Sachverhalte verdeutlicht werden: Im unterrichtlichen Kontext Meine Sinne stellt der grundlegende physiologische Prozess der Sinneswahrnehmung einen fachlich hochkomplexen Vorgang dar. Dabei ist es unzweifelhaft, dass der Weg von der sensorischen Rezeption (= Reizaufnahme an einer spezialisierten Sinneszelle eines betreffenden Sinnesorgans) über die sensorische Transduktion (= Umwandlung der Reizenergie in eine veränderte elektrische Spannung an der Membran der Sinneszelle) zur Transmission (= Weiterleitung der elektrischen Erregung ins Gehirn) bis hin zur Perzeption (= Verarbeitung und Auswertung des sensorischen Inputs bzw. Wahrnehmung) didaktisch und adressatengerecht umfassend reduziert werden muss. Letztlich sollte es das Ziel sein, dass die Schülerinnen und Schüler ein grundlegendes konzeptuelles Verständnis zur Sinneswahrnehmung entwickeln. Um zu entscheiden, wie solch ein grundlegendes Konzept aussehen kann und was eine geeignete didaktische Reduktion darstellt, ist die Orientierung am Fach sowie die Kenntnis von typischen Alltagsvorstellungen, die mit fachlichen Konzepten oft nicht vereinbar sind, unabdingbar. Den Kern des Prozesses der „Sinneswahrnehmung“ stellt das Verständnis dar, dass Wahrnehmung erst und nur im Gehirn entsteht. Sätze wie z. B. Mit der Nase nehme ich etwas wahr./Die Sinneszellen nehmen die Berührung wahr. sind fachlich somit unwiderruflich falsch. Zahlreiche Untersuchungen zu Schülervorstellungen zu Sinnesleistungen zeigen, dass im Schülerverständnis die Funktion des Gehirns jedoch ausgeblendet und der Wahrnehmungsprozess den Sinnesorganen zugesprochen wird (Sundermeier 2009). Im Unterricht genutzte, vorgeblich vereinfachende Sätze wie Mit den Augen sehen wir./Mit den Ohren hören wir. sind fachlich so verkürzt und verfälscht, dass sie der grundlegenden Schülervorstellung, die Sinnesorgane könnten die Welt 1:1 so abbilden, wie sie ist und Wahrnehmung erfolge ausschließlich durch die menschlichen Sinne, Vorschub leistet und damit das Denkmuster eines naiven Realismus negativ verstärkt (Hammann und Asshoff 2014a). Selbstverständlich kann und soll es nicht Inhalt des Grundschulunterrichts sein, komplexe sinnesphysiologische und neuronale Verarbeitungsprozesse zu thematisieren. Wichtig wäre es jedoch, das Bewusstsein für die Bedeutung des Gehirns bei jeglichen Sinneswahrnehmungen von Grund auf zu fördern und nicht die Sinnesorgane zu Spiegeln der Außenwelt oder aktiven Konstrukteuren von Wirklichkeit zu erklären. Auch das kann in kindgerechter Sprache in einem fachlich angemessen formulierten, kohärenten Text umgesetzt werden, mit dem Sprachentwicklungsprozesse in fachlichen Kontexten angeregt werden, wie z. B.:

Augen und Ohren sind Beispiele für Sinnesorgane. Die Augen helfen uns beim Sehen. Die Ohren helfen uns beim Hören. Alle Sinnesorgane senden Informationen an das Gehirn. Erst das Gehirn kann für uns aus den Informationen ein Bild oder einen Ton machen. Ohne Gehirn könnten wir gar nichts sehen oder hören.

Sprachbewusster Unterricht verzichtet also auf Vereinfachungen und setzt auf reichhaltigen Input (Gibbons 2015). Vereinfachungen führen weder zur Verbesserung des fachlichen Verständnisses, noch bahnen sie fachsprachliche Kompetenzen an. Studien zeigen, dass die Unterstützung der Lernenden durch Textoptimierung effektiver ist als durch Textvereinfachung; Zugleich wirken Textanpassungen abhängig von dem Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler (Schneider et al. 2018). Die Reduktion der sprachlichen Anforderungen führt dagegen meist dazu, dass zentrale fachliche Inhalte verzerrt werden (Leiss et al. 2017) und die Komplexität des jeweiligen Faches verloren geht (Prediger und Sahin-Gür 2019). Denn komplexe Inhalte, an welche die Kinder – mit Blick auf den Übergang in die Sekundarstufe – bereits in der Primarstufe herangeführt werden, gehen mit komplexer Sprache einher.

5 Fazit

Sprachliche Bildung kann nur dann in jedem Fachunterricht gelingen, wenn sie entlang der fachlichen Vorgehensweise ausgestaltet wird. Jeder sprachbewusst aufbereitete Unterricht hat die übergeordneten Ziele und Charakteristika des Faches im Blick zu haben und den behandelten Inhalt zunächst daraufhin zu analysieren, wie er zu welchen Facetten einer grundlegenden – z. B. biologischen – Bildung im Fach beitragen kann. Hierbei sind die Fragen leitend, welche sprachlichen Strukturen für die Hinführung an die zentralen fachlichen Konzepte notwendig bzw. für die fachliche Perspektive relevant sind und wie diese orientiert am Spracherwerb aufbereitet werden können. Auf diese Weise erhalten die Lernenden die Möglichkeit, fachliche Konzepte tragfähig auszubilden und diese fachkonform zu nutzen.