Der Titel des Buches „Heimatkunde in der DDR“ lässt seine Verortung in der historischen Bildungsforschung vermuten. Sein Inhalt geht aber darüber hinaus. Die Autoren orientieren sich (unter Bezug auf Rüsen) darauf, dass die „Auseinandersetzung mit Geschichte und Bildungsgeschichte [einem] Bedürfnis nach Orientierung und Selbstvergewisserung [folgt], das nicht auf die Vergangenheit selbst, sondern auf die Gegenwart und Zukunft menschlichen Daseins und Handelns bezogen ist“ (89). Zwar steht der Heimatkundeunterricht in der DDR zum Zeitpunkt einer 40jährigen Entwicklung im Zentrum des Textes, der in die Zukunft weisende inhaltliche Beitrag ist aber auf die Didaktik des Sachunterrichts gerichtet.

Konkret thematisiert wird der Heimatkundeunterricht in Klasse vier, die eine wichtige Schnittstelle zum Fachunterricht der Mittel- und Oberstufe darstellt. Im Heimatkundeunterricht sind neben Inhalten, die auf die Lebenspraxis in der Schule und die Teilnahme am Straßenverkehr bezogenen sind („Kinder als Schüler und Jungpioniere“; „Verkehrserziehung“), die Gegenstandsbereiche Gesellschaft und Natur vor ihrer Verfächerung in Mittel- und Oberstufe integriert. Der Heimatkundeunterricht in dieser Klassenstufe ist dadurch besonders geeignet, die damit verbundenen didaktischen Problemfelder, die sich hier wie in einem Brennglas bündeln, aufzuarbeiten.

Dies erfolgt im Buch durch „die Analyse ausgewählter Unterrichtskonzeptionen, in denen anschaulich deutlich wird, wie der Heimatkundeunterricht sein sollte“ (10). Damit wird zwar nur indirekt die Unterrichtswirklichkeit thematisiert, was die Autoren als ein wichtiges, noch unbearbeitetes Forschungsfeld bezeichnen, aber es besteht die Möglichkeit, die pädagogische Konzeption bis in ihre auf den Unterricht hinabgebrochene Idealform der Planung und Unterrichtsgestaltung zu untersuchen. Dabei stützen sich die Autoren auf die – in der DDR für alle Klassenstufen und Fächer üblichen Unterrichtshilfen –, in denen versucht wurde, die pädagogische und didaktisch-methodische Grundkonzeption des Unterrichts bis auf Unterrichtseinheiten und Unterrichtsstunden hin zu konkretisieren. Diese Konkretisierungen werden mit den einschlägigen Grundsatzwerken zur Allgemeinbildung, Pädagogik, Didaktik und Heimatkunde-Methodik in Beziehung gesetzt, um die hinter den Unterrichtsvorschlägen stehenden Prinzipien deutlich zu machen.

Dazu bedienen sich die Autoren einer sehr hilfreichen Methodik der Darstellungen zweier Lesarten. Am Beispiel von drei exemplarisch ausgewählten Unterrichtsstunden („Die Ergebnisse der Arbeit der Werktätigen dienen dem Wohle des Volkes“; „Wir arbeiten, lernen und kämpfen im Sinne von Karl Marx und Friedrich Engels“; „Vögel an Gewässern“) werden methodische Vorschläge in den Unterrichtshilfen zum Heimatkundeunterricht Klasse 4 jeweils so nachgezeichnet, dass man sie aus ihrer pädagogischen und didaktisch-methodischen Konzeption heraus nachvollziehen kann. Dies wird als „immanente Lesart“ bezeichnet. Erst in einem zweiten Schritt wird, mit einem Blick von außen, eine kritische Analyse aus Sicht der gegenwärtigen theoretischen Auffassungen vorgenommen („extern kritische Lesart“).

Durch dieses Vorgehen ist ein Verständnis für die pädagogische Theorie und die in den Unterrichtsvorschlägen idealisierte Praxis möglich, welches nicht Gefahr läuft, einer ideologischen Voreingenommenheit verdächtig zu sein.

Diese Analyse ist sowohl aus historischer Perspektive (Aufarbeitung der DDR-Pädagogik) als auch mit Blick auf Gegenwart und Zukunft ertragreich. Denn deutlich wird, welche Gefahren in einem unreflektierten Umgehen mit dem gesellschaftlichen Auftrag an Schule und Unterricht liegen.

Auch in der DDR-Pädagogik wurde das Ziel schulischen Unterrichts darin gesehen, den Kindern die gesellschaftliche Realität so nahezubringen, dass sie sich in ihr eigenständig orientieren und verantwortlich handeln können. Anhand der ersten beiden Beispiele wird im Buch jedoch aufgezeigt, dass im Heimatkundeunterricht, wie im Übrigen auch im Staatsbürgerkundeunterricht und – wenn man die Erziehungsanteile betrachtet: Prinzip der Einheit von Bildung und Erziehung – im gesamten Unterricht in der DDR-Schule, nicht die gesellschaftliche Realität, sondern ein geschöntes, davon abweichendes, z. T. abstraktes, ideologisch gefärbtes Ideal zum Gegenstand des Unterrichts gemacht wird. Das erfolgte aus zwei Gründen heraus. An einem Ideal lässt sich nichts kritisieren, kaum etwas hinterfragen, denn alles ist ideal und perfekt, wie der Himmel auf Erden. Und zweitens gestattet ein solches Vorgehen, die aus der wissenschaftlichen Pädagogik wohlbegründeten Prinzipien wie Lebensnähe, Erfahrungsbezug, Anschaulichkeit, Wissenschafts- und Kindorientierung … problemlos in den Dienst zu nehmen.

Erkauft wird dies mit einer schizophrenen Lebenssituation, die nicht nur für Schule, sondern für das gesamte Leben der DDR-Gesellschaft kennzeichnend war. Es gab (mindestens) zwei Realitäten: eine für das Leben in der Öffentlichkeit, hier in der Schule, und eine für das Alltagsleben. Vor einer solchen Situation sind aber auch demokratische Gesellschaften nicht geschützt, wenn gesellschaftliche Probleme nicht bewältigt werden oder nicht zu bewältigen sind bzw. es an einem Grundkonsens fehlt und dadurch die Einheit der Gesellschaft gefährdet wird.

Insofern warnen die Autoren zu Recht davor, die anhand der Unterrichtsbeispiele analysierten Probleme der Indoktrination und Überwältigung, der Spannung zwischen Fach‑, Wissenschaftsorientierung und Orientierung am Kind sowie jener zwischen Autonomie und Vorgabe bzw. Selbsttätigkeit und Führung nur der DDR-Pädagogik als ungelöste Antinomien anzulasten.

Für das Verständnis der Situation der Pädagogik in der DDR zur Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs (Wende) ist es hilfreich, darauf hinzuweisen, dass – wie die Autoren mit Bezug auf den Entwicklungspsychologen H.-D. Schmidt (59) andeuten – in der DDR-Pädagogik ein Streit zwischen einer sogenannten Ziel- und einer Prozesspädagogik ausgetragen wurde. Die Zielpädagogik leitete Bildungsziele und -inhalte aus (politisch-ideologisch determinierten und damit vor allem ohne breiten gesellschaftlichen Diskurs aus Sicht der SED formulierten) gesellschaftlichen Anforderungen ab und setzten diese mehr oder weniger ungebrochen in Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien um, die einem Unterricht verpflichtet waren, welcher einer mehr oder weniger linear verstandenen Ziel-Inhalts-Methode-Relation folgte.

Innerhalb dieser Konzeption wurde von der Planbarkeit des Unterrichts, des Lernens und sogar der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder ausgegangen, wofür Lehrkraft und Erzieher*in verantwortlich gemacht werden konnten und wurden. Daher wurde die „führende(n) Rolle des Lehrers“ betont, welcher „die Tätigkeit seiner Schüler so (führt), dass die geplante erzieherische Wirkung erreicht wird“ (APW 1979, S. 276). Es ging also um einen „möglichst hohen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung aller seiner Schüler“ (ebd.).

Die im Buch analysierten Unterrichtsentwürfe und die dahinterstehende Konzeption sind eindeutig der Zielpädagogik verpflichtet.

Die Prozesspädagogik entwickelte dazu alternativ Konzeptionen und Varianten der Unterrichtsgestaltung unabhängig von der gesellschaftlichen Ordnung und ihren Anforderungen und wurde entsprechend kritisiert, wie auch spätere Ansätze einer am Lernprozess und seinen Gesetzmäßigkeiten (Lernpsychologie) orientierten Stoffstrukturierung und Unterrichtsgestaltung (vgl. Neuner 1989, S. 313 ff.). Trotz eines postulierten Ausgleichs zwischen diesen beiden Positionen (vgl. a. a. O.) waren Unterrichtsmaterialien, Lehrplänen und Unterrichtshilfen durch eine mit der Zielpädagogik gut zu realisierende ständig gesteigerte Ideologisierung des Unterrichts gekennzeichnet.

Da die Autoren explizit auf die Lernpsychologen Lompscher und Jantos (z. B. 73, 77) eingehen, muss darauf hingewiesen werden, dass diese der Prozesspädagogik zuzurechnen sind, was fast bis zu Publikationsverboten führte. Diese Zuordnung ist besonders anhand des begrifflichen Verständnisses von Tätigkeit/Lerntätigkeit nachzuvollziehen. Während die Zielpädagogik, wie die Autoren im Buch auch, beim Begriff Tätigkeit nicht unterschieden, ob es sich um ein Handlungssystem, Einzelhandlungen oder Operationen handelt und ob die Aktivität selbstreguliert oder angeleitet-nachmachend vollzogen wird, ist dieser Unterschied bei den genannten Autoren essentiell. Im Unterricht sollte es um Lerntätigkeit gehen, d. h. um die vom tätigen Subjekt ausgehende Aktivität. Dazu diente auch die Unterscheidung von Lern- und Lehrzielen, die nahelegte, dass eine Vermittlungsstrategie (Dominanz des Lehrens, welches die Übermittlung der stofflichen Inhalte realisiert – siehe alle im Buch analysierten Beispiele) mit Blick auf die Entwicklung der Lerntätigkeit nicht zielführend ist (vgl. auch Giest und Lompscher 2017).

Ungeachtet dieser kleinen lerntheoretischen Ungenauigkeit ist das von Christian Fischer und Sandra Tänzer vorgelegte Werk ein sehr lesenswertes und instruktives Buch. Der Botschaft der Autoren, die Subjektfunktion der Lernenden im Unterricht bewusst zu betonen und zu fördern, sensibel für die Gefahr von Indoktrination und Überwältigung zu sein und aufmerksam nach Bewegungsformen für den (dialektischen) Widerspruch zwischen Fach‑, Wissenschaftsorientierung und Orientierung am Kind zu suchen, muss uneingeschränkt zugestimmt werden.