1 Partizipation in Grundschule und Forschung: ein Problemaufriss

Auch wenn Partizipation im Sinne von Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten von Kindern im Kontext emanzipatorischer und demokratischer Grundbildung für die Grundschule kein neues Thema ist, erfährt es aktuell eine verstärkte Aufmerksamkeit in Bildungspolitik, Forschung und Schulpraxis. Anlässe für die aktuelle Diskussion sind Ist-Stands-Analysen zur Umsetzung der Kinderrechte auf Mitbestimmung im Zusammenhang des 30. Jahrestages der 1989 verabschiedeten UN-Kinderrechtskonvention, die Hervorhebung der Bedeutung demokratischer Bildung in Anbetracht eines zunehmenden Populismus und Extremismus in Deutschland und weltweit sowie die Relevanz von Beteiligung als Zukunftskompetenz für die Umsetzung der Agenda 2030. Partizipation hängt eng zusammen mit Inklusion, wobei hier eine Fokussierung auf den Aspekt der gleichberechtigten sozialen Teilhabe und der Bildungsteilhabe als Menschenrecht erfolgt. Partizipation soll auch zur Vermeidung einer Reproduktion von Bildungsungleichheiten beitragen, indem insbesondere sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler darin gestärkt werden, für ihre Belange einzutreten und Einfluss zu nehmen. Schulen sind vor dem Hintergrund der genannten Ansprüche gefordert, die verschiedenen Begründungskontexte für eine aktive Beteiligung der Schülerinnen und Schüler in konsistente pädagogische und didaktische Konzepte zu überführen. Auf institutioneller Ebene geht es darum, eine Schulkultur zu schaffen, die Lehrkräfte, Eltern und Kinder beteiligt. Unabhängig davon, ob der Auftrag für Partizipation politisch, sozialtheoretisch, pädagogisch, lerntheoretisch, entwicklungspsychologisch, menschenrechts- oder kinderrechtebasiert konnotiert ist: Seine Umsetzung impliziert stets eine Verschiebung von Machtverhältnissen in der alltäglichen Beziehungsgestaltung schulischer Akteure und damit eine Infragestellung klassischer Verständnisse von Schule, Unterricht und darin eingelagerten generationalen Ordnungen (Eßer und Sitter 2018; Heinzel 2019; Cook-Sather 2018). Über den Schulkontext hinausgehend werden auch Hegemonieverhältnisse in der Gesellschaft allgemein hinterfragt. Partizipation selbst, und das ist ihr Wesensmerkmal, ist also auf Veränderung bestehender Strukturen, Rollenzuschreibungen und Beziehungen und damit auf Transformation bestehender Systeme gerichtet – was unweigerlich zu Spannungen führt. Im Grundschulkontext erhält dieses Spannungsfeld aufgrund des jungen Alters und der Heterogenität der Schülerschaft einerseits und des formulierten gesellschaftlichen Anspruchs an die Sicherstellung einer standardisierten Grundbildung für alle Kinder andererseits eine spezifische Brisanz. „Wir wollen uns doch wohl nicht von den Kindern sagen lassen, was wir hier in der Schule zu tun haben!“ Dieses vehement vorgetragene Statement einer Grundschullehrkraft bei der Diskussion einer Anfrage zur Mitwirkung in einem Projekt zur Partizipation von Kindern an Schulentwicklungsprozessen illustriert, wie sehr sich der Partizipationsanspruch mitunter reibt mit Normalitätsannahmen einer generationalen Ordnung zwischen Lehrpersonen und Kindern. So erstaunt es nicht, dass Studien international und bereits seit vielen Jahren auf die Defizite in der weitreichenden Umsetzung des Partizipationsanspruchs in Schule und Unterricht verweisen (Böhme und Kramer 2001; Gerhartz-Reiter und Reisenauer 2020; Pearce und Wood 2019). Diesen Befund bestätigen auch die Kinder. Wie die aktuelle Children’s World Studie repräsentativ belegt, sehen 6–11jährige bei der Umsetzung des Anspruchs auf Mitbestimmung in der Schule im Vergleich zu den Mitbestimmungsmöglichkeiten in der eigenen Familie noch sehr viel Luft nach oben (Andresen et al. 2019). Kleinere Beobachtungsstudien zeigen, dass die Schaffung formaler Partizipationsstrukturen wie Klassenrat und Schülerparlament nicht ausreichen, um das Hierarchiegefälle zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern in den alltäglichen Interaktionen zu verändern (Müller-Kuhn et al. 2021; Zala-Mezö et al. 2018). Darüber hinaus können unterschiedliche Kontexte kontraproduktiv aufeinander einwirken: Dort, wo im Schulkontext Partizipation und soziale Teilhabe in inklusiven Settings mit ihren jeweiligen Ansprüchen nicht eindeutig bestimmt und konzeptionell zusammengedacht werden (Hauser und Nell-Tuor 2019), können unbeabsichtigt exkludierende Effekte entstehen (Böhme und Kramer 2001).

Partizipation ist unzweifelhaft ein historisch unter Mühen errungenes hohes Bildungsgut, das allerdings mit großen Herausforderungen im Umgang mit konfligierenden Anforderungen und Erwartungen verknüpft ist. Hier stellt sich die Frage, welche Rolle die Forschung bei der Bearbeitung dieses Spannungsfeldes spielen, welche Beiträge sie dazu leisten kann. Eine ständige Wiederholung der oben genannten wissenschaftlichen Erkenntnisse scheint jedenfalls ungeeignet, um schulische Partizipationspraxen nachhaltig zu verändern. National und international nehmen in der Früh- und Grundschulpädagogik Forschungsaktivitäten zu, die anwendungsbezogen mehr oder weniger eng mit den Akteuren in der Schule kooperieren und sowohl auf die Optimierung des pädagogischen Handelns vor Ort als auch auf die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zielen (Hammersley 2017; von Unger 2014). Gerade im englischen Sprachraum gibt es eine lange Tradition, Kinder aktiv in Forschung einzubeziehen (Hartnack 2019; Lundy und McEvoy 2012). In diesem Sinne versucht also nicht nur die Schule, sondern auch die Forschung Partizipation zu ermöglichen. In beiden Institutionen müssen dabei traditionelle Grenzen überschritten werden, beide ziehen damit interne und externe Kritik bezüglich ihres Selbstverständnisses auf sich. So, wie Partizipation die generationale Ordnung der Schule infrage stellt, stellt partizipative Forschung die traditionelle Hierarchie zwischen Forschenden und Beforschten infrage: Was passiert, wenn (aus der Forschungsperspektive gesehen) Laien – sogar junge Kinder – in der Forschung mitreden, daran selbst mitwirken und diese beeinflussen? Kann das überhaupt noch als Forschung bezeichnet werden (Hammersley 2017)? Gleichzeitig stellt sich beim Forschungsgegenstand Partizipation aus Gründen der Glaubwürdigkeit die Frage: Welches Vorbild vermittelt eine Forschungspraxis über Partizipation, die selbst exklusiv ist und abgesehen von Verlaufs- und Zieltransparenz im Sinne einer informierten Einwilligung kaum Partizipation zulässt? Die Partizipation als Imperativ für schulische, nicht aber für die eigene Praxis einfordert? Wie also können Forschung und Praxis im Bemühen um eine professionelle Umsetzung des Anspruchs auf Partizipation Partner sein?

Diese Frage soll mit dem Fokus auf Grundschulpraxis und Grundschulforschung in diesem Diskussionsbeitrag beleuchtet werden. Dabei gehen wir davon aus, dass in beiden Feldern ein Klärungsproblem, ein Anspruchsdilemma sowie eine durch das junge Alter der Adressaten (sprich: der Grundschulkinder) bedingte besondere Herausforderung bestehen. Deren Nichtbeachtung kann zu Blinden Flecken führen, welche die Umsetzung partizipativer Strukturen in Unterricht, Schulentwicklung und schulnaher Forschung erschweren. Das analytische Aufdecken solcher Spannungsfelder und Interferenzen, so unsere weitere Annahme, bildet eine Grundbedingung für eine professionelle Zusammenarbeit von Forschung und Praxis im Sinne einer gemeinsamen reflexiven Metaperspektive auf dieses anspruchsvolle Feld. Im Folgenden wird daher zunächst auf die Vielschichtigkeit des Partizipationsbegriffs, dessen Kontextabhängigkeit und die Diversität der Begriffsverständnisse eingegangen. Aufbauend auf den Arbeiten von Pearce und Wood (2019) wird ein Analyseraster für die nachfolgende kritische Beleuchtung der durch den Partizipationsanspruch evozierten spezifischen Spannungsfelder innerhalb der Grundschulpraxis sowie der partizipationsorientierten Forschung zur Verfügung gestellt. Anhand ausgewählter Ergebnisse und Erfahrungen im Kontext eigener Studien zur Untersuchung von Partizipationsstrukturen in der Grundschule werden Schlüsse gezogen für eine ko-konstruktive Annäherung von Forschung und Praxis an das „Veränderungsprojekt Partizipation“.

An dieser Stelle sei gesagt, dass wir mit diesem Beitrag einen Einblick in den eigenen, gänzlich unabgeschlossenen und mit Blinden Flecken behafteten Klärungsprozess der Autorinnen geben und eher durch offene Fragen denn mit Antworten Impulse für eine weiterführende Diskussion liefern möchten.

2 Partizipation als Veränderung

Es existieren zahlreiche Begriffsdefinitionen von Partizipation (Reisenauer 2020; Zala-Mezö et al. 2020; Hüpping und Kamin 2020). Dem Begriff wird ein instrumenteller Charakter (Betz et al. 2010) attestiert und mit ihm kontextabhängig unterschiedliche Ziele verfolgt. Dies manifestiert sich einerseits in den unterschiedlichen Begründungen, warum Schulen oder Gemeinschaften Partizipation benötigen, und andererseits in den verschiedenen Begriffen wie Mitbestimmung, Mitwirkung, Mitsprache, Teilhabe, Teilnahme, Beteiligung und Einflussnahme, die häufig synonym zum Partizipationsbegriff verwendet werden. Diese stellen ein partizipatives Handlungsrepertoire dar und knüpfen an die Konzepte der Demokratiebildung, der Integration und Inklusion mit Bezug auf die UN-Kinderrechts- und Behindertenrechtskonvention in der Schule an (Andresen et al. 2019; Kultusministerkonferenz (KMK) Empfehlungen Grundschule 2015; Reisenauer 2020).

Inklusion ist auch in der Partizipationsdefinition von Böhme und Kramer (2001) eine zentrale Dimension. Sie heben die enge Verbindung zwischen Teilhabe und Einflussnahme hervor: „Während sich Partizipation als Teilhabe alleine durch die Zugehörigkeit und Mitgliedschaft realisiert, ist Partizipation als Einflussmöglichkeit an spezifische Ressourcen, an verschiedene Positionen und eben an symbolische Gewalt gebunden“ (S. 179). Die hier angesprochene Machtfrage beschäftigt auch den parallel verlaufenden kindheitssoziologischen Diskurs, in dem die Kinder als kompetente soziale Akteurinnen und Akteure adressiert werden (Bollig und Kelle 2014). Verwendet wird das Konzept von Agency (u. a. Heinzel 2019), das die Handlungsfähigkeit und -mächtigkeit der Kinder hervorhebt. Diese Adressierung geht mit einem neuen Verständnis der generationalen Ordnung einher, welches von Heinzel (2019) spezifisch für den Grundschulkontext ausgearbeitet wurde. Heinzel (2019) spricht dabei von Generationenvermittlung und baut auf dem Begriff der relationalen Agency (Eßer 2014; Eßer und Sitter 2018) auf. Dieser Ansatz hebt die soziale Praxis der Grundschule hervor und betont das Verhältnis und die Interaktivität zwischen den Generationen, wobei auch die Kinder aktiv an der (Re‑)Produktion des Sozialen beteiligt sind. Dies betrifft auch die Partizipationspraktiken. Das Ziel des Ansatzes von Heinzel besteht darin, „das konkrete Handeln der Akteure in der Grundschule in den Mittelpunkt erziehungswissenschaftlicher Analysen zu rücken“ (ebd., S. 285). In diesem Diskussionsbeitrag möchten wir den Blick weiten und Forscherinnen und Forscher ebenfalls als Akteure in der besagten (Re‑)Produktion von Partizipationspraktiken in Schulen (im Folgenden mit einem Fokus auf die Grundschule) begreifen. Auch sie prägen durch ihre Praxis die Generationenvermittlung wie auch generell die soziale Ordnung mit. Anknüpfend an die eingangs formulierten Fragen wollen wir den Blick darauf lenken, welche Partizipationspraxis der Schule durch die Forschung zu Tage gefördert wird und inwiefern die Forschung selbst Partizipationspraxis (re‑)produziert.

Um beiden Fragen analytisch nachzugehen, greifen wir auf ein Bewertungsraster von Pearce und Wood (2019) zurück, das mit dem relationalen Ansatz der Generationenvermittlung vereinbar erscheint. Das Raster ist als Resultat eines systematischen Literaturreviews ausgearbeitet worden und soll helfen, transformative Formen von Partizipation zu identifizieren. Somit ist die Normativität des Modells nicht nur transparent, sondern explizit gewollt. Wir nutzen dieses als Grundlage, um beispielhaft Forschungsergebnisse und die eigene Forschungspraxis der Autorinnen im Kontext der schulnahen Untersuchung von Partizipation zu reflektieren.

Pearce und Wood (2019) sehen die Vermeidung sozialer Ungleichheiten als wichtigstes Veränderungsziel im Bildungsbereich an. Damit die jungen Menschen selbst eine solche Transformation des Bildungssystems anstoßen können, müssen dem Rahmenmodell nach vier Voraussetzungen erfüllt sein. Die erste ist der Dialog, in dem nicht für oder über, sondern mit Kindern und Jugendlichen gesprochen wird. Hierarchische Beziehungen sollten dabei laut Pearce und Wood durch ein hohes Bewusstsein von allgegenwärtigen Machtverhältnissen verflacht werden, wo immer dies zu verantworten ist. Die zweite Bedingung ist die respektvolle Beziehung zwischen den Generationen, da ein Dialog zwischen Lehrpersonen und Kindern/Jugendlichen erst dann entstehen kann, wenn die Erwachsenen anerkennen, dass die jungen Menschen fähig sind, ihre Meinung zu äußern. Bereits für das Finden geeigneter Methoden der Beteiligung bedarf es der engen Beziehung und der Kooperation mit den Kindern. Die dritte Voraussetzung zielt auf Kollektivität und Inklusion: Die Gemeinschaft (bzw. Schule) sollte darum bemüht sein, alle Stimmen – auch jene, die als schwierig oder unangemessen wahrgenommen werden – zu inkludieren. Erst wenn alle drei Voraussetzungen erfüllt sind, erhalten junge Menschen Werkzeuge, mit denen sie ungleichheitsfördernde Systeme verändern können. Dieses vierte Element des Rahmenkonzepts wird als Transgression bezeichnet.

Pearce und Wood schlagen die genannten Elemente für die Evaluation und Reflexion partizipativer Praxis vor. Wir wenden deren Rahmenkonzept nachfolgend insbesondere deshalb an, weil es sehr deutlich macht, dass Partizipation von Lernenden zwangsläufig Veränderungen im Sinne einer Überschreitung von Grenzen der bestehenden Verhältnisse impliziert. Gleichzeitig verknüpfen die vier Elemente Aspekte der Schulkultur mit solchen der Schulentwicklung.

3 Der Partizipationsanspruch im Praxisfeld Grundschule – Spezifika des Spannungsfeldes

Das wissenschaftliche Ringen um die begriffliche Fassung des komplexen Phänomens der Partizipation, dessen Nuancierungen und Abgrenzungen kommt in der Praxis der Schule in Form von curricularen Vorgaben in gefilterter Weise an: In den KMK-Empfehlungen für die Grundschule von 2015 wird dieser Schulform eine „Schlüsselfunktion“ für die Demokratieerziehung und einer damit verknüpften „demokratischen Grundeinstellung“ zugewiesen. (ebd., S. 2). Als „Wie“ der Umsetzung „der“ Demokratieerziehung werden insbesondere (und verkürzend) die bekannten formalen Partizipationsformen als Kennzeichen einer partizipativen Schulkultur benannt: Klassensprecher-Wahlen, Klassenrat und Kinderparlament, Schülerzeitungen (vgl. ebd., S. 5). Neben der Kennzeichnung als übergreifende Querschnittsaufgabe und damit als immanenter Teil der Schulkultur finden sich in den Lehrplänen der Bundesländer Verankerungen von Partizipation als Unterrichtsinhalt in Fächern/Lernbereichen wie Sachunterricht und Religion/Ethik. „Partizipation“ ist in hohem Maße anschlussfähig an das heutige Selbstverständnis der Grundschule, welches das Kind in den Mittelpunkt stellt, dessen Individualität mit den gesellschaftlichen Ansprüchen an Bildung verbindet und über den Erwerb von fachlichen und sozialen Kompetenzen für alle Kinder grundlegende Voraussetzungen für demokratisches Denken und Handeln wie auch für gesellschaftliche Teilhabe schafft (Götz et al. 2019).

Beim Versuch, das Feld der Grundschule hinsichtlich des Themas der Partizipation in seiner Spezifik zu skizzieren, fallen also zunächst Normativität und Verbindlichkeit ins Auge, deren Passung zur Grundschule als Institution auf der Hand zu liegen scheinen. Verschiedene Begründungslinien untermauern einzeln und in ihrer Bündelung den Anspruch auf Umsetzung von Partizipation in der Grundschule: In Erweiterung des Ansatzes von Reichenbach (2007) lassen sich im aktuellen Grundschuldiskurs unseres Erachtens insbesondere folgende Begründungsstränge identifizieren: (1) das demokratische Partizipationspostulat, (2) das kinderrechtebasierte und anerkennungstheoretische Partizipationspostulat, (3) das emanzipatorische, soziale Benachteiligung überwindende Partizipationspostulat, (4) Partizipation als Teilhabe im Inklusionszusammenhang, (5) eine lern- und motivationspsychologische Fundierung von Partizipation, (6) das Selbstverwirklichungspostulat (Chancen für die Persönlichkeitsentfaltung des Kindes) und (7) das Zukunftspostulat (Partizipation als grundlegende Kompetenz für die verantwortungsvolle Mitwirkung an einer zukunftsfähigen, nachhaltigen globalen Gesellschaft). Die einzelne Grundschullehrkraft wie auch die Schule als Institution sehen sich hier also einem Bündel vielfach unmittelbar einleuchtender Argumente aus Gesellschaft, Politik, Fachwissenschaften und Fachdidaktik gegenübergestellt, aus denen hohe fachliche, aber auch moralische Ansprüche an die Gestaltung von Schule und Unterricht abgeleitet werden.

Insgesamt lässt sich Partizipation für die Grundschule also beschreiben als ein durch hohe Ideale und vielfältige Chancen positiv konnotiertes und gleichzeitig durch große Ansprüche und Verbindlichkeiten gekennzeichnetes Aufgabenfeld. Auf Schulhomepages lässt sich ablesen, dass und wie dem Partizipationsgebot in aller Regel durch die Realisierung formaler Strukturen Genüge getan wird. Ausgelassen wird in den curricularen Vorgaben der systemverändernde Aspekt von Partizipation im Sinne der Transgression/Grenzüberschreitung im Rahmenmodell von Pearce und Wood (2019).

Die empirisch belegte Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Umsetzung von Partizipation in der Grundschule wird tiefliegende Gründe haben, die im Bereich des Aushandlungsprozesses und damit des Dialogs (gemäß Pearce und Wood 2019) über die Neuverteilung von Macht zwischen ungleich positionierten Beteiligten im Rahmen einer generationalen Ordnung verortet sein könnten. Aus dem jungen Entwicklungsalter der Kinder resultieren natürlicherweise Grenzen der Partizipation, insbesondere in Kontexten mit Selbst- und Fremdgefährdungspotenzial (wie etwa im Straßenverkehr oder in bestimmten inklusiven Kontexten). Im Sinne der advokatischen Ethik gehört es ja gerade zur Fürsorgepflicht von Grundschullehrkräften, die sich in Entwicklung befindlichen Kinder zu schützen. Zur Professionsaufgabe gehört es weiterhin, Kinder einerseits in kognitiver und psychischer Hinsicht nicht zu überfordern und andererseits maximal erfolgreiche Bildungsprozesse für alle Kinder sicherzustellen. Damit werden Aufgaben der Standardisierung und Kontrolle (Breidenstein und Rademacher 2017, S. 5 f) an die Lehrperson herangetragen, die mit einer – ebenfalls professionstheoretisch begründeten – Macht- und Verantwortungszuschreibung der eigenen Rolle als Lehrperson einhergehen (Strauss et al. 2017). Aus schulstruktureller Perspektive sind in vielerlei Hinsicht, etwa im Bereich der Lehrplaninhalte oder der Leistungsüberprüfung, Entscheidungen bereits gefällt, so dass tatsächliche Mitbestimmungsmöglichkeiten der Kinder fehlen (Lundy und McEvoy 2012; Reichenbach 2007). Die Partizipation, die in der Schule realisiert werden soll, steht damit im Widerspruch zu den von derselben Einrichtung auferlegten Grenzen. Die Grundschule als Institution wie auch die einzelne Lehrkraft befinden sich damit in einem ständigen Spannungsfeld zwischen den Professionsaufgaben Agency des Kindes ermöglichen und Agency des Kindes einschränken (ausführlicher Büker 2015). Eine immer wieder neue Ausdifferenzierung von Rollen, Adressierungen und Machtpositionen, eine Relationierung von Abhängigkeit und Unabhängigkeit, von Selbst- und Fremdbestimmung verschärft sich in inklusiven Settings. Partizipation zeigt sich damit als äußerst anspruchsvolles, von Antinomien (vgl. Helsper 2004) geprägtes und zugleich normativ aufgeladenes Aufgabenfeld der Grundschule. Von der Existenz eines solchen Spannungsfeldes wie auch zur Frage, wie dieses professionell bearbeitet und über eine Integration der oben genannten Partizipationskontexte kohärent gestaltet werden könnte, wird in den rechtlichen Bestimmungen nichts gesagt. Das kann Schwierigkeiten hervorrufen.

4 Blinde Flecke bei der Umsetzung von Partizipation in der Schule: Ausgewählte empirische Befunde

Im Folgenden werden brennglasartig Interpretationen ausgewählter Studienergebnisse dargelegt, welche einen differenzierten Einblick in die spezifischen (und z. T. subtilen) Herausforderungen bei der Umsetzung des Partizipationsanspruchs in der Grundschule ermöglichen. Dabei werden Eigenlogiken von Lehrkräften im Umgang mit dem Partizipationsanspruch dargestellt, welche sich im Rahmen der Studie ‚Partizipation stärken – Schule entwickeln‘ (im Weiteren ‚PasSe‘) gezeigt haben. Die Fallstudie von fünf Schulen verfolgte anhand eines mixed-method-designs drei Fragen: Welche Verständnisse von Partizipation zeigen sich unter den schulischen Mitarbeitenden, Schülerinnen und Schülern? Welche schulspezifischen Formen von Partizipation haben die Schulen realisiert? Wie arbeitet die Schulgemeinschaft an der Realisierung von Partizipation? (Eine detaillierte Darstellung des Designs der Studie findet sich in Zala-Mezö et al. 2018).

Die PasSe-Studie zeigt, dass in der schulischen Praxis verschiedene Routinen verankert sind, die Kindern eine aktive Mitgestaltung des Schullebens und somit Partizipation ermöglichen. Wenn eine Lehrperson bspw. den Vorschlägen der Kinder Raum gibt, wie etwa bei der Dekorierung der Klassenzimmertür, dann merkt sie, dass sie sich auf die Lösungen der Kinder verlassen kann (Herzig et al. 2018). Dabei zeigen die Kinder nicht nur Bereitschaft zu helfen, sondern übernehmen auch Verantwortung. Die Lehrkräfte illustrieren anhand zahlreicher Beispiele, dass Kinder in Beteiligungssituationen über sich hinauswachsen und unerwartete Leistungen erbringen: z. B. bei der Einrichtung eines Terrariums (Strauss et al. 2017) oder im Sportunterricht, in dem ein Drittklässler seine Basketball-Erfahrung in die Gestaltung einer Vertretungsstunde einbringt. Die Lehrpersonen treten in diesen Situationen in einen Dialog mit den Kindern und bringen ihnen Vertrauen in ihre Fähigkeiten entgegen. Die positiven Erfahrungen, die sich daraus ergeben, sind sowohl für die Lehrpersonen als auch für die Kinder ermutigend und führen dazu, dass die Kinder in ihrer Umgebung bzw. von den Erwachsenen plötzlich anders wahrgenommen werden. Auch die Kinder selbst können sich dadurch als kompetent und aktiv Teilnehmende verstehen: Die Rollenverteilung, die Machtverhältnisse, die generationale Ordnung kommen in Bewegung und verschieben sich.

Zahlreiche Erfahrungen mit Partizipation im Schulalltag erfüllen die Voraussetzung des Rahmenkonzeptes von Pearce und Wood (2019) aber nicht. Diese Erkenntnis ist nicht neu und gleicht den Ergebnissen aus Studien, die bereits 20 Jahre zuvor (s. z. B. Böhme und Kramer 2001) durchgeführt wurden. Wie Interviews und ethnographische Beobachtungen des Schulalltags in der PasSe-Studie zeigen, wird in den Klassen über Unterricht und Lernen selten ein Dialog geführt. Dieser wird von einigen Lehrkräften in den Gruppendiskussionen als unnötig dargestellt, da sie davon ausgehen, die Interessen der Schülerinnen und Schüler selbst zu erkennen. Konkret formuliert die Lehrkraft: „Also wir bestimmen das Thema, weil wir gesehen haben, dass sie [die Schüler/innen] auf das [Thema] ansprechen.“ Dementsprechend wird die Überzeugung formuliert, sowieso im Interesse der Kinder zu handeln, weshalb es unnötig sei, die Schülerinnen und Schüler zu fragen. In anderen Schulen äußern die Lehrkräfte, dass die Kinder gar keine eigenen Interessen hätten, und dass es ihre Aufgabe sei, diese bei den Kindern zu wecken (Häbig et al. 2019). Damit verwandt erscheint die Annahme, dass den Kindern auch die Fähigkeit zu partizipieren fehle. Diese Unfähigkeit wird von einigen Befragten als stabile, den Kindern innewohnende Eigenschaft definiert. Hier könnte eine subjektive Theorie von Agency zugrunde liegen, die „von den sozialen und handlungslimitierenden Bedingungen und den Ermöglichungspotenzialen der Akteurschaft im Kontext pädagogischer Institutionen abstrahiert“ wird (Heinzel 2019, S. 282). In einem solchen Konzept werden die Relationalität und Interaktivität von Agency und damit die Partizipation ermöglichenden Faktoren übersehen.

Die Beobachtungen in der PasSe-Studie belegen, dass die generationale Ordnung in einzelnen Schulen selten ausgehandelt, sondern vielmehr oft als gegeben akzeptiert wird. Die Lehrpersonen in den untersuchten Schulen erhalten nach eigener Aussage eher selten eine Anregung oder einen Impuls, ihre bisherige Rolle als Lehrperson zu hinterfragen und partizipative Wege der Bildungs- und Lernbegleitung zu suchen. Eine solche Suche könnte mit Unsicherheit einhergehen, vor allem, wenn ein Selbstverständnis der Lehrperson als den Kindern grundsätzlich Überlegene vorhanden sein sollte. Die Erwartung, Partizipation zu ermöglichen, trifft auf ein hierarchisches System mit traditionell klar definierten Rollen und Aufgaben (Generationsordnung). Die Hinterfragung eben dieses Systems gehört allerdings, wie in Abschn. 2 gezeigt, zu den Kernanliegen von Partizipation.

In der Studie tritt öfters zu Tage, dass das Thema Partizipation als Lernaufgabe in dafür vorgesehenen Strukturen (Klassenrat, Schulparlament) inszeniert wird (Rieker et al. 2016), die eine künstlich erzeugte Ausnahme von der ansonsten anderen Normalität der Schule bildet. Es geht dann um ein Einüben von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die die Kinder in ihrem späteren Leben brauchen. Partizipation wird folglich als eine Art Sozialisation angesehen, um die Kinder auf ihre zukünftigen Aufgaben in der Gesellschaft vorzubereiten. Problematisch an einem so ausgelegten Partizipationsverständnis ist es, dass dieses nicht auf Veränderung zielt, sondern ein Instrument ist, welches das bestehende System stabilisiert und mit all seinen sozialen Ungleichheiten reproduziert. Aus Sicht einiger Lehrpersonen der Studie gilt es, die Nicht-Veränderbarkeit der bestehenden Ordnung in der Schule und die eingeschränkten Möglichkeiten der Veränderung im späteren Leben als Erwachsene zu akzeptieren: „Im normalen Leben funktioniert das auch nicht“ (Häbig et al. 2019, S. 48). Dementsprechend deuten sie den Partizipationsanspruch (vgl. Abschn. 3) als trügerisches Versprechen, das im späteren Leben nicht erfüllt wird, weshalb es in der Schule fehl am Platz sei.

Soweit der kritische Blick auf die Schulen. Im Folgenden ändern wir die Perspektive: Wie steht es mit den Forschenden? Was passiert, wenn sie als Akteurinnen und Akteure im Schulfeld betrachtet werden? Was tragen sie zur Generationenvermittlung bzw. Stabilisierung der generationalen Ordnung bei? Was bedeutet es für die eigene Arbeit der Forscherinnen und Forscher, wenn sie Erkenntnisse (re)produzieren und kaum zur Veränderung des Systems beitragen?

5 Partizipationsorientierte Forschung über Partizipation – spezifische Spannungsfelder und vermutete Blinde Flecke

In kritischer Betrachtung des eigenen Forschungshandelns kann zunächst für das PasSe Projekt festgestellt werden, dass die Forscherinnen implizit davon ausgegangen sind, dass die Lehrkräfte sich in einer relationalen und interaktiven schulischen Praxis befinden und einen fehlenden Dialog zwischen Erwachsenen und Kindern nicht als Einzelakteure hervorbringen und verantworten. Folglich wird in diesem Beitrag der selten stattfindende Dialog (nach Pearce und Wood 2019) zwischen Lehrkräften und Lernenden nicht mit den Absichten oder Eigenschaften der Lehrpersonen erklärt, sondern als Teil der gängigen Praktiken in und außerhalb der Schule gesehen. Zur Veränderung der schulischen Praxis wurden Forschungsresultate als Grundlage für einen Reflexionsprozess eingesetzt. Ein bedeutender Teil des Projekts bestand daher darin, den Schulteams und den Schülerinnen und Schülern Forschungsergebnisse zurückzumelden. In diesen wurden die Stimmen der Kinder und jene der Erwachsenen einander gegenübergestellt. Indem die Schulen dadurch auf Meinungsunterschiede aufmerksam gemacht wurden, konnte ein Dialog angestoßen werden. Auch wurden in den Schulen verschiedene Austauschformen im Rahmen von Workshops initiiert, in denen Forschungsergebnisse gemeinsam interpretiert wurden. So weit, so gut. Wenn wir aber eine praxistheoretische Perspektive (Reckwitz 2003) einnehmen und sagen, dass nicht die Absichten ausschlaggebend sind, sondern die Praxis selbst, dann müssen auch die Praxis der Forschung und die sich darin implizit zeigende soziale Ordnung geprüft werden. In (selbst‑)kritischer Reflexion des Designs des beschriebenen Projekts muss eingeräumt werden, dass zahlreiche Entscheidungen ohne Absprache mit den Schulen getroffen worden sind: Auswahl der Methoden, Erhebung und Auswertung der Daten, Erstellung des Berichts. Dadurch wurde eine asymmetrische Beziehung, in der die Praxis der Deutungshoheit der Forschung untergeordnet ist, markiert. Äquivalent zu den Schulen werden folglich auch durch die Forschung Machtverhältnisse reproduziert anstatt infrage gestellt und bearbeitet. Somit entsteht auch hier ein Widerspruch: Auf der einen Seite wird die wegen bestehender Machtverhältnisse nicht weitreichend umgesetzte Partizipation in den Schulen problematisiert. Auf der anderen Seite werden die hierarchische Aufteilung der Akteurinnen und Akteure auf Wissende (Forschende) und Nicht-Wissende (Praktikerinnen und Praktiker) und dadurch implizite, hierarchische Machtverhältnisse bestätigt.

Im Folgenden ziehen wir beispielhaft ein weiteres Forschungsprojekt heran. Dieses geht in seinem Anspruch, selbst partizipativ zu sein, einen Schritt weiter. Es handelt sich um eine mehrjährige wissenschaftliche Begleitstudie einer privaten Partizipationsgrundschule, in der Kinder große Mitsprache- und Entscheidungsfreiräume bezogen auf Aspekte des Was und Wie ihrer sozialen und fachlichen Lernprozesse erhalten. Methodisch wird hier mit wöchentlichen ethnografischen Beobachtungen der schulischen Praxis und mit einer regelmäßigen Erhebung der Kinderperspektiven auf das Partizipationskonzept der Schule gearbeitet, deren Ergebnisse an den Schulentwicklungsprozess rückgebunden werden (Details zum Design der Studie finden sich in Hüpping und Büker 2019; Höke 2017). Von Beginn an verstanden sich Forschende und Schulakteure als Partner, die dem Ansatz partizipativer Forschung entsprechend „… die soziale Wirklichkeit partnerschaftlich erforschen und beeinflussen“ mit dem Ziel, diese „zu verstehen und zu verändern“ (von Unger 2014, S. 1). In kritischer Reflexion des Forschungshandelns soll nachfolgend dargestellt werden, auf welche Weise diese Forschungsrichtung im Bereich der vier Analysefelder Dialog, Intergenerationalität, Inklusion und Grenzverschiebung (Pearce und Wood 2019) Spannungen mit Blick auf das Selbstverständnis von Forschung erzeugt. Hierfür werden ausgewählte Interaktionen und Beziehungen betrachtet, um damit verbundene (Re)Produktionen partizipativer, inklusiver und auch exklusiver Praktiken und Strukturen (Böhme und Kramer 2001; Heinzel 2019) zu reflektieren. Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich die wissenschaftliche Begleitung, die bis dato in sechs Teilstudien realisiert wurde, über mehrere Jahre von einem anfänglichen Forschen über Kinder zu einem Forschen mit hin zu einem Forschen durch Kinder entwickelt hat (Hüpping und Büker 2019; Büker und Hüpping 2021).

Zu Beginn der Forschungskooperation wurde der Dialog vorrangig von den Erwachsenen aus den unterschiedlichen Institutionen Schule, Schulträger und Universität geführt. Er war durch die gute Absicht geprägt, im Interesse der Kinder zu handeln. Die in Befragungen gewonnenen Stimmen der Kinder wurden zu diesem Zeitpunkt mittelbar über die Erwachsenen in den weiteren Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozess eingebracht. Insbesondere die Forschenden, die sich intensiv mit den erhobenen Kinderperspektiven auseinandersetzten, fungierten quasi als Anwälte der Kinder und planten die nächsten Forschungsphasen als normative Setzung. Diese Rolle wurde ihnen in Teamsitzungen und Schulentwicklungstagen auch durch das Schulteam zugeschrieben. Die Chance für die Kinder, sich unmittelbar am Dialog mit den Erwachsenen zu beteiligen, beschränkte sich zu Beginn auf die transparente Kommunikation der Inhalte und Rahmenbedingungen der Erhebungen. Im weiteren Verlauf erfolgte im Rekurs auf ein Stufenmodell kinderrechtebasierten partizipativen Forschens (Büker et al. 2018) zunehmend eine kontinuierliche Einbindung der Kinder in Methodenentscheidungen. So wurden stärker interaktions- und partizipationsorientierte Erhebungen wie Schulbegehungen und Photo-Voice-Methode realisiert. Schließlich wurde der Versuch unternommen, die Kinder mittels eines didaktischen Konzepts zu befähigen, in der Forscherrolle ihren eigenen Fragen nachzugehen (Hüpping und Büker 2019; Büker und Hüpping 2021). Jedoch ist kritisch hervorzuheben, dass die in den Datenerhebungen gewonnenen Kinderperspektiven wiederum einseitig durch die Erwachsenen interpretiert wurden. Zum einen von Seiten der Forscherinnen, die aus den gewonnenen Ergebnissen Reflexionsmomente für das Schulteam konzipierten und zum anderen von Seiten der Lehrkräfte, die durch die angestoßenen Reflexionen neue Lernangebote für die Kinder entwickelten. Dieser doppelte Transfer erinnert an das Spiel Stille Post, weil aufgrund der skizzierten Interpretationsschleifen durch die Erwachsenen zunächst offenblieb, inwieweit die daraus gewonnenen Lernarrangements für die Kinder stimmig sind.

Der Dialog zwischen Kindern und Erwachsenen wurde im Verlaufe des Forschungsprozesses kontinuierlich ausgeweitet und war eng mit einer veränderten Beziehungsgestaltung und somit mit dem Analysefeld der Intergenerationalität verwoben. Durch die kontinuierliche Praxisanbindung wurden die Forscherinnen im Zeitverlauf Teil des schulischen Beziehungsnetzwerks. Neben den intergenerationalen Beziehungen galt es damit auch intragenerationale Beziehungen zwischen den Akteursgruppen der Forschenden und der Praxisexpertinnen zu berücksichtigen. Hier wurden nicht unproblematische Grenzverschiebungen in Kauf genommen – jedoch zielte diese Form der Kooperation auf den Aufbau bzw. die Intensivierung einer vertrauensvollen Atmosphäre, welche Orientierung, Transparenz und Handlungssicherheit für alle Beteiligten ermöglichen sollte. In dieser Atmosphäre wurde erst der offene Dialog möglich, um zum einen gemeinsam mit dem Schulteam Antinomien in Bezug auf die in Abschn. 3 angeführten Spannungsfelder des Partizipationsanspruchs zu thematisieren und zum anderen die asymmetrischen Beziehungen zwischen Forscherinnen und Kindern vor dem Hintergrund der Generationenvermittlung zu reflektieren. Dieser Prozess erfolgte nicht ohne Spannungen und Kontroversen hinsichtlich Zuständigkeiten und Verantwortungsbereichen, die eben jene Grenzziehungen markierten. Zur Bearbeitung derselben erwies sich das Vorhandensein implementierter Austauschformate im Rahmen der Forschungskooperation als günstig. Auf diese Weise wurde die Basis dafür geschaffen, dass die Forschungsgegenstände zunehmend mit den Kindern und dem Schulteam von innen heraus und damit nah an den Bedarfen der Schulpraxis gewonnen werden konnten. Zu nennen sind hier die Forschungsthemen Schulisches Wohlbefinden, Partizipatives Lernverständnis, Nutzung digitaler Medien und Partizipatives Forschen.

Die Forschungskooperation war und ist geprägt von einem permanenten und als solchen explizit gemachten Aushandlungsprozess zwischen allen Beteiligten darüber, wie Partizipation verstanden und in der Praxis umgesetzt werden kann. Es kam in den Interaktionen zu Grenzverschiebungen, wenn Kinder ihre Kinderrechte als Begründung für ihre Wünsche definierten, im Zuge von Schulbegehungen forderten, Einblicke in die für sie unbekannten Räume zu erhalten oder sie nach einem Interview die Schränke im Zimmer des Schulteams inspizieren wollten. Die unterschiedlichen Beziehungskonstellationen zwischen Kindern und Forscherinnen im Kontext der verschiedenen Teilstudien verdeutlichen sich auch in dem Analysefeld der Kollektivität/Inklusion. Da aus organisatorischen Gründen immer nur eine begrenzte Anzahl der Kinder an den qualitativen Erhebungen teilnehmen konnte, bedeutete dies einen Ausschluss für die anderen Kinder. Gleiches gilt auch für die Nichtbeteiligung der Kinder an maßgeblichen Phasen der Forschung, insbesondere bei der Dateninterpretation. Hier reproduzieren sich Machtverhältnisse aus der Forschung heraus. Die Beteiligung der Kinder an Auswertungsverfahren birgt die Chance, gewonnene Forschungsdaten aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und dient somit gleichzeitig als Korrektiv in Form einer intersubjektiven Validierung. Dieser Dialog bzw. dieses In-Beziehung-Treten kann exkludierende Prozesse und Grenzziehungen zwischen den Erwachsenen und Kindern verändern (Böhme und Kramer 2001; Heinzel 2019; Pearce und Wood 2019). Durch die Beteiligung der Kinder an verschiedenen Forschungsphasen wird nicht nur dem Recht der Kinder auf Information, Gehörtwerden und Mitbestimmung entsprochen, sondern der Blick wird zunehmend auf die Einflussnahmemöglichkeiten auf die schulische Lebenswelt geweitet (Lundy und McEvoy 2011). Durch die jüngste Teilstudie „Kinder als Forscherinnen und Forscher in eigener und gemeinsamer Sache“ wurde versucht, die Kinder in der Rolle der Sozialforscherinnen und -forscher am Prozess von Schulentwicklung zu beteiligen, indem sie methodisch-systematisch ihren Fragen im Rahmen eines begleiteten Forschungsprozesses nachgingen und daraus hervorgehende Vorschläge an die Schulgemeinde herantrugen. Dieses Beispiel verdeutlicht den Aspekt der Grenzziehung mit Blick auf das Analysefeld der Transgression, da hier Forscherinnen, Lehrkräfte und Kinder die Wirkungen von Grenzen und oftmals unhinterfragten Routinen reflektierten und gemeinsam Veränderungen in der Schulpraxis angestoßen wurden (Hüpping und Büker 2019). Allerdings: Durch das beschriebene Involvement in das Schulteam, den Einbezug von Praxisakteuren in Forschungsentscheidungen und die pädagogische Tätigkeit bei der Information und der Beteiligung von Grundschulkindern an denselben bewegten sich die Forschenden an der Grenze eines klassischen Forschungsverständnisses, was in der Scientific Community teilweise als in besonderer Weise begründungspflichtig betrachtet wird.

6 Anspruch und Wirklichkeit: Blinde Flecke in Schulentwicklung und Forschung

Der Anspruch an Partizipation wirbelt in Grundschulpraxis und Schulforschung eine Vielzahl an grundlegenden Fragen über Begriffs‑, Rollen- und Kontextverständnisse auf. Dies gilt nicht allein intern, sondern auch in der Konstellation einer Praxis-Forschung-Partnerschaft. Wir haben diesbezüglich Widersprüche in Schule und Forschung identifiziert, die erst dann auffallen, wenn eine intensive Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld stattfindet, welches von konfligierenden Ansprüchen gezeichnet ist. (Grund‑) Schulen und ihre Lehrkräfte spüren die Implikationen des Partizipationsanspruchs und dessen Umsetzung und sie müssen in ihrem Alltag mit solchen Antinomien umgehen. Die Forschung mit Fokus auf die Praxis ermöglicht es, die Beziehungen, Interaktionen und die emergente Natur der Partizipation wahrzunehmen. Sie kann aufzeigen, dass durch die oftmals verkürzenden und idealisierenden Darstellungen in Curricula und Qualitätsstandards bestehenden Ordnungen nicht in Frage gestellt werden und entsprechend der transformatorische Effekt von Partizipation häufig nicht mitgedacht wird. Das Aufzeigen allein reicht aber nicht aus, um Veränderungen anzustoßen. Wie kann die Forschung für den Prozess der Transformation Partner für die Schule, und wie kann Schule Partner für die Forschung sein? Wir haben gezeigt, dass selbst eine sich als partizipativ bezeichnende Forschung über Partizipation ihre eigenen Blinden Flecke hat, indem sie klassische Machtverhältnisse zwischen Wissenschaft und Praxis reproduziert. Sie hat ihre eigenen Selbstverständnisprobleme, weil in partizipativen Ansätzen die Eigenlogik der Forschung nicht mehr gilt (vgl. kritisch: Hammersley 2017). Deshalb ist eine traditionelle hierarchisch-lineare Vorstellung, nach der von Forscherinnen und Forschern produzierte Erkenntnisse in der Praxis umgesetzt – transferiert – werden (sollten), viel bequemer. Diese Vorstellung kann aber mit ein Grund dafür sein, dass die Forschung in der Praxis oftmals wenig direkte Wirkung zeigt. Aus unserer Sicht könnte Partizipation basierend auf einem offenen Dialog zwischen den Akteurinnen und Akteuren aus Schule und Forschung, die einander zuhören, vertrauen und wertschätzen, der Schlüssel zur Lösung sein. Wenn Partizipation das gedankliche und performative Überschreiten von Grenzen und damit Transformation bestehender Ordnungen bedeutet, geht es um die Herstellung von Offenheit für die Idee der permanenten Veränderung von Forschung und Praxis. Es gibt nicht die endgültige Partizipation, nur die Arbeit daran. Aus einem solchen Diskurs, der gerade im Grundschulkontext das spezifische Spannungsfeld expliziert und prozesshaft bearbeitet, können wieder neue Fragen und Erwartungen an die Forschung formuliert werden, die wiederum zu Untersuchungen führen, die künftig ein evidenzorientiertes professionelles Handeln unterstützen. Partizipation ist geeignet, sich als Grundschulpraxis und Grundschulforschung immer wieder neu zu definieren.