1 Einleitung

Bereits in den ersten Grundschuljahren spielen die Peers in der Klasse eine wichtige Rolle für die Schülerinnen und Schüler (Petillon 1993). Durch positive Beziehungen zu den Peers eröffnen sich wichtige Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten für die Kinder. Fehlt jedoch die soziale Einbindung, werden diese Möglichkeiten nicht oder nur schwer zugänglich, weshalb die soziale Ablehnung als Risiko für die sozial-emotionale und kognitive Entwicklung diskutiert wird (Fend 2006; Prinstein et al. 2018). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum es Schülerinnen und Schülern mehr oder weniger gelingt, in der Klasse sozial akzeptiert zu sein.

Der Großteil bisheriger Forschung befasst sich in diesem Zusammenhang mit der Bedeutung individueller Verhaltensweisen und Eigenschaften für die Ausprägung des sozialen Status unter den Peers (Killen et al. 2013; Newcomb et al. 1993). Allerdings findet dabei der Kontext, in den diese eingebettet sind, selten Beachtung (Rubin et al. 2015). In diesem Zusammenhang sind Normen als Merkmale des Gruppenkontextes bedeutsam, da diese nach der Theorie des geplanten Verhaltens (Fishbein und Ajzen 1975) einen Einfluss auf die Verhaltensintentionen von Menschen haben (Ajzen 1991; Fishbein und Ajzen 1975) und somit zu einem besseren Verständnis von Prozessen sozialer Akzeptanz bzw. Ablehnung in Schulklassen beitragen können.

Diese Kontextmerkmale werden für Menschen über ihre subjektive Wahrnehmung bedeutungsvoll und handlungsleitend (Bronfenbrenner 1979). Wie Schülerinnen und Schüler den Peerkontext wahrnehmen, scheint bisher allerdings wenig erforscht (Boor-Klip 2017). Daher besteht hinsichtlich der Frage, welche Gruppennormen Grundschülerinnen und Grundschüler als relevant für die soziale Akzeptanz und Ablehnung in der Klasse wahrnehmen, das Desiderat, dem sich der Beitrag widmet.

2 Sozialer Status und individuelle Persönlichkeitsmerkmale

Die Konzepte der sozialen Akzeptanz und Ablehnung beziehen sich zunächst auf das Ausmaß, in dem ein Kind von den Peers gemocht bzw. nicht gemocht wird. Hinsichtlich der Messung wird meist auf soziometrische Verfahren zurückgegriffen, wobei häufig „like most“ und „like least“ Nominierungen verwendet werden (Asher und McDonald 2009; Cillessen und Marks 2011). Mit Hilfe dieser Peernominationen ist es möglich, den sozialen Status eines Kindes anhand der soziometrischen Statusdimensionen nach Coie et al. (1982) zu beschreiben. Demnach erhält z. B. ein beliebtes Kind viele positive und nur wenige negative Nominierungen von den Peers in der Klasse.

Um das Zustandekommen sozialer Akzeptanz und Ablehnung zu erklären, stehen vor allem nicht-kognitive Persönlichkeitsmerkmale im Fokus der Forschung. So scheinen sozial akzeptierte Kinder über alle Altersbereiche vom Grundschulalter bis hin zur Adoleszenz häufig freundlich, kooperativ und hilfsbereit zu sein (Asher und McDonald 2009; Coie et al. 1990). Zudem werden diese Kinder auch häufiger als physisch attraktiv, sportlich sowie im schulischen Bereich kompetent beschrieben (Asher und McDonald 2009; Coie et al. 1982; LaFontana und Cillessen 2002; Lease et al. 2002; Newcomb et al. 1993; Petillon 1978).

Soziale Ablehnung scheint hingegen vor allem mit aggressiven Verhaltensweisen und sozialem Rückzug der betreffenden Kinder zusammenzuhängen (u. a. Newcomb et al. 1993). Coie et al. (1982) berichten diesbezüglich im Rahmen einer Studie mit Kindern (N = 311) der Klassenstufen 3, 5 und 8 von Altersunterschieden. Mit zunehmendem Alter der Kinder verringerte sich in ihrer Studie die Korrelation zwischen störendem Verhalten und sozialer Ablehnung.

3 Gruppennormen und ihre Bedeutung für die soziale Akzeptanz und Ablehnung

Individuelles Verhalten zu verstehen erscheint nicht möglich, ohne den Gruppenkontext zu berücksichtigen, in den es eingebettet ist (Levine und Moreland 2006). Merkmale des Kontextes, wie z. B. Normen, werden allerdings weniger als objektive Gegebenheiten bedeutsam für das Verhalten, sondern vielmehr durch ihre subjektive Wahrnehmung, wie Bronfenbrenner festhält: „[…] what matters for behavior and development is the environment as it is perceived rather than as it may exist in ‚objective‘ reality“ (Bronfenbrenner 1979, S. 4).

Die Klasse als relevanter Peerkontext gilt dabei als normative Bezugsgruppe (Jerusalem 1997), in der Normen definiert werden, die sich auf geteilte und verbindliche Kriterien in Bezug auf erwünschtes und unerwünschtes Verhalten beziehen. Normen tragen in diesem Zusammenhang dazu bei, dass Interaktionen in einer Gruppe reibungsloser verlaufen und für die Mitglieder ein sozialer Druck besteht, sich konform zu verhalten und so soziale Sanktionen (z. B. den Ausschluss aus der Gruppe) zu vermeiden (Feldman 1984).

In Schulklassen entwickeln sich verschiedene Normen, die gruppenspezifisch sein können und so als Abgrenzungskriterien z. B. gegenüber anderen Klassen dienen (Feldman 1984; Forsyth 2014). Nach Petillon (1980) beziehen sich die Normen jedoch auf zwei wesentliche Bereiche. Formelle Normen werden durch die Schule gesetzt und adressieren vor allem die individuelle Erfüllung von Leistungszielen. Informelle Normen hingegen beziehen sich auf Bereiche wie beispielsweise die äußere Erscheinung oder das Verhalten und die Darstellung der eigenen Person in der Klasse, die nicht von formellen Normen abgedeckt werden, aber als „ungeschriebene Gesetze“ (Petillon 1980, S. 34) sozial sehr wirksam sind (Petillon 1980).

Eine der ersten Studien, die sich der Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen für den sozialen Status in Abhängigkeit von der Normativität dieser in Gruppen widmet, stammt von Wright et al. (1986). Die Autorinnen und Autoren haben den sozialen Status von Jungen (N = 138, MAlter = 10,21 Jahre) in einem Sommercamp untersucht und konnten zeigen, dass der Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten und der sozialen Akzeptanz von der Normativität des aggressiven Verhaltens innerhalb der Gruppe beeinflusst wird. So werden aggressive Kinder in Gruppen, die sich durch ein geringes Niveau an aggressivem Verhalten auszeichnen, abgelehnt. Zurückhaltende Kinder erfahren hingegen in hoch aggressiven Gruppen Ablehnung von den Peers. Diese Befunde wurden in weiteren Studien, z. B. von Chang (2004) und Stormshak et al. (1999), repliziert.

4 Zentrale Fragestellungen und Hypothesen

Welche Normen Schülerinnen und Schüler in der Grundschule sowohl hinsichtlich der sozialen Akzeptanz als auch hinsichtlich der sozialen Ablehnung als relevant in der Klasse wahrnehmen, ist bisher nicht geklärt. Daraus ergibt sich das Forschungsdesiderat, das in diesem Beitrag im Rahmen einer Interviewstudie als Vorstudie und einer darauf aufbauenden Hauptstudie adressiert wird. Die vorgestellten Studien widmen sich dabei den nachfolgenden Fragestellungen.

Fragestellung 1

Welche Gruppennormen nehmen Grundschülerinnen und Grundschüler wahr, um in der Klasse sozial akzeptiert bzw. abgelehnt zu werden?

Aus der Forschung ist bisher bekannt, dass ein positives Sozialverhalten und gute schulische Leistungen von Kindern positiv mit der sozialen Akzeptanz assoziiert sind, während aggressives Verhalten oder sozialer Rückzug mit sozialer Ablehnung in der Peergruppe verbunden sind (z. B. Newcomb et al. 1993). Ob und inwiefern sich die von Grundschülerinnen und Grundschülern wahrgenommenen Gruppennormen in der Klasse für die soziale Akzeptanz sowie Ablehnung ebenfalls auf diese Merkmale und Eigenschaften beziehen, ist allerdings offen.

Fragestellung 2

Inwiefern bestehen Übereinstimmungen hinsichtlich der wahrgenommenen Bedeutung von Gruppennormen für die soziale Akzeptanz bzw. Ablehnung innerhalb von Grundschulklassen?

Normen gelten als geteilte Erwartungen in Bezug auf erwünschtes bzw. unerwünschtes Verhalten in einer Gruppe (Feldman 1984). Insofern sollten sich diese in übereinstimmenden Einschätzungen der Schülerinnen und Schüler einer Klasse zu ihrer Bedeutung für die soziale Akzeptanz bzw. Ablehnung widerspiegeln. Angesichts der bisherigen Forschungsbefunde zu Korrelaten des sozialen Status wird daher erwartet, dass sich besonders für die Bedeutung von Gruppennormen, die sich auf prosoziales Verhalten, Aggressivität und die schulischen Leistungen beziehen, übereinstimmende Einschätzungen innerhalb von Grundschulklassen finden lassen.

Fragestellung 3

Bestehen jahrgangsspezifische Unterschiede hinsichtlich der wahrgenommenen Bedeutung von Gruppennormen für die soziale Akzeptanz bzw. Ablehnung in der Klasse?

Aufgrund des Forschungsstandes nehmen wir an, dass hinsichtlich der wahrgenommenen Bedeutung von Gruppennormen jahrgangsspezifische Unterschiede bestehen. Diese sollten sich vor allem in Bezug auf die Schulleistung als formelle Norm zeigen, die von den Schülerinnen und Schülern in den unteren Jahrgangsstufen als relevanter im Zusammenhang mit der sozialen Akzeptanz wahrgenommen werden sollte als von den Schülerinnen und Schülern in den höheren Jahrgangsstufen. In den höheren Stufen wird hingegen erwartet, dass Gruppennormen, die z. B. die Sportlichkeit adressieren und im informellen Normbereich zu verorten sind, als wichtiger für die soziale Akzeptanz wahrgenommen werden, während formelle Normen an Bedeutung verlieren (z. B. Beerlage 1993).

5 Studie 1 – Die Interviewstudie

5.1 Methode

Mit Blick auf die erste Fragestellung wurde eine qualitative Interviewstudie durchgeführt, die nachfolgend vorgestellt wird. Dabei werden die Schülerinnen und Schüler als Expertinnen und Experten für die in ihren Klassen geltenden Normen verstanden, da sie täglich an deren Definition und Aufrechterhaltung beteiligt sind und einen differenzierten Einblick vor allem in das informelle Normgefüge haben dürften (Petillon 1980). Die Methode des Interviews ermöglicht es dabei, die individuellen Wahrnehmungen der Schülerinnen und Schüler in Erfahrung zu bringen (Trautmann 2010).

5.1.1 Stichprobe und Durchführung der Interviewstudie

Im Sommer 2016 wurden 38 Interviews mit 22 Mädchen und 16 Jungen der Klassenstufen zwei, drei, fünf und sechs aus zwei Grundschulen im Land Brandenburg geführt. Die befragten Schülerinnen und Schüler waren zu dieser Zeit zwischen 8 und 13 Jahren alt (M = 8,7 Jahre, SD = 1,3). Für die Teilnahme am Interview wurde zuvor das schriftliche positive Einverständnis der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten eingeholt. An den Interviews, die als Einzelinterviews von der Erstautorin in den Schulen durchgeführt wurden, nahmen mehrere Kinder einer Klasse teil. Lediglich in einer Klasse konnte nur ein Kind interviewt werden.

5.1.2 Instrumente der Interviewstudie

Die Interviews orientierten sich an einem Leitfaden. Nach einem Gesprächseinstieg zum bisherigen Schultag folgten Fragen zur Exploration von Beziehungsstrukturen in der Klasse (z. B. „Denk mal bitte an deine Klasse, in die du gerade gehst – wie würdest du die beschreiben?“). Um in Erfahrung zu bringen, welche Normen von den Schülerinnen und Schülern als relevant für die soziale Akzeptanz und Ablehnung in der Klasse wahrgenommen werden, wurden die nachfolgenden Leitfragen formuliert. Dabei wurde die soziale Akzeptanz bzw. Ablehnung über das Dazugehören bzw. Nichtdazugehören in der Klasse operationalisiert, um die Konzepte für Kinder im Grundschulalter verständlich zu formulieren.

  • „Was ist aus deiner Sicht wichtig, um in deiner Klasse dazuzugehören?“

  • „Wie muss man sein, um in deiner Klasse dazuzugehören – was denkst du?“

  • „Was muss man machen, um in deiner Klasse dazuzugehören – was meinst du?“

    • „Sind beispielsweise Schulleistungen, Mode, angesagte Smartphones, etc. aus deiner Sicht wichtig in deiner Klasse?“

  • „Wann und warum gehört man deiner Meinung nach nicht dazu in deiner Klasse?“

5.1.3 Auswertungsstrategie der Interviewstudie

Die Interviews wurden vollständig transkribiert (Kuckartz 2010) und mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2015) analysiert. Dazu wurde deduktiv ein Kategoriensystem entwickelt, das hinsichtlich der für die Fragestellung 1 relevanten Inhaltsbereiche in Tab. 1 beschrieben wird. Ziel war es, die Eigenschaften und Merkmale aus dem Material herauszufiltern, die durch die Kategorien angesprochen werden (Mayring 2015). Die Oberkategorien wurden dabei aus den in der Forschung bekannten Korrelaten des sozialen Status (z. B. Beerlage 1993; Newcomb et al. 1993) abgeleitet und adressierten das Sozialverhalten, die Schulleistung und allgemeine kognitive Fähigkeiten, konformes Verhalten, die äußere Erscheinung, die physische Leistungsfähigkeit, das Selbstkonzept und den materiellen Besitz. Die Oberkategorie Sozialverhalten wurde zudem deduktiv in Subkategorien unterteilt, die in Abb. 2 ersichtlich sind. Für die Kodierung wurden a‑priori inhaltlich-thematische Kodiereinheiten festgelegt (Kuckartz 2016). Die Interviews wurden von zwei unabhängigen Kodierern mit der QDA-Software MaxQDA 12 kodiert. Die Reliabilitätskodierung erfolgte an 20 % des gesamten Materials, die Intercoder-Reliabilität betrug κ = 0,75 (Range κ = 0,58 bis κ = 0,85) und kann als gut eingeschätzt werden (Syed und Nelson 2015).

Tab. 1 Darstellung der Hauptkategorien der Interviewstudie zum Themenbereich des Dazugehörens bzw. Nichtdazugehörens in der Klasse

5.2 Ergebnisse der Interviewstudie

Die Ergebnisse zeigen, dass mehr als die Hälfte der befragten Schülerinnen und Schüler spontan auf die Norm eines positiven Sozialverhaltens verweisen, um in der Klasse dazuzugehören (s. Abb. 1). Für die Bedeutung der Subkategorien des Sozialverhaltens (s. Abb. 2) zeigt sich, dass besonders die allgemeine soziale Attraktivität von hoher Relevanz für die befragten Schülerinnen und Schüler zu sein scheint. Diese Subkategorie beschreibt undifferenzierte bzw. „triviale Formulierungen“ (Beerlage 1993, S. Anhang IV-9), wie z. B. „nett sein“. Die Bereitschaft und Fähigkeit, Kontakt zu anderen Kindern aufnehmen und aufrechterhalten zu können, beschreibt eine weitere Subkategorie des Sozialverhaltens, die in 13 Interviews als relevant für das Dazugehören angesprochen wird. Eine Schülerin hält dazu fest: „Man muss aber auch manchmal daraufhin zu gehen und sagen: Können wir das und das zusammen machen oder so.“ Als relevant für das Dazugehören in der Klasse wird zudem, wenn auch lediglich in vier Fällen, der Verzicht auf dominante Verhaltensweisen thematisiert, beispielweise sollte man demnach „[…] nicht immer so angeben in der Klasse […]“.

Abb. 1
figure 1

Wahrgenommene Gruppennormen in der Klasse bezüglich des Dazugehörens bzw. Nichtdazugehörens (Anzahl der Fälle je Kategorie)

Abb. 2
figure 2

Subkategorien des Sozialverhaltens (Anzahl der Fälle je Subkategorie)

Die Kategorie Schulleistungen stellt nach dem Sozialverhalten die zweithäufigste Kategorie dar, auf die spontan in sieben Interviews von den befragten Schülerinnen und Schülern verwiesen wird. In vier weiteren Fällen wurde die Schulleistung auf Nachfrage als bedeutsame Gruppennorm thematisiert. Um dazuzugehören „[…] braucht man schon ein paar gute Noten […]“, so eine Schülerin. Die Aussagen, die durch die induktiv entwickelte Kategorie „Schulleistung nicht relevant“ angesprochen wurden, kamen weiterhin ausschließlich durch Nachfragen zur Bedeutung von Schulleistungen für das Dazugehören in der Klasse zustande, wenn diese nicht spontan von den Kindern benannt wurden. Insofern „[…] braucht man eigentlich gar nicht gute Noten um dazuzugehören“, berichtet eine Schülerin.

Die genannten Ergebnisse beziehen sich auf die Wahrnehmung von Gruppennormen, die das Sozialverhalten und die Schulleistungen adressieren. Darüber hinaus nehmen die befragten Schülerinnen und Schüler weitere Gruppennormen wahr, die definieren, warum man in der Klasse dazugehört bzw. nicht dazugehört. In den Interviews wird diesbezüglich etwa die Sportlichkeit eines Kindes, vor allem für das Dazugehören in fünf Interviews spontan und zweimal auf Nachfragen, thematisiert. Das Aussehen wird weiterhin in sechs Interviews spontan im Zusammenhang mit dem Nichtdazugehören angesprochen. Weiterhin wird der materielle Besitz z. B. von guter Kleidung oder von technischen Geräten (z. B. Tablet, Fernseher, Handy) von einzelnen Kindern als relevante Norm in der Klasse wahrgenommen. Zuletzt sollte man „[…] einfach mal sein wie man ist […]“. Damit wird die Kategorie Selbstkonzept angesprochen. Diese umfasst Verhaltensweisen und Handlungen, die als Ausdruck eines positiven Selbstkonzepts wahrgenommen werden (Beerlage 1993).

5.3 Diskussion der Interviewstudie

Die Ergebnisse der Interviewstudie zeigen, dass die Mehrheit der befragten Schülerinnen und Schüler ein positives Sozialverhalten als bedeutsame Norm wahrnimmt, um in der Klasse sozial akzeptiert zu sein. Weiterhin zeigt sich, dass soziale Ablehnung aus Sicht von mehreren befragten Schülerinnen und Schülern vor allem mit negativem Sozialverhalten, und hier besonders mit Aggressivität, einem Mangel an Fähigkeiten zur Kontaktaufnahme und sozialer Unattraktivität sowie mit sozial zurückhaltendem Verhalten verbunden zu sein scheint. Diesbezüglich scheinen sich die Schülerwahrnehmungen zu relevanten Gruppennormen in der Klasse also auf bekannte Individualmerkmale zu beziehen, die mit dem sozialen Status assoziiert sind (z. B. Newcomb et al. 1993).

Gruppennormen, die sich auf die Schulleistungen beziehen, wurden seltener spontan von den Kindern angesprochen. Es könnte daher vermutet werden, dass das Verhalten der Peers in der Klasse für Kinder besser sichtbar ist als deren schulische Leistungen und daher häufiger Gelegenheiten bestehen, dieses zu beobachten und folglich als relevante Gruppennorm wahrzunehmen (Begert 2019; Fishbein und Ajzen 1975).

Darüber hinaus beziehen sich wahrgenommene Gruppennormen aus Sicht der befragten Grundschülerinnen und Grundschüler auch auf informelle Normbereiche. So werden z. B. die Sportlichkeit oder das Aussehen von den Schülerinnen und Schülern benannt.

Kritisch ist allerdings anzumerken, dass einzelne Kategorien, und hier vor allem die der Schulleistung, in einigen Interviews erst auf Nachfrage von den Kindern angesprochen wurden. Zwar war die Nachfrage durchaus im Leitfaden vorgesehen, hätte jedoch als Leitfrage entweder deutlich präzisiert und für alle Kategorien in allen Interviews gleichermaßen erfragt oder gänzlich weggelassen werden müssen. Weiterhin kann die Operationalisierung der sozialen Akzeptanz bzw. Ablehnung mit den Formulierungen „Dazugehören“ bzw. „Nichtdazugehören“ kritisch betrachtet werden. Hiermit wurde versucht, das Konstrukt des sozialen Status als Ausmaß des Mögens bzw. Nichtmögens kindgerecht zu formulieren. Der Begriff der Beliebtheit als Dimension der sozialen Akzeptanz (Coie et al. 1982) wäre an dieser Stelle möglicherweise passender gewesen.

Zusammenfassend geben die Befunde aus der Interviewstudie einen ersten Einblick, welche Gruppennormen Schülerinnen und Schüler als bedeutsam für die soziale Akzeptanz bzw. Ablehnung in Grundschulklassen wahrnehmen. Darüber hinaus bieten die Ergebnisse eine Grundlage für die Entwicklung eines Fragebogens im Rahmen der nachfolgenden Hauptstudie zu den Fragestellungen 2 und 3.

6 Studie 2 – Die Fragebogenstudie

6.1 Methode

6.1.1 Stichprobe und Durchführung der Fragebogenstudie

Im Rahmen der Hauptstudie ermöglichten acht Grundschulen im Land Brandenburg die Durchführung der Fragebogenerhebung. Insgesamt wurden 815 Schülerinnen und Schüler aus 66 Klassen der Jahrgangsstufen drei bis sechs befragt, wobei sich diese Stichprobe nicht mit der Stichprobe der Interviewstudie überschnitten hat. Da es Klassen gab, wo die Beteiligung, z. B. aufgrund fehlender Elterneinverständnisse, gering ausfiel, wurden in sämtlichen Analysen nur Klassen einbezogen, in denen mindestens 50 % der Schülerinnen und Schüler an der Befragung teilgenommen haben.

Somit umfasst die Analysestichprobe (s. Tab. 2) N = 647 Schülerinnen und Schüler (davon 53,2 % weiblich) im Alter zwischen 8 und 13 Jahren (M = 9,97 Jahre, SD = 1,17) aus 48 Klassen. Zuvor wurde das schriftliche positive Einverständnis der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten eingeholt. Die Erhebung im Paper-Pencil-Format dauerte ca. 45 Minuten und wurde von der Erstautorin mit der Unterstützung von zuvor geschulten Studierenden durchgeführt. Für die Durchführung stand meist ein separater Raum in der Schule zur Verfügung. Anderenfalls wurde die Erhebung im Klassenraum durchgeführt, während die nicht teilnehmenden Kinder eine Beschäftigung von der Lehrkraft erhielten.

Tab. 2 Verteilung der Stichprobe nach Geschlecht, Jahrgangsstufe und Alter

6.1.2 Instrumente der Fragebogenstudie

Zur Erfassung der wahrgenommenen Bedeutung von Gruppennormen für die soziale Akzeptanz und Ablehnung wurde ein einleitendes Szenario verwendet. Die Schülerinnen und Schüler sollten sich vorstellen, dass ein neues Kind in ihre Klasse kommt und einschätzen, was dazu führt, dass das neue Kind beliebt bzw. unbeliebt in der Klasse ist. Die soziale Akzeptanz bzw. Ablehnung wurde dabei über die Dimension der Beliebtheit bzw. Unbeliebtheit operationalisiert (Coie et al. 1982). Weiterhin merkt bereits Petillon (1980) an, dass es notwendig sei, sich „[…] in die Rolle des Schülers [zu] versetzen, der neu in eine Klasse kommt und versucht, ein anerkanntes Mitglied dieser Gruppe zu werden“ (Petillon 1980, S. 36), um die informellen Normen in einer Klasse zu verstehen.

Die Inhaltsbereiche der Gruppennormen, welche die Schülerinnen und Schüler beurteilen sollten, umfassen jene, die in der Interviewstudie herausgearbeitet wurden und adressieren die Schulleistung, das Sozialverhalten und das konforme Verhalten, die Sportlichkeit, das Aussehen und die Kleidung sowie den Besitz von Statussymbolen. Diese wurden nach Möglichkeit parallel für die Beliebtheit und Unbeliebtheit verwendet, jedoch für Letzteres negativ formuliert. D. h. die Kinder sollten auf einer 4‑stufigen Likertskala (von 1 = ist egal bis 4 = das neue Kind wäre sehr beliebt/sehr unbeliebt in der Klasse) einschätzen, inwiefern z. B. gute Leistungen zu Beliebtheit bzw. schlechte Leistungen zu Unbeliebtheit in der Klasse führen würden.

6.1.3 Auswertungsstrategie der Fragebogenstudie

Zunächst wurden deskriptive Analysen für die Analysestichprobe sowie separat nach Jahrgangsstufen durchgeführt. Um die Fragestellung 2 zu beantworten, inwiefern es übereinstimmende Einschätzungen hinsichtlich der wahrgenommenen Bedeutung von Gruppennormen innerhalb der Klassen gibt, wurde der Übereinstimmungsindex ADM (average absolut deviation) (Burke et al. 1999; Bliese 2016; Lüdtke et al. 2006) zu den Normen für jede Klasse berechnet und für die Ergebnisdarstellung klassenweise gemittelt.

Der ADM-Index beschreibt dabei die absolute Übereinstimmung zwischen den Schülerinnen und Schülern einer Klasse und basiert auf der Abweichung der einzelnen Urteile vom Gruppenmittelwert (Lüdtke et al. 2006). Als Standard für eine bedeutsame Übereinstimmung gilt ein Wert unter A/6, wobei A für die Anzahl der Antwortkategorien steht (Bliese 2016). Aufgrund dessen kann für eine 4‑stufige Skala ein Wert unter 4/6 = 0,67 als bedeutsame Übereinstimmung angenommen werden. Jedoch informiert der ADM-Index nicht über die Genauigkeit, mit der ein Merkmal beurteilt wird (Lüdtke et al. 2006).

Daher wurde die Intraklassenkorrelation ICC (1) berechnet. Die Intraklassenkorrelation ist definiert als das Verhältnis der Streuung der Einschätzungen zwischen den Klassen zur Streuung dieser innerhalb der Klassen. Die ICC gibt insofern Auskunft über den Varianzanteil, der auf Unterschiede zwischen den Klassen zurückgeht. Je höher die ICC ist, desto mehr Varianz ist demnach auf Klassenebene zu verorten und umso mehr stimmen die Schülerinnen und Schüler einer Klasse in ihren Einschätzungen überein (Bliese 2016; Lüdtke et al. 2006).

Mit Blick auf die Fragestellung 3 nach jahrgangsspezifischen Unterschieden hinsichtlich der wahrgenommenen Bedeutung von Gruppennormen wurden, jeweils separat für die Dimensionen der Beliebtheit bzw. Unbeliebtheit, multivariate Varianzanalysen (MANOVA) berechnet. Dieses Analyseverfahren ermöglicht es, mehrere abhängige Variablen gleichzeitig zu analysieren und zugleich eine α‑Fehler Kumulierung zu vermeiden (Field et al. 2012). Die Jahrgangsstufe stellte dabei den unabhängigen Faktor dar. Das Geschlecht wurde als Kontrollvariable in die Analysen aufgenommen. Insofern signifikante Unterschiede festgestellt wurden, wurden univariate Varianzanalysen (ANOVA) für die einzelnen abhängigen Variablen sowie Post-hoc Tests mit Bonferroni-Korrektur berechnet.

Eine Prüfung der Voraussetzungen zur Berechnung multivariater Varianzanalysen ergab, dass keine Normalverteilung der abhängigen Variablen in den Gruppen vorlag. Ebenso konnte nicht für alle abhängigen Variablen Varianzhomogenität innerhalb der Gruppen angenommen werden. Die Prüfung auf Multikollinearität der abhängigen Variablen ergab hingegen keine maßgeblichen Verletzungen (Varianzinflationsfaktor VIFMin = 1,34, VIFMax = 2,16) (Wollschläger 2014). Zur Berechnung der multivariaten Varianzanalyse wurde daher die Pillai-Spur als Teststatistik verwendet, da diese als robust bei Verletzungen der Prämissen der Normalverteilung und Homogenität der Varianzen gilt (Field et al. 2012). Sämtliche Analysen wurden mit der Statistik-Software R (R Core Team 2021) durchgeführt.

6.2 Ergebnisse der Fragebogenstudie

6.2.1 Deskriptive Ergebnisse

Die deskriptiven Befunde in Tab. 3 zeigen zunächst, dass der Gesamtmittelwert für die wahrgenommene Bedeutung der Norm gut in Mathe und Deutsch zu sein unter den Gesamtmittelwerten aller übrigen Normen liegt. Für die Normen Sportlichkeit und Hilfsbereitschaft werden hingegen die höchsten Mittelwerte berichtet. Weiterhin zeigt sich deskriptiv, dass die Mittelwerte vor allem für die Bedeutung der Normen gut in Mathe und Deutsch zu sein, im Unterricht aufzupassen sowie auf die Lehrkräfte zu hören mit zunehmender Klassenstufe geringer werden und in Klassenstufe 6 deutlich unter dem jeweiligen Gesamtmittelwert liegen.

Tab. 3 Deskriptive Befunde nach Jahrgangsstufen, Intraklassenkorrelation (ICC) und Übereinstimmungsindex ADM für die Einschätzungen der Bedeutung von Gruppennormen für die Beliebtheit

Mit Blick auf die Gruppennormen in Bezug auf die Unbeliebtheit in der Klasse fällt deskriptiv die Bedeutung aggressiven Verhaltens auf (s. Tab. 4). Für diese Norm wird sowohl insgesamt als auch in allen Jahrgangstufen der höchste Mittelwert berichtet. Zudem erreichen die Einschätzungen zur Bedeutung der Normen im Unterricht zu stören bzw. etwas anders zu machen, als die Lehrkraft sagt, ebenso hohe Gesamtmittelwerte im Vergleich zu jenen für die übrigen Normen. Es zeigt sich deskriptiv allerdings, dass sich die Mittelwerte in Bezug auf die Bedeutungseinschätzungen dieser Normen ab der Klassenstufe 5 unterhalb des jeweiligen Gesamtmittelwertes bewegen.

Tab. 4 Deskriptive Befunde nach Jahrgangsstufen, Intraklassenkorrelation (ICC) und Übereinstimmungsindex ADM für die Einschätzungen der Bedeutung von Gruppennormen für die Unbeliebtheit

6.2.2 Fragestellung 2: Übereinstimmung der Schülereinschätzungen zur Bedeutung von Gruppennormen innerhalb der Klassen

In Tab. 3 werden die Kennwerte des ADM-Index für die Übereinstimmung der Einschätzungen zur wahrgenommenen Bedeutung der Gruppennormen für die Beliebtheit berichtet. Die jeweils über die einzelnen Klassen gemittelten Indexwerte liegen über dem Schwellenwert von ADM < 0,67 für eine bedeutsame Übereinstimmung.

Weiter zeigt sich, dass die absolute Anzahl der Klassen, die diesen Schwellenwert nicht überschreiten, d. h. in denen eine bedeutsame Übereinstimmung der Bedeutungseinschätzungen besteht, je nach betrachteter Gruppennorm variiert. So liegt in 13 von 48 Klassen eine bedeutsame Übereinstimmung der Einschätzungen zur Bedeutung der Norm gut in Mathe und Deutsch zu sein vor, während beispielsweise für die Bedeutung der Norm tolle Dinge zu besitzen in nur zwei Klassen bedeutsame Übereinstimmungen zu berichten sind.

Zudem wurde die Signifikanz der Übereinstimmungen bestimmt. Es zeigt sich, dass in knapp 71 % der Klassen eine auf dem 5 %-Niveau signifikante Übereinstimmung der Schülereinschätzungen in Bezug auf die Bedeutung der Norm gut in Mathe und Deutsch zu sein besteht.

Die Intraklassenkorrelationen variieren zwischen 0,01 und 0,09 für die Einschätzung der Bedeutung der einzelnen Gruppennormen. Dies bedeutet, dass ein Anteil von 1 bis 9 % der Varianz hinsichtlich der wahrgenommenen Bedeutung der einzelnen Normen durch Unterschiede zwischen den Klassen zu erklären ist.

Die Kennwerte des ADM-Index für die Übereinstimmungen der Schülereinschätzungen zur wahrgenommenen Bedeutung von Gruppennormen für die Unbeliebtheit von Kindern in der Klasse sind in Tab. 4 dargestellt. Die Anzahl der Klassen, in denen eine bedeutsame Übereinstimmung besteht, variiert für die einzelnen Normen zwischen 9 und 26. Demnach lässt sich beispielsweise in 26 von 48 Klassen eine bedeutsame Übereinstimmung der Einschätzungen zur Bedeutung von schlechten Leistungen in Mathe und Deutsch feststellen. Zudem findet sich für alle Gruppennormen in mehr als der Hälfte der Klassen eine statistisch signifikante Übereinstimmung hinsichtlich der wahrgenommenen Bedeutung dieser. Die Intraklassenkorrelationen variieren je nach Gruppennorm zwischen 0,02 und 0,14. Demnach lassen sich zwischen 2 und 14 % der Varianz der Bedeutungseinschätzungen durch Unterschiede zwischen den Klassen erklären.

6.2.3 Fragestellung 3: Jahrgangsspezifische Unterschiede hinsichtlich der Bedeutung von Gruppennormen

Die Ergebnisse der MANOVA in Bezug auf jahrgangsspezifische Unterschiede in der Einschätzung der Bedeutung von Gruppennormen für die Beliebtheit von Kindern in der Klasse sind in Tab. 5 zusammengefasst. Es lässt sich ein signifikanter Haupteffekt für den Faktor Jahrgangsstufe berichten (F (27, 1782) = 3,1624, p < 0,001, ηp2 = 0,05). Jahrgangsspezifische Unterschiede zeigen sich für die wahrgenommene Bedeutung gut in Mathe und Deutsch zu sein zwischen den Stufen drei und fünf (p < 0,01), drei und sechs (p < 0,001) sowie vier und sechs (p < 0,01). Weiterhin ergeben sich Unterschiede zwischen den Jahrgängen hinsichtlich der wahrgenommenen Bedeutung der Norm im Unterricht aufzupassen. Post-hoc Analysen zeigen diesbezüglich signifikante Unterschiede der Gruppenmittelwerte zwischen den Jahrgangsstufen drei und sechs (p < 0,001) sowie vier und sechs (p < 0,01).

Tab. 5 Ergebnisse der MANOVA zur Bedeutung von Gruppennormen für die Beliebtheit in Abhängigkeit vom Faktor Jahrgangsstufe

Mit Blick auf die wahrgenommene Bedeutung der Normen auf die Lehrkräfte zu hören sowie coole Klamotten zu tragen ergeben sich ebenfalls jahrgangsspezifische Unterschiede. Die Klassenstufen drei und fünf (p < 0,05), drei und sechs (p < 0,001), vier und fünf (p < 0,05) sowie vier und sechs (p < 0,001) unterscheiden sich demnach hinsichtlich der Bedeutung der Norm auf die Lehrkräfte zu hören. Bezüglich der Unterschiede in den Gruppenmittelwerten für die Bedeutung der Norm coole Klamotten zu tragen wird das Signifikanzniveau von α = 0,05 mit p = 0,08 knapp verfehlt. Für die Bedeutung der übrigen Gruppennormen wurden keine jahrgangsspezifischen Unterschiede festgestellt.

Der Tab. 6 sind die Ergebnisse der MANOVA für die Analyse jahrgangsspezifischer Unterschiede hinsichtlich der wahrgenommenen Bedeutung von Gruppennormen für die Unbeliebtheit von Kindern in der Klasse zu entnehmen. Es zeigt sich auch hier ein signifikanter Haupteffekt der Jahrgangsstufe (F (30, 1710) = 2,5784, p < 0,001, ηp2 = 0,04). Unterschiede zwischen den Jahrgangsstufen zeigen sich hinsichtlich der Bedeutung schlecht in Mathe und Deutsch zu sein zwischen den Jahrgangsstufen drei und sechs (p < 0,05) sowie vier und sechs (p < 0,05). Des Weiteren bestehen Unterschiede hinsichtlich der Bedeutung der Norm den Unterricht zu stören zwischen den Stufen drei und sechs (p < 0,001), vier und sechs (p < 0,001) sowie fünf und sechs (p < 0,05). Hinsichtlich der wahrgenommenen Bedeutung der Norm oft etwas anderes zu machen, als die Lehrkraft sagt, sind ebenfalls Unterschiede zwischen den Klassenstufen drei und fünf sowie sechs (p < 0,01; p < 0,001), vier und sechs (p < 0,001) sowie fünf und sechs (p < 0,05) feststellbar. Mit Blick auf die Bedeutung der übrigen Normen sind keine signifikanten Unterschiede zwischen den Jahrgangsstufen festzustellen.

Tab. 6 Ergebnisse der MANOVA zur Bedeutung von Gruppennormen für die Unbeliebtheit in Abhängigkeit vom Faktor Jahrgangsstufe

6.3 Diskussion der Fragebogenstudie

Die Befunde lassen zunächst wie vermutet erkennen, dass sich vor allem für die wahrgenommene Bedeutung von Gruppennormen, die sich auf die Schulleistung und das Sozialverhalten beziehen, signifikante Übereinstimmungen in den Einschätzungen innerhalb der Klassen zeigen. Dies ist sowohl in Bezug auf die soziale Akzeptanz als auch in Bezug auf die soziale Ablehnung festzustellen.

Dabei sind die Übereinstimmungen insbesondere bei jenen Gruppennormen hoch, die von den Schülerinnen und Schülern als mit der sozialen Ablehnung verbunden eingeschätzt werden. Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass Normen oftmals implizit sind und erst dann salient werden, wenn gegen sie verstoßen wird (Forsyth 2014).

Wie erwartet, lassen sich zudem Unterschiede in der wahrgenommenen Bedeutung von Gruppennormen zwischen den Jahrgangsstufen zeigen. Diese beziehen sich auf die formellen Normen der Schulleistung und der Konformität, die bereits Petillon (1978) als bedeutsam für den sozialen Status innerhalb der Klasse beschrieb. Demnach scheinen diese Normen in den unteren Jahrgangsstufen bedeutsamer zu sein als in den höheren Stufen. Mit Blick auf die Bedeutung informeller Gruppennormen ließen sich hingegen keine Unterschiede zwischen den Jahrgangsstufen feststellen. Gleiches ist für die Bedeutung des Sozialverhaltens und der Aggressivität festzuhalten. Hilfsbereitschaft bzw. Aggressivität scheinen demnach als Gruppennormen für die soziale Akzeptanz bzw. Ablehnung in allen Jahrgangsstufen als gleichbleibend bedeutsam wahrgenommen zu werden.

7 Gesamtdiskussion

Die im Beitrag vorgestellten Studien widmen sich der Schülerwahrnehmung von Gruppennormen und ihrer Bedeutung für die soziale Akzeptanz und Ablehnung in Schulklassen der Grundschule. Sie tragen so dazu bei, den Blick der bisher stark individuumszentrierten Forschung auf Prozesse sozialer Akzeptanz und Ablehnung in Schulklassen durch die Betrachtung der Rolle von Gruppennormen als Kontextmerkmale zu erweitern.

Die Befunde aus der Interviewstudie und der Fragebogenstudie verweisen zusammenfassend auf den zentralen Stellenwert von Gruppennormen, die sich auf das Sozialverhalten beziehen. Hier zeigten sich in mehr als der Hälfte der Klassen signifikante Übereinstimmungen in den Wahrnehmungen der Schülerinnen und Schüler zu deren Bedeutung für die soziale Akzeptanz bzw. Ablehnung. Zudem erwies sich das Sozialverhalten als Gruppennorm stabil in der Bedeutung über die Jahrgangsstufen hinweg, dies vor allem aber in Bezug auf die soziale Akzeptanz.

Unterschiede zwischen den Jahrgangsstufen wurden nur für die Bedeutung von formellen Normen evident, nicht aber für die Bedeutung informeller Normen. Jedoch wird deutlich, dass sich wahrgenommene Gruppennormen bereits in Grundschulklassen auf informelle Normen beziehen können.

Die gewonnenen Einblicke in die von Grundschülerinnen und Grundschülern wahrgenommenen Gruppenormen und ihrer Bedeutung für die soziale Akzeptanz und Ablehnung eröffnen neben den theoretischen Erkenntnissen auch Implikationen für die pädagogische Praxis. So könnte ein Austausch zu den Normen in der Klasse, der beispielsweise über das in der Fragebogenstudie verwendete Szenario eingeleitet werden könnte (s. a. Petillon 1980), dazu genutzt werden, Schülerinnen und Schülern das Normgefüge innerhalb der Klasse bewusst zu machen, Wahrnehmungen zu vergleichen und mögliche Fehleinschätzungen (Ross et al. 1977) aufzudecken. Dabei erscheint es notwendig, die Normen hinsichtlich ihrer Berechtigung und Bedeutung gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern kritisch in den Blick zu nehmen und zu hinterfragen, um den Aufbau integrationsförderlicher Gruppennormen in der Klasse zu unterstützen.

Zusammenfassend konnte die Interviewstudie in Form einer Exploration einen Beitrag zur Bearbeitung der Frage nach wahrgenommenen Normen für die soziale Akzeptanz und Ablehnung leisten, der im Rahmen der Fragebogenstudie hinsichtlich der Bedeutung dieser vertieft wurde. Dabei lag der Fokus auf der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler als Expertinnen und Experten für das klasseninterne Normgefüge (Petillon 1980). Inwiefern diese wahrgenommenen Gruppennormen tatsächlich den Zusammenhang zwischen individuellen Merkmalen, Eigenschaften und Verhaltensweisen von Schülerinnen und Schülern und ihrem sozialen Status in der Klasse erklären und inwiefern Interaktionen zwischen Individualmerkmalen und Gruppennormen bestehen, wie bereits Wright et al. (1986) oder Stormshak et al. (1999) für aggressives Verhalten zeigen konnten, bleibt in weiterer Forschung zu untersuchen.