1 Einleitung

Der Elementarbereich in Deutschland ist im letzten Jahrzehnt durch eine besondere Ausbaudynamik gekennzeichnet, die sowohl durch einen wachsenden Bedarf als auch durch einen seit 2013 geltenden Rechtsanspruch für Kinder ab dem ersten Lebensjahr entstand. Ergebnis ist, dass immer mehr Kinder vor dem Schuleintritt an institutionalisierter früher Bildung, Betreuung und Erziehung teilhaben. Mit diesem Wachstum des Arbeitsfeldes steigt auch die öffentliche Verantwortung für die Entwicklung und Sicherung der Qualität der Angebote (Rauschenbach und Berth 2014). Die hohe Bedeutsamkeit, für alle Kinder eine Lernumgebung in Kindertageseinrichtungen (Kitas) bereitzustellen, die sich durch ihre hohe Qualität auszeichnet, ist mittlerweile unumstritten und Auslöser vielfältiger Entwicklungsprozesse in Praxis, Politik, Forschung und Theorie.

Dabei zeigt sich, dass unter Qualität in der frühen Bildung, Betreuung und Erziehung nicht voraussetzungslos dasselbe verstanden wird. So wird unterschiedlich diskutiert, welche Faktoren für eine hohe Qualität im Elementarbereich entscheidend sind (Kluczniok 2018). Welche Bedeutung möglichen zentralen Einflussfaktoren, wie der Zusammenarbeit im Team oder der Kompetenz der Einrichtungsleitung, zukommt und wie diese miteinander interagieren, ist nicht ausreichend empirisch belegt (Wertfein und Mayer 2018). Auch die Bedeutung des Sozialraums für die Qualität einer Kita wird unterschiedlich dargestellt. Die Auswirkungen des Sozialraums auf die kindliche Entwicklung wird zwar seit Jahrzehnten erforscht und das Prinzip der Sozialraumorientierung gewinnt seit den 1990er Jahren in allen sozialpädagogischen Arbeitsfeldern zunehmend an Relevanz. Inwiefern sich diese Entwicklungen allerdings in der Diskussion um Qualität widerspiegeln, bleibt unterbelichtet.

Der Artikel zielt daher darauf ab, zwei komplexe Diskurse im Elementarbereich – den Qualitätsdiskurs sowie den Diskurs um den Sozialraum – zusammenzuführen. Dafür wird zunächst ein Einblick sowohl in die komplexe theoretische Auseinandersetzung als auch in empirische Ergebnisse der Qualitätsforschung gegeben (Teil 2). Daran anschließend wird der Begriff des Sozialraums sowie dessen Bedeutung für die kindliche Entwicklung und Bildung – und damit für die pädagogische Arbeit – dargelegt (Teil 3). Im vierten Teil wird schließlich anhand empirischer Ergebnisse verdeutlicht, wie der Sozialraum im Qualitätsdiskurs im Elementarbereich zu verorten ist. Damit leistet der Artikel einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Diskurses über die Qualität im Elementarbereich.

2 Qualität im Elementarbereich – theoretische Konstrukte und empirische Ergebnisse

Die Forderung nach hoher Qualität und deren Nachweis erreichte die pädagogischen Arbeitsfelder etwa mit Beginn der 1990er Jahre. Motiviert war diese Bewegung zunächst von öffentlicher Seite dadurch, finanzielle Ressourcen effektiver und effizienter einsetzen zu wollen (Olk und Speck 2008). Verfahren zur Qualitätssicherung und zum Qualitätsmanagement, die im wirtschaftlichen Bereich ihren Ursprung hatten, wurden übertragen und für die Arbeitsfelder, wie auch für die Kita, ausdifferenziert (Klaudy und Stöbe-Blossey 2014).

Dieser stark kontrollierende Blick auf Qualität veränderte sich in den letzten Jahren aber zunehmend. Zum einen, weil die Anforderungen an die pädagogische Arbeit in Kitas mit der wachsenden Bedeutung des Bildungsauftrags stiegen und damit die fachlichen Aspekte pädagogischer Qualität in den Vordergrund rückten, die für die Erfüllung dieser Aufgabe zentral sind. Zum anderen aber auch, weil empirische Ergebnisse insbesondere internationaler Längsschnittstudien signifikante Hinweise darauf gaben, dass sich der Besuch einer Kita dann positiv auf die Entwicklung auswirken kann, wenn die Einrichtung eine hohe Qualität aufweist (vgl. dazu im Überblick: Anders und Roßbach 2014). Für den deutschsprachigen Raum lieferte das deutsche Teilprojekt der europäischen Studie „European Child Care and Education – ECCE-Studie“ zu Beginn der 2000er Jahre erste Erkenntnisse: So wirke sich eine hohe Qualität der von den Kindern im Alter von vier Jahren besuchten Kindergartengruppe noch im Alter von 8 Jahren positiv auf den kindlichen kognitiven sowie sozio-emotionalen Entwicklungsstand aus (Tietze et al. 2005). Die Längsschnittstudie BiKS 3–10 („Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und die Formation von Selektionsentscheidungen“), bei der circa 550 Kinder aus 97 Kindergartengruppen in ihrer Entwicklung verfolgt werden, konnte unter anderem aufzeigen, dass die Prozessqualität positiv mit der Entwicklung früher mathematischer Fähigkeiten über die Kindergartenzeit hinaus verbunden ist (Anders et al. 2012).

Die Forschungsergebnisse und empirischen Herangehensweisen in der Qualitätsforschung im Elementarbereich sind sehr heterogen. Keineswegs kann von einem einheitlichen Forschungsparadigma ausgegangen werden. Mit Qualität in der Kita wird Unterschiedliches verbunden, der komplexe Begriff ist mit vielfältigen Vorstellungen verknüpft. Für die Diskussion im Elementarbereich sind vorrangig drei theoretische Konstrukte und deren Konsequenz für Forschungsvorhaben von Bedeutung:

Zum ersten kann Qualität als relativistisches Konstrukt gefasst werden. Qualität ist kein feststehender Fakt, sondern muss immer wieder neu zwischen den beteiligten Akteur*innen (Eltern, Kinder, Träger, Mitarbeiter*innen, Sozial- und Bildungspolitiker*innen etc.) verhandelt werden. Entsprechend ist Qualität keine unveränderbare Größe, sondern ein Ergebnis der Aushandlung spezifischer Bedürfnisse unterschiedlicher Interessensgruppen (Schneider 2019). Nur im Dialog – und nicht durch von außen normativ gesetzte Ziele – kann Qualität weiterentwickelt und Praxis verändert werden (Kluczniok 2018). Dieses Verständnis von Qualität fordert eine empirische Herangehensweise, die man auch als Handlungsforschung beschreiben kann. Zentral dabei ist es, „während des Forschungsprozesses die pädagogische Praxis im Dialog zu verändern bzw. zu verbessern“ (Kluczniok 2018, S. 407).

Zum zweiten geht eine relationale Vorstellung von Qualität davon aus, dass das Entstehen dieser allein durch einen ethnografischen Zugang direkt im pädagogischen Feld zu beobachten und verstehend zu rekonstruieren ist (Kluczniok 2018). So kann der Bezugsrahmen berücksichtigt werden, in dem das pädagogische Handeln stattfindet, und der dieses ermöglicht wie auch begrenzt. Die Institution Kita hat ihre eigene Logik und steht mit anderen gesellschaftlichen Institutionen in Wechselbeziehungen. Diese determinieren frühpädagogisches Handeln, so dass dieses also nicht allein von den individuellen Entscheidungen der Fachkraft abhängig ist (Honig 2002). Ein solcher Blick auf Qualität impliziert, dass Qualität allein in institutionellen Zusammenhängen beobachtbar und demnach vor Ort und in Reflexionsprozessen erkennbar wird.

Der dritte theoretische Zugang kann als das strukturell-prozessuale Qualitätskonstrukt bezeichnet werden. In diesem Sinne ist es möglich, von außen Qualitätsindikatoren festzusetzen und die Qualität in Kitas sowie die Effekte frühpädagogischer Praxis zu quantifizieren (Kluczniok 2018). Pädagogische Qualität setzt sich aus unterschiedlichen Komponenten zusammen, die die Entwicklung und das Wohlbefinden der Kinder in der Einrichtung wie auch die Zusammenarbeit mit den Eltern beeinflussen. Im Kern wird pädagogische Qualität in drei Dimensionen gefasst (Roux und Tietze 2007):

  • Orientierungsqualität, die die Orientierungen, Werte und Überzeugungen der Fachkräfte umfasst,

  • Strukturqualität, die sich auf räumlich-materielle Rahmenbedingungen bezieht sowie

  • Prozessqualität, die die Interaktionen des Kindes mit seiner sozialen und materiellen Umwelt beschreibt.

Ergänzend werden in der Literatur weitere Dimensionen, wie die Organisations- und Managementqualität oder die Teamqualität hinzugefügt (Wertfein et al. 2013; Roux und Tietze 2007). Aufbauend auf einem strukturell-prozessualen Qualitätsverständnis finden sich national wie international zahlreiche empirische Studien, die Qualität in der Kita aufbauend auf standardisierten Qualitätsbewertungen mit entsprechenden Messinstrumenten beschreiben (Kluczniok 2018). Ein Forschungsdesiderat zeigt sich jedoch, wenn bestimmt werden soll, welche Komponenten letztlich für eine hohe Qualität kennzeichnend sind und wie diese miteinander agieren. „Belastbare Belege für Zusammenhänge zwischen strukturellen Merkmalen von Kitas, der Qualität pädagogischer Prozesse und kindlichen Entwicklungsergebnissen existieren für die Fachkraft-Kind-Relation und die Qualifikation des pädagogischen Personals“ (Viernickel und Fuchs-Rechlin 2015, S. 49 f.). Die Bedeutung weiterer zentraler Einflussgrößen, wie die Zusammenarbeit im Team, die Fachkompetenz der Einrichtungsleitung oder bestehende Unterstützungssysteme im Umfeld der Einrichtung, ist nicht eindeutig zu benennen (Wertfein und Mayer 2018). Auch zu den handlungsleitenden Orientierungen der Fachkräfte, der Gruppenführung oder der Zusammenarbeit mit Familien finden sich keine eindeutigen Ergebnisse. Die Identifikation der entscheidenden Qualitätsdimensionen und deren Einfluss auf andere Komponenten wird erschwert, da die Zusammenhänge statistisch betrachtet in der Regel schwach ausgeprägt sind. Die Prozessqualität in zwei Kitas kann etwa unterschiedlich bewertet werden, auch wenn dasselbe Konzept oder vergleichbare Rahmenbedingungen vorzufinden sind (Wertfein und Mayer 2018).

Neben diesen drei theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Konstrukt Qualität zeigt sich auch ein Diskurs, der die Nutzung des Qualitätsbegriffs im Elementarbereich grundsätzlich in Frage stellt und abstreitet, dass es einen Mehrwert für die pädagogische Praxis innehat. Der Begriff diene allein dem Ziel, Ordnung, Struktur und Gewissheit pädagogischer Abläufe vorzutäuschen und Expert*innen Macht über scheinbar objektive Normen einer kontrollierbaren Praxis zu übertragen. Komplexität, Diversität, Subjektivität oder vielfältigen Perspektiven auf pädagogische Abläufe wird damit kein Raum gelassen. Moss (2015) konstatiert, dass es für die Pädagogik an der Zeit wäre, diese Annahmen infrage zu stellen, eine Diskussion darüber anzuregen, was gute Qualität sein kann, und damit zu einer ethischen und politischen Weiterentwicklung der frühpädagogischen Praxis beizutragen.

Die Diskussion über Qualität im Elementarbereich wird sehr heterogen und kontrovers geführt. Empirische Studien sowie die ihnen zugrundeliegenden theoretischen Auseinandersetzungen darüber, wie der Begriff Qualität verstanden werden kann, lassen vielfältige Rückschlüsse darauf zu, was den Kern einer Kita mit hoher Qualität kennzeichnet und welche Aspekte dafür entscheidend sind. Dabei wird auch dem Sozialraum einer Kita eine unterschiedliche Bedeutung für die Qualität einer Kita zugeschrieben. Bevor die Diskurse zusammengebracht werden, wird nun in einem zweiten Schritt aufgezeigt, wie der Sozialraum im Hinblick auf die kindliche Entwicklung verortet werden kann.

3 Der Sozialraum – Begrifflichkeit und Bedeutung für die kindliche Entwicklung

Der Begriff des Sozialraums wird – wie der Raumbegriff an sich – in der Erziehungswissenschaft unterschiedlich verwendet. So wird der Sozialraum oft als eine abgrenzbare, physische Einheit, eine Umgebung, beschrieben. Im Sinne eines solchen absoluten Raumverständnisses wird der Raum als Behälter, in welchem Dinge und Menschen aufgenommen werden können und einen Platz haben, aufgefasst (Schroer 2019). Betrachtet man den Raum aber aus einer konstruktivistischen Perspektive, dann wird dieser allein durch soziale Interaktionsmuster handelnder Subjekte konstruiert. In der Konsequenz ist dann jeder Raum ein Sozial-Raum (Kessl und Reutlinger 2010). Kessl (2016, S. 7) bezeichnet solche konstruktivistischen Annahmen vom Raum ebenso wie die Vorstellung eines absoluten Raums als „raumtheoretische Engführung“. Denn aus seiner Sicht haben sich Überlegungen zum Raum immer sowohl mit räumlichen Arrangements, wie Straßenverläufe, Staatsgrenzen, Plätze oder Siedlungen, und deren Einfluss auf soziale Prozesse zu beschäftigen, als auch damit, wie die Subjekte diese Räume beeinflussen (Kessl 2016). Eine relationale Raumtheorie und -forschung verbindet dies: Der Raum verweist eben nicht ausschließlich auf die Interaktionen, die ihn konstruieren, sondern immer auch auf die Konstellation, die zum Zeitpunkt der Interaktionen vorliegt und diese entsprechend rahmt. Löw (2001) prägte durch ihre soziologischen Arbeiten einen in diesem Sinne handlungsorientierten Raumbegriff. Sie verdeutlicht die Dualität von Raum und Beziehung sowie von Struktur und Handeln. Der Raum ist etwas, das durch das Handeln der Akteure hergestellt wird und zugleich deren Handeln und Beziehungen beeinflusst. Im Sinne eines relationalen Raumverständnisses beschreiben Kessl und Reutlinger (2010) Sozialraum als gesellschaftlichen Raum sowie als einen menschlichen Handlungsraum.

Insbesondere ökologische Entwicklungstheorien heben hervor, dass die Entwicklung eines Kindes als Wechselwirkung zwischen seinen individuellen Ausgangsdispositionen und dem Kontext, in dem das Kind aufwächst, zu verstehen ist. Die kindliche Umwelt wird in verschiedenen Systemebenen beschrieben: Die Entwicklung eines Kindes ist nicht ausschließlich vom familiären Umfeld (Mikrosystem) abhängig, sondern auch von Umwelten, die dieses familiäre Umfeld wiederum wechselseitig beeinflussen (Meso‑, Makro- und Exosysteme) (Bronfenbrenner 1981).

Baacke (1984) beschreibt in Anlehnung an Bronfenbrenner vier Zonen, die im Laufe der Entwicklung für Kinder an Bedeutung gewinnen: das ökologische Zentrum (Familie), der ökologische Nahraum (Nachbarschaft, Stadtteil, Wohngegend), die ökologischen Ausschnitte (funktionsspezifische Räume wie Schule, Vereine, Freizeittreffs) sowie die ökologische Peripherie (gelegentliche Kontakte und Begegnungen, wie Urlaubsorte). In jeder Zone eröffnen sich andere Erfahrungsmöglichkeiten und stellen sich unterschiedliche Anforderungen an Kinder. Wesentlicher Entwicklungsschritt für das Kind ist das zeitweilige Verlassen des ökologischen Zentrums der Familie, denn damit beginnt die Erschließung der unmittelbaren Umwelt im Stadtteil.

Zeiher und Zeiher (1994) zeichnen von der subjektiven Lebenswelt eines Kindes ein anderes Bild: Aus ihrer Sicht besteht der kindliche Lebensraum aus separaten Bereichen, die unverbunden in einem Gesamtraum zu verorten sind. Das Wohnumfeld kann als eine dieser Inseln verstanden werden, von der aus die anderen Inseln, wie Kita, Schule, Wohnumfeld eines Freundes etc., erreicht werden. Der Raum zwischen den Inseln wird von den Kindern kaum wahrgenommen. Die Erweiterung des Handlungsraums vollzieht sich bei Zeiher und Zeiher (1994) nicht mehr Schritt für Schritt, so wie es Baacke (1984) beschreibt, sondern in Bruchstücken, die allein durch eigene biografische Erfahrungen des Kindes in einem Zusammenhang erlebbar werden und eine Bedeutung erhalten.

Neben dieser Verinselung stellt Zinnecker (2001) in den 1990er Jahren auch eine zunehmende „Verhäuslichung“ der Handlungsräume der Kinder fest. Diese werden durch geschützte Räume eingeschränkt und damit auch die Gelegenheit für die Kinder, soziale Beziehungen einzugehen.

In aktuellen Studien der Kindheitsforschung werden die Veränderungen des kindlichen Lebensraums mit unterschiedlichen Fragestellungen und Methoden erforscht (zur Übersicht: Brüschweiler 2014). Nach Fegter und Andresen (2019) relativieren diese neueren empirischen Ergebnisse die Annahme, dass der Sozialraum als Erfahrungsraum verschwunden sei und reflektieren den territorialen Raumbegriff, der der Verinselungsthese zugrunde liegt. Denn eine relationale Raumforschung zeigt, dass Kinder durchaus in der Lage sind, einzelne Orte in einen sinnvollen Zusammenhang zu stellen (Kessl und Reutlinger 2013). So sind es in erster Linie nicht die objektiven räumlichen Strukturen des kindlichen Aufwachsens, sondern die lebensweltlichen Interpretationen dieser durch die Kinder, die es zu reflektieren gilt (Brüschweiler 2014).

In der modernen Kindheitsforschung wird der Aneignungsansatz breit diskutiert (Brüschweiler 2014). Deinet (2011) skizziert in diesem Zusammenhang den Sozialraum als subjektive Lebenswelt von Familien und bezeichnet ihn als „Aneignungsraum“. Aneignung meint „das Erschließen, Begreifen, aber auch Verändern, Umfunktionieren und Umwandeln der räumlichen und sozialen Umwelt. Aneignung impliziert damit das aktive Handeln des Subjektes, seine Auseinandersetzung mit der räumlichen und sozialen Umwelt, indem es sich diese zu eigen macht und sich gleichzeitig gestaltend in ihr wiederfindet bzw. wiederfinden kann“ (Deinet 2018, S. 113). Aneignung zeigt sich bei Kindern in einer kreativen Gestaltung von Räumen sowie in einer Inszenierung und Verortung im öffentlichen Raum und seinen Institutionen. Darüber hinaus ist die Erweiterung motorischer, gegenständlicher, kreativer und medialer Kompetenzen ebenso wie die Erprobung eines erweiterten Verhaltensrepertoires und neuer Fähigkeiten in neuen Situationen damit verbunden. Schlüsselkompetenzen, die im aktuellen Bildungsdiskurs gefordert werden, wie Handlungsfähigkeit, Neugier, Offenheit oder Risikoabschätzung, werden von Kindern in den Räumen ihrer Lebenswelt erworben (Deinet 2011). Ausgangspunkt der „Bildung des Subjekts im Raum“ (Deinet 2011, S. 296) ist dabei in besonderem Maße der öffentliche Raum. Gerade die Qualität dieses öffentlichen Raums entscheidet, inwiefern Kinder selbsttätige Aneignungsprozesse gestalten können. Die Voraussetzungen im Nahraum, wie Spielplätze, Überwindbarkeit von Straßen etc., beeinflussen die Freiräume von Kindern und wie sie sich mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Das „Be-Greifen von Welt“ (Deinet 2011, S. 298) durch Aneignung ist nur in einem entsprechenden unterstützenden Umfeld denkbar, in dem Kinder Anerkennung und Selbstwirksamkeit erfahren.

Für die pädagogische Arbeit in Kitas lassen sich aus dieser Argumentation zwei Schlussfolgerungen ziehen. Zum einen wird die Kita selbst ein wichtiger Ort für kindliche Aneignungsprozesse und damit Teil der Lebenswelt der Kinder (Deinet 2011). Zum anderen aber wirkt die Kita auch auf die anderen Lebensbereiche der Kinder, so dass diese sich für die Erfahrungsprozesse außerhalb der Einrichtung öffnen sollte (Jares 2019). Greift man die Aneignungsperspektive auf, zielt das pädagogische Handeln darauf, die spezifischen Aneignungsprozesse der Kinder zu verstehen, zu rahmen und zu begleiten. Gleichzeitig fokussiert die Pädagogik stärker auf die durch soziale Heterogenität ungleich verteilten Möglichkeiten von Kindern, sich Räume anzueignen (Hüllemann et al. 2019). Eine sozialräumlich orientierte Arbeit einer Kita trägt nach Deinet (2011) zum Verstehen der Lebenswelten von Kindern und Familien bei. Sie ist damit ein Bestandteil des pädagogischen Handelns, das sich auf die subjektiven Wahrnehmungen und Raumdeutungen von Kindern und Familien in ihren Sozialräumen bezieht. Somit kann die Sozialraumarbeit als Kernkompetenz elementarpädagogischer Fachkräfte (Jares 2019) und die Sozialraumorientierung – vergleichbar auch in anderen Arbeitsfeldern der Sozialpädagogik – als zentrales Paradigma verstanden werden (Brüschweiler 2014), auch wenn die konkrete Ausgestaltung dieses Prinzips unterschiedlich realisiert wird (Kessl und Reutlinger 2010; Brüschweiler 2014).

Festzuhalten bleibt, dass die sozialräumliche Umgebung entscheidenden Einfluss auf die kindliche Entwicklung nimmt. Eine sozialräumlich orientierte Arbeit in der Kita kann entsprechend als wichtiges Arbeitsprinzip verankert werden. Offen bleibt aber die Frage, inwiefern der Sozialraum in der Diskussion und Erforschung der Qualität in Kitas eine ebenso entscheidende Bedeutung einnimmt. So werden in einem nächsten Schritt die beiden komplexen und dynamischen Diskurse zusammengeführt und die Rezeption wie auch Erforschung des Sozialraums im Qualitätsdiskurs dargelegt.

4 Der Sozialraum im Qualitätsdiskurs

Lange Zeit kam dem Raum in der erziehungswissenschaftlichen Forschung wenig Aufmerksamkeit zu. Gegenwärtig erlebt der Raum als Forschungsthema zwar einen leichten Aufschwung, dennoch bleiben seine Bedingungen und seine Auswirkungen auf das pädagogische Handeln unterbelichtet (Kessl 2016). Entsprechend greift auch die Qualitätsforschung im Elementarbereich nur vereinzelt die Bedeutung des Raums für die pädagogische Qualität auf und insbesondere der Sozialraum einer Kita spielt in der Forschung, aber auch in den theoretischen Auseinandersetzungen, kaum eine Rolle.

4.1 Theoretische Verortung des Sozialraums

Der Sozialraum kann in Bezug zur Qualität einer Einrichtung theoretisch unterschiedlich verortet werden. Bezogen auf eine relativistische Vorstellung von Qualität sind im Sozialraum entscheidende Akteure zu finden, deren Interessen und Erwartungen maßgeblich beeinflussen, wie Qualität in einer Einrichtung definiert und weiterentwickelt werden kann. So sind diese Akteure in die Aushandlungsprozesse einzubringen bzw. deren Perspektiven einzubinden (Schneider 2019). Aufbauend auf einem relationalen Zugang zu Qualität kann geschlussfolgert werden, dass das performative Konstrukt der Qualität auch durch das sozialräumliche Umfeld einer Kita beeinflusst wird, da dieses auf institutionelle Zusammenhänge wirkt und bei der Herstellung eines „guten Kindergartens“ zu berücksichtigen ist.

Einem strukturell-prozessualen Qualitätsverständnis liegt hingegen die Annahme zugrunde, dass die Prozess‑, Struktur- sowie Orientierungsqualität in das familiäre Umfeld des Kindes und in die Kontextbedingungen einer Kita eingebettet sind. Somit ist der Kontext bzw. der Sozialraum einer Einrichtung fester Bestandteil der Qualität und beeinflusst andere Qualitätsdimensionen. Diese Kontextmerkmale, wie die Trägerorganisation oder Merkmale des Einzugsbereichs etc., werden als bedeutsame Faktoren für die pädagogische Qualität in einer Kita beschrieben (Tietze 1998, 2008). Die Kontextbedingungen werden aber bei Rezeptionen bzw. Weiterentwicklungen eines strukturell-prozessualen Qualitätskonzepts unterschiedlich definiert. In dem vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ) beauftragten Gutachten über pädagogische Qualität in Kitas (BMFSFJ 2003) umfasst die Kontextqualität den Führungsstil der Leitung, das Betriebsklima der Einrichtung, die Vergütung des Fachpersonals, die Arbeitsbedingungen, die Trägerschaft der Einrichtung sowie die staatlichen Finanzierungs- und Regulierungsmodalitäten. Viernickel (2006) setzt bei diesem Begriff unter Bezug auf den 12. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung den Fokus auf das Vorhandensein, die Erreichbarkeit sowie die Qualität von externen Unterstützungssystemen (Fachberatung, Fortbildung). Sowohl Strehmel und Ulber (2014) als auch Becker-Stoll (2013) erweitern diese Darstellungen und heben hervor, dass unter Kontextqualität die Merkmale des sozialen Umfelds einer Kita zu verstehen sind, zu denen auch die Ressourcen oder Belastungen durch die sozioökonomische Situation und psychosozialen Probleme der Familien, die Wohngegend, die Angebote im Stadtteil oder die Möglichkeiten zur individuellen Förderung einzelner Kinder und Familien zählen. Entgegen dieser Ausführungen finden sich in der Literatur aber auch aktuelle Darstellungen der Qualitätsdimensionen in der Kita, die die Kontextqualität nicht explizit erwähnen (z. B. Kluczniok 2018).

4.2 Ergebnisse aus der Forschung im Elementarbereich

Qualitative Studien, die den Einfluss des Sozialraums konsequent in Bezug zur Qualität einer Einrichtung setzen, lassen sich für den deutschsprachigen Raum kaum finden. Eine Studie von Bollig et al. (2016) kann als Beispiel für einen ethnografischen Zugang genannt werden, bei welchem insbesondere dem Sozialraum eine explizite Bedeutung für die Betreuungsarrangements von Eltern von 2‑ bis 4‑jährigen Kindern in Luxemburg zugeschrieben wird. Die sozialräumlichen Bedingungen wurden durch Gespräche mit Anbieter*innen, Erzieher*innen und Lehrer*innen, administrativem Personal und Familien sowie durch die Sichtung von verfügbaren Statistiken und soziodemographischen Daten, die über die lokalen Angebotsstrukturen frühkindlicher Bildung und Betreuung im jeweiligen Umfeld der einzelnen Bildungs- und Betreuungsarrangements informierten, ermittelt. Mit diesen Daten wurden Profile von lokalen Kulturen der Angebotsstrukturen entwickelt und anschließend in Fallanalysen verdeutlicht, welche Lebenswelten Kinder in einer gewöhnlichen Woche erleben und wie diese sich auf deren Betreuungssituation auswirken.

Nationale wie internationale repräsentative Studien zur Qualität, die auf einem strukturell-prozessualen Qualitätsverständnis beruhen, beziehen die Kontextbedingungen der Einrichtung kaum ein. Bei den Ergebnissen der britischen Studie „Effective Provision of Pre-School Education (EPPE)“ (Sylva et al. 2004), einer langzeitlichen Begleitung der kindlichen Kompetenzentwicklung im Zusammenhang mit der Qualität vorschulischer Einrichtungen, werden etwa die Kontextbedingungen der untersuchten Einrichtungen nicht systematisch berücksichtigt. Auch bei nationalen Projekten vermisst man gezielte Rückschlüsse auf die Kontextbedingungen einer Einrichtung, wie etwa beim Projekt „Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Formation von Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter (BiKS)“ (von Maurice et al. 2007), in dem die Kompetenzentwicklung von Kindern und deren institutionellen sowie familiären Erfahrungswelten längsschnittlich untersucht werden. Im Projekt „Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK)“ wird in der Untersuchungskonzeption zwar der sozio-ökologische Kontext eines außerfamiliären Betreuungssettings als Einflussfaktor beschrieben, aber im Rahmen der Studie nicht erhoben. So wurden in der NUBBEK-Studie Merkmale der Struktur‑, Prozess- und Orientierungsqualität in 1956 Familien und 567 außerfamiliären Betreuungssettings erfasst (Tietze et al. 2013), bezogen auf die Bedeutung des sozialräumlichen Umfelds sind allerdings keine Analysen möglich. Eine Ausnahme markiert hier die erste repräsentative Qualitätsstudie im Elementarbereich in Deutschland von Tietze (1998). Systematisch wurden im Rahmen dieser Studie die Kontextbedingungen der teilnehmenden Kitas erhoben, wie Verkehrssicherheit, Lärmbelästigung, kulturelle Angebote, Sportmöglichkeiten, Grünzonen oder die soziale Zusammensetzung des Wohnumfelds. Bei den Auswertungen zeigten sich aber keine statistisch signifikanten Zusammenhänge zwischen Qualitätsdimensionen in der Kita und Bedingungen im Umfeld. Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass diese Merkmale durch Leitungsinterviews erhoben wurden und nicht deutlich wird, wie die unterschiedlichen Merkmale gewichtet oder zusammengefasst wurden. Einzig die Tatsache, ob die Einrichtung in Ost- oder Westdeutschland lag, wirkte sich auf die Orientierungsqualität aus (Tietze 1998).

Aufgrund dieser Forschungslage ist es gewinnbringend, weiterführende Forschungsergebnisse hinzuziehen, um den Zusammenhang zwischen Sozialraum und Qualität im Elementarbereich zu beleuchten. Vorliegende Studien stellen zwar nicht explizit den Bezug zwischen konkreten sozialräumlichen Bedingungen und Qualität in der Kita her, lassen aber Schlussfolgerungen dazu zu.

So zeigen Ergebnisse des europäischen Projekts „Competence requirements in early childhood education and care (CoRe)“ (Urban et al. 2012), welche Faktoren für ein kompetentes System der Kindertagesbetreuung entscheidend sind. Dabei wurden Systeme der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung in 15 europäischen Ländern verglichen sowie sieben tiefergehende Fallstudien durchgeführt. Neben der individuellen, der institutionellen und der politischen Ebene wurde auch die interinstitutionelle Ebene und deren Ausgestaltung als entscheidend für die Qualität eines Systems der Kindertagesbetreuung identifiziert. Damit beziehen sich die Autor*innen auf die Wichtigkeit der Vernetzung einer Kita sowie auf Unterstützungsstrukturen, die im Umfeld vorhanden sein sollten (Urban et al. 2012).

Darüber hinaus kann die Bedeutung des Sozialraums für die Qualität in einer Kita auch aus Ergebnissen der Forschung im Elementarbereich abgeleitet werden, die auf eine zunehmende ethnische und soziale Segregation in Kitas in Deutschland hinweisen. Der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund variiert in den Kitas deutlich. So finden sich Kitas, die keinerlei Kinder mit Migrationshintergrund bzw. nicht-deutscher Herkunftssprache betreuen, aber auch Kitas, die fast ausschließlich solche Kinder betreuen (Anders et al. 2012; Tietze et al. 2013). Ähnliche Tendenzen zeigen sich in regionalen Studien, die die soziale Segregation in Kitas untersuchen. In der Stadt Wiesbaden besucht beispielsweise die Mehrheit (56 %) der Kinder, die in Armut leben, Einrichtungen mit einem überdurchschnittlichen Armutsanteil. Es ist davon auszugehen, dass diese Situation in anderen Städten vergleichbar ist (Hock et al. 2014). Vermutungen liegen nahe, dass eine disparate Verteilung der Bevölkerungsgruppen durch räumliche Differenzierung in unterschiedlichen Wohngebieten eine solche Segregation zusätzlich verstärkt (Hogrebe 2014). Eine Studie von Groos et al. (2018) belegt, dass die Zusammensetzung der Kinder in Kitas in drei Beispielkommunen in Nordrhein-Westfalen in sozialer wie ethnischer Hinsicht sehr ungleich ist, was in erster Linie durch eine hohe sozialräumliche Segregation verursacht wird. Aber nicht immer bestimmt der Wohnort des Kindes die Wahl einer nahegelegenen Einrichtung. So finden sich auch Einrichtungen, die kaum von Kindern aus dem näheren Umfeld besucht werden. Dabei spielt nicht allein ein sozial und ethnisch selektives Wahlverhalten der Eltern eine Rolle, sondern in einigen Kommunen auch eine selektive Auswahl durch die Kita-Träger. Die Segregation findet dort auf der Ebene der Trägerschaft der Einrichtungen statt. Als Folge dessen weisen städtische Kitas überdurchschnittlich hohe Armuts- und Migrationsanteile bei den betreuten Kindern auf.

Bezogen auf die Qualität einer Kita muss diese zu beobachtende Segregation kritisch betrachtet werden. Denn Studien haben gezeigt, dass die gemessene Prozessqualität in Kitagruppen mit einem hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund niedriger ist (Tietze et al. 2013). Erklärbar wird dies durch die zusätzlichen Anforderungen an die Fachkräfte, etwa bezogen auf die Unterstützung der sprachlichen Bildung der Kinder. Daneben nimmt die Zusammensetzung einer Kindergruppe auch Einfluss auf die Lernmöglichkeiten der Kinder. Es zeigt sich, dass Kinder aus benachteiligten Familien in sozial durchmischten Kontexten am besten lernen (Becker und Schober 2017; Biedinger und Becker 2010). Soll der Elementarbereich kompensatorisch auf die Entwicklung von Kindern wirken und damit zur Chancengerechtigkeit im Bildungssystem beitragen, ist die Zusammensetzung der Kindergruppe von besonderer Bedeutung, da die individuell erlebte Qualität der einzelnen Kinder davon abhängt. So bedarf es besonderer Anstrengungen die Qualität in Einrichtungen mit einem hohen Anteil an benachteiligten Kindern weiter zu entwickeln. Als eine Möglichkeit wird hier eine entsprechende Ressourcensteuerung diskutiert, die beispielsweise einen besseren Personalschlüssel ermöglicht (Hogrebe 2014).

5 Fazit

Qualität in Kitas ist ein äußerst komplexes Gebilde, das schwer zu bewerten ist. Zu ergründen, was sie letztlich kennzeichnet, von welchen Einflussgrößen sie abhängt und wie sie in der Interaktion zwischen Fachkraft und Kind hergestellt wird, stellt die Forschung im Elementarbereich vor große Herausforderungen. So bleibt abzuwarten, ob der Prozess der Qualitätsentwicklung, der unter anderem auch durch das zum 01.01.2019 in Kraft getretene „Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung“ (das sog. „Gute-KiTa-Gesetz“) von politischer Ebene angestoßen wurde, tatsächlich auch zu einer besseren Qualität führt. Bezogen auf die sozialräumliche Umwelt zeigt sich, dass dieser zwar für die Bildung und Entwicklung von Kindern eine wichtige Rolle zugeschrieben wird und sie auch in der Diskussion um Professionalität als wichtiges Handlungsfeld elementarpädagogischer Fachkräfte beschrieben wird. Bringt man aber die beiden Diskurse zusammen und konfrontiert die Ergebnisse der Qualitätsforschung mit der Bedeutung des Sozialraums, zeigt sich eine deutliche Forschungslücke. Angesichts dieser Tatsache ist es entscheidend, die Auseinandersetzungen mit und Forschungsergebnisse zu dem Sozialraum und die professionellen Arbeitsprinzipien der Sozialraumarbeit in die Diskussion um Qualität im Elementarbereich zu integrieren und die Forschungsanstrengungen in diesem Bereich zu verstärken, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangenFootnote 1. Wichtig ist, dass hierfür vielfältige methodische Zugänge zum Einsatz kommen, denn der Vielschichtigkeit der Qualität in Kitas kann nur ein entsprechend ganzheitlicher Forschungszugang gerecht werden.