1 Chancen und Risiken digitaler Bildungsdokumentation

Software zur digitalen Bildungsdokumentation wie „Evidence for learning“ (theTeacherCloud 2019), „Tapestry Journal“ (The Foundation Stage Forum Ltd. 2019) oder „Seesaw“ (Seesaw Learning Inc. 2019) ermöglicht, individuelle Bildungsprozesse zu dokumentieren, Pädagoginnen und PädagogenFootnote 1 mehr Überblick über die Lern- bzw. Entwicklungsstände in ihren Gruppen und Eltern Einblicke in den Alltag des Kindes in seiner Bildungseinrichtung zu geben. Erhofft wird, sie könne „die bisher oft unvollkommene Umsetzung von Bildungsdokumentation […] perfektionieren“ (Knauf 2019, S. 107). Typischerweise ermöglicht Software in diesem Genre, Foto‑, Video- und Audioaufnahmen sowie Texte einem Kind zugeordnet digital abzulegen, hinterlegte Kompetenzen oder Bildungsbereiche damit zu verknüpfen, Übersichten zu einzelnen Kindern und/oder Gruppen zu erstellen und Eltern mit Lese- und/oder Schreibrechten am Dokumentationsprozess zu beteiligen. Gegenüber analoger bietet digitale Dokumentation mehr Kommunikationswege für den Austausch mit Eltern, bessere Partizipationsmöglichkeiten für Kinder durch audio-visuelle Daten, Synergieeffekte von Bildungsdokumentation und Diagnostik sowie die Chance, die Dokumentation zeitgleich anderen Expertinnen und Experten verfügbar zu machen (ebd.). Zeitersparnis und Arbeitserleichterung lassen detailliertere Dokumentationen zu (Burghardt und Knauf 2017), die andererseits potenziell die Kontrollfunktion von Bildungsdokumentationen stärken, zumal einige Softwares den Portfolio-Ansatz mit standardisierten diagnostischen Erhebungsinstrumenten kombinieren (Knauf 2019).

Andererseits könnte in dieser Kombination auch ein Gewinn liegen. Außerdem ist zu erwarten, dass ein verändertes Dokumentationsmedium die „Prozesse der kommunikativen Konstruktion von Wirklichkeit“ (Hepp und Krotz 2012, S. 10) verändert, da Software und entstehendes Dokument als Aktanten (Latour 2001) den Erstellungsprozess und Umgang mit den Daten der Bildungsdokumentation beeinflussen. Daher widmet sich dieser Beitrag der Frage, wie digitale Bildungsdokumentation den Blick auf Bildungsprozesse neu lenken könnte. Da entsprechende Software in Deutschland bisher nur in wenigen Einrichtungen eingesetzt wird (Knauf 2019), ist ein empirischer Zugang schwierig. Als Grundlage für Überlegungen zum Einsatz solcher Verfahren und ihrer empirischen Erforschung werden vier Aspekte theoretisch beleuchtet: 1) Der verschobene Fokus auf das Sichtbare, 2) das In-Szene-Setzen des eigenen Tuns, 3) das Einbringen einer Beweislogik in einen vertrauensbasierten Prozess und 4) die mögliche Verselbständigung des Dokuments.

2 Bildungsdokumentation zwischen Anspruch und Umsetzung

In der Elementarpädagogik gilt Bildungsdokumentation als wichtig für die Bildungsarbeit (Knauf 2019). Diese Bedeutungszuschreibung zeigt sich z. B. in den Bildungsplänen der Bundesländer (wie im baden-württembergischen Orientierungsplan, Ministerium für Kultus, Jugend und Sport 2011) sowie den Kita-Gesetzen (z. B. für Nordrhein-Westfalen im Kinderbildungsgesetz – KiBiz o.J.) (vgl. Knauf 2019; Kuhn et al. 2018). Bildungsdokumentation fungiert dabei als Sammelbegriff für unterschiedliche Vorgehensweisen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und multiplen Adressaten (Knauf 2019) und die theoretischen Ansprüche an ein Dokumentationsverfahren weichen teilweise deutlich von dem ab, was praktisch realisiert wird.

2.1 Theoretische Einordnung und Ansprüche

Idealtypisch unterscheiden lassen sich prozess- und ergebnisorientierte Dokumentationen, die in praxi miteinander kombiniert bzw. verschwimmend auftreten (Knauf 2019), obwohl ihnen unterschiedliche Bildungsverständnisse zuzuordnen sind (vgl. Knauf 2018) und sie unterschiedliche Funktionen der Bildungsdokumentation betonen.

Prozessorientierte Verfahren wie Portfolios und Lerngeschichten sollen Kinder beim Reflektieren ihrer Bildungsprozesse unterstützen, ihnen mehr Partizipation ermöglichen und die Interaktion zwischen pädagogischen Fachkräften, Kindern und Eltern fördern (Knauf 2019). Diese Verfahren beziehen sich zumindest theoretisch vor allem auf die Kinder als Mit-Dokumentierende und Adressaten der Dokumentation und betonen damit die Partizipations- und Erinnerungsfunktionen (vgl. Knauf 2019). So sollen in einem Portfolio zielgerichtet Arbeiten gesammelt werden, die Fortschritte und Leistungen einer Person zeigen, wobei die Person mitauswählt, -bewertet und -reflektiert (Paulson et al. 1991; Häcker 2011). Lerngeschichten in Textform können für sich stehen, werden aber oft in Portfolios integriert (Knauf 2019). Theoretisch sollen sie die Stärken des jeweiligen Kindes darstellen, die Reflexion des Kindes über sein Lernen fördern und Gespräche über das Lernen anregen (ebd.). Solche Verfahren passen eher zu einem an der Selbsttätigkeit der Kinder orientierten Bildungsverständnis als zu einem, das die optimal abgestimmte Entwicklungsbegleitung und -förderung durch pädagogische Fachkräfte fokussiert (vgl. Knauf 2018).

Ergebnisorientierte Verfahren knüpfen dagegen an die Entwicklungsdiagnostik an (vgl. Macha und Petermann 2016), deren Grundidee ist, dass Fachkräfte und Eltern die kindliche Entwicklung sinnvoll beeinflussen können, wenn ihnen der aktuelle Entwicklungsstatus bzw. -verlauf bekannt ist (Esser und Petermann 2010; Rümmele 2011). Mit (teil-)standardisierten Beobachtungsbögen, Aufgabenkatalogen oder Checklisten sollen die aktuellen Kompetenzen eines Kindes analysiert werden, um Abweichungen von der Norm offenlegen und Bildungsangebote gezielt anbieten zu können (Knauf 2019). Teilstandardisierte Verfahren sollen als Screenings Entwicklungsauffälligkeiten bei Kindern identifizieren, erforderlichenfalls ergänzt durch eine standardisierte Entwicklungsdiagnostik (Macha und Petermann 2016). Entsprechende Verfahren adressieren daher eher pädagogische Fachkräfte und Eltern und betonen die Erkenntnis- und die Diagnostikfunktion (vgl. Knauf 2019), indem sie vorrangig Stärken, Schwächen und Sichtweisen von Kindern erfassen, um daran anschließend fördern zu können. Hier spielt das zielgerichtete Eingreifen von Erwachsenen in den Bildungsprozess des Kindes eine größere Rolle, was auch (aber nicht nur) anschlussfähig erscheint an die Logik schulischer Lern- und Bildungsprozesse.

Beide Typen von Dokumentation bieten Informationen und Kommunikationsanlässe, sowohl für die Kommunikation zwischen pädagogischer Fachkraft und Kind als auch für diejenige im Kollegium, mit Eltern, Therapeutinnen und Therapeuten oder Lehrpersonen, wobei Schwerpunktsetzungen anhand der primären Adressaten zu erwarten sind. Eltern, Trägern und potenziell weiteren (natürlichen und juristischen) Personen gibt die Dokumentation Einblick in die Arbeit der Einrichtung und hat somit Repräsentationsfunktion (Knauf 2019). Obwohl Knauf (2019) dies nicht als Funktion benennt, ist eine Steuerungsfunktion in doppelter Hinsicht mitzudenken: Die Repräsentationsfunktion bezieht sich nicht nur auf die Eltern, die Arbeit einer Fachkraft wird auch gegenüber ihrer Einrichtungsleitung, die Arbeit der Einrichtung gegenüber dem Träger transparent festgehalten. Die Bildungsdokumentation liefert also Steuerungswissen für die Leitung der pädagogischen Arbeit. Gleichzeitig wird die Bildungsarbeit des Kindes so nachvollziehbar gemacht, dass sie als Steuerungswissen für nächste Schritte in seinem Bildungsprozess dienen kann.

2.2 Praktische Umsetzung

Die Erfordernisse der Praxis überlagern und verwässern allerdings die theoretischen Ansprüche und Zielsetzungen. Dies betrifft sowohl die Beobachtung, auf der die Dokumentation basiert, als auch die Art und Nutzung der Dokumentation selbst. Zu zentralen Einflussfaktoren in der Praxis scheinen Zeitaufwand und Planbarkeit von Beobachtung und Dokumentation zu gehören, Kommunikationsanliegen an Eltern, einschließlich des Darstellens der eigenen Arbeit, sowie ein Zwiespalt zwischen dem Nachzeichnen individueller Lernwege und einem normorientierten Vergleich.

Obwohl Beobachtung zu den Aufgaben pädagogischer Fachkräfte zählt, berichtet bei Viernickel et al. (2013) ein Drittel der Befragten, dass in ihrer Einrichtung nicht jedes Kind (auch nur) mindestens einmal im Jahr systematisch beobachtet werde. Es dominieren „freie Beobachtungen“ (ebd., S. 91), nur teilweise durch schriftliche Notizen ergänzt. Beobachtungssituationen werden häufig pragmatisch ausgewählt, weil z. B. die zu beobachtenden Kinder und die pädagogische Fachkraft anwesend sind und ein vorgefasster Plan dies vorsieht, und nicht, weil die Fachkraft meint, eine potenziell bildungsrelevante Situation zu erkennen (Schulz 2013). Ein Grund für seltenes und unsystematisches Beobachten könnte sein, dass pädagogische Fachkräfte Beobachtung und Dokumentation zeitlich beanspruchend finden. Dabei bleiben sie mit den ca. zwei Wochenstunden berichteter Arbeit an Beobachtungs- und Dokumentationsaufgaben hinter den ca. dreieinhalb Stunden zurück, die sie für nötig hielten, obwohl sie teils in ihrer Freizeit dokumentieren (Viernickel et al. 2013).

Zur bevorzugten Offenheit der Beobachtung passend, wird vorrangig in Form von Lerngeschichten und Portfolios dokumentiert (ebd.). Obwohl Portfolios meist „der mehr oder weniger selbstbestimmten Darstellung des eigenen Könnens“ (Häcker 2011, S. 34) dienen sollen, werden sie im deutschen Elementarbereich meist von pädagogischen Fachkräften erstellt (Knauf 2019). Dies ist erwartbar, aufgrund des hohen Anspruchs, den die Reflexion eigenen Lernens selbst an Studierende stellt (vgl. Gläser-Zikuda et al. 2010). Ebenso nachvollziehbar ist, dass neben den Kindern auch die Eltern Adressaten des Portfolios sind (Knauf 2019; Urban et al. 2015). Gängige Portfolioeinträge sind Fotos mit und ohne Kommentar, vom Kind gemalte Bilder, ausgefüllte Formulare und Arbeitsblätter sowie Kopien von Texten oder Liedern, oft chronologisch, teils thematisch strukturiert (Knauf 2019). In einer Lerngeschichte beschreibt die pädagogische Fachkraft mehr oder weniger intensiv analysierend und mehr oder weniger detailliert eine Situation oder eine Sammlung ähnlicher Situationen, in denen das Kind aktiv war (ebd.). Da Lerngeschichten durch Fotos ergänzt sein können (ebd.), ist der Übergang zu kommentierten Fotos fließend.

Auffällig ist, dass in den Dokumentationen, auch wenn sie sich offiziell an das Kind richten, Kommunikationsanliegen an Eltern deutlich werden. Fachkräfte wollen Eltern zeigen, dass es dem Kind in der Einrichtung gut geht (ebd.), was sich z. B. in zentralen, aber inhaltsarmen Topoi wie „Spaß haben“ und „Freundschaften“ zu anderen Kindern in den Portfolios ausdrückt (ebd., S. 46). Weitere Topoi betreffen die Schulvorbereitung sowie als hochwertig betrachtete Angebote der Einrichtung (ebd.), was die Repräsentationsfunktion der Dokumentation betont und als (Selbst‑)Darstellung eigenen professionellen Handelns deutbar ist. Auf Basis der Dokumentation entstehen professionell bearbeitbare Fälle, die helfen, „Professionalität zu inszenieren respektive mit zu formen“ sowie pädagogische Fachkräfte und Eltern zueinander (neu) zu positionieren (Kuhn et al. 2018, S. 11). Portfolioeinträge, bei denen es darum geht, dass Aktivitäten der Kinder individuell betrachtet und gewürdigt werden, scheinen seltener zu sein (Knauf 2019). Auch solche Einträge kommunizieren den Eltern indirekt, dass ihr Kind bei einer Betreuungsperson gut aufgehoben ist, die ihre Expertise zu nutzen weiß, um dem Kind anregende Lernsituationen zu bieten (vgl. ebd.).

Der Zwiespalt zwischen ressourcenorientierter Begleitung des einzelnen Kindes und normorientiertem Vergleich mit der Bezugsgruppe zeigt sich z. B. in Lerngeschichten (vgl. Knauf 2018). Sie sind meist stärkenorientiert und wertschätzend formuliert, aber dennoch häufig mit hierarchieanzeigenden Bewertungen verbunden (Knauf 2019). Obwohl die Beurteilungsaufgabe offenbar zumindest implizit wahrgenommen wird, werden standardisierte diagnostische Verfahren eher unregelmäßig für wenige und nur selten systematisch für alle Kinder eingesetzt (Viernickel et al. 2013, S. 93).

Für eine stufenübergreifende Zusammenarbeit erscheint die Kooperation von Elementar- und Primarbereich bei der Bildungsdokumentation sinnvoll (Backhaus et al. 2014). Obwohl die meisten Fachkräfte beider Bereiche angeben, dass Bildungsdokumentationen stufenübergreifend nutzbar wären, geschieht das selten (ebd.). Dabei könnten die Bildungsdokumentationen aus dem Elementarbereich Grundschullehrkräfte nicht nur über den Kenntnis- und Entwicklungsstand eines Kindes und seine vorschulischen Lernprozesse informieren, sondern anschlussfähig sein für das Monitoring schulischer Bildungsprozesse. Prozessorientierte Verfahren wie Portfolios und Lerntagebücher sind auch im schulischen Kontext geläufig (vgl. z. B. Gläser-Zikuda und Hascher 2007; Brunner et al. 2011), obwohl dort normorientierte, bewertende Verfahren einen anderen Stellenwert einnehmen.

3 Besonderheiten digitaler Bildungsdokumentation

Einem Mediatisierungsansatz (Hepp und Krotz 2012) folgend, könnte ein verändertes Dokumentationsmedium die „Prozesse der kommunikativen Konstruktion von Wirklichkeit“ (ebd., S. 10) verändern. Entsprechend geht Knauf (2019, S. 107) davon aus, dass „der Wechsel von der analogen zur digitalen Bildungsdokumentation einen grundsätzlichen Wandel von Bildungsdokumentation“ bewirkt. Das digitale Pendant zu analogen individuellen Bildungsdokumentationen bilden digitale Portfolio-Softwares (ebd.). Sie ermöglichen, Texte, Foto‑, Video- und Audioaufnahmen zu erstellen, sie zum digitalen Portfolio eines Kindes abzulegen sowie Einträge zu verschlagworten und einzelnen Bildungs- oder Kompetenzbereichen zuzuordnen. Da sowohl das Entstehungswerkzeug für die Bildungsdokumentation als auch das erstellte Artefakt als Aktanten (Latour 2001) betrachtet werden können (vgl. z. B. Kuhn et al. 2018; Koch und Nebe 2013), die „bestimmte Voraussetzungen für das Verhalten anderer Akteure (Präskriptionen)“ (Schulz-Schaeffer 2011, S. 282) erzeugen, seien es Pädagoginnen, Pädagogen, Kinder, Eltern oder Leitungskräfte, soll im Folgenden kurz beschrieben werden, inwiefern sich die Möglichkeiten digitaler Dokumentation von den analogen Möglichkeiten unterscheiden.

Beobachten und Dokumentieren werden als zeitaufwändig wahrgenommen. Hier könnten digitale Dokumentationen entlastend wirken, da mit dem gleichen Gerät Aufnahmen (Foto, Video und Audio) erstellt und ohne den Umweg des Ausdruckens in ein oder bei Gruppenaktivitäten mehrere Portfolios abgelegt werden können. Das vermeidet, was Knauf (2019, S. 47) als eine Ursache der inhaltsarmen Bildbeschreibungen in Portfolios ausmacht, nämlich dass Bilder „erst Wochen oder Monate“ nach der Aufnahme der Situation gedruckt vorliegen, wenn die Situation den Fachkräften kaum mehr präsent ist, so dass sie auf das „Spaßhaben“ als Bildbeschreibung zurückgreifen.

Erste Hinweise auf Auswirkungen digitaler Bildungsdokumentation geben Burghardt und Knauf (2017) mit einer quantitativen Studie mit 44 Gruppenleitungen, die papierbasierte Portfolios nutzen und 13 Gruppenleitungen, die mit der App „Stepfolio“ arbeiten. Vor dem Hintergrund der kleinen und über den Anbieter der Software gewonnenen Stichprobe lassen sich die Ergebnisse nur vorsichtig interpretieren, geben aber Hinweise darauf, dass pädagogische Fachkräfte mit einer digitalen Portfolio-App öfter Einträge machen und diese zeitnäher ins Portfolio eines Kindes ablegen (ebd.). Zu bedenken ist allerdings, dass Einrichtungen, die digital dokumentieren, sich vermutlich vor kurzem erst intensiv mit der Frage beschäftigt haben, wie sie ihre Dokumentationspraxis verbessern könnten, ehe sie sich für den Einsatz der App entschieden. Eine ähnlich intensive Auseinandersetzung mit der Thematik ist bei der Vergleichsgruppe nicht voraussetzbar.

Das Kommunikationsanliegen an die Eltern greifen digitale Portfolio-Apps in unterschiedlichem Maß auf. Je nach Produkt und Konfiguration können Eltern eigene Portfolioeinträge hinzufügen, nur Kommentare oder Fragen zu den Einträgen der pädagogischen Fachkräfte bzw. Kinder erstellen oder haben bloße (von Einrichtungsseite einschränkbare) Leserechte. Teilweise verknüpft sind Informationen zum Einrichtungsalltag wie Bring- und Holzeiten, Krankmeldung, Schlafzeiten, Essensplan oder Veranstaltungen. Diese Beteiligung und Kommunikation wird ermöglicht, indem über das Internet auf die erhobenen Daten zugegriffen werden kann, die auf Servern des Dienstanbieters gespeichert sind, was im Hinblick auf den Datenschatz zu beachten ist (vgl. Lepold und Ullmann 2018, S. 141 f.).

Die Doppelaufgabe, Lernprozesse zu verstehen und kindliches Verhalten normorientiert einzuschätzen und zu bewerten, wird in digitaler Portfolio-Software typischerweise durch eingebaute oder integrierbare standardisierte Beobachtungsinstrumente abgebildet, wodurch prozess- und ergebnisorientierte Verfahren kombiniert werden. Die (diagnostischen) Ergebnisse lassen sich je nach Produkt in automatisch erstellten Überblicksdarstellung sowohl auf Individual- als auch auf Gruppenebene ausgeben. Einerseits könnten so offene Beobachtungen und diagnostische Instrumente besser verknüpft werden und eine differenziertere Entwicklungsbegleitung ermöglichen. Gleichzeitig verschwimmen damit diagnostischer und dialogischer Blick auf das Kind (Knauf 2019), was im Sinne einer „Scholarisierung früher Kindheit“ (Mierendorff 2014, S. 34) spezifische elementarpädagogische Herangehensweisen an Bildung zurückdrängen könnte (Knauf 2019). Für Übergang und Kooperation von Elementar- und Primarbereich ergäben sich andererseits daraus Chancen, denn eine schulische Anwendung trüge umgekehrt Impulse eines (elementarpädagogischen) sozialkonstruktivistischen Bildungsverständnisses (ebd.) in die Grundschule hinein, die dort zu einer (weiteren) „Entscholarisierung von Schule“ (Fölling-Albers 2000, S. 121) beitragen und die Bereiche so einander annähern könnten.

Da das Instrument, mit dem die Beobachtungen festgehalten werden, das Handeln der Beobachtenden anleitet und auch in seiner Materialität die Nutzung bedingt (vgl. Schulz 2013), ist erwartbar, dass bei digitalen Bildungsdokumentationen sowohl das genutzte Endgerät, z. B. Tablet, als auch die inhaltlichen Aufforderungen in der Formulargestaltung und Benutzerführung der App im Sinne einer prästrukturierten Umgebung (vgl. Marchand 2017) das entstehende Produkt beeinflussen. Daher werden im Folgenden potenzielle Folgen anhand von vier Aspekten näher beleuchtet. Die Bildlastigkeit der Dokumentation wird unter dem Aspekt des „Fokus auf das Sichtbare“ und des „In-Szene-Setzens des eigenen Tuns“ hinterfragt, die mögliche Datenmenge und Verknüpfung mit diagnostischen Kriterien unter dem Aspekt einer eingebrachten Beweislogik und möglichen Verselbständigung des Dokuments.

4 Mögliche Konsequenzen

4.1 Fokus auf das Sichtbare

Eine Herausforderung von Bildungsdokumentation besteht darin, innerlich ablaufende Prozesse sichtbar zu machen (vgl. Knauf 2019). Dokumentationssoftwares bieten dafür die Möglichkeit, Fotos und Videos von Kindern aufzunehmen, meist salient präsentiert, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie wahrgenommen und genutzt wird (vgl. Betsch et al. 2011). Es ist also damit zu rechnen, dass digitale Bildungsdokumentationen überwiegend Bildeinträge bzw. visuelle Datenpunkte haben. Dabei ist insbesondere zu bedenken, welche Rolle eine kognitive Verarbeitung des Gesehenen für die Dokumentation spielt und inwiefern sich Foto- und Videoaufnahmen nutzen lassen, um prozessorientiert und deutungsoffen zu dokumentieren.

Der kognitive Dokumentationsaufwand zum Ablegen eines Portfolioeintrags mit Bild ist in der digitalen Variante geringer, als es bei einem analogen Portfolio und erst recht, als es bei einem textförmigen Eintrag der Fall wäre. Die verbale Beschreibung erfordert eine kognitive Verarbeitung des Gesehenen, der Bildeintrag im analogen Portfolio zumindest eine (in Anbetracht von Druckkosten und Ablageaufwand kleine) Auswahl von Bildern. Digitale Portfolios ermöglichen demgegenüber, eine große Menge an Bildern mit wenigen Fingertipps einem oder mehreren Kindern zuzuordnen. Der Druck, auszuwählen, ist geringer, die Notwendigkeit zur expliziten Auseinandersetzung mit dem Gesehenen weniger gegeben. Bei digitalen Bildsammlungen folgt die Dokumentation nicht zwingend auf die interpretierte Beobachtung, sondern kann Situationen zeigen, die weder aufmerksam beobachtet noch bewusst interpretiert wurden. Selbst die Aufgabe, Kinder auf dem Bild zur Ablage wiederzuerkennen, können Algorithmen übernehmen.

Wenn es um die Dokumentation eines unsichtbaren (Bildungs‑)Prozesses geht, reichen jedoch Fotos oder Videos als Dokumentation nicht. Da auch bei analoger Dokumentation oft inhaltsarme Einträge mit generischen Kommentaren vorkommen (Knauf 2019), mag kein Qualitätsverlust erkennbar sein. Ebenso wenig dürften aber mehr Einträge automatisch die Qualität steigern. Vielmehr müsste die Software (als Aktant) die Nutzenden zur Reflexion des Dokumentierten auffordern. Welche Rolle in diesem Reflexionsprozess die Kinder sowie der Austausch im Team und mit den Eltern spielen sollen, wäre zu entscheiden, auf Basis der intendierten Funktionen der Bildungsdokumentation und des vertretenen Bildungsverständnisses.

Die Bildlastigkeit digitaler Dokumentationen und die Möglichkeit, Videos einzubinden, drängen dazu, das Verhältnis von Produkten und Prozessen neu zu durchdenken. So lässt sich ein gebauter Turm gut fotografieren, bleibt aber nur das Produkt. Im Rahmen der Prozessorientierung wäre es mindestens ebenso interessant, wie das Kind zu seinem Ergebnis gekommen ist. Dies ließe sich theoretisch in Videoaufnahmen zeigen. Praktisch müsste dafür aber die Aufnahme gestartet werden, bevor klar ist, dass/ob es sich um eine dokumentationsrelevante Szene handelt. Dies entspricht nicht der Logik, in der bisher beobachtet und dokumentiert wird, die vielmehr dominiert ist von der Vorstellung, dass sich „‚bildungs- und lernrelevante[n]‘ Tätigkeiten […] jederzeit und allerorts […] so häufig ereignen, dass sie nicht gezielt gesucht […] werden müssen“ (Schulz 2013, S. 34). Es ist also zu erwarten, dass die einbezogenen Videoaufnahmen eher Alltagssituationen zeigen, denen ggf. im Nachgang eine Bedeutung für den Lern- oder Bildungsprozess unterlegt werden kann.

Als Vorteil gegenüber textbasierter Dokumentation scheinen Videos mehr Deutungsspielraum zu lassen (Knauf 2015). Er wird aber dadurch eingeschränkt, dass die Aufnahme in einer bestimmten Situation aus einer bestimmten Perspektive gemacht und in die Dokumentation auf bestimmte Art gerahmt einbezogen wird. Vor diesem Hintergrund wird die Illusion, die Situation im Video nacherleben zu können, zum Hindernis für einen gleichberechtigten Austausch über das Beobachtete.

4.2 Eigenes Tun in Szene setzen

Fachkräfte als Dokumentierende helfen, ob digital oder analog, dem Kind dabei, seine Bildungstätigkeiten darzustellen, und haben gleichzeitig selbst die Gelegenheit, Eindrücke von ihrer Arbeit zu vermitteln. Mehr visuelle Datenpunkte geben dabei mehr Einblicke in die Tätigkeiten von Kindern, mehr Zugriffsmöglichkeiten auf die digitale Dokumentation könnten sie kommunikativ relevanter werden lassen. Schon analoge Beobachtung und Dokumentation bringt eine Art Bühne hervor (vgl. Schulz 2013), für digitale Dokumentation könnte sich zeitnahes Ablegen und Leserechte der Eltern und Teammitglieder aber eine veränderte, erweiterte Bühne ergeben, die Kommunikations- und Repräsentationsfunktion von Bildungsdokumentationen in den Vordergrund bringt. Nicht nur aufgrund der medialen Aufbereitung erinnert dies an die Logik individueller Selbstdarstellung, die in vielen sozialen Medien vorherrschend ist (vgl. Fuchs 2019).

Wird das Tun der Kinder in Fotos und Videos festgehalten, gibt das der Darstellung ihres Tuns und damit des Tuns der pädagogischen Fachkräfte besondere Bedeutung. Daher ist zu fragen, wie pädagogische Fachkräfte und Kinder mit der Möglichkeit solcher Aufnahmen umgehen, speziell wenn sie sie digital sofort mit anderen „teilen“ können. Datenpunkte könnten durch Inszenierungen gesammelt werden, z. B. über Verhaltensaufforderungen an ein Kind oder Nachstellungen beobachteter Szenen oder durch gezielte Planungen von Angeboten/Aktivitäten, die eindrucksvolle Aufnahmen erwarten lassen. Zu bedenken wären auch Auswirkungen auf das Lern- und Leistungsverständnis der Kinder, denen zumindest implizit eine höhere Wertschätzung von Leistungen vermittelt wird, die „vorzeigbar“ sind, bis hin zu einer Enkulturation in mediale Selbstdarstellung.

Die Dokumentation zeichnet also nicht nur einen über das Sichtbare verzerrten Blick auf den Bildungsprozess, sondern auch einen, der davon abhängt, wie ein Kind das eigene Tun vor Anderen zur Schau stellen kann und mag und welche Chancen pädagogische Fachkräfte wahrnehmen, Eltern und anderen Akteuren vorzuführen, was sie tun. Dies spielt zwar bei jeder Art von Bildungsdokumentation eine Rolle, wird aber relevanter bei digitalen Formen, bei denen Beobachtungen leichter mit Eltern und anderen Personen „geteilt“ werden können.

4.3 Einführen einer Beweislogik

Weitere Konsequenzen könnten sich daraus ergeben, wenn digitale Portfolio-Apps Verknüpfungen zu diagnostischen Instrumenten anbieten oder ermöglichen, indem z. B. Portfolioeinträge bestimmten Kompetenzen zugeordnet werden sollen. Zusammen mit den zahlreicheren Einträgen im Portfolio ergibt sich eine Beweislogik in der Dokumentation, die die Steuerungs- bzw. Accountability-Funktion von Bildungsdokumentationen verstärkt.

Bisher ist aufgrund der wenigen Beobachtungspunkte klar, dass der Großteil des Bildungsgeschehens nicht anhand der Bildungsdokumentation erkennbar ist. Dies könnte sich in der digitalen Fassung ändern, da mehr Einträge möglich sind und ersten Hinweisen zufolge auch erstellt werden (Burghardt und Knauf 2017). Als Erklärung, wozu es nötig oder nützlich sein sollte, Daten zum kindlichen Entwicklungs- und Bildungsprozess so zu erheben und auszuwerten, bietet das Narrativ der prozessorientierten Verfahren an, die Partizipation und Selbstreflexion der Kinder zu stärken (vgl. Knauf 2019), das Narrativ der Entwicklungsdiagnostik betont die Chance, Fehlentwicklungen zu vermeiden (vgl. Esser und Petermann 2010). Beide setzen darauf, dass sich kindliche Bildungsprozesse auf der erstellten Datenbasis verbessern lassen. Die Idee, dass mehr Daten zu nützlicheren Schlussfolgerungen führen, basiert auf der Ansicht, dass Wissen wichtig ist für Steuerung (vgl. Niedlich und Bormann 2019) und reiht sich passend ein in eine zunehmende Evidenzorientierung im Bildungsbereich (vgl. Bellmann und Müller 2011) sowie Tendenzen der sozialen (Selbst‑)Vermessung (vgl. Mau 2017) und Selbst-Dokumentation (vgl. Garde-Hansen 2009). Die Hoffnungen, die mit einer datenorientiert besprochenen und gestalteten frühen Kindheit einhergehen, sollten also auch vor der Folie alltagskultureller Muster und Erwartungen betrachtet werden.

Digitale Dokumentation könnte als eine „extreme Form“ der Dokumentation (Knauf 2019, S. 123) mit vielen Datenpunkten neue Erwartungen wecken. Gerade wenn die Software das Verknüpfen von Beobachtungen mit Kompetenzerwartungen bzw. diagnostischen Dimensionen anbietet und/oder durch die Benutzerführung nahelegt, wird pädagogischen Fachkräften suggeriert, sie sollten zu jeder Kompetenzerwartung einen Beobachtungspunkt hinzufügen. Lassen sich die meisten Kompetenzen (scheinbar) anhand von Beobachtungen bzw. erstellten Einträgen belegen, entsteht der Eindruck, eine Kompetenz, zu der kein Eintrag vorliege, sei beim Kind (noch) nicht ausgeprägt. Wenn allerdings pädagogische Fachkräfte so zu dokumentieren versuchen, dass alle Punkte einer Liste bei einem Kind vor einem Elterngespräch abgedeckt sind, dokumentieren sie weniger den individuellen Bildungsprozess des Kindes, als eher, inwiefern das Kind die extern gesetzten Erwartungsnormen erfüllt. Dies könnte die ergebnisorientierte Ausrichtung der Dokumentation und die normierende Wirkung von Bildungsdokumentationen (vgl. Kuhn et al. 2018) verstärken.

Die Belegbarkeit von Eindrücken könnte auch zum Erwarten bzw. Einfordern von Belegen in der Kommunikation führen. Auf institutioneller Ebene weist das Erstellen der Bildungsdokumentation als Accountability-Maßnahme nach, dass die Kindertageseinrichtung ihrem Bildungsauftrag nachkommt. Eine detailliertere Dokumentation lässt pädagogische Fachkräfte und Kinder belegen, welche Bildungsangebote gemacht wurden, wie die Kinder damit umgegangen sind und welche Kompetenzausprägungen sie dabei gezeigt haben. Wie bisherige Dokumentationspraxis Einfluss auf die Kommunikation mit Eltern (Urban et al. 2015; Kuhn et al. 2018) nimmt, ist dies in veränderter Form auch für digitale Dokumentation zu erwarten. Bei weniger detaillierter Dokumentation sind Eltern darauf angewiesen, den Beschreibungen, Einschätzungen und Schlussfolgerungen pädagogischer Fachkräfte zu vertrauen. Sind Einschätzungen detaillierter belegbar, werden für das professionelle Urteil möglicherweise eher Belege erwartet. Im Sinne einer Accountability as Answerability (Dubnick 2003) könnten die Fachkräfte sich gedrängt sehen, zum Bildungsprozess jedes Kindes auskunftsfähig zu sein und das datenbasiert darlegen zu können. Im Elementarbereich wäre diese Form der Accountability ein weiteres Zeichen einer Scholarisierung, denn in der Schule ist sie z. B. über Klassenbücher und benotete Klassenarbeiten etabliert.

4.4 Mögliche Verselbstständigung des Dokuments

Nicht nur die Software, sondern auch das entstandene Dokument lässt sich als Aktant betrachten, der in der Reflexion des Bildungsprozesses und Kommunikation über ihn Aufforderungscharakter hat und auf andere (menschliche) Akteure einwirkt (vgl. Bollig et al. 2012). So bietet ein solches Dokument z. B. im Elterngespräch Orientierung, welche Inhalte in welcher Reihenfolge zu besprechen sind (Kuhn et al. 2018).

Digitale Dokumentationssoftwares geben typischerweise einen Überblick über die einem Kind zugeordneten Beiträge. Teilweise kann man aus der Software heraus PDF-Entwicklungsberichte für einzelne Kinder und tabellarische Übersichten über die Entwicklungsstände in einer Gruppe erstellen. Dabei vernachlässigen automatisierte Prozesse, dass die zugeordneten Dokumentationspunkte nicht gleichbedeutend sind mit dem tatsächlichen Bildungsprozess. Die Objektivität der Datenaggregation und standardisierte Aufbereitung stehen in Kontrast zur subjektiv beeinflussten Erhebungs- und Interpretationsleistung. Ein professionelles Urteil lässt sich sowieso nicht unabhängig vom Instrument bilden, wenn man die Daten über die Software gesammelt hat und der eigene Blick von deren Strukturen geleitet wurde. Die Verarbeitungsangebote der Software könnten aber dazu führen, dass Fachkräfte die Reflexion zugunsten schneller Einträge und Kompetenzverknüpfungen vernachlässigen. Der Unterschied würde im ausgegebenen Dokument zunächst nicht sichtbar. Die Aufmachung der Ergebnisse verleiht dem Dokument unabhängig vom Reflexionsgrad eine Quasi-Dignität, die es erschweren mag, es reflektiert zu nutzen. Wie Knauf (2018, S. 428) formuliert, verleiht bereits „[d]as schriftliche Festhalten einer bestimmten Beobachtung und deren Interpretation […] den Aussagen Tatsachencharakter“. Dies könnte sich durch die schein-objektive Auswertung und Ergänzung durch (audio-)visuelle Daten verstärken. Videos könnten, wie Knauf (2019) hofft, zwar die Chance bieten, den Deutungsspielraum im Dialog zu erhöhen. Sie könnten aber auch scheinbar für sich sprechen, ebenso wie Fotos und umgekehrt fehlende Datenpunkte, und es Beteiligten erschweren, sich dem daraus entstehenden Eindruck zu entziehen. Die Wirkung der ursprünglich methodologischen Entscheidung für eine digitale Dokumentation könnte sich verselbstständigen, wenn der Software, die anhand der Datenpunkte Auskunft über die Entwicklung des Kindes gibt, mehr Aussagekraft zugeschrieben würde als den professionellen Urteilen pädagogischer Fachkräfte.

Dabei beginnt die Unterordnung von Profession unter Medium bei den Fachkräften selbst. Die Zuordnung zu diagnostischen Kriterien oder Kompetenzstufen macht professionelle Urteile (über)eindeutig und lässt kaum Spielraum für Zweifel aufzeigende Kommunikation darüber. Wirkt die Beobachtung und Interpretation „nachgewiesen“ über (erdrückend zahlreiche) Datenpunkte, erschwert dies Fachkräften, davon abweichende Urteile zu vertreten und Eltern, ihre weniger professionell dokumentierte Wahrnehmung einzubringen. Wer den dokumentierten Punkten mehr traut als der professionellen Gesamteinschätzung, hat eine ungünstige Voraussetzung für einen kritischen Dialog zu den von ihnen nachgezeichneten Vorgängen und überlässt die Deutungshoheit der automatischen Aggregation von Datenpunkten, die mit Fehlern verzerrter Wahrnehmung, fehlerhafter Eingabe oder einseitiger Interpretation behaftet sein mögen. Vor diesem Hintergrund kann auch die Elternbeteiligung an digitalen Portfolios untersucht werden: Bieten die Fachkräfte lediglich eine Nachfragemöglichkeit für Eltern, bleiben sie allein in der Rolle der Dokumentierenden und erhöhen die Chance zur Inszenierung ihrer Professionalität. Eigene Einträge ermöglichen Eltern zwar mehr Partizipation, dies könnte sich aber als Illusion erweisen, wenn sie nur zum fachkraftgelenkten Narrativ beitragen und damit ihre Argumentationsgrundlage gegen die Gesamtdarstellung untergraben.

5 Fazit und Ausblick

Digitale Bildungsdokumentation bietet für Forschung und Praxis faszinierende Möglichkeiten, Bildungsverläufe von Kindern detaillierter und nachvollziehbarer zu erfassen. Sollen darüber erfasste Daten in Forschungsprojekten genutzt werden, sind Entstehungsprozess und Aussagekraft kritisch zu analysieren. Für die Praxis ist der Einsatz voraussetzungsvoll und potenziell folgenreich, sodass er gut vorbereitet und reflektiert werden sollte, was insbesondere den jeweils einprogrammierten Aufforderungscharakter der Software betrifft.

Softwares zur Erstellung digitaler Portfolios verknüpfen häufig prozessorientierte und diagnostische Verfahren, indem z. B. Portfolioeinträgen aus offener Beobachtung bestimmte Kompetenzen verbunden werden können, die sich darin zeigen sollen. Daher sollten Pädagoginnen und Pädagogen, die überlegen, entsprechende Instrumente einzusetzen, Nutzen und Grenzen diagnostisch orientierter Dokumentationen reflektieren sowie die zu nutzende Software gemäß den eigenen Vorstellungen von Bildung auswählen und konfigurieren. Soll die Kooperation mit einer anderen Einrichtung, z. B. einer Grundschule, gestärkt werden, könnte die gemeinsame Auswahl eines in beiden Institutionen nutzbaren Instruments hilfreich sein.

In Anbetracht der prästrukturierenden Wirkung der Software auf den Prozess von Beobachtung, Dokumentation und Auswertung sollte auf „blinde Flecke“ geachtet werden, auf Aspekte, die untergehen könnten, aber nicht sollten. Gleichzeitig sind Prozesse zur Dokumentation zu etablieren, die die Dokumentationsziele unterstützen. Dabei ist zu unterscheiden, welche Aufgaben eine Software den pädagogischen Fachkräften abnehmen kann (und sollte) und solchen, für die professionelle Kompetenzen nötig sind und die entsprechende Aufmerksamkeit erfordern. Besondere Bedeutung könnte dabei der Umgang mit Fotos und Videos im Reflexions- und Interpretationsprozess haben.

Schließlich sollten die kommunikativen Wirkungen des Instruments bedacht und genutzt werden. Einrichtungen können von der Selbstdarstellungs- bzw. Repräsentationsfunktion profitieren, sollten diese aber getrennt von der diagnostischen Arbeit mit Kindern halten, um erhobene Daten nicht (zusätzlich) zu verzerren. Außerdem ist bewusst zu entscheiden, welche Form der Beteiligung von Kindern und Eltern angestrebt wird und wie diese umzusetzen ist. Dies ist bei Auswahl und Konfiguration der Software mit zu bedenken, damit sie zur expliziten oder impliziten Kommunikationsstrategie der Einrichtung passt. Die Gesprächsführung bei den Gesprächen zum Entwicklungs‑/Lern- bzw. Bildungsverlauf ist darauf abzustimmen und die vorstrukturierende Wirkung des Instruments bewusst zu nutzen oder durch weitere Instrumente einzuschränken, damit Software und/oder damit erstelltes Portfolio nicht unbewusst als Aktanten die Gesprächssituation gestalten.

Kompetent genutzt, könnte digitale Bildungsdokumentation prozess- und ergebnisorientierte Verfahren verknüpfen, damit wertvolle Informationen für individuelle Förderung liefern und die Zusammenarbeit mit anderen Fachkräften und Eltern verbessern.