Zusammenfassung
Der Beitrag bearbeitet in theoretisierender Absicht Umgangsformen der Grundschule mit dem Balanceakt, Kind und Gesellschaft verpflichtet zu sein, unter dem Schwerpunkt der Entwicklung seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Es werden ausgewählte Diskurse, Forschungslinien und Forschungsergebnisse beleuchtet und systematisiert, mit dem Ziel, weniger das Kind als die generationale Ordnung der Grundschule und die soziale Praxis des Grundschulunterrichts als Bezugspunkte einer Theorie der Grundschule zu setzen, da Schüler*in sein, Kind sein, Lehrer*in sein und erwachsen sein institutionell und im Unterricht alltäglich gestaltet und reproduziert werden. Dem grundschulpädagogischen Konzept der Kindgemäßheit wird das Konzept der Generationenvermittlung gegenübergestellt.
Abstract
The contribution discusses the way in which primary schools balance the commitment to children and to society. It aims at theorizing the developments since the 1980s. The contribution focuses on and systematizes discourses, research trends and selected finding, which are directed less towards children and more towards a “generational order” and the social practice in their attempt to build a theory of primary school education. Being a pupil, a child, a teacher and an adult is institutionally framed and reproduced in everyday teaching in class. The concept of “suitability for children” established in primary school education is contrasted with the potential concept of “mediating between generations”.
Notes
Bei Kroh finden sich 1931 bereits Anzeichen einer „nationalen Gesinnung“. Er schreibt zum Beispiel: „Kinder der verschiedensten Lebenskreise, Idiome und sprachlichen Gewandtheit nimmt sie (die Grundschule, F. H.) auf, um sie durch muttersprachlichen Unterricht fähig zu machen zur Teilnahme am geistigen Austausch aller Volksgenossen“ (Kroh 1931, S. 334).
Beim ersten des alle 10 Jahre stattfindenden Bundesgrundschulkongresses im Jahr 1969 ging es um „Funktion und Reform der Grundschule“ (Schwartz 1969) mit den drei großen Themen: (a) Begabung und Lernen im Kindesalter, (b) Inhalte grundlegender Bildung, (c) Ausgleichende Erziehung und Grundstufe. 1979 wurde unter dem Motto „Bilanz und Perspektiven“ die Frage gestellt, was aus Analyse und Optionen von 1969 geworden ist und welche Aufgaben sich für die 1980er Jahre stellten. Als Themen folgten: 1989 „Veränderte Kindheit – Kinder heute – Herausforderung für die Schule“, 1999 „Heterogenität – Schule der Vielfalt und Gemeinsamkeit“, 2009 „Bildungsgerechtigkeit – Allen Kindern gerecht werden“, 2019 anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Grundschulverbandes und 100-jährigen Jubiläums der Grundschule lautet das Thema „Kinder lernen Zukunft“.
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Heinzel, F. Zur Doppelfunktion der Grundschule, dem Kind und der Gesellschaft verpflichtet zu sein – die generationenvermittelnde Grundschule als Konzept. ZfG 12, 275–287 (2019). https://doi.org/10.1007/s42278-019-00050-x
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DOI: https://doi.org/10.1007/s42278-019-00050-x
Schlüsselwörter
- Theorie der Grundschule
- Sozialwissenschaftliche Kindheitsforschung
- Kindgemäßheit
- Generationenvermittlung