1 Vorspiel

Zu Beginn seines Vorhabens geht der Autor von der Beobachtung aus, dass das Computerspiel als eigenständige Kulturform in bestimmten Zeitschriften und im Feuilleton besprochen werde, die ethische Reflexion im öffentlichen Diskurs bisher jedoch zu kurz komme, wenngleich sich die Philosophie in den Feldern der Ästhetik und der Kunstphilosophie dem Computerspiel bereits angenommen habe. Aus dieser Beobachtung heraus formuliert der Autor den Anspruch an seine eigene Arbeit, die Welt der philosophischen Ethik und die Welt der Computerspiele im Rahmen einer öffentlichen Debatte in ein Gespräch zu verwickeln. Erst dann stünde das Computerspiel auf einer Stufe mit anderen Kulturgütern wie dem Spielfilm. Hierzu möchte der Autor mit seinem Buch einen Beitrag leisten. Daraus ergibt sich der Anspruch des Rezensenten: Wird der Autor diesem Vorhaben gerecht? Als Mensch, der sich sowohl der Welt der Computerspiele als auch der Welt der Philosophie zuordnet, ist der Rezensent in doppelter Weise vom Vorhaben des Autors betroffen.

2 Kapitel I

Als Philosoph geht der leidenschaftliche Computerspieler Ostritsch von der Frage aus, was überhaupt Computerspiele sind: Der Ethik des Computerspiels geht bei Ostritsch eine Ontologie des Computerspiels voraus, also die Frage nach dessen Wesen. Von Beginn an traut der Autor seiner adressierten diversen Leserschaft zu, sich philosophisch mit der Frage zu beschäftigen, was Spiele im Allgemeinen und Computerspiele im Besonderen kennzeichnet. Er beginnt mit einem Überblick über verschiedene Philosophien und Theorien des Spiels, um über Wittgenstein, Huizinga, Kant, Schiller und Caillois eine Liste formaler Kennzeichen des Spiels zu erarbeiten, um direkt im Anschluss feststellen zu müssen, dass ein Versuch, Spiele abschließend anhand objektiver Kriterien zu definieren, zum Scheitern verurteilt ist: Das Spiel ist ein unscharfer Begriff. Gleiches zeigt Ostritsch im Folgenden auch für Computerspiele, wobei er im Rahmen seiner Ontologie die zwei Seiten des Computerspiels in den Vordergrund rückt: die objektive und die subjektive Seite. Mit der objektiven Seite meint Ostritsch das Computerspiel als Gegenstand im Sinne eines Spielzeugs im weiten Sinne und bezieht hier die Hard- und Software gleichermaßen ein. Auf der subjektiven Seite des Computerspiels stehen die Handlungen der Spielenden. Das Verhältnis dieser beiden Seiten bezeichnet Ostritsch als interaktiv und schlägt bereits im Rahmen der ontologischen Betrachtung des Computerspiels die Brücke zur Literatur und anderen künstlerischen Erscheinungsformen. Ostritsch widerspricht der Aussage, dass wir mit solchen Werken lediglich als Rezipierende in Kontakt treten, betont jedoch die besonders aktive Rolle der Spielenden: In Computerspielen können wir „das eigene Ich im Gewand eines anderen beim Handeln“ (S. 72) erleben, also Dinge tun, die wir im gewöhnlichen Alltag möglicherweise nicht tun würden. Dieser Umstand verlangt Ostritsch zufolge nach einer Ethik, welche „sich einmal ganz grundsätzlich mit dem Verhältnis von Moral und Computerspielen beschäftigt“ (S. 72). Aus seiner konzisen Wesensbestimmung des Computerspiels stellt sich für Ostritsch nun die Frage, ob es unmoralische Computerspiele und unmoralisches Handeln in Computerspielen gibt.

3 Kapitel II

Zu Beginn seiner ethischen Überlegungen muss sich Ostritsch seinem größten Widersacher stellen, der für ihn jedoch keinen unbezwingbaren Endgegner darstellt: dem ludischen Amoralismus. Dieser behauptet, dass Computerspiele eben nur Spiele seien, weshalb die Ethik Computerspiele außer Acht lassen könne. Am Beispiel von Grand Theft Auto V (GTA 5) zeigt Ostritsch, dass schwerer Raub oder Mord für den ludischen Amoralismus zunächst nur im Rahmen des Spiels geschehen und deshalb keine ethische Relevanz für uns hätten. Die These des ludischen Amoralismus lässt sich nach Ostritsch mit diesen Beispielen jedoch nicht belegen: Mit Huizinga zeigt Ostritsch, dass Computerspiele insofern etwas mit Moral zu tun haben, als das moralische Gewissen darüber urteilt, ob etwas Spiel oder Ernst ist; denn es gibt Tätigkeiten, denen ein Moralist im Sinne Huizingas entgegnen würde: „Nein, so etwas spielt man nicht!“ (S. 78). Ostritsch fährt fort, indem er dem ludischen Amoralismus Computerspiele entgegensetzt, die bei Ostritsch moralische Gefühle von Unbehagen bis hin zu Ekel auslösen. Er gesteht ein, dass dies seine eigenen Gefühle sind, weshalb er eine allgemeine moralische Wahrheit aufzuzeigen versucht, nach der Vergewaltigung und terroristischer Massenmord in bestimmten Fällen keine Inhalte von Computerspielen sein sollten. Diese Wahrheit begründet er im Folgenden auf objektiver und subjektiver Seite.

Auf objektiver Seite entgegnet Ostritsch dem ludischen Amoralismus, dass virtuelle Welten wie Computerspiele (oder Serien und Kunstwerke im Allgemeinen, zu denen er gewissermaßen auch Computerspiele aufgrund ihrer Ästhetik zählt) reale Weltanschauungen im Sinne moralischer Botschaften zum Ausdruck bringen können, welche außerhalb der Gaming-Welt objektiv wirksam sind. Von Bedeutung ist nach Ostritsch, wie diese Weltanschauungen in einen Kontext gesetzt und reflektiert werden. Als Beispiel wählt er die Computerspiele GTA 5, Hatred, Manhunt und RapeLay.Footnote 1 In allen Fällen müssen die Spielenden im Rahmen des Spiels aktiv überaus grausame virtuelle Verbrechen begehen, um im Spielverlauf voranzukommen. Dennoch gehen die verschiedenen Computerspiele nach Ostritsch unterschiedlich mit den ausgelösten moralischen Gefühlen der Spielenden um. GTA5 und Manhunt versuchen zumindest, grausame Gewaltszenen im Nachhinein kritisch zu beleuchten und aufzuarbeiten. Bei Hatred und RapeLay blieben die Spielenden mit ihrem Schrecken allein und würden selbst zu Opfern ihrer Handlungen.

Neben der objektiven Seite von Computerspielen kommt Ostritsch nun auf moralische Gefühle, Überzeugungen und das praktische Urteilsvermögen der Spielenden zu sprechen. Dies bezeichnet er als die subjektive Seite des Computerspiels. Hier bringt er David Hume ins Spiel, aus dessen Sicht bereits die Darstellung von unmoralischen Handlungen und Charakteren in einem Werk ohne angemessene Beurteilung auf der objektiven Seite ausreiche, um auf der subjektiven Seite die gefühlmäßige Zustimmung zu einer Fiktion zu verweigern. Dieser stärkeren These Humes folgt Ostritsch nicht vollumfänglich, zeigt aber am Beispiel des antisemitischen nationalsozialistischen Films Jud Süß auf, dass zumindest die bösartigen Intentionen der Produzierenden eines Werks in uns einen Widerwillen auslösen können, uns vollständig auf ein Werk einzulassen und unsere Vorstellungskraft einzusetzen. In schwächerer Form würden wir diesen Widerwillen auch bei der Hemmung wiederfinden, in die Fotos unserer Liebsten Nadeln einzustecken: Die symbolische Dimension unseres Handelns lässt uns davor zurückschrecken. Dieser Vergleich schlägt die Brücke von Werken zu Computerspielen, in denen die Rezipierenden häufig zu Handelnden werden. Die Frage besteht für Ostritsch nun darin, wie wir als Spielende mit diesem Widerwillen umgehen können. Einerseits können wir uns von den Inhalten eines Spiels distanzieren und eine beobachtende Perspektive einnehmen. Doch ob dann, wenn wir gar nicht am Spiel teilnehmen, überhaupt noch von einem „Spiel“ die Rede sein kann, ist für Ostritsch äußerst fraglich. Die andere Möglichkeit ist die der Verdrängung unserer moralischen Gefühle ergo unseres Widerwillens, insofern er überhaupt als solcher wahrgenommen werden kann. Dadurch würden wir uns auf das glatte Eis des ludischen Amoralismus subjektiver Natur begeben. Ostritsch hält den Rückzug der amoralisch Spielenden für unglaubwürdig, insofern diese einen Widerwillen verspüren bzw. diesen verdrängen. Solch Spielende müssten mit dem Vorwurf leben, in moralisch relevanten Dingen einer Selbsttäuschung zu verfallen. Fraglich bleibt nun, wie die Fälle zu bewerten sind, in denen der Widerwille vollständig fehlt: „Was aber, wenn der imaginative Widerstand überhaupt nicht beseitigt werden muss, weil er gar nicht erst vorliegt?“ (S. 117) Begehen wir ohne jeglichen Abstand – sei es durch Beobachtung oder Verdrängung – eine unmoralische Tat? Einerseits wäre der fehlende Widerwille nach Ostritsch durch eine moralische Identifikation mit den dargestellten grausamen Taten zu erklären: Nicht nur die transportierte Ideologie des Computerspiels ist menschenverachtend, auch die Spielenden geben sich als Menschenhassende zu erkennen. Die Übereinstimmung von Botschaft und Lebensauffassung lässt auf einen unmoralischen Charakter schließen. Die nach Ostritsch zweite Möglichkeit, welche auch häufiger anzutreffen sei, ist, dass wir es mit einem „sittlich unreifen Spieler zu tun haben“ (S. 117), der sich an symbolischen Grenzüberschreitungen und Provokationen ergötzt. Vor allem Jugendliche würden dazu tendieren. Die Identifikation innerhalb der Pubertät und des jungen Erwachsenenalters erklärt sich mit dem Medienwissenschaftler Jochen Venus durch das Souveränitätsgefühl beim Beherrschen medialer Darstellungsformen, welche Eltern und Lehrkräften das Blut in den Adern gefrieren lassen würden. Hier brauche es moralische Vorbilder, die den Pubertierenden klare moralische Grenzen aufzeigen und die menschenverachtenden Botschaften in Spielen wie Hatred als solche benennen. Zusammenfassend widerspricht Ostritsch dem ludischen Amoralismus in doppelter Hinsicht: „Neben der Botschaft oder Weltsicht, die ein Computerspiel vertritt, ist die Attitüde, mit der der Gamer spielt, der zweite relevante Punkt, an dem sich der Amoralismus als falsch erweist.“ (S. 121)

Als nächstes stellt sich Ostritsch denjenigen, die vor sogenannten Killerspielen warnen. Deren These besagt, dass Killerspiele, bei denen virtuelle Gewaltverbrechen im Mittelpunkt stehen, zu realen Verbrechen in der Welt führen würden. Hier wird „ein kausales Verhältnis von Ursache und Wirkung“ (S. 134) unterstellt. Aufgrund dessen sind Killerspiele aus moralischer Sicht verwerflich und sollten zusätzlich auf der Ebene des Rechts verboten werden. Ostritsch widerspricht der Killerspiel-These aus philosophischer und empirischer Richtung. Philosophisch widerspricht er dem der Killerspiele-These zugrundeliegenden Utilitarismus: Hier geht Ostritsch über eine Grundlagenkritik am Utilitarismus nicht hinaus und verweist darauf, dass ‚nützlich‘ oder ‚schädlich‘ nicht mit ‚gut‘ und ‚schlecht‘ im moralischen Sinne verwechselt werden dürfen. Mit Elizabeth Anscombe bezeichnet er den Utilitarismus als eine „seichte Philosophie“ (S. 134). Doch selbst wenn der Utilitarismus eine vollwertige und überzeugende ethische Theorie wäre, so Ostritsch, „ist die Killerspiele-These […] zum Scheitern verurteilt, und zwar aus empirischen Gründen“ (S. 138). Hier kritisiert Ostritsch drei empirische Studien, welche unter methodischen und begrifflichen Mängeln leiden würden. Die Killerspiel-These würde nicht nur auf einer Verwechslung von Korrelation und Kausalität beruhen, indem sie aggressives Verhalten von Spielern auf deren Computerspielverhalten zurückführe; auch die Studien, die Korrelation nachzuweisen versuchen, wären durch methodische Mängel gekennzeichnet. Ostritsch scheint hier den empirisch Gestimmten aus seiner Gaming-Community entgegenkommen zu wollen, verstrickt sich jedoch selbst in Widersprüche, indem er nur ältere Studien kritisiert und gleichzeitig eingesteht, dass es neuere Studien gibt, die zu anderen Ergebnissen kommen würden. Abschließend stellt er fest, dass die wissenschaftliche Diskussion um die Frage kreise, ob Gewalt in Computerspielen gar keine Auswirkungen habe oder ob die Auswirkungen so minimal seien, dass sie ohnehin nicht zu Gewalt in der realen Welt führen: Einen eindeutig belegbaren empirischen Zusammenhang von Gewalt in Computerspielen und Gewalt in der realen Welt kann Ostritsch nicht erkennen.

Ostritsch geht nun zum deontologischen Blick auf Computerspiele über und rüstet dazu seine Lesenden zunächst skizzenhaft mit Erläuterungen der kantischen Begriffe Moral, Vernunft, Autonomie und Würde aus. Dabei zeigt er überzeugend auf, dass exzessives Computerspielen eine moralische Pflichtverletzung darstellt, nämlich eine Verletzung der Pflicht gegenüber sich selbst, etwas aus seinem Leben zu machen und nicht den ganzen Tag vor dem Computer zu versacken, wodurch die körperlichen und geistigen Begabungen eines Menschen nicht vollends zur Blüte kämen. Das Spielen von Computerspielen könne bis zur krankhaften Abhängigkeit führen, ganz unabhängig vom konkreten Inhalt eines Computerspiels: Die Pflicht, nicht zu verwahrlosen, gelte für Killerspiele in gleicher Weise wie für Tetris. Ostritsch geht nun erneut auf die Darstellung von Gewalt und Brutalität in Computerspielen ein und versucht dabei, Kants Verbot der Tierquälerei analog auf Computerspiele zu übertragen: Auch hier sind die Pflichten des Menschen gegenüber sich selbst von Bedeutung, nämlich im Umgang mit Tieren das Mitgefühl nicht abstumpfen zu lassen, das im Umgang mit anderen Menschen von Bedeutung sein wird. Grausamkeit und Brutalität gegenüber Tieren in der realen Welt oder analog als virtuelle Handlungen im Computerspiel könnten nach Ostritsch mit Kant als unmoralisch bezeichnet werden. Deontologisch ebenfalls einschlägig sind Ostritschs Überlegungen zur Würde des Menschen in Computerspielen. Bedeutend ist hier in erster Linie das Zusammenspiel mehrerer Menschen in Mehrspielermodi wie Online Games. Wir sind aus deontologischer Perspektive angehalten, unsere Mitspielenden zu achten, sie nicht zu beleidigen und, wie an einem verstörenden Beispiel gezeigt, an ihnen bzw. ihren virtuellen Repräsentationen in der Form von Avataren keine (sexuellen) Gewalthandlungen vorzunehmen. Der Avatar, also die digitale Repräsentation eines Menschen, ist nach Ostritsch als eine Erweiterung einer realen Person zu sehen und fällt deshalb auch unter den moralischen Schutzbereich der Würde des Menschen.

4 Kapitel III + Bonuslevel

Ostritsch geht über die moralphilosophischen Überlegungen innerhalb seiner Ethik des Computerspiels hinaus, indem er sich im dritten Kapitel explizit den Fragen des guten Lebens zuwendet. Hierfür präsentiert er den Lesenden eine skizzenhafte Darstellung der aristotelischen Tugendethik, welche sich sicherlich nicht an ein akademisches Publikum richtet, sondern den philosophischen Laien mit einigen Besonderheiten der Tugendethik vertraut machen soll. Darauf aufbauend entwirft er das Bild eines tugendhaften Computerspielers. Diesen zeichne aus, dass er das gesunde Maß an Gaming in seinem Leben findet, das ihn die nicht-spielerischen Bereiche seines Lebens nicht vernachlässigen lässt. Jegliche Maßlosigkeit ist dem tugendhaften Computerspieler fremd. Die Verstandestugend der Klugheit erfüllt beim tugendhaften Computerspieler eine doppelte Funktion. Einerseits ist sie handlungsleitend bei der Entscheidung, wie lange man was mit wem spielt; andererseits bewirke sie, „eine konkrete Spielsituation als Spiel gelingen zu lassen“ (S. 169). Bekannte Beispiele unkluger Spieler aus unserem Alltag sind Menschen, die ein Spiel zu ernst nehmen oder denen jegliche Ernsthaftigkeit beim Spielen fehlt. Dem klugen Computerspieler sind die Tugenden des gesunden Ehrgeizes, der erkundungsfreudigen Neugier, des fairen Sportgeists und der Geselligkeit vertraut, er wird als Verbündeter und Gegner gleichermaßen geschätzt. Dass Geselligkeit im Zusammenhang mit Computerspielen eine so große Bedeutung hat, ergibt sich aus dem Umstand, dass Mehrspielercomputerspiele am beliebtesten sind und zunehmend das Marktgeschehen bestimmen. Menschen begegnen sich Online in digitalen Welten wie bei World of Warcraft und pflegen Beziehungen zu anderen Mitspielenden, indem sie sich in Gilden, Teams oder Clans organisieren und ihr Online-Leben gemeinsam strukturieren. In der tugendethischen Tradition hat die Freundschaft eine besondere Stellung inne, woraus sich die Frage ergibt, inwiefern Freundschaft in der Online Gaming-Welt möglich ist. Ostritsch bleibt hier eher skeptisch. Grundsätzlich könne es so etwas wie Online-Freundschaft geben; fraglich bleibe aber, ob dies mit den herkömmlichen Freundschaften gleichzusetzen wäre, was nicht bedeutet, dass Computerspielfreundschaften gar keinen Wert hätten: Auch in Brieffreundschaften könnten intensive Beziehungen entstehen, ohne dabei auf physische Nähe angewiesen zu sein.

Abschließend bezieht sich der Autor im Rahmen seiner tugendethischen Überlegungen erneut auf Hume. Er teilt dessen Besorgnis über die Beschädigung unseres Charakters durch den unkritischen Umgang mit Kulturgütern, die zweifelhafte moralische Verhaltensweisen zur Schau stellen, ohne diese zu verurteilen. Ostritsch vermutet, dass Hume seine Sorge, die er mit Blick auf Literatur ausgedrückt hat, der wir als Lesende eher passiv gegenüberstehen, im Zusammenhang mit Computerspielen umso mehr geäußert hätte: „Denn beim Computerspiel sind wir nicht nur durch unsere Imagination aktiv, sondern wir handeln auch in den fiktiven Welten, die uns die Games präsentieren. Üben wir dann durch unser Handeln in Spielen nicht auch bestimmte Haltungen ein – und möglicherweise gerade die falschen?“ (S. 176) Wenngleich der tugendhafte Computerspieler seine wünschenswerten Charakterdispositionen im Rahmen des Computerspielens einübt und sie zu seinen eigenen Tugenden macht, könnte er diese durch das Computerspielen auch wieder verlieren. Computerspielen könne demnach auch einen lasterhaften Charakter zur Folge haben. Als Beispiel zieht Ostritsch fiktive Gewalt in Computerspielen heran. Dabei würden tugendethische Perspektiven Gewalt nicht per se ablehnen; vielmehr wäre maßlose und exzessive Gewalt im Sinne von Brutalität etwas Untugendhaftes. Mit Aristoteles entgegnet Ostritsch dem Ruf nach einem Verbot von exzessiver Gewalt und Brutalität in Computerspielen, dass diese unter Umständen auch einen reinigenden Charakter aufweisen könnten. Die Nachahmung von Affekten beim Schauen eines Schauspiels habe, so Aristoteles, eine kathartische Wirkung, könne die Seele befreien und in Richtung des guten Lebens leiten. Computerspiele könnten nun nach Ostritsch analog als Ventile für angestaute Wut und andere belastende Gefühle nützlich sein. Dadurch würden wir extreme Affekte im Rahmen einer Fiktion ausleben, ohne gleichzeitig ein lasterhaftes Verhalten einzuüben.

Nun verlässt Ostritsch seine primär individualethischen Überlegungen und begibt sich auf das Feld der politischen Philosophie des Computerspielens. Hierfür bezieht er sich auf Antonio Gramsci und dessen Konzept der kulturellen Hegemonie. Der italienische Marxist würde nicht nur auf Seiten der zeitgenössischen Linken eifrig gelesen und rezipiert, vielmehr habe auch die Neue Rechte verstanden, wie bedeutend die metapolitische Ebene von Filmen, Kunst und Literatur für die Änderung der Politik sei: Wer die metapolitische Ebene der Kultur beherrsche, werde langfristig auch die Politik beherrschen. Aus Ostritschs Sicht ist das Konzept der kulturellen Hegemonie in Zeiten der Massenmedien des 21. Jahrhunderts umso bedeutender. Dazu zählt er unbedingt auch Computerspiele. Anhand verschiedener aktueller Debatten um Feminismus, Gender und Homosexualität in der Welt der Computerspiele will Ostritsch die Kämpfe um metapolitische Deutungshoheit zwischen sich nicht unbedingt freundlich gesinnten Lagern aufzeigen, welche er als Beleg für die metapolitische Bedeutung von Computerspielen interpretiert. Auch rechtsradikale Gruppen wie die Identitäre Bewegung hätten ihren Gramsci gelesen: Das gut gewählte Beispiel des rechtsradikalen Computerspiels Heimat Defender, bei dem die Spielenden selbst in die Rolle von bekannten Vertretern der Neuen Rechten schlüpfen dürfen und als Björn Höcke oder Martin Sellner gegen queere Menschen kämpfen, belegt überzeugend die Bedeutung der Entwicklung von Computerspielen als metapolitisches Betätigungsfeld.

Am Ende des Buches widmet sich Ostritsch zwei aktuellen Phänomenen aus der Welt der Computerspiele: Gamification und Virtual Reality. Während er Gamification im Sinne Harry Frankfurts als Bullshit bezeichnet und eine gamifizierte Welt ablehnt, sieht er drohenden Untergangsszenarien im Zusammenhang mit Virtual Reality (VR) eher gelassen entgegen. Zunächst bekräftigt er, dass Virtual Reality keine ethischen Fragen neuer Qualität aufwerfen würde, da sich die Verschmelzung von Realität und virtueller Fiktion (Immersion) lediglich auf der Ebene unserer Wahrnehmung vollziehe. Zudem sei eine komplette Verschmelzung von Realität und virtueller Fiktion, die er mit dem französischen Philosophen Jean Baudrillard als „Hyperrealität“ (S. 213) bezeichnet, vom Standpunkt seiner Ethik des Computerspiels aus kein wünschenswertes Szenario: Durch die vollendete Vereinigung von Computerspielwelt und realer Welt würde das Computerspiel als Kulturgut seine Bedeutung verlieren: „Denn wertvoll sind Computerspiele nicht als Kopie der Realität, sondern gerade als künstliche – und manchmal sogar künstlerische – Experimentierfelder für das, was wir, die sowohl die Forderungen der Moral als auch die Sehnsucht nach Glückseligkeit in uns vorfinden, tun und sein können“ (S. 214).

5 Abschließende Würdigung

Mit seiner „Ethik des Computerspiels“ eröffnet der Autor einem philosophisch-ethisch interessierten Publikum den Blick auf Computerspiele; gleichzeitig rückt er ethische Fragen in den Mittelpunkt der Gaming-Welt. Öffentliche Debatten über Computerspiele und ihre Auswirkungen auf Individuum und Gesellschaft sind den meisten geläufig: Das Wort Killerspiele hat einen fest zugewiesenen Platz in der empörten Öffentlichkeit. Ostritsch bewegt sich mit seinem Buch zunächst weg von diesen Debatten und lenkt den philosophisch-interessierten Blick seiner Lesenden auf ontologische Fragen des Spiels, um dann im Rahmen seiner Ethik des Computerspiels Grundlagen für eine ethisch fundierte öffentliche Debatte zu legen, die sich fernab von Pauschalurteilen und Verboten durch differenzierte Einzelfallbetrachtungen auszeichnet und das Computerspiel als Kulturgut neben Filmen, Musik und Theaterstücken einreiht. Besonders überzeugend ist Ostritschs Entscheidung für einen ethischen Pluralismus, welcher sich aus pragmatischer Sicht für ethische Debatten im öffentlichen Diskurs eignet, indem moralphilosophische und tugendethische Überlegungen gleichermaßen zur Geltung kommen. In diesem Sinne kann sein Buch als ein tauglicher Versuch einer Public Philosophy gedeutet werden, die Philosophie für die Öffentlichkeit zugänglich macht, ohne sie unseriös erscheinen zu lassen. Die Bezeichnung des Computerspiels als Kunstform und Gegenstand ethischer Reflexion hat durch Ostritschs Versuch einer Ethik von Computerspielen an Relevanz gewonnen. Die Versöhnung der Welt der Hochkultur mit der Welt des Computerspiels kann als ein zentrales Grundmotiv des Hegelianers Ostritsch gedeutet werden. Der Schritt von der Wahrnehmung des Computerspiels als bloßen Zeitvertreibs hin zu dessen Anerkennung als Kunst- und Kulturgut ist überfällig; Ostritsch leitet ihn mit seinem Buch für die Öffentlichkeit ein. Er betreibt im hegelschen Sinne den Nachweis der Vernunft im Computerspiel: Im Rahmen von Computerspielen können wir tugendhaftes Verhalten erlernen und den Gebrauch der praktischen Vernunft reflektieren. Kurz: Wir können durch das Computerspielen zu besseren Menschen werden. In Ostritschs Buch werden Philosophie und Gaming-Welt zum gemeinsamen Spielen eingeladen. Fraglich bleibt nur, ob sie den Koop-Modus wählen. Ostritschs Aufschlag kann jedenfalls als Aufforderung an die Öffentlichkeit interpretiert werden, das nächste Level in dieser Auseinandersetzung zu erreichen.