1 Einleitung

Prozesse der Digitalisierung sind konstitutiv mit der aktuellen Gesellschaft verbunden und führen dazu, dass ‚Digitalität‘ – verstanden als Zustand der aktuellen Gesellschaft (vgl. Hauck-Thum & Noller 2021) – Bedingungen des Aufwachsens, Lehrens und Lernens beeinflusst. Unter dieser Perspektive ist die Auseinandersetzung mit technologischen, gesellschaftlich-kulturellen sowie anwendungsbezogenen Implikationen der Digitalisierung gesamtgesellschaftlich notwendig. Dies gilt in besonderem Maße für die Schule als Ort formaler Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen (u. a. van Ackeren et al. 2019). Damit werden zunehmend Fragen nach der Professionalisierung von (angehenden) Lehrpersonen virulent und die Entwicklung medienpädagogischer Kompetenzen ein notwendiger Bestandteil des Professionalisierungsdiskurses (nicht nur) der Medienpädagogik in der Lehrer*innenbildung (z. B. Imort und Niesyto 2014; Tulodziecki und Blömeke 1997). Denn damit digitalisierungsbezogene Implikationen in Schule adressiert werden können, „benötigen Lehrkräfte eine für Veränderungen und Innovationen, aber auch für Ungewissheit offene Haltung und Kompetenzen, die nicht nur auf bestehende Wissensbestände, sondern auf reflektierte Flexibilität setzen“ (van Ackeren et al. 2019, S. 4, Herv.i. O.). So verwundert es nicht, dass schon seit Jahrzehnten eine flächendeckende Verankerung medienpädagogischer (und zunehmend auch informatischer) Themen innerhalb der Lehrer*innenbildung sowohl von Seiten der (Bildungs‑)Wissenschaft wie auch der Bildungspolitik vehement gefordert werden (u. a. Blömeke 2000; Herzig und Grafe 2007; Kammerl und Ostermann 2010; Tulodziecki 2011) – auch im Sinne einer Grundbildung für pädagogisches Personal (KBoM 2019Footnote 1; Orientierungsrahmen Medienpädagogik der DGfEFootnote 2; Sander et al. 2022). Schon 2012 hob beispielsweise die Kultusministerkonferenz (KMK) mit dem Beschluss „Medienbildung in der Schule“ den Qualifizierungsanspruch aller Lehrpersonen hervor (KMK 2012): So wird konstatiert, dass (angehende) Lehrpersonen selbst über Medienkompetenzen verfügen und medienpädagogische Fähigkeiten erwerben müssen, um digitale Medien als Werkzeuge didaktisch sinnvoll in ihren Fachunterricht zu integrieren. Weiterhin sollte sie in der Lage sein, die Lernenden zu einem reflektierten und kritischen Umgang mit Medien zu befähigen (vgl. ebd., S. 7). Lehrpersonen müssten folglich dazu befähigt werden, „Kompetenzen für eine zielgerichtete Orientierungs- und Handlungsfähigkeit der Schüler*innen in der digital geprägten Gesellschaft zu fördern“ (van Ackeren et al. 2019, S. 4, Herv.i. O.), aber auch das Aufwachsen von Schüler*innen in der jeweils aktuellen Gesellschaft zu begleiten.

Folglich besteht auch ein Anspruch an die gesamte Lehrer*innenbildung, (angehenden) Lehrpersonen ebensolche Kompetenzen zu vermitteln und digitalisierungsbezogene Themen verstärkt zu adressieren, aber auch informelle Lernprozesse stärker aufzunehmen. Dabei ist eine Umsetzung trotz bildungspolitischer Forderungen herausfordernd, denn das Feld der Lehrer*innenbildung ist in Deutschland aufgrund der besonderen Struktur dispers und in den Anforderungen vielfältig (Pasternack et al. 2017; Terhart 2011): Dem Hochschulstudium mit meist zwei Fächern und einem bildungswissenschaftlichen Teil folgt die Phase des Vorbereitungsdienstes bzw. des Referendariats sowie die Phase des Berufseinstiegs mit der Fort- und Weiterbildung. Jede dieser Phasen hat eigene Aufgaben und Ziele: „Während die erste Phase eine wissenschaftliche Basis für die Professionalisierung mit Blick auf das Berufsfeld schafft, zielt die zweite Phase darauf, unmittelbare berufliche Handlungskompetenz und erste Routinisierung auf Basis der erlangten Kenntnisse im Studium zu erarbeiten und einzuüben“ (Pasternack et al. 2017, S. 21). Somit sind unterschiedliche Institutionen an der Lehrer*innenbildung beteiligt. Insbesondere die Hochschullehre in der ersten Phase bewegt sich dabei in einem polyvalenten Feld mit divergenten Anforderungen (Rhein 2010): zwischen Wissenschaft als Institution und Hochschule als Organisation sowie darüber hinaus dem Studium als Aneignung von Wissenschaft sowie Handlungs- und Tätigkeitsfeldern. Dieses Relationsgefüge ist auch für die Gestaltung von Studiengängen, insbesondere von professionsorientierten Studiengängen wie in der Lehrer*innenbildung virulent, ist doch hier das Verhältnis zwischen Wissenschaft, Studium und (Berufs‑)Praxis besonders spannungsvoll (u. a. Cramer 2014), insbesondere mit Blick auf die (medienpädagogische) Professionalisierung von Lehramtsstudierenden. Lehrer*innenbildung ist damit immer eine anspruchsvolle Querschnittsaufgabe, sowohl in Hochschulen zwischen unterschiedlichen Fachbereichen als auch in der Lehrer*innenbildungskette zwischen unterschiedlichen Institutionen (u. a. Eickelmann et al. 2016). Eine medienpädagogische Professionalisierung von (angehenden) Lehrpersonen ist demnach sowohl in der Gestaltung als auch der empirischen Adressierung komplex.

2 Stand der Forschung

Bei Betrachtung des Forschungsstandes zur medienpädagogischen Professionalisierung von (angehenden) Lehrpersonen wird deutlich, dass in bisherigen Forschungsarbeiten eine Breite empirischer Zugänge zum Themengebiet sichtbar wird. Zudem fokussieren bisherige Arbeiten unterschiedliche Ebenen, indem einerseits einzelne Phasen der Lehrer*innenbildung adressiert werden, andererseits auf Ebene der (angehenden) Lehrpersonen Kompetenzen und Mediennutzungsverhalten untersucht werden: So lassen sich in Forschungsarbeiten empirische Hinweise darauf finden, dass es immer noch eine zu wenig verbindliche und flächendeckende Verankerung des Themenfeldes in Form von Curricula oder, bezogen auf die universitäre Lehrer*innenbildung, in Modulhandbüchern gibt (Bernholt et al. 2023; Brinkmann et al. 2018; Mau 2016; Schiefner-Rohs 2012a; für eine empirische Bestätigung der Heterogenität der Verankerung digitaler Medien in der Lehrer*innenbildung siehe Eickelmann et al. 2016). Oftmals existieren stattdessen zuvorderst freiwillige (Zusatz‑)Angebote bzw. Schwerpunktsetzungen oder Zertifikat(-studiengäng)e (Brinkmann et al. 2018; Herzig et al. 2014). Insgesamt lässt sich bundesländervergleichend eine uneinheitliche Angebotsstruktur festhalten (Breiter et al. 2010; Brinkmann et al. 2018). Gleichzeitig ist ausgehend von Erkenntnissen der Hochschulforschung offensichtlich, dass eine alleinige curriculare Integration digitaler Medien nicht zwangsläufig zu einer Nutzung im Studien- und Schulalltag führt (u. a. Schiefner-Rohs 2012b). So liegen auch empirische Befunde vor, die die Relevanz der emotionalen Beteiligung von Studierenden an entsprechenden Professionalisierungsangeboten sowie die wahrgenommene inhaltliche Relevanz für die Akzeptanz und den Wissenserwerb und damit auch den Erfolg solcher Angebote betonen (Arnold et al. 2013). In den Fokus rücken in diesem Kontext damit auch Studien, die sich angehenden Lehrpersonen selbst zuwenden. Hier lassen sich zuvorderst Studien finden, die (Medien‑) Kompetenzentwicklung auf der einen Seite und die Nutzung digitaler Medien durch Studierende auf der anderen fokussieren. Empirisch wird der medienpädagogische Kompetenzerwerb dabei meist durch (quantitative) Befragungen von Lehramtsstudierenden und/oder Lehrpersonen (Eickelmann et al. 2016; Gerke und Wegner 2022; Johnson und Koßmann 2022; Rubach und Lazarides 2019, 2021; Senkbeil et al. 2021; Sgolik et al. 2021; Zimmermann 2022), durch die Erfasung von Lernangeboten (Drossel et al. 2020; Mau 2016; van Ackeren et al. 2019) oder durch die Erhebung des Mediennutzungsverhaltens (Kleimann et al. 2008; Schmid et al. 2017; Zawacki-Richter 2015) in den Blick genommen. So kommen insbesondere letztgenannte Studien im Hochschulbereich immer wieder zum Ergebnis, dass sich Lehramtsstudierende im Vergleich zu Studierenden anderer Fächer unterscheiden und wenig medienaffin seien bzw. an digitalen Medien wenig Interesse haben (Besa et al. 2021). Aber auch qualitativ orientierte Arbeiten, zum Beispiel rund um den medienbezogenen Habitus (u. a. Dertinger 2019; Kommer und Biermann 2012), weisen auf eine besondere Notwendigkeit der Adressierung hin. Denn die Ergebnisse des Länderindikators 2016 (Eickelmann et al. 2016) zeigen nicht zuletzt, dass sich 86 % der befragten Lehrpersonen „fast unisono – und ohne signifikante Mittelwertunterschiede hinsichtlich des Geschlechts oder Alters“ (ebd., S. 162) eine stärkere Vorbereitung auf den Einsatz digitaler Medien im Unterricht sowohl in erster wie auch zweiter Phase der Lehrer*innenbildung wünschen. Hiervon ausgehend konstatieren die Autor*innen einen erheblichen Entwicklungsbedarf in der Lehrer*innenbildung und verweisen auf einen verstärkten Handlungsbedarf hinsichtlich der Vorbereitung von Lehrpersonen auf digitalisierungsbezogene Anforderungen und den Einsatz digitaler Medien (vgl. ebd.).

Bei der Betrachtung vieler Studien muss jedoch festgehalten werden, dass Mediennutzung von (angehenden) Lehrpersonen meist in Form von Häufigkeit, Art und Dauer erhoben wird. Dieses methodische Vorgehen blendet jedoch aus, dass in Zeiten einer tiefgreifenden Mediatisierung der Gesellschaft (u. a. Couldry und Hepp 2023) und einem damit zusammenhängenden Zustand eines ‚always on‘ reine Zeiten der Nutzung von Medien kaum noch klar zu bestimmen sind. Weiterhin lassen Auskünfte über Nutzungshäufigkeiten explizite Handlungen und Motive der (Nicht‑)Nutzung von digitalen Medien meist unberücksichtigt. Wie sich der Umgang von Studierenden beispielsweise mit digitalen Medien in ihrem Studium genau gestaltet bzw. welche Motive der Nutzung vorliegen, wird so nur marginal erfasst. Es fehlen damit Perspektiven, die (diskursive und körperliche) medienbasierte Praktiken im Lehramtsstudium in den Blick nehmen, oder Erfahrungen von Studierenden aufnehmen, wie digitale Medien bisher im Studium thematisch werden. Ohne diese Perspektivierung bleibt fraglich, wie digitale Medien ins Studium integriert werden sollten, so dass es aus Perspektive der Studierenden an eigene Praktiken anbindbar ist.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Auseinandersetzung mit digitalen Medien sowie der Erwerb medienpädagogischer Kompetenzen insbesondere für (angehende) Lehrpersonen essentiell ist und forschungsseitig entweder über eine operationalisierte Nutzung von Medien und damit zusammenhängender Kompetenzen oder über eine curriculare Steuerung zu erfassen versucht wird. Gleichzeitig liegen bislang kaum empirische Befunde von Studierenden vor, die über (Selbsteinschätzungen von) Mediennutzungszeiten und/oder Kompetenzen hinausgehen und bspw. Motive für die Nutzung digitaler Medien und deren Stellenwert aus Perspektive von Studierenden im Studienalltag beleuchten. Das macht neben den strukturellen Schwierigkeiten des Lehramts (Stichworte: Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaften) die Gestaltung einer medienpädagogischen Professionalisierung im Lehramtsstudium herausfordernd. Damit eine entsprechende medienpädagogische Professionalisierung im Studium gelingen kann, bedarf es daher auch empirischer Erkenntnisse über studentische Praktiken in und mit digitalen Medien. Daher legt der vorliegende Beitrag ein Augenmerk auf die Erfahrungen von Studierenden selbst. Fokussiert werden folglich Handlungspraktiken und Motive von Lehramtsstudierenden im Umgang mit digitalen Medien als Teil ihres studentischen Alltags. Dabei erfolgt eine empirische Betrachtung verschiedener Perspektiven von Lehramtsstudierenden, um den folgenden erkenntnisleitenden Fragestellungen nachzugehen:

  1. 1.

    Welche (diskursiven) Handlungspraktiken von Lehramtsstudierenden im Umgang mit digitalen Medien können mit Bezug auf ihr Studium identifiziert werden?

  2. 2.

    Welche Nutzungsmotive und Gründe für die (Nicht‑)Nutzung digitaler Medien durch Lehramtsstudierende zeigen sich hierbei?

Ausgehend von diesen Fragen werden im Anschluss daran (hochschuldidaktische) Implikationen erörtert und diskutiert, wie zukünftige Lehrpersonen auf die erfolgreiche Nutzung digitaler Medien in der ersten Phase der Lehrer*innenbildung (besser) vorbereitet werden können.

3 Empirisches Vorgehen

Für die Untersuchung von Praktiken und Nutzungsmotiven digitaler Medien durch Lehramtsstudierende im Rahmen ihres Studiums wurde im zugrundeliegenden ForschungsprojektFootnote 3 ein qualitativ-rekonstruierender Zugang gewählt. Im Folgenden wird zunächst auf die Datenerhebung mittels Gruppendiskussionen eingegangen (Kapitel 3.1), bevor anschließend die Analyse der Daten erläutert wird (Kapitel 3.2). Die Ergebnisse der Analysen werden in Kapitel 4 vorgestellt, bevor damit einhergehende Implikationen für die universitäre Lehrer*innenbildung Gegenstand von Kapitel 5 sind. Kapitel 6 fasst abschließend die Erkenntnisse zusammen und weist auf Limitationen und Forschungsdesiderate hin.

3.1 Erhebung: Gruppendiskussionen (nicht nur) mit Lehramtsstudierenden

Für die Untersuchung studentischer Nutzungsmotive bzw. Gründe einer Nicht-Nutzung digitaler Medien wurden im Jahr 2018 an insgesamt sechs Universitäten Gruppendiskussionen mit Studierenden umgesetzt. An jeder der acht Gruppendiskussionen, welche durchschnittlich zwischen 65 und 110 min dauerten, waren fünf bzw. sechs Studierende zwischen dem dritten und sechsten Bachelorsemester verschiedener Fächer beteiligt. Als Diskussionsimpuls wurden die Studierenden darum gebeten, Kommiliton*innen im ersten Semester zu erklären, worauf es in ihrem Studium ankommeFootnote 4. Dieser Stimulus erwies sich aufgrund seiner Offenheit einerseits als erzählgenerierend sowie andererseits als hilfreich für eine Offenlegung eigener Relevanzsetzungen und Orientierungen innerhalb des Diskurses (Hofhues et al. 2020). Dabei wurden digitale Medien und deren (Nicht‑)Nutzung bewusst nicht zu Beginn als Thematik durch die Forschenden eingeführt, sondern als Form der Relevanzsetzung von den Studierenden selbst in die Diskussion eingebrachtFootnote 5. Für die weitere Strukturierung der Gruppendiskussionen wurden die Beiträge der Studierenden im Verlauf der Diskussionen um einen thematischen Fragenblock zum Medieneinsatz von Lehrenden und Studierenden ergänzt (Becker et al. 2020). Hierbei wurden je nach inhaltlicher Entwicklung der Gruppendiskussionen explizierende Nachfragen (z. B. zur Medienart, Nutzungsweise) gestellt. Die Gruppendiskussionen wurden auditiv aufgezeichnet sowie anschließend nach den TiQ-RegelnFootnote 6 (Bohnsack 2014) transkribiert, wobei personenbezogene Angaben pseudonymisiert wurden.

3.2 Analyse: Rekonstruktion studentischer Praktiken und (Nicht‑)Nutzung

Für die Auswertung der Daten wurde ein zweischrittiges Vorgehen gewählt: Zunächst erfolgte eine umfangreiche Auswertung aller Transkripte im Forschungsprojekt mittels dokumentarischer Methode (Bohnsack 2011, 2014; Nohl 2013). Fokussiert wurde hierbei die Rekonstruktion des der „Praxis zugrundeliegende[n] habitualisierte[n] und z. T. inkorporierte[n] Orientierungswissen[s]“ (Bohnsack 2011, S. 40). Orientierungen stellen in diesem Kontext „Sinnmuster [dar], die unterschiedliche (einzelne) Handlungen strukturieren und hervorbringen“ (Przyborski 2004, S. 55; Ergänzung durch die Autorinnen). Im Zuge der Analysen wurden vor allem gemeinsame Orientierungen und damit kollektive Erfahrungen und Wissenszusammenhänge aller Studierender fokussiert. Es konnte dabei gezeigt werden, dass sich studentische Orientierungen weitgehend gleichen: So wurden unter der Perspektive des ‚Meisterns des Studiums‘ zentrale Orientierungen ‚Wissensorganisation‘, ‚Vernetzung‘ und ‚Serviceorientierung‘ sowie die Orientierung ‚Digitalisierung als studentische Selbstverständlichkeit‘ rekonstruiert (siehe ausführlich: Becker et al. 2020; Hofhues et al. 2020).

Ausgehend von diesen Analysen wurde für die Betrachtung studentischer Handlungspraktiken im Umgang mit digitalen Medien eine zweite Analyse des Datenmaterials mit Fokus auf das Lehramt angeschlossen, die in diesem Artikel ausgeführt werden. Im Rahmen dieser Auswertungsphase erfolgte eine (Re‑)Analyse des Materials der Lehramtsstudierenden an der Technischen Universität Kaiserslautern sowie der Eberhard Karls Universität Tübingen in Bezug auf praxistheoretische Perspektiven (zur Praxistheorie siehe: Reckwitz 2003; Schatzki 1996; Schatzki et al. 2001). Hierbei handelten es sich um drei der oben genannten Gruppendiskussionen mit einer durchschnittlichen Länge von 45 bis 69 min, an welchen ebenfalls jeweils fünf bzw. sechs Lehramtsstudierende (N = 17; m = 11; w = 6) zwischen dem dritten und sechsten Bachelorsemester teilnahmen. Entsprechend wurden die Transkripte dieser drei Gruppendiskussionen für die zweite Analysephase als Datenmaterial herangezogen. Fokussiert wurden Praktiken (Schatzki 1996, S. 89), die von den Studierenden in den Gruppensituationen diskursiv zur Darstellung und Verhandlung gebracht wurden. Praktiken als Know-How erhalten für die Akteur*innen einen Sinn, geben an, was – in den Augen von Lehramtsstudierenden beim Studieren – wie sinnvoll gemacht wird. Für die Analyse dieser Praktiken wurden die Gruppendiskussionen der Lehramtsstudierenden in einem ersten Schritt offen kodiert. Ähnliche Codes wurden in einem zweiten Schritt zu Kategorien gebündelt und von uns als soziale Praktiken in Verbindung mit digitalen Medien interpretiert. Im Folgenden werden den erkenntnisleitenden Fragestellungen folgend zuvorderst die Ergebnisse der zweiten Analyse im Fokus stehen, wenngleich Bezüge und Interdependenzen der Befunde beider Auswertungsphasen aufgeführt und diskutiert werden.

4 Ergebnisse: Studentische Perspektiven auf und Handlungspraktiken im Umgang mit digitalen Medien im Lehramtsstudium

Im Rahmen der Analyse der Gruppendiskussionen unter praxistheoretischer Perspektive konnten unterschiedliche diskursiv zur Darstellung gebrachte studentische Praktiken in Verbindung mit digitalen Medien rekonstruiert werden:

  1. 1.

    Praktiken des Organisierens des (Studien‑)Alltags

  2. 2.

    Praktiken des kollaborativen Arbeitens

  3. 3.

    Didaktisch induzierte Praktiken

Im Folgenden werden diese Praktiken mit den darin aufscheinenden Nutzungsmotiven vorgestellt, bevor abschließend auch rekonstruierte Gründe einer Nicht-Nutzung digitaler Medien ausgeführt werden. Eine Einordnung und Diskussion erfolgen in Kapitel 5 des Artikels.

4.1 Praktiken des Organisierens des (Studien‑)Alltags

In den Diskussionen der Lehramtsstudierenden ließen sich unterschiedliche Hinweise auf mediale Praktiken im (Lehramts‑)Studium identifizieren, wobei es sich bei den im Datenmaterial am dominantesten diskursiv dargelegten studentischen Praktiken um jene des Organisierens des (Studien‑)Alltags handelten. Dabei wurde in allen Gruppendiskussionen deutlich, dass digitale Medien vor allem unter der Perspektive der Organisation des Studiums als notwendiges Hilfsmittel für Studierende von Relevanz sind. Denn ein Studium, so stellen die Studierenden heraus, ist ohne digitale Medien kaum mehr denkbar. Ohne Laptop, „da hätte man fast gar nicht mehr ordentlich weiter studieren können“ (04, 640–647), „Ef: Das ging überhaupt nicht.“ Am: └ Ne ohne Laptop┘Ef: Du bist total angewiesen auf Internetzugriff“ (04, 648–650). So fungierte „ne verzweifelte Suche im Internet nach irgendwelchen Tipps und Tricks für Erstsemester“ (03, 168–169) geradezu als Rettung für den Einstieg in das Studium. Augenscheinlich wird hierbei, dass eine Nutzung digitaler Medien aufgrund von Abhängigkeiten geschieht, weil „das liegt aber auch wirklich an der äh Sache, dass es halt alles online zu lösen ist an der Uni mittlerweile“.° Dm: „ja. das ist einfach die Struktur schon“ (03, 216–218). Digitale Medien avancieren zu einem essentiellen Hilfsmittel für die Bewältigung des Studiums . Dabei werden sie oftmals in Bezug zu bisherigen, z. T. auch schulischen Praktiken, gesetzt: „So wie du das mit dem Ordner gemacht hast, haben wir halt Dropbox benutzt“ (04, 632), erklären sich die Studierenden untereinander. In diesem Kontext stellte sich als eine Dimension dieser Praktiken vor allem jene einer Informationsbeschaffung herausgestellt.

Digitale Medien werden dabei einerseits genutzt, um allgemeine Informationen zum Studium, bspw. aus Modulhandbüchern, Vorlesungsverzeichnissen oder auch Zitierregeln zu beziehen. Eine besondere Bedeutung haben hierbei, und dies zeigte sich in den Gruppendiskussionen wiederkehrend, die „Organisationsplattform[en]“ (01, 264) der jeweiligen Universität und Fachrichtung erfahren:

Am: „Was ich gerade in den Bildungswissenschaften auch einen Vorteil finde ist das <LMS1>-System also ich finde das wirklich gut dass du da auf Kurse drückst und aufgelistet deine ganzen Kurse stehen dann kannst du auf den Kurs draufklicken da sind dann die ganzen Materialien die der Prof hochlädt meistens halt wenn die PDF (2) Vorlesungsfolien“ (04, 233–257)

In diesem Kontext diskutierten die Studierenden auch über Verknüpfungen verschiedener Applikationen und Medien, die es ermöglichen, zeit- und ortsübergreifend Gedanken und Termine festzuhalten und somit auch das Studium zu organisieren. Digitale Medien werden damit auch zum Teil mobiler Organisationspraktiken (01, 235–242 // 281–286) und verbinden unterschiedliche Kontexte studentischen Alltags:

Ff: „Und ich hab auch=n Kalender auf=m PC. weil den kann ich mit meinem Handy verbinden. ähm. //mhm// sobald ich Internet hab. oder ich kann auch o offline einfach Sachen reinschreiben. und dann halt wenn ich Internet wieder hab tut sich das synchronisieren. und das hilft mir voll. weil an unterschiedlichen Orten kommen unterschiedliche Gedanken so oh ich hab meinen Arzttermin noch nicht eingetragen; und dann ist das Whiteboard halt nicht da. was halt immer an der Tür hängt. kann ich=s mir halt in mein Handy reinschreiben dass ich °hilft mir dann voll“ (01, 235–240)

Dabei werden auch Verknüpfungen von universitären Systemen und bspw. Kalenderfunktionen von den Studierenden herangeführt, die für eine vorausschauende Planung des Semesters genutzt werden können. Denn „wenn man ja schon vom Anfang an vom Semester weiß, dass es später losgeht, dann kann man das im <ITS1> auch einstellen, dass später die Vorlesungen in deinen wöchentlichen Stundenplan eingetragen werden“ (04, 158–161). Andererseits wurde vermehrt über die Nutzung digitaler Medien diskutiert, um Materialien auf (Lern‑)Plattformen zu teilen, sei es in Form von Skripten oder Altklausuren, die online gestellt und von den Studierenden heruntergeladen werden können. Diese aufscheinenden Praktiken der Informationsbeschaffung, aber auch Materialdistribution standen dabei in enger Verbindung zu Praktiken digitaler Kommunikation, welche als Dimension von Praktiken kollaborativen Arbeitens im Folgenden dargestellt werden.

4.2 Praktiken des kollaborativen Arbeitens

In Verbindung mit den Praktiken der Organisation des (Studien‑)Alltags, insbesondere jenen der Informationsbeschaffung, standen die von den Studierenden diskursiv entfalteten Praktiken des kollaborativen Arbeitens. Digitale Medien wurden hierbei Teil gemeinschaftlich orientierter Praktiken, indem Material und/oder Informationen gemeinsam geteilt werden oder indem man direkt in selbsterstellten oder auf Plattformen organisierten Gruppen zusammenarbeitet, um bspw. Aufgaben zu bearbeiten oder bei der Wahrnehmung von Veranstaltungen zu unterstützen:

Ff: „Ähm. zum Beispiel fand ich auch in den kleineren Studiengängen oder zumindest in den kleineren Kursen ergeben sich oft auch bei den Erstis irgendwelche Gruppen. keine Ahnung. bei mir in Theo war dann Erstis Theogruppe. wo wir halt so ne Einführungsveranstaltung hatten. wo dann halt jemand einfach ne Whatsapp-Gruppe aufgemacht hat. ähm oder auch bei Wirtschaft jetzt; ähm gibt=s auch verschiedene Lehramtsgruppen wo man dann halt wenn man jetzt jemand kennen lernt. ja ich bin im dritten Semester ist übrigens ne Gruppe. soll ich dich hinzufügen? ja. voll gut. dann bin ich auch dabei. und dann fragt halt mal jemand wo is denn der und der Raum, oder äh hängen die und die Noten aus?“ (01, 572–580)

Einen besonderen Stellenwert haben in den Diskussionen der Lehramtsstudierenden in diesem Kontext Praktiken der digitalen Kommunikation. Vor allem (selbst eingerichtete) Gruppen in Messengerdiensten und die so stattfindende Vernetzung darin wurden von den Studierenden als essentiell herausgestellt. Praktiken digitaler Kommunikation wiesen, wie im obigen Beispiel deutlich wird, dabei oftmals einen helfenden und vermittelnden Charakter auf, jedoch diskutierten die Lehramtsstudierenden auch damit verbundene Herausforderungen. Diese bestünden vor allem darin, einen Zugang zu diesen (meist informellen) Gruppen zu finden, da diese nicht Teil des universitären Angebots sind, sondern sich als Teil studentischer Praktiken bilden und auch transformieren.

„[…] jetzt gibt es in Chemie beispielsweise auch eine WhatsApp Gruppe wobei ich auch erst im zweiten Semester davon erfahren hab oder Erstsemester war eine Infoveranstaltung oder so da war ich gerade auf einer Matheinfoveranstaltung weil das auch alles parallel liegt und dann hatten die eine Whatsapp Gruppe gemacht wo auch Informationen und so immer rein gepostet wurden.“ (04, 469–474)

„Also es gibt viele kleinere und größere Whatsappgruppen. und manchmal setzt sich dann halt eine durch als die größte. //ah okay// und die andere geht in die andere auf oder so.“ (01, 652–654)

Einzelne Studierende werden damit als Gruppenadministrator*innen gewissermaßen zu Gatekeepern, wodurch der Kontakt zu ihnen sowie deren Gunst zu Voraussetzungen für den Zugang und damit zur Partizipation am studentischen Alltag wird. Offenbart werden hierdurch auch studentische Praktiken einer (digitalen) In- und Exklusion. Digitale Medien und damit verbundene Praktiken Studierender gehen folglich auch mit Veränderungen von Subjektadressierungen und Kommunikationsformen einher. Nicht verwunderlich ist daher auch der Rat eines Studierenden, dass Studiumsanfänger*innen „frühstmöglich Kommilitoninnen, Kommilitonen suchen und sozusagen so kleine Grüppchen zur Organisation zum Lernen und so weiter besprechen äh finden [sollten], […] und dass man sich vielleicht jemand älteres aus nem höhern – höheren Semester sucht“ (03, 7–17).

4.3 Didaktisch induzierte Praktiken

Weitere studentische Praktiken, welche in Bezug zu digitalen Medien stehen und ihm Rahmen der Analysen rekonstruiert werden konnten, sind didaktisch induzierte Praktiken. Diese Praktiken stehen in enger Verbindung mit den infrastrukturellen Rahmenbedingungen der Universität, die meist in Form von Plattformen oder sozialer Medien ausgeführt werden, sowie ihrer Hochschuldozierenden. Hierbei hat sich die Adressierung digitaler Medien durch Lehrende als besonders relevant herausgestellt, insofern, dass studentische Praktiken auch in gewisser Weise in Abhängigkeiten von den Praktiken von Hochschuldozierenden stehen bzw. durch die verpflichtete Nutzung digitaler Medien evoziert, aber wenig didaktisch vielfältig adressiert werden:

„Also Moodle ist zum Beispiel ähm die Sprachenplattform, also grade in in Deutsch und Englisch und so verwenden die halt immer Moodle. ich weiß nich genau warum, nicht <LMS1>? aber auf jeden Fall gibt=s da halt wieder ne andere Plattform. und da passiert nicht viel. außer dass der Dozent halt Sachen hochlädt.“ (01, 850–853)

„öhh ich möchte kein Powerpoint und durch die Bildungswissenschaften musste ich es halt eben machen und dann habe ich mich halt auch irgendwann dazu entschlossen das auch zutun und ja man braucht Internetzugang um die Folien aufgreifen zu können dann (.) ja Tafel ist ja auch ein Medium oder auch (.) die – der Prof selber der vortragende da wird ja auch viel teilweise noch drumherum – erzählt was jetzt auch Klausurrelevant sein könnte“ (04, 222–227)

Damit wird nicht nur der fast triviale Schluss deutlich, dass nicht nur das Vorhandensein digitaler Medien die Praktiken der Studierenden beeinflusst, sondern auch der Einsatz durch die Dozierenden studentische Praktiken beeinflusst. Bleibt dies aus oder werden digitale Medien von Dozierenden primär zur Organisation von Lehre eingesetzt und nicht auf inhaltlicher Ebene adressiert, verwundert es nicht, dass für viele Studierende ein Studium, insbesondere die Teile zur Organisation, Informationsbeschaffung und Kommunikation ohne digitale Medien kaum vorstellbar sind. So erwarten Studierende auf der einen Seite digitale Medien als Grundlage des Studierens, denn „Lehre ohne den Einsatz digitaler Medien wird als altmodisch bezeichnet und in Abgrenzung zur Universität der Schule zugeordnet. Die Studierenden sehen den Einsatz digitaler Medien allerdings nicht automatisch als die beste Methode an und beurteilen vor allem die generelle Nützlichkeit des Medieneinsatzes für ihr Studium und Lernen“ (Becker et al. 2020, S. 93). An diese Befunde anknüpfend finden sich in den Gruppendiskussionen interessanterweise keinerlei Hinweise auf eine curricular geprägte Auseinandersetzung mit digitalen Medien i. S. von Seminarinhalten, auch mit Bezug zu schulischen Aufgaben; derartige Perspektiven werden als Thema des Lehramtsstudiums von den Studierenden nicht adressiert, ebenso wenig wie es eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Studienfach gibt – und dies trotz der homogenen Gruppe von Studierenden, die alle Lehramt studieren und somit über einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund nicht nur in der Gestaltung des Studiums an der Hochschule, sondern auch bzgl. Praktika in Schulen haben. So spielt die Schule als Institution nur marginal eine Rolle und falls doch, dann meist in Abgrenzung zu hochschulisch gerahmten Praktiken. Inwiefern Medien in Lehrveranstaltungen auch von Dozierenden zum Thema gemacht werden, bleibt in den Gruppendiskussionen offen. Gleichwohl zeigen die Ergebnisse deutlich, dass die Praktiken der Lehramtsstudierenden abhängig sind von der Gestaltung der Lehre durch die jeweiligen Dozierenden und damit gewissermaßen auch „sehr stark Prof abhängig“ (01, 668).

4.4 (Nicht‑)Nutzung digitaler Medien im Lehramtsstudium

Neben medienbezogenen Praktiken der Lehramtsstudierenden wurden auch Gründe einer Nicht-Nutzung digitaler Medien durch die Studierenden offenbart. Dabei handelten es sich um (1) Ablenkungspotentiale digitaler Medien, (2) Herausforderungen digitaler Kommunikation sowie (3) infrastrukturelle Aspekte.

So wird insbesondere digitalen Medien erstens ein hohes Ablenkungspotenzial zugeschrieben, weswegen diese in bestimmten Phasen des Studiums bewusst nicht verwendet werden, um eine notwendige Arbeitsatmosphäre zu erhalten („zum Beispiel geh ich dann komplett offline. das heißt ich druck mir fast immer alles komplett aus. stell den Computer das Handy und so: alles in die Tasche, dass ich halt nicht abgelenkt werd“, 01, 336–348). Besonders herausfordernd gestalten sich hierbei externe Reize, wie bspw. eine Vibration durch den Erhalt von Nachrichten, die durch digitale Medien übermittelt werden oder die Möglichkeit, auf Musik- und Videostreaming-Plattformen zugreifen zu können. Um mit ebensolchen Ablenkungspotentialen umgehen zu können, verweisen die Studierenden auch auf vermeintlich nötige Kompetenzen, welche ihnen zuweilen zu fehlen scheinen („Genau. von Hand. auf jeden Fall. ich kann=s auch mit dem Computer irgendwie nich. das lenkt mich zu sehr ab“, 01, 317–318).

Weitere Gründe einer Nicht-Nutzung von digitalen Medien wurden zweitens im Kontext digitaler Kommunikation diskutiert. Hierbei verhandelten die Studierenden einerseits Vor- und Nachteile verschiedener Kommunikationsformen, andererseits wurde auch auf die Übermittlung unerwünschter Informationen hingewiesen:

„[…] weil manchmal ist per Email einfach so anonym. //mhm// und dann hat der Dozent oder Prof gar keine Ahnung wer da überhaupt einem schreibt. und denkt sich nur ach komm. das ist jetzt nicht wirklich relevant. aber wenn man hingeht und den wirklich mal seine Situation erklärt; dann geht oft recht viel. wie du=s gesagt hast“ (01, 545–549)

„Und manche sind auch völlig unnötige Informationen. also manchmal schreiben dann halt auch Leute posten irgendwelche Videos rein. und du denkst ja. es nervt mich jetzt bisschen. […] also da: kann man ja dann auch wieder austreten wenn=s einen nervt.“ (01, 656–660)

Wie anhand dieser Beispielzitate deutlich wird, wägen Studierende folglich auch den „Mehrwert“ der Nutzung digitaler Medien im Vergleich zu alternativen Praktiken (z. B. persönlicher Kommunikation) für ihr Studium ab und entscheiden sich auch unter diesen Umständen dafür, digitale Medien bewusst nicht zu nutzen.

Drittens berichteten die Studierenden vermehrt von infrastrukturellen Aspekten, aufgrund derer digitale Medien nicht genutzt wurden resp. werden konnten. Hierbei verwiesen die Studierenden bspw. auf unzureichende Internetverbindungen („Letzte Woche waren ja auch diese Gewitter und ich musste freitags irgendwas per Email schicken (.) und es ging nicht weil ich kein Internet hatte“, 04, 670) oder ausstattungsbedingte Unzulänglichkeiten („weil wenn du dir nen neuen Laptop kaufst, du hast nirgends mehr nen blöden °VGA Stecker° dran. nirgends. du bist an ner technischen Universität; und das einzige was es gibt ist der Anschluss von vor 20 Jahren.“, 03, 740–744). Eine Nutzung digitaler Medien, sei aber, so die Studierenden, in bestimmten Fächern auch gar nicht zum Bestehen von Prüfung oder der Bewältigung des Studiums notwendig, da es vollkommen ausreiche, „alle Klausuren und die Folien zu lernen vom Prof“ (04, 194–200), was nochmals auf die Perspektive des „Studiums meistern“ und die Rolle von Dozierenden im Hochschulstudium hinweist.

5 Diskussion der Ergebnisse und Implikationen für die Adressierung digitaler Medien im Lehramtsstudium

Bei Betrachtung der Ergebnisse ist augenscheinlich, dass digitale Medien aus Perspektive der Studierenden primär Teil organisatorischer Praktiken sind. Sie werden zur Bewältigung des Studienalltags genutzt, womit vor allem eine studiumsorientierte Perspektive zum Tragen kommt. Diese Praktiken erscheinen aber wenig elaboriert, was an Befunde quantitativer Studien anbindbar ist (vgl. u. a. Rubach und Lazarides 2019, 2021; Senkbeil et al. 2021). Digitale Medien werden ebenso offensichtlich nicht im Rahmen von Lernsituationen im Studium sichtbar, was sich ebenfalls mit bisherigen Studien deckt (Drossel et al. 2020; Mau 2016; van Ackeren et al. 2019). Allerdings sind mehrere Perspektiven auffällig: Zum einen scheint das Handeln von Dozierenden von besonderer Relevanz zu sein, da diese und deren Praktiken an mehreren Stellen der Gruppendiskussion zum Thema werden. Zum anderen werden digitale Medien kaum als Inhalt des Studiums adressiert oder reflektiert. Hinzu kommt, dass insbesondere bei den Gründen für die (Nicht‑)Nutzung digitaler Medien im Lehramtsstudiums die Vermutung der Verwendung von „Motivvokabularen“ (Knaus und Engel 2016) nahe liegt, d. h. Aussagen und Annahmen bezüglich digitaler Medien, die gesellschaftlich so selbstverständlich sind, dass sie nicht mehr hinterfragt werden und ggf. auch Ausdruck des medialen Habitus von Lehramtsstudierenden sein könnten (Kommer und Biermann 2012). Damit scheint auch ein (medien-)pädagogischer Umgang mit diesen Perspektiven notwendig.

Ausgehend von diesen Befunden werden im Folgenden Implikationen für die Gestaltung der ersten Phase der Lehrer*innenbildung vor dem Hintergrund medienpädagogischer Professionalisierungsansprüche diskutiert.

5.1 An bestehende studentische Praktiken anknüpfen

Um eine Passung von medienbezogenen Professionalisierungsansätzen im Studium an die Praktiken von Studierenden zu evozieren, bieten zunächst die rekonstruierten Praktiken des kollaborativen Arbeitens verschiedene Implikationen. So sind das Teilen von Material und/oder Informationen und das gemeinsame Arbeiten in und mit Medien bereits Bestandteile bestehender Praktiken von Studierenden, welche auch im Studium durch Dozierende (stärker) eingebunden, adressiert und gefördert werden könnten – auch mit Hinblick auf empirische Erkenntnisse zur mangelnden Kooperation unter Lehrer*innen. Einen besonderen Stellenwert erhält in diesem Kontext auch die Veränderung von Kommunikationsformen als möglicher Grund dafür, digitale Medien nicht zu nutzen. So können Verhandlungsprozesse zwischen Formen digital-vermittelter bzw. persönlicher Kommunikation oder der (unerwünschten) Übermittlung von Inhalten explizit als Inhalt von Lehrveranstaltung adressiert und damit Möglichkeitsräume zur Reflexion eigener Handlungspraktiken eröffnet werden. Dies würde es auch ermöglichen, die in den Gruppendiskussionen aufscheinende Praktiken einer digitalen In- und Exklusion (Kutscher 2019) zu thematisieren und zu einer Reflexion dieser anzuregen. Ebenso könnte auch der Umgang mit Ablenkungspotentialen digitaler Medien inhaltlich in Lehrveranstaltungen eingebunden werden – auch in Bezug auf die spätere eigene Lehrtätigkeit. Mit einer solchen subjektorientierten Herangehensweise können in der Lehrer*innenbildung als reflexive und soziale Praxis Möglichkeitsräume geschaffen werden, die nicht nur „der Aneignung eines feststehenden Lernstoffes (dienen), sondern [auch] der Einsozialisation“ (Rhein 2010, S. 40) in (ggf. alternative) Handlungspraktiken. Das Erleben (und Reflektieren) anderer Praxis macht es möglich und notwendig, dass (angehende) Lehrpersonen nach individueller und gemeinsamer Reflexion aufgeklärte Entscheidungen hinsichtlich Medien treffen können. Mit einer Handlungsentlastung von unmittelbarer (Lehr‑)Praxis durch die Reflexion eigener Praxis und dem Ausprobieren liesse sich Medienbildung im Lehramtsstudium als erster Teil einer berufsbiographischen Entwicklungsaufgabe deuten (Terhart 2011), die dann in der zweiten und dritten Phase stärker an die schulische Auseinandersetzung gebunden werden müsste.

5.2 Studierende und Dozierende mit (gegenseitigen) Erwartungen konfrontieren

Einen weiteren Ansatzpunkt bieten die im Datenmaterial sichtbar gewordenen Erwartungen der Studierenden hinsichtlich des Einsatzes digitaler Medien in Hochschule. In der Auswertung der Gruppendiskussionen wurde so immer wieder deutlich, dass Orientierungen, Vorstellungen und Normen der Studierenden in Bezug auf das ‚Studium‘ als Ausgangspunkt von hoher Bedeutung sind (vgl. Becker et al. 2020). Denn daraus entwickeln sich zwangsläufig Erwartungen Studierender an die (digitale) Infrastruktur, sondern auch an Dozierende und deren Einsatz resp. Nutzung digitaler Medien. Andersherum beeinflussen Dozierende auch Praktiken von Studierenden (mit), indem diese gewissermaßen didaktisch induziert werden. Für die Gestaltung der Lehrer*innenbildung rückt damit auch die Rolle von Hochschuldozierenden als Lehrer*innenbildner*innen viel stärker in den Fokus (u. a. Becuwe et al. 2017; Capparozza und Irle 2020; Nelson et al. 2019; Uerz et al. 2018). Denn wenn über die Funktion und den Einsatz resp. die Nutzung digitaler Medien an der Hochschule, wenn auch wenig kontrovers, diskutiert wird, scheinen Dozierende zu ‚Referenzmaßen‘ für Studierende zu werden. Vor dem Hintergrund, dass Studierende den Einsatz und die Nutzung digitaler Medien in Lehrveranstaltungen erwarten resp. sich diese wünschen und eine Nicht-Nutzung wie im oben dargebotenen Diskussionsauszug durchaus (kritisch) wahrnehmen, gilt es, zur Vorbereitung von Studierenden auch das eigene (hochschul-)didaktische Handeln zu reflektieren. Demzufolge müsste nicht nur in den Blick genommen werden, wie Studierende Medien nutzen, sondern auch deren Dozierende.

Die hier aufscheinenden Erwartungen bieten aber nicht nur Reflexionsanstöße für Akteur*innen der Lehrer*innenbildung, sondern können, didaktisch gewendet, auch als Reflexionsimpulse für Studierende herangezogen werden. Dies kann aus zwei Perspektiven für eine medienpädagogische Professionalisierung von (angehenden) Lehrpersonen förderlich sein: Einerseits würde dies abermals einen subjekttheoretischen Zugriff ermöglichen, indem Studierende mit ihren eigenen Erwartungen konfrontiert werden (s. oben). Andererseits könnte damit eine Sensibilisierung der (angehenden) Lehrpersonen für ihre eigene spätere Berufspraxis angestoßen werden. Denn gleich der Hochschuldozierenden sehen sich auch Lehrpersonen in der Berufspraxis verschiedenen Erwartungen ihrer Schüler*innen gegenüber, die es zu erkennen und zu reflektieren gilt, um eine Medienbildung von Schüler*innen anstoßen zu können.

5.3 Doppelte Zielperspektive querschnittlicher Verankerung im Lehramt

Auch der Befund, dass digitale Medien von Studierenden nicht als Inhalt ihres Studiums adressiert wurden, soll an dieser Stelle nochmals hervorgehoben werden. So wurde ein pädagogisch-didaktischer Einsatz bzw. die Nutzung digitaler Medien als Teil ihres Studiums von den Lehramtsstudierenden in den Gruppendiskussionen geradezu nie expliziert. Dies könnte zwar dem anfänglichen Diskussionsimpuls geschuldet sein, allerdings fällt auf, dass digitale Medien gerade von Lehramtsstudierenden auch nicht als Inhalt von Veranstaltungen thematisiert werden. Zwar hat dies nur eine bedingte Aussagekraft hinsichtlich des Vorhandenseins entsprechender Inhalte, deren Abbildung sich in Curricula in Hochschulen unterschiedlich ausgestaltet (siehe Brinkmann et al. 2018), jedoch kann davon ausgegangen werden, dass diese selbst beim Vorhandensein nicht handlungswirksam werden oder zur vertieften Reflexion anregen. Besondere Brisanz erhalten diese Ergebnisse, wenn das Studium zudem bspw. vor allem unter berufsvorbereitender Perspektive adressiert wird, wie es die Typenbildung im übergreifenden Forschungsprojekt nahelegt (vgl. Hofhues et al. 2020). Hierbei hat das effektive Lernen zum Bestehen der Prüfungen aus Sicht der Studierenden zwangsläufig eine höhere Bedeutung als ein Sich-Ausprobieren – auch hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien. Ist die Nutzung digitaler Medien also nicht notwendig zum Bestehen einer Prüfung (siehe Kapitel 4.4), kommt es vermutlich auch nicht zu einer solchen. Für das medien- oder hochschuldidaktische Vorgehen bedeutet dies, dass eine medienpädagogische Professionalisierung von Lehramtsstudierenden Lerngelegenheiten und Bildungserfahrungen im Hochschulstudium erfordert, die eine doppelte Funktion erfüllen (Schiefner & Tremp 2008): sie müssen sowohl die Einführung und Einübung in die Berufskultur ermöglichen, wie auch die Gelegenheit zur Innovation und Weiterentwicklung schaffen. Dabei kann die alleinige Verantwortung für die Integration digitaler Medien auf inhaltlicher Ebene, aber auch im Kontext weiterer Bestandteile des Studiums, nicht auf wenige Einzelveranstaltungen, welche an einzelnen Lehrstühlen oder Studiengänge angesiedelt sind, übertragen werden. In diesem Zuge gilt es neben Einzelveranstaltungen auch Prüfungen, Studienprogramme und grundlegende infrastrukturelle Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen und aktiv zu adressieren (Flechsig 1975). Denn eine wirksame Integration digitaler Medien auf verschiedenen Ebenen des Studiums bedarf eines querschnittlichen Zugangs. Daran anknüpfend müssten bereits in der universitären Phase der Lehrer*innenbildung medienpädagogische Perspektiven in Verbindung mit Erkenntnissen der Schul- und Unterrichtsforschung sowohl in den Bildungswissenschaften als auch in den Fachwissenschaften sowie Fachdidaktiken verstärkt einbezogen und systematischer miteinander verschränkt werden, um dem Desiderat bislang fehlender Gesamtkonzepte in der Hochschule (Eickelmann et al. 2016) entgegenzuwirken.

6 Zusammenfassung, Limitationen und Ausblick

Die Ergebnisse des vorliegenden Artikels deuten darauf hin, dass Lehramtsstudierende digitale Medien vor allem unter der Perspektive der Organisation des Studiums, des kollaborativen Arbeitens und in Referenz zu den Praktiken Hochschuldozierender als für sie relevant betrachten. Vor diesem Hintergrund wurden im Anschluss Implikationen für die Vorbereitung zukünftiger Lehrpersonen abgeleitet, die sich an eben diesen Praktiken orientieren: Neben der stärkeren Reflexion eigener Praktiken und dem Ausprobieren erscheint es dabei notwendig, dezidiert digitale Medien in Veranstaltungen zu adressieren und in Bezug zu den (zukünftigen) Aufgaben von Lehrpersonen zu setzen. Die Diskussion von Erwartungen der Studierenden bezüglich digitaler Medien in der Hochschulbildung bieten darüber hinaus einen wichtigen Ansatzpunkt der Förderung. Denn die Studierenden haben durchaus Vorstellungen und implizite Normen, aus denen sich Erwartungen an die Infrastruktur (der Hochschule), Dozierende und deren Einsatz digitaler Medien ableiten. Somit zeigen die vorgestellten Ergebnisse abermals die Dringlichkeit medienpädagogischer Gesamtkonzepte in der Lehrer*innenbildung, welche im Spannungsgefüge zwischen den beteiligten Akteur*innen und Institutionen ausgehandelt werden müssen.

Wenngleich die herausgearbeiteten Implikationen erste Ausgangspunkte für eine mögliche Gestaltung und Weiterentwicklung der ersten Phase der Lehrer*innenbildung vor dem Hintergrund medienpädagogischer Professionalisierungsansprüche bieten, gilt es abschließend auch auf Limitationen hinzuweisen. So stützen sich die vorgestellten Ergebnisse auf eine geringe Stichprobe von lediglich drei Gruppendiskussion mit 17 Studierenden zweier Hochschulen, welche bereits 2018 durchgeführt wurden. Mögliche (anzunehmende) Veränderungen studentischer Praktiken im Zusammenhang mit dem Ausbruch der Coronapandemie und zwangsläufigen Anpassung an Hochschule und Studium (exemplarisch Krammer et al. 2020; Schneider et al. 2021; Vogelsang 2021) konnten folglich nicht erfasst werden. Ausgehend dieser Limitationen und der vorgestellten Ergebnisse bietet der Beitrag verschiedene Anschlüsse für zukünftige Forschungsarbeiten: Eine Ausweitung der Untersuchung mit ergänzenden Gruppendiskussionen und anschließenden Analysen unter praxistheoretischer Perspektive könnte zu einem umfassenden Verständnis studentischer Praktiken beitragen und somit die bisherigen Ergebnisse anreichern. Zum anderen könnten dabei auch pandemiebedingte Veränderungen (kontrollierend) mitgeführt werden. Hierbei erscheint es auch erkenntnisbringend, die Rolle von Hochschuldozierenden explizit(er) zu fokussieren. Denn während curriculare Perspektiven zur Förderung von medienpädagogischen Kompetenzen bereits seit Jahrzehnten diskutiert werden (vgl. Mau 2016; Schiefner-Rohs 2012a), wurden der Einfluss von Hochschuldozierenden und deren Praktiken jedoch bislang nur hintergründig betrachtet. So werden auch Anforderungen an Hochschuldozierende meist innerhalb der Hochschule und im Referenzsystem Wissenschaft verhandelt. Jedoch verbleiben diese forschungsseitig meist unklar, obwohl Hochschuldozierende maßgeblich qua Funktion sowohl Themen setzen, wie auch Reflexionsprozesse anregen und begleiten sollen (Tremp & Weil 2015). Eine Adressierung dieser Akteur*innen erscheint vor dem Hintergrund dieses Forschungsdesiderats gewinnbringend, damit eine flächendeckende, medienpädagogische Professionalisierung (angehender) Lehrpersonen nicht (mehr nur vom) „Prof abhängig“ ist.