1 Einleitung

Wenn Schüler*innen lernen und ihre neu erlernten Fertigkeiten einsetzen, kommt es immer wieder zu Fehlern. Fehler sind unbeabsichtigte Abweichungen von einem Ziel, die durch eine Handlung oder Unterlassung verursacht werden, welche im Prinzip vermeidbar ist (Frese und Fischer 2015). Die kognitive und affektive Verarbeitung von Fehlern wurde als ein wichtiger Faktor für das Erlernen neuer Fertigkeiten im Bildungskontext identifiziert (u. a. Lehman et al. 2012; Metcalfe 2017). Insbesondere das Klassen- und Unterrichtsumfeld mit seinen vielfältigen sozialen Interaktionen, Lern- und Leistungssituationen spielt eine wesentliche Rolle bei der Verarbeitung von Fehlern (z. B. Metcalfe 2017). Diese Erkenntnis hat in den letzten Jahren eine Intensivierung empirischer Untersuchungen von Umwelteinflüssen auf den Umgang mit Fehlern im Unterricht ausgelöst, vor allem mit Blick darauf, wie Schüler*innen mit Fehlern umgehen (Oser et al. 2012; Spychiger et al. 2006; Tulis et al. 2016), welches Fehlerklima im Fachunterricht herrscht (Steuer et al. 2021), oder wie Lehrer*innen Schülerfehler behandeln (Seifried et al. 2015).

Mit dem vorliegenden Beitrag wollen wir diese Forschung – ausgehend von dem Konzept der Klassenkultur – erweitern, indem wir den Blick auf den Umgang mit Fehlern im Klassenkollektiv legen. Eine Klassenkultur unterscheidet sich aus unserer Sicht von einem (fachspezifischen) Unterrichtsklima dadurch, dass sie ein fachübergreifendes Spezifikum der Schulklasse darstellt. Im Hinblick auf den Umgang mit Fehlern sehen wir die Klassenkultur dabei als ein etabliertes Set spezifischer Glaubenssätze (z. B. „Ich darf keine Fehler machen“ oder aber „Fehler sind ein normaler Teil des Lernprozesses“), Sprachregelungen und Praktiken (z. B. Besprechen von Fehlern in der Schulklasse), Ritualen oder Mythen (z. B. „Man darf einen Fehler nicht zugeben, wenn man ihn gemacht hat“) einer Schulklasse an, welches sich in der jeweiligen Klassenzusammensetzung entwickelt (Harker und Tymms 2004; Scharenberg 2014). Deshalb spielen Vorgaben zum und Verhalten im Umgang mit Fehlern durch Fachlehrer*innen auch eine geringere Rolle für die Entwicklung einer bestimmten Klassen-Fehlerkultur als für ein unterrichts- und ggf. auch lehrkraftspezifisches Fehlerklima (siehe z. B. Steuer und Dresel 2015). Stattdessen könnten die psychosozialen Beziehungen innerhalb der Klassengemeinschaft (z. B. Peerbeziehungen, siehe Zander et al. 2017) eine größere Bedeutung haben.

Die Relevanz einer positiv ausgeprägten, fachunspezifischen Fehlerkultur in Schulklassen für die pädagogische Praxis schließen wir aus der Forschung zum Umgang mit Fehlern in Unternehmen. Im Unternehmenskontext wurde bereits nachgewiesen, dass ein positiver Umgang mit Fehlern – eine sog. Fehlermanagementkultur – Innovation (Fischer et al. 2018) und Unternehmenserfolg (van Dyck et al. 2005) begünstigt, während ein negativer Umgang mit Fehlern – eine sog. Fehlervermeidungskultur – die gegenteilige Wirkung hat (van Dyck et al. 2005). Ähnliche Zusammenhänge vermuten wir auch für das schulische Lernumfeld, unter vornehmlicher Betrachtung der Schulklassenebene.

Deshalb fügen wir erstens dem Konzept der Klassenkultur in der pädagogischen Literatur die Dimension der Fehlervermeidungskultur hinzu. Bisher wurden die Auswirkungen einer Fehlermanagement- versus einer Fehlervermeidungskultur primär in organisationalen Umgebungen untersucht, obwohl die Relevanz für das Lernumfeld Schule erkannt ist (Metcalfe 2017) und Ansätze für eine positive Fehlermanagementkultur (z. B. Spychiger et al. 2006) sowie ein fachspezifisches Fehlerklima (z. B. Steuer und Dresel 2015) bestehen. Um die in einer gegebenen Schulklasse vorherrschende fachunspezifische Fehlerkultur messen zu können, bedarf es eines geeigneten diagnostischen Verfahrens. Zweitens entwickeln wir daher aus der Literatur abgeleitete Skalen zur Messung von Fehlermanagement- und Fehlervermeidungskultur und überprüfen diese anhand der Daten von insgesamt N = 1306 Schülern aus K = 61 Klassen. Drittens zeigen wir die Validität des entwickelten Instruments anhand der Zusammenhänge von Fehlermanagement- und Fehlervermeidungskultur mit verschiedenen unterrichtsrelevanten Indikatoren auf Schüler*innen- und auf Klassenebene auf. Wir prüfen, inwieweit der entwickelte Fragebogen mit den etablierten Maßen für die Lern- und Leistungsmotivation (Spinath et al. 2002), der Selbstbeschreibung von Verhalten („Schummeln“ in der Schule; Midgley et al. 2000), dem Self-Handicapping (Schwinger und Stiensmeier-Pelster 2012), den selbstbezogenen Kognitionen Fehler-Stress (Rybowiak et al. 1999) und Hilflosigkeit (Schwarzer und Jerusalem 1999), sowie mit dem Fähigkeitsselbstkonzept (Dickhäuser et al. 2002) zusammenhängt. Diese Zusammenhänge werden in einem Mehrebenen-Untersuchungsdesign nicht nur auf der Individualebene untersucht, sondern auch auf der Klassenebene.

Das entwickelte Instrument lässt sich von einem bereits vorhandenen Instrument zum Umgang mit Fehlern in Klassen (vgl. Spychiger et al. 2006) abgrenzen, da in der vorliegenden Studie die kollektive Klassenkultur im Umgang mit Fehlern unter Betonung eines fachunspezifischen Blickwinkels untersucht wird (mit Items wie z. B. „In meiner Klasse/In unserem Unterricht dürfen Fehler gemacht werden.“), während Spychiger et al. (2006) Schüler*innen zu Handlungsweisen von Lehrkräften (z. B. „Ich verstehe oft nicht, was die Lehrerin meint“ (S. 100)) sowie zu eigenen Handlungsweisen und Kognitionen im Fall eines Fehlers befragen (z. B. „Fehler im Unterricht helfen mir, es hinterher besser zu machen“ S. 104). Ähnlich, jedoch zugeschnitten auf spezifische Fächer, gehen auch Tulis und Kollegen (Tulis et al. 2018) vor (z. B. „Wenn ich in Mathe [Englisch] einen Fehler mache, versuche ich gezielt, mich zu verbessern“ (S. 48)). Einen fachspezifischen Ansatz verfolgen auch Steuer und Dresel (2015).

Chan (1998) folgend stellt die Veränderung des gewählten Bezugsrahmens (hier: vom Individuum zur Schulklasse) den Unterschied zwischen einer psychologischen Klassenkultur und einer kollektiven Klassenkultur dar. Ein weiterer Ansatz, von Seifried und Kollegen (Seifried et al. 2015), fokussiert wiederum auf das Verhalten von Lehrkräften im Unterricht.

2 Fehlerkultur im Klassenkollektiv

2.1 Ursachen und Folgen von Fehlern

Für eine Person stellen Fehler eine Sackgasse (Tulis et al. 2016) dar, aus der sie sich aktiv herausbewegen muss, entweder indem sie sich von dem Fehler abwendet, indem sie den Fehler unterdrückt/verschweigt, oder indem sie sich den Ursachen des Fehlers zuwendet und ihn analysiert. In der Untersuchung der Ursachen für Fehler unterscheidet man den Plan, der zur fehlerhaften Handlung geführt hat, und die fehlerhafte Handlung selbst. Fehler können passieren, (a) indem bei der Handlung etwas ‚durchrutscht‘, was dem tatsächlichen Wissensstand widerspricht (ein Plan ist korrekt, wird aber nicht wie geplant ausgeführt), (b) durch voreiligen Übergang von Planung zu Handlung (der Wissensstand war noch nicht ausreichend für die Lösung eines Problems und ein unvollständiger Plan verursacht den Fehler) oder (c) durch die fehlerhafte Annahme, dass eine bestimmte Handlung zum gewünschten Ziel führt (Es wurde ein Plan aus einem falschen Wissensgebiet ausgewählt und dieser Plan war untauglich zur Lösung des Problems; Reason 1990).

Fehler werden zumeist als negativ wahrgenommen, egal aus welchem Grund sie geschehen, da sie immer eine Abweichung von einem zu erreichenden Ziel darstellen. Schüler*innen versuchen daher im Allgemeinen, Fehler zu vermeiden. Insbesondere vier unterschiedliche Gründe sind relevant für das Ziel der Fehlervermeidung:

Erstens unterliegen Fehler im Schulkontext häufig einer normativen Bewertung, wenn sie nicht von Schüler*innen selbst, sondern von Mitschüler*innen oder von Lehrkräften festgestellt werden (Grassinger et al. 2015). Zweitens erfordern Fehler eine zusätzliche Beschäftigung mit einem Problem. Immer wenn ein Fehler auftritt, müssen Schüler*innen einen Schritt zurücktreten, die Fehlerursachen überprüfen, den Fehler beheben und die Handlung neu ausführen. In diesem Prozess muss sie/er möglicherweise zusätzliche Informationen einholen, zum Beispiel indem sie/er Klassenkamerad*innen oder Lehrer*innen fragt, wenn sie/er das Problem nicht selbst beheben kann. Drittens liefern Fehler eine negative Rückmeldung, und diese wiederum kann zu negativen Gefühlen führen (z. B. Tulis und Ainley 2011). Die Regulation negativer Gefühle ist aufwändig und die Fähigkeit zur Emotionsregulation, insbesondere bezüglich der Modulation von Reaktionen auf negative Reize, entwickelt sich erst ab dem Schulalter, insbesondere ab dem zehnten Lebensjahr (Silvers et al. 2012). Daher gelingt in der Schule der Umgang mit Fehlern unter Umständen nicht gut und ein Fehler kann das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeit von Schüler*innen beeinträchtigen. Hierdurch kann wiederum die Handlungsmotivation insgesamt abnehmen (Bandura und Locke 2003). Der Aufwand für die Regulation der Emotionen reduziert die Ressourcen, die für die Bewältigung des Problems selbst zur Verfügung stehen. Viertens haben Fehler eine soziale Komponente. Wenn Fehler sichtbar werden und andere Personen zur Behebung des Fehlers beitragen müssen, löst dies bestimmte soziale Reaktionen aus. Schüler*innen wollen es vermeiden, in den Augen von Dritten ‚dumm‘ auszusehen. Insbesondere wenn negative soziale Folgen befürchtet werden, können Fehler ein Stressfaktor sein und zu Belastungen führen.

2.2 Umgang mit Fehlern in Schulklassen

Obwohl Fehler in der Regel von Schüler*innen selbst als negativ eingestuft werden, sind sie aus lerntheoretischer Sicht in vielen Lernsituationen sogar positiv zu sehen (Metcalfe 2017). Fehler stellen die Kehrseite kognitiver Effizienz dar, da die kognitive Kapazität begrenzt ist (Zapf et al. 1999). Sparsame kognitive Verknüpfungen ermöglichen es, auch in komplexen Situationen zu funktionieren. Solange kein Fehler auftritt, hilft diese Sparsamkeit folglich, kognitive Ressourcen zu sparen. Wenn aber ein Fehler auftritt, stimuliert dieser Kognitionen zu seiner Lösung, was (hoffentlich) dazu beiträgt, den Fehler zukünftig zu vermeiden und weitere positive Konsequenzen haben kann, falls die Kognitionen den Lernenden helfen, den richtigen Weg zum Erreichen eines Ziels besser zu erkennen und das Wissen über ein Thema zu vertiefen (D’Mello et al. 2014). Eine derartige Argumentation impliziert, dass eine positive Wirkung von Fehlern auf (mindestens) zwei Arten erreicht wird. Einerseits durch die Generierung von Wissen: Entweder erkennen Schüler*innen direkt durch den Fehler, wie das Problem gelöst werden kann oder es entsteht „negatives“ Wissen – Fehler zeigen, wie etwas nicht ist oder wie es nicht funktioniert im Sinne von Abgrenzungswissen (Meyer et al. 2006; Oser et al. 2012). Schüler*innen erfahren durch Fehler die Grenzen ihres neu erworbenen Wissens, üben neu erlernte Fertigkeiten ein, vertiefen die Beschäftigung mit einem Thema und legen so die Grundlage für eigene kreative Lösungen. Andererseits hilft der Umgang mit Fehlern dabei metakognitive und emotionsregulierende Fähigkeiten zu entwickeln, mithin also Fähigkeiten, die in zukünftigen Fehler- oder Stresssituationen angewendet werden können (Tulis et al. 2016). Fehler haben also positive Folgen. Demnach wäre eine stets fehlerfreie Leistung, insbesondere im Bildungsumfeld, sogar als eher negativ einzustufen.

Aus der Forschung ist seit einigen Jahren bekannt, dass es Unterschiede im Umgang mit Fehlern gibt und dass diese Unterschiede vom Umgang mit Fehlern in einer Gruppe geprägt sind (Spychiger et al. 2006; van Dyck et al. 2005; Zapf et al. 1999). Die Unterschiede lassen sich nach dem jeweiligen Ansatzpunkt im Fehlerprozess kategorisieren: Das Fehlermanagement setzt ein, nachdem ein Fehler passiert ist. Ziel ist es, negative Konsequenzen des Fehlers zu reduzieren und stattdessen mögliche positive Folgen zu amplifizieren (van Dyck et al. 2005). Grundannahme dieses Fehlerumgangs ist, dass Fehler bei eigenständiger Handlung unvermeidbar sind und die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens a priori nur mit großem Aufwand reduziert werden kann. Allerdings ist es dabei nötig, mögliche Fehler in die Planung von Handlungen miteinzubeziehen und Ressourcen für die Behebung der Fehler bereitzuhalten, einerseits, um den Fehler zu beheben und andererseits, um aus dem Fehler zu lernen. Die Fehlermanagementkultur beinhaltet demnach Glaubenssätze, um ‚aus Fehlern lernen‘ zu können. Diese Glaubenssätze dienen dazu, das Auftreten von Fehlern in der Zukunft (sekundäre Fehlervermeidung) zu verringern und positive Fehlerkonsequenzen zu befördern. Hinzu kommen Praktiken zur gemeinsamen ‚Korrektur von Fehlern‘, einschließlich Praktiken zur Verbreitung des Fehlerwissens in der Klasse sowie zur ‚gegenseitige(n) Unterstützung, wenn ein Fehler passiert‘, um negative Gefühle zu reduzieren und möglichst viele kognitive Ressourcen für die Bewältigung des Fehlers zur Verfügung zu stellen (Frese und Keith 2015).

Anders als beim Fehlermanagement setzen die Praktiken der Fehlervermeidung bei den Prozessen im Vorfeld der Entstehung von Fehlern an und fokussieren auf die Identifikation möglicher Fehlerquellen, um diese zu umgehen und so Fehler zu vermeiden. Ein Kernproblem einer strikten Fehlervermeidung in einer Gruppe besteht darin, dass dies die Nicht-Handlung befördert, denn Handlungen beinhalten immer die Möglichkeit, Fehler zu machen. Daher ist die Nicht-Handlung der einzige „sichere“ Weg, um Fehler bei Handlungen zuverlässig auszuschließen. Passivität und Nicht-Handlung stellen im schulischen Kontext selbst Fehler dar, bei denen Lernchancen oder Gelegenheiten, die eigene Kompetenz zu zeigen, ausgelassen werden.

Reaktionen von Schüler*innen auf Lern- und Leistungssituationen unter der Maßgabe der Fehlervermeidung beinhalten Praktiken, welche die Fehler nicht sichtbar werden lassen sowie eine ängstliche Hinwendung zu Fehlern, verbunden mit dem Versuch, andere Fehlerursachen als das eigene Handeln auszumachen. Grund hierfür ist, dass die kognitive Kapazität, die für die Suche nach möglichen Fehlerquellen aufgewendet werden muss, relativ hoch ist, da je nach Komplexität der geplanten Handlung ein weites Feld an Fehlermöglichkeiten abgesucht werden muss. Falls eine Handlung notwendig ist und ein Fehler passiert, befördert eine Fehlervermeidungskultur also Praktiken wie das ‚Verstecken von Fehlern‘ und eine ‚Fehlerschuldzuweisung‘ mit einer daraus resultierenden Angst vor Fehlern. Als Folge derartiger Praktiken entsteht weniger negatives Wissen (sei es durch Unterlassung einer Handlung oder Verstecken der Resultate), und auch eine Überführung von negativem in positives Wissen über die korrekte Lösung einer Aufgabe oder eines Problems gelingt unter Umständen nicht. Als positive Seiten der Fehlervermeidungskultur können gelten, dass die Schüler*innen in einer derartigen kulturellen Umgebung große Anstrengungen unternehmen um Dinge beim ersten Versuch richtig zu machen, und dass sie die eigenen Leistungen sehr genau überwachen.

Zusammenfassend gehen wir davon aus, dass Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur die Art der Ausführung von Handlungen beeinflussen. Als Schritt in Richtung einer genaueren Untersuchung des Klassenumfelds entwickeln wir ein Selbstberichtsinstrument, mit dem die wahrgenommenen Ausprägungen von Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur fachübergreifend gemessen werden können. Das Instrument soll dabei sowohl auf Schüler*innenebene als insbesondere auch auf Klassenebene Informationen liefern können, die zu einem Gesamtbild integrierbar sind.

2.3 Annahmen zu Beziehungen zwischen der Fehlerkultur in Schulklassen und Motivation, Kognitionen und Handeln von Schüler*innen

Sowohl die Fehlermanagementkultur als auch die Fehlervermeidungskultur sollten aufgrund unserer theoretischen Vorüberlegungen mit dem Erleben und Handeln von Schüler*innen auf spezifische Art und Weise zusammenhängen. Die folgenden Annahmen sollen daher empirisch überprüft werden: Zunächst ist davon auszugehen, dass eine Fehlermanagementkultur sowohl auf individueller Ebene als auch auf Klassenebene die Lernmotivation unterstützt (Tulis und Ainley 2011), also das Ausprobieren neuer Fähigkeiten und das individuelle und gemeinsame Lernen aus Fehlern sowie den Erwerb neuer Kompetenzen und neuen Wissens fördert (Dresel et al. 2013; Harackiewicz et al. 2002). Weiterhin ist davon auszugehen, dass eine Fehlermanagementkultur Kooperation fördert und so Gefühle von Hilflosigkeit reduziert (vgl. gelernte Hilflosigkeit, Schwarzer und Jerusalem 1999) sowie beim Auftreten von Fehlern soziale Unterstützung bietet, mithin also mit einer reduzierten psychischen Belastung infolge von Fehlern einhergeht (vgl. Fehlerbelastung, Rybowiak et al. 1999). Zuletzt sollte eine Fehlermanagementkultur mit einer positiven Haltung zu den eigenen Fähigkeiten zusammenhängen (vgl. Fähigkeitsselbstkonzept, Dickhäuser et al. 2002).

Hingegen sollte eine Fehlervermeidungskultur mit ihrem Fokus auf die Unterdrückung von Fehlern sowie die Überwachung der eigenen Leistung positiv mit Leistungsmotivation zusammenhängen, basierend auf der Überlegung, dass in Fehlervermeidungskulturen die Überwachung der eigenen Leistung einen hohen Stellenwert besitzen sollte. Demnach sollten Zusammenhänge bestehen zwischen der Annäherung (vgl. Leistungszielorientierung Annäherung; Harackiewicz et al. 2002), also dem Bemühen, eigenes Wissen und Können zu zeigen, sowie mit der Vermeidung (vgl. Leistungszielorientierung Vermeidung; Harackiewicz et al. 2002), also dem Versuch, unzureichende Kompetenzen zu verbergen. Ferner gehen wir davon aus, dass Fehler von Mitschüler*innen in einer derartigen Kultur negativ bewertet werden und daher belastend auf Schüler*innen wirken (vgl. Fehlerbelastung; Rybowiak et al. 1999). Weiterhin sollten Verhaltensweisen begünstigt werden, die entweder die Fehlerquote reduzieren (vgl. Schummeln/Cheating; Midgley et al. 2000) oder selbstwerterhaltende Erklärungen für Fehler bieten (vgl. Self-Handicapping; Schwinger und Stiensmeier-Pelster 2012). Schließlich sollen Zusammenhänge der Fehlerkulturen mit den Noten der Schüler*innen exploriert werden.

2.4 Die Untersuchungsebene – Schulklasse versus Schüler*in

Die Betrachtung der Analyseebene spielt bei der Untersuchung von Klassenkulturen eine wesentliche Rolle, denn in dem entwickelten Instrument zur fachunspezifischen Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur wird insbesondere die geteilte Wahrnehmung des Klassenumfelds untersucht. Es bestehen kaum Zweifel daran, dass das Klassenumfeld einen Einfluss auf die Güte des Unterrichts und ultimativ den Lernerfolg hat (Reindl und Gniewosz 2017). Dieses Klassenumfeld wird bestimmt durch verschiedene Faktoren, wie die Zusammensetzung der Klasse (z. B. Scharenberg 2014) oder das Einwirken der Lehrkräfte (z. B. Seifried und Wuttke 2010). Das Klassenumfeld entwickelt sich, indem als ‚erfolgreich‘ wahrgenommenes Verhalten von Mitschüler*innen in der Klasse imitiert wird, es bilden sich klassenspezifische Verhaltensrepertoires aus (Tulis et al. 2018). Zusätzlich verstärken Schüler*innen Verhaltensweisen ihrer Peers durch verbales oder nonverbales Feedback (Dishion et al. 1999). Im Laufe der Zeit werden so klassenspezifische Verhaltensweisen eingeübt, Kognitionen und Verhalten der Schüler*innen in einer Klasse beginnen sich zu ähneln. Eine bestimmte ‚Kultur‘ in einer Klasse entsteht, definiert als die geteilten Annahmen, Werte und Glaubenssätze in einer festgelegten Umgebung, die eine an diesem Ort ‚richtige‘ Art über Dinge zu denken bestimmen (Schneider et al. 2013). Dies gilt auch für die Fehlerkultur als Teilbereich der Klassenkultur.

Jenseits der in einer Klasse geteilten Aspekte der Klassenkultur in einer Klasse können aber auch nicht kollektiv geteilte Aspekte von Kultur bestehen. Inwieweit sich eine geteilte Klassenkultur entwickelt, hängt auch von den Persönlichkeiten der Schüler*innen und Lehrkräfte sowie deren Aufmerksamkeit für prozedurale Abläufe in der Klasse ab (Chan 1998; Reindl und Gniewosz 2017). Wird die Klassenkultur innerhalb einer Klasse eher homogen wahrgenommen, gibt diese Klassenkultur einen starken Impuls zu relativ einheitlichem Verhalten innerhalb einer Klasse (Mischel und Shoda 1995). Existieren größere Unterschiede in der wahrgenommenen Klassenkultur, liegt die Annahme nahe, dass deren Einfluss auf die Schüler*innen geringer ausfällt. In der vorliegenden Arbeit sollen daher auch Indikatoren für die Stärke einer Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur untersucht werden, definiert als der Anteil der Klassenkultur, der von den Schüler*innen innerhalb einer Klasse geteilt wird.

3 Methode

3.1 Stichprobe

Es wurden insgesamt N = 1306 Schüler*innen (649 weiblich und 654 männlich, bei 3 fehlenden Angaben) aus K = 61 Schulklassen und 17 Schulen in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein im Rahmen eines größer angelegten Studienforschungsprojekts befragt. Die Auswahl der beteiligten Schulen und Klassen erfolgte nach dem convenience sampling-Prinzip. Innerhalb der Klassen wurden alle Schüler*innen zur Teilnahme an der Untersuchung eingeladen. Eine Ablehnung der Teilnahme war ohne Angabe von Gründen möglich. Die Schüler*innen stammen aus den Klassenstufen 7 bis 9. Neunundvierzig Prozent (640) besuchten ein Gymnasium, 26 % (334) eine Realschule und 5 % (67) eine Hauptschule. Alle anderen (20 % (265)) Schüler*innen besuchten eine gemischte Schulform. Die Schüler*innen waren im Durchschnitt 13,65 Jahre alt (SD = 1,06 Jahre). Der Fragebogen wurde während der regulären Unterrichtsstunden zum Halbjahresende ausgefüllt. Die Teilnahme der Schüler*innen war freiwillig. Die Datenerhebung fand in zwei Schritten statt: Zunächst wurde die psychometrische Qualität des entwickelten Fragebogens an N1 = 803 Schüler*innen (K1 = 39 Klassen) überprüft. Ungeeignete Fragen (13 von 28) wurden entfernt, um eine gute Durchführbarkeit zu gewährleisten. Anschließend wurden mit dem gekürzten Fragebogen Daten von N2 = 503 weiteren Schüler*innen erhoben (K2 = 22 Klassen). In einigen Schulklassen aus beiden Schritten (K = 29) bestand die Möglichkeit, die Fragebogenerhebung zum Schuljahresende zu wiederholen (in Tab. 1: T2).

Tab. 1 Interkorrelationen zwischen Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur und Studienvariablen auf Schüler- und Klassenebene zu beiden Untersuchungszeitpunkten

3.2 Messinstrumente

Alle Items außer die Items der Skalen zum akademischen Selbstkonzept wurden auf 5‑stufigen Rating-Skalen (trifft gar nicht zu … trifft voll und ganz zu) beantwortet. Einige Skalen wurden für die Verwendung in Schulklassen adaptiert (Wortlaut in Online-Anhang 1). Die Items zum akademischen Selbstkonzept wurden auf einer 6‑stufigen Rating-Skala (trifft gar nicht zu … trifft genau zu) beantwortet. Mittelwerte und Standardabweichungen zu den verwendeten Skalen sowie Schätzungen von Cronbachs α werden in Tab. 1 dargestellt.

Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur in der Schulklasse: Die Fehlermanagementkultur-Skala (17 Items – im Rahmen der Studie auf neun Items reduziert) und die Fehlervermeidungskultur-Skala (11 Items – im Rahmen der Studie auf sechs Items reduziert) aus der Forschung zur organisationalen Fehlerkultur (van Dyck et al. 2005) wurden für den Unterrichtskontext in Schulklassen angepasst. Die Items umfassen Fragen zu den drei Aspekten der Fehlermanagementkultur (‚Aus Fehlern lernen‘, ‚Fehler korrigieren‘ und ‚gegenseitige Unterstützung, wenn ein Fehler passiert‘) und zu den beiden Aspekten der Fehlervermeidungskultur (‚Verstecken von Fehlern‘, ‚Fehlerschuldzuweisung und Angst‘).

Zielorientierungen wurden mit den „Skalen zur Erfassung der Lern- und Leistungsmotivation“ (SELLMO; Spinath et al. 2002) erfasst. Der SELLMO misst mit acht Items pro Konstrukt u. a. die Konstrukte Lernzielorientierung, Annährungs-Leistungszielorientierung und Vermeidungs-Leistungszielorientierung (Spinath et al. 2002).

Gelernte Hilflosigkeit wurde mit fünf Items von Schwarzer und Jerusalem (1999) gemessen. Die Items beschreiben die erlebte Hilflosigkeit angesichts schulischer Anforderungen.

Schummeln/Cheating beschreibt das Verhalten, sich durch unlautere Mittel einen Vorteil zu verschaffen. Die drei Items stellen eine Adaption des Fragebogens von Midgley et al. (2000) dar.

Fehlerbelastung wurde mit vier Items aus dem Fragebogen zu psychologischer Fehlerbelastung von Rybowiak und Kollegen (Rybowiak et al. 1999) gemessen und beschreibt das Gefühl, dass Fehler Stressoren sind und dass das Auftreten von Fehlern als belastend wahrgenommen wird. Der Fragebogen wurde aus dem Kontext Arbeit auf den Kontext Schule übertragen.

Zur Messung von ‚Self-Handicapping‘ wurde ein Fragebogen mit sechs Items aus dem Kontext Studium (Schwinger und Stiensmeier-Pelster 2012) auf den Kontext Schule übertragen. Die Items beschreiben Verhaltensweisen, die präventiv als Entschuldigungen für Misserfolg herhalten können und es so erlauben, den eigenen Selbstwert zu schützen.

Das akademische Selbstkonzept, definiert als „das mentale Modell einer Person über ihre Fertigkeiten und Eigenschaften“ (Moschner und Dickhäuser 2006, S. 685), wurde für die Fächer Mathematik, Deutsch und Englisch mit dem Fragebogen von Dickhäuser und Kollegen (Dickhäuser et al. 2002) abgefragt. Die Abfrage des akademischen Selbstkonzepts erfolgte für jedes Schulfach mit jeweils acht Items pro Fach. In dieser Studie wurden die Antworten über alle drei Fächer zu einem Gesamtwert integriert mit dem Ziel, das fachübergreifende Fähigkeitsselbstkonzept abzubilden.

Zuletzt baten wir die befragten Schüler*innen, uns ihre Noten in den Fächern Englisch, Deutsch und Mathematik (Halbjahr und Schuljahresende) mitzuteilen (1 = sehr gut, 6 = ungenügend). Zusammen mit den vorher genannten Skalen wurden die Halbjahresnoten erhoben. In einigen Klassen (T2: N = 456; K = 29) konnte die Erhebung der Noten zum Schuljahresende wiederholt werden. Die Noten wurden für jeden Erhebungszeitpunkt zu einer Durchschnittsnote zusammengefasst.

3.3 Datenanalyse

Alle Analysen wurden mit R‑Statistik durchgeführt und für konfirmatorische Faktoranalysen wurde das Paket ‚lavaan‘ (Rosseel 2012) verwendet. Mehrebenenanalysen wurden mit dem ‚multilevel‘-Paket (Bliese 2016) durchgeführt. Im Umgang mit fehlenden Werten nutzten wir in konfirmatorischen Faktoranalysen das Full Information Maximum Likelihood (FIML)-Verfahren zur Schätzung von Stichprobenparametern.

4 Ergebnisse

4.1 Ergebnisse der konfirmatorischen Faktoranalyse

Im ersten Schritt wurde der entwickelte Fragebogen zu Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur in einer Stichprobe von N1 = 803 Schüler*innen (K1 = 39) erprobt und hierzu die originale Skala mit ihren 28 Items bezüglich der faktoriellen Struktur auf individueller Ebene analysiert. Ergebnisse einer konfirmatorischen Faktoranalyse mit den drei Charakteristika der Fehlermanagementkultur und den zwei Charakteristika der Fehlervermeidungskultur sowie zwei Faktoren zweiter Ebene (Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur) zeigten keinen adäquaten Modellfit (hypothetisiertes Modell mit 28 Items: χ2 = 1806,44, df = 344, p < 0,01, RMSEA = 0,07, CFI = 0,78, SRMR = 0,07). Daher erfolgte eine Bereinigung des Fragebogens um Items mit geringer Faktorladung oder mit substanziellen Querladungen, mit dem Ziel die verschiedenen inhaltlich-theoretischen Aspekte der Fehlerkultur adäquat abzudecken. Ein reduzierter Fragebogen mit 15 Items (3 Items zu jeder Facette der Fehlermanagement- und Fehlervermeidungskultur) passte relativ gut zu den Daten (χ2 = 303,62, df = 86, p < 0,01, RMSEA = 0,06, CFI = 0,92, SRMR = 0,06). Ein alternatives Modell mit lediglich den zwei inhaltlich gesehen breiteren Faktoren Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur zeigte dagegen einen geringeren Modell-Fit (χ2 = 608,24, df = 89, p < 0,01, RMSEA = 0,08, CFI = 0,81, SRMR = 0,07), ebenso wie ein G‑Faktor-Modell (χ2 = 1348,76, df = 105, p < 0,01, RMSEA = 0,13, CFI = 0,55, SRMR = 0,11). Im zweiten Schritt wurde der gekürzte Fragebogen in weiteren Schulklassen eingesetzt (N2 = 503, K2 = 22). Der erzielte Fit des derart gekürzten Fragebogens in dieser Stichprobe bestätigte den Befund für das angenommene Modell (N2 = 503, χ2 = 214,07, df = 86, p < 0,01, RMSEA = 0,06, CFI = 0,94, SRMR = 0,06). Für weitere Analysen wurden beide Stichproben zusammengefügt.

In der Gesamtstichprobe von Nkombiniert = 1306 zeigte sich wiederum ein guter Modellfit für das angenommene 5‑Faktoren Modell (χ2 = 417,44, df = 86, p < 0,01, RMSEA = 0,05, CFI = 0,93, SRMR = 0,06). Der Wortlaut der Items, standardisierte Faktorladungen und das Strukturmodell werden in Online-Anhang 2 dargestellt.

Mit dem zusammengefügten Gesamtdatensatz ließ sich die Übereinstimmung der Bewertungen der Klassenkultur innerhalb der Klassen anhand der Inner-Gruppenreliabilität (rwg(j)) überprüfen, berechnet als Anzahl der Items * 1 − beobachtete Varianz in den Bewertungen der Schüler*innen einer Klasse/Varianz bei Gleichverteilung der Antworten auf alle AntwortoptionenFootnote 1 (LeBreton und Senter 2007; O’Neill 2017). Bei rwg(j)-Werten über 0,70 kann von einer hohen Übereinstimmung in den Bewertungen gesprochen werden – der Anteil der Fehlervarianz im Vergleich zur Gesamtvarianz ist gering (LeBreton und Senter 2007). Unter Berücksichtigung aller Items der Fehlermanagementkultur (9 Items) bzw. Fehlervermeidungskultur (6 Items) weisen die Klassen eine hohe Übereinstimmung bei der Bewertung sowohl der Fehlermanagementkultur (rwg(j) = 0,87) als auch der Fehlervermeidungskultur (rwg(j) = 0,79) auf. Zusätzlich zur Übereinstimmung der Bewertung kann auch die Effektstärke der Klassenmitgliedschaft für die Bewertungen der Kultur durch die Schüler*innen bestimmt werden (LeBreton und Senter 2007). Der Anteil der Varianz der individuellen Antworten, der durch die Mitgliedschaft in einer Klasse erklärt werden kann (ICC(1)), lag bei der Fehlermanagementkultur-Skala bei ICC(1) = 0,11 (ICC(2) = 0,71), und bei der Fehlervermeidungskultur-Skala bei ICC(1) = 0,05. (ICC(2) = 0,52). Die ICC(1)-Werte können als schwacher Effekt der Klasse auf die Bewertung der Fehlervermeidungskultur und als mittelstarker Effekt auf die Bewertung der Fehlermanagementkultur interpretiert werden (LeBreton und Senter 2007). Die ICC(2)-Werte weisen auf eine ausreichende Reliabilität der Fehlermanagementkultur-Skala hin, während die Fehlervermeidungskulturskala eine geringere ICC(2) aufweist.

Weiterhin fanden wir eine nach Cohen (1992) mittlere bis starke negative Korrelation zwischen beiden Fehlerkulturen (r = −0,39; p < 0,05). Abb. 1 veranschaulicht, wie beide Fehlerkulturen in unterschiedlichem Ausmaß in den verschiedenen Klassen ausgeprägt sind und inhaltlich unterschiedliche Klassenkulturen darstellen, aufgeschlüsselt nach den verschiedenen Schultypen.

Abb. 1
figure 1

Zusammenhang zwischen Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur auf Klassenebene, aufgeschlüsselt nach Schultyp

4.2 Prüfung der angenommenen Zusammenhänge

Zur Überprüfung der Validität des Fragebogens wurden die Skalenwerte für Fehlermanagement- und Fehlervermeidungskultur sowie die Skalenwerte der Kriterien (Zielorientierungen, Hilflosigkeit, Schummeln, Fehlerbelastung, Self-Handicapping, akademisches Selbstkonzept) mehrebenenanalystisch zueinander in Beziehung gesetzt (Mittelwerte, Standardabweichungen und Interkorrelationen in Tab. 1). Wir analysierten zunächst, ob sich Klassen signifikant bezüglich der abhängigen Variablen unterschieden (Bliese 2016). Nachdem signifikante Unterschiede zwischen den Klassen gefunden wurden, wurde anschließend versucht, die individuellen Variationen der Schüler*innen in den Klassen sowie die Unterschiede zwischen den Klassen durch die wahrgenommenen Klassenkulturen auf individueller Ebene und durch die aggregierten Klassenkulturen auf Klassenebene zu erklären (Tab. 2).

Tab. 2 Mehrebenen-Regressionsanalytische Beziehungen zwischen Fehlermanagementkultur, Fehlervermeidungskultur und den Kriterien

Bezüglich der lernmotivationalen Variablen fanden sich Zusammenhänge auf individueller Ebene zwischen der Fehlermanagementkultur und der Lernzielorientierung von Schüler*innen (γ = 0,32, p < 0,01). Zusätzlich ergaben sich positive Zusammenhänge mit der Leistungszielorientierung Annäherung (γ = 0,07, p < 0,01). Weitere Beziehungen zeigten sich zwischen der Fehlervermeidungskultur und der Leistungszielorientierung, und zwar sowohl der Annäherung (γ = 0,25, p < 0,01) als auch der Vermeidung (γ = 0,38, p < 0,01). Auf Klassenebene ließ sich ein signifikanter negativer Zusammenhang zwischen der Fehlermanagementkultur und der Leistungszielorientierung Annäherung (γ = −0,20, p < 0,05) ermitteln. Bezüglich der kognitiven Variablen war auf der individuellen Ebene der Zusammenhang der Fehlermanagementkultur mit der Hilflosigkeit negativ (γ = −0,10, p < 0,01). Andererseits hing die Fehlervermeidungskultur positiv mit der Hilflosigkeit (γ = 0,34, p < 0,01) und der Fehlerbelastung (γ = 0,64, p < 0,01) zusammen. Auf Klassenebene zeigte sich entgegen der Annahme ein positiver Zusammenhang der Fehlermanagementkultur mit der Fehlerbelastung. Bezüglich Handlungen wie Schummeln und Self-Handicapping hingen beide auf individueller Ebene negativ mit der Fehlermanagementkultur zusammen (γ = −0,09/−0,07, p < 0,05), und positiv mit der Fehlervermeidungskultur (γ = 0,19/0,24, p < 0,01). Eine positive Beziehung ergab sich auch auf individueller Ebene zwischen Fehlermanagementkultur und Fähigkeitsselbstkonzept (γ = 0,12, p < 0,01) der Schüler*innen. Auf Klassenebene war der Zusammenhang von Fehlervermeidungskultur und Fähigkeitsselbstkonzept negativ (γ = −0,12, p < 0,05). Bessere Noten hingen positiv mit der individuellen Fehlermanagementkultur zusammen, sowohl zum Halbjahr (γ = −0,09, p < 0,05) als auch ca. ½ Schuljahr nach der Erhebung der anderen Variablen zum Schuljahresende (γ = −0,12, p < 0,05).

5 Diskussion

5.1 Diskussion der Ergebnisse

Ziel dieser Studie war es, den Umgang mit Fehlern im Klassenkontext zu untersuchen und zu diesem Zweck ein Instrument zur Messung der Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur für Schulklassen zu entwerfen sowie zu überprüfen, inwieweit diese Klassenkulturen mit Unterschieden in Lernmotivation, Verhalten und Kognition zusammenhängen. Es wurde ein Fragebogen mit 15 Items und drei Subskalen der Fehlermanagementkultur sowie zwei Subskalen der Fehlervermeidungskultur entwickelt und psychometrisch überprüft. Ergebnisse zeigen, dass das Messinstrument für die Untersuchung in den Klassenstufen 7–9 geeignet ist (insbesondere die gymnasiale Oberstufe mit ihrem Kurssystem, aber auch die Grundschule könnten angepasste Instrumente benötigen). Dabei entfallen 11 % der Varianz der Fehlermanagementkultur-Skala und 5 % der Varianz der Fehlervermeidungskultur-Skala auf die Klassenebene. Die beobachtete Stärke der Klasseneinflüsse in dieser Studie ähnelt den Einflüssen von Klassen, die für andere Merkmale gefunden wurden, z. B. dem Leseverständnis (Scharenberg 2014). Einflüsse der Klassen-Kulturen auf die weiteren untersuchten Konzepte unterstreichen, dass bezüglich einiger dieser Konzepte Unterschiede zwischen Klassen bestehen, die teilweise mit Unterschieden in der Fehlerkultur einhergehen. Im Sinne unserer Definition von Klassenkultur als fachübergreifendes Spezifikum der Schulklasse ist zu erwarten, dass sowohl Einflüsse von Lehrkräften als auch psychosoziale Beziehungen zwischen den Schüler*innen diese Unterschiede zwischen Klassen hervorbringen. Ein Hinweis auf den Einfluss der Lehrkräfte auf die Stärke der Klasseneinflüsse lässt sich aus einem Vergleich der Ergebnisse dieser Studie mit einer Untersuchung von Benning und Kollegen (Benning et al. 2019) ableiten, in der Schulen mit Klassenlehrer*innenprinzip eine etwa verdoppelte Intraklassenkorrelation (ICC1) für eine Fehlerklima-Skala aufweisen. Es bleibt zu untersuchen, inwieweit Klassenlehrer*innen hier einen stärkeren Einfluss nehmen als unterschiedliche Fachlehrer*innen.

Abb. 1 deutet darauf hin, dass eine Fehlermanagementkultur eher in Gymnasien angetroffen wird, während Fehlervermeidungskulturen eher in anderen Schultypen zu finden sind. Hier bleibt zu untersuchen, inwieweit derartige Unterschiede in größeren Studien bestätigt werden können und inwieweit Facetten der Unterrichtsgestaltung durch Lehrkräfte, Lehrpläne und Unterrichtsinhalte, aber auch die jeweilige soziokulturelle Zusammensetzung der Klassen Einfluss nehmen.

Weiterhin zeigt die vorliegende Studie, dass die individuelle Wahrnehmung einer Fehlermanagementkultur mit einer intrinsischen Motivation für Lernen in der Schule einhergeht, aber auch mit lernförderlichen Konzepten (geringere gefühlte Hilflosigkeit, geringeres Self-Handicapping, stärkeres Fähigkeitsselbstkonzept). Eine Fehlervermeidungskultur hängt auf dieser Ebene erwartungsgemäß weniger stark mit lernförderlichen Konzepten zusammen, sondern stattdessen eher mit einer Leistungsorientierung mitsamt den negativen Begleiterscheinungen wie Hilflosigkeit, Fehlerbelastung, Schummeln und Self-Handicapping. Die kollektiven Klassenkulturen weisen insgesamt weniger signifikante Zusammenhänge mit Lernmotivation, Handlung und Kognitionen von Schüler*innen auf. Allerdings zeigt sich ein negativer Zusammenhang der Klassen-Fehlermanagementkultur mit der Leistungszielorientierung Annäherung und marginal signifikant auch mit Self-Handicapping. Interessanterweise besteht eine positive Beziehung zwischen der Klassen-Fehlermanagementkultur und der Fehlerbelastung. Dies ist unter Umständen Ausdruck einer erhöhten Fehlerfrequenz oder einer erhöhten Beschäftigung mit individuellen Fehlern in einer derartigen Klassenkultur. Die Beziehung zwischen der Klassen-Fehlervermeidungskultur und dem Fähigkeitsselbstkonzept ist wie erwartet signifikant negativ, wohingegen es keinen negativen Zusammenhang auf der Individualebene gibt und erst unter Auspartialisierung der Einflüsse der Klassen-Fehlervermeidungskultur ein marginal signifikanter positiver Zusammenhang sichtbar wird. Dieser nicht hypothetisierte Vorzeichenwechsel auf individueller Ebene (sollte er sich in zukünftiger Forschung bestätigen) könnte ein Hinweis auf eine positive individuelle Wirkung der Fehlervermeidungskultur sein, nämlich, dass diese eine Fokussierung auf eine fehlerfreie Leistung fördert, welche bei tatsächlich fehlerfreier Leistung im Sinne hoher Fähigkeit interpretiert wird. Zudem zeigt sich ein negativer Zusammenhang zwischen der Klassen-Fehlermanagementkultur und der Fehlervermeidungskultur (die Korrelation auf Schüler*innen-Ebene ist für die latenten Indikatoren stärker negativ (φ = −0,41) als für die manifesten Indikatoren (r = −0,22)).

Der entwickelte Fragebogen zu Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur in der Klasse kann somit einen Beitrag leisten, fächerübergreifende Klassenkulturen und deren Zusammenhänge mit den Kognitionen und dem Verhalten von Schüler*innen genauer zu erforschen. Neben bestehenden Instrumenten zur Messung des Fehlerklimas im Unterricht (Steuer und Dresel 2015) oder auf der Ebene der Schüler*innen (Spychiger et al. 2006) bietet das entwickelte Instrumentarium hier einen Ansatzpunkt für weitere Forschung und Interventionen in der Praxis.

Stärken der Untersuchung sind der Rückgriff auf ein etabliertes theoretisches Konzept von Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur (Frese und Keith 2015) sowie empirisch die relativ große Anzahl von Schüler*innen, die untersucht werden konnten. Gleichzeitig wirft die vorliegende Untersuchung neue Fragen auf, die mit dem vorliegenden Datenmaterial nicht abschließend geklärt werden können.

5.2 Limitationen der Studie

Einige Limitationen der vorliegenden Studie sind zu diskutieren: Zunächst stellt aus theoretischer Sicht das Konzept der Fehlervermeidungskultur einen interessanten und bisher wenig untersuchten Ansatz zur Untersuchung von Schüler*innenverhalten in Lern- und Leistungssituationen dar. Hierzu zeigt die vorliegende Untersuchung, dass Zusammenhänge zwischen den untersuchten kulturellen Praktiken und individueller Motivation, Verhalten und Kognitionen bestehen. Jedoch könnten Fehlervermeidungskulturen darüber hinaus relevante Folgen für das Verhalten von Schüler*innen haben, insbesondere in Situationen, in denen eine Handlung nicht erforderlich ist, indem sie Passivität fördern. Eine Untersuchung derartiger Folgen, z. B. aus Sicht von Lehrkräften, könnte helfen, Unterschiede zwischen Schulklassen zu erhellen. In diesem Sinne könnte zukünftige Forschung auf das Fehlerverständnis von Schüler*innen eingehen, da die Wahrnehmung von Fehlern selbst bereits durch die Fehlerkultur beeinflusst sein könnte. Die gefundenen Zusammenhänge könnten daher die Zusammenhänge unter Kontrolle des Fehlerverständnisses unterschätzen.

Aus methodischer Sicht bleibt zu beachten, dass die Untersuchung korrelativ ist, das heißt es können keine Ursache-Wirkungsbeziehungen bezüglich der beiden Fehlerkulturen und deren potenziellen Folgen auf Schüler*innenebene aufgezeigt werden. Zukünftige Forschung könnte einerseits die natürlichen Fluktuationen der Klassenkultur genauer beleuchten oder die Entstehung von Klassenkulturen untersuchen, zum Beispiel in neu zusammengesetzten Klassen. Zudem ist die Stichprobengröße auf Klassenebene in der vorliegenden Studie relativ gering. Einige relevante mehrebenenanalytische Fragen, insbesondere zur Faktorstruktur des Fragebogens auf Klassenebene, bleiben daher unbeantwortet, wobei Indizes für die Aggregation der Skalen (rwg(j) und ICC(1)) auf das Bestehen von Unterschieden zwischen Schulklassen hinweisen. Dennoch sollte die Struktur des Fragebogens auf Klassenebene in zukünftiger Forschung überprüft werden. In diesem Zusammenhang ist die Auswahl der Items im Fragebogen mehrebenenanalytisch zu überprüfen, da in dieser Untersuchung eine Itemselektion auf individueller Ebene stattfand. Die relativ geringe Anzahl der Klassen erlaubt zudem keine weitergehende Analyse der Klassen-Fehlerkulturen für verschiedene Schulen, Schultypen oder gar Schulsysteme.

5.3 Ansatzpunkte für zukünftige Forschung

Ein Ansatzpunkt für zukünftige Forschung liegt insbesondere in der Untersuchung unterschiedlicher Datenquellen in Bezug auf eine Klasse. Die in dieser Studie untersuchten Schüler*innen in einer Klasse bilden zwar die jeweils relevante Gruppe, um die Kultur einer Klasse zu erforschen, ebenso wie für die Erforschung von individueller Motivation, Verhalten und Kognitionen. Die Fokussierung auf nur eine Datenquelle kann dabei allerdings zu Verzerrungen der gefundenen Zusammenhänge aufgrund von methodisch bedingter gemeinsamer Varianz führen. Um das empirische Problem zu verringern, wurden in dieser Studie einige Merkmale auf Ebene der Schüler*innen auch zu einem zweiten Untersuchungszeitpunkt (Tab. 1: T2) erhoben. Die relative Stabilität der gefundenen Zusammenhänge, insbesondere bezüglich der Richtung und Stärke der Zusammenhänge sowohl auf Schüler*innenebene als auch auf Klassenebene, spricht dafür, dass die Zusammenhänge nur in geringem Maße von der methodisch bedingten gemeinsamen Varianz beeinflusst sind.Footnote 2 Zukünftige Forschung könnte dennoch weitere Datenquellen wie zum Beispiel Lehrkräfte erschließen, um zusätzliche Perspektiven zu integrieren (z. B. Seifried et al. 2015) und um eine externe Sicht auf die Klassenkultur und deren Zusammenhänge mit dem Verhalten von Schüler*innen zu erhalten. Einflüsse von Lehrkräften auf das Unterrichtsklima sind gut belegt (z. B. Steuer et al. 2021), wobei die Ähnlichkeit der Fehlerklimata in verschiedenen Unterrichtsfächern wiederum für fach- eventuell auch schul- oder schulartübergreifende Fehlerkulturen sprechen könnte. Informationen über die soziostrukturelle und psychologische Zusammensetzung von Klassen, über die Lehrkräfte und deren Lehrmethoden könnten zudem Hinweise bezüglich der Entstehung spezifischer Klassenkulturen geben (Koth et al. 2008; Spychiger et al. 2006; Tulis 2013).

Darüber hinaus ergaben sich in der vorliegenden Untersuchung keine Zusammenhänge zwischen den Fehlerkulturen auf Klassenebene und den Klassendurchschnittsnoten. Gründe für das Ausbleiben eines Zusammenhangs auf Klassenebene könnten in zukünftiger Forschung untersucht werden. Eine Hypothese könnte sein, dass die Fehlermanagementkultur zwar das Erleben des Lernumfelds Schule beeinflusst, nicht jedoch den tatsächlichen Erwerb von Fertigkeiten. Andererseits könnte das Ausbleiben von Zusammenhängen auch bedingt sein durch die Anpassung der Bewertung von Leistung an das konkrete Leistungsniveau einer Klasse oder durch die in dieser Studie erfolgte Beschränkung auf Noten in Deutsch, Mathematik und Englisch. Zukünftige Forschung könnte daher versuchen, alternative Maße für die Leistungsfähigkeit von Klassen einzubeziehen (Kapur 2016).

Zuletzt zeigt die vorliegende Studie lediglich Zusammenhänge zwischen den untersuchten Charakteristika der Fehlerkultur sowie weiteren Faktoren auf, jedoch keine Interaktionen zwischen Faktoren auf unterschiedlichen Analyseebenen. Andere Untersuchungen weisen jedoch darauf hin, dass es auch in den Einflüssen von Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur komplexe Zusammenhänge zwischen den Faktoren über Analyseebenen hinweg geben könnte. Zum Beispiel kann die Beziehung zwischen Zielorientierungen und Verhalten in der Schule vom Klassenklima beeinflusst werden (Lau und Nie 2008). Ähnliche Mehrebeneneinflüsse wurden auch für die Fehlermanagementkultur in Unternehmen gezeigt (Fischer et al. 2018) und sind auch für die schulische Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur zu erwarten (Tulis et al. 2016). Eine tiefergehende Analyse einzelner individueller Folgen von Fehlermanagementkultur und Fehlervermeidungskultur der Klasse sollte weiterhin die Verschiebung in der Bedeutung von Konzepten untersuchen, wenn diese auf Klassenebene aggregiert werden (z. B. für Zielorientierungen siehe Lau und Nie 2008; Meece et al. 2006).