„Allgemeingültige Kriterien „guten Englischunterrichts“ gibt es bislang […] nicht“ (Elsner und Gießler 2011, S. 104; vgl. auch Rossa 2019). Auch wenn Curricula für den schulischen Englischunterricht im deutschsprachigen Raum durchgängig und basierend auf dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001, 2020) die gleichen drei Kompetenzbereiche als übergeordnete Zielsetzung nennen (d. h. funktionale kommunikative Kompetenz, interkulturelle Kompetenz und fachübergreifende methodische Kompetenzen), kann diese Feststellung nach wie vor als zutreffend gelten. Zwar lassen sich aus vorliegenden Befunden der internationalen Spracherwerbsforschung einige Aspekte zur Unterrichtsgestaltung ableiten, die dem Sprachlernen zuträgliche Bedingungen zu schaffen scheinen (Ellis 2008; Lightbown und Spada 2013; Rossa 2019). Eine umfassende, kohärente und für unterschiedliche Lernsituationen und Lernende passende Theorie für „guten Englischunterricht“ wird es aber wohl nicht geben angesichts dessen, dass es eine Reihe von Einflussfaktoren gibt, die in wechselnden Konstellationen unterschiedlich einflussreich sind. In diesem Sinne diskutierte Prahbu (1990) in einem vielzitierten Beitrag zum Fremdsprachenunterricht die Frage „There Is No Best Method—Why?“ und prägte damit die Bezeichnung der seit den 1990er-Jahren bis heute bestehenden Post-method Era. Aus dieser Erkenntnis, dass je nach Situation und beteiligter Personen verschiedene Vorgehensweisen zum Sprachlernziel führen können, und dem Streben nach einer empirischen, also regelgeleiteten, systematischen und möglichst standardisierten Erforschung von Unterrichtsqualität entsteht ein gewisses Spannungsverhältnis. Eine noch ungelöste Aufgabe ist es, dieses Spannungsverhältnis durch die Zusammenführung von Erkenntnissen der Spracherwerbsforschung, Fachdidaktik und Bildungswissenschaften auszuloten und in einem empirischen Untersuchungsinstrument zu konkretisieren. Der vorliegende Kommentar wird diese Aufgabe nicht erledigen können, leistet aber einen Beitrag in der Zusammenfassung des aktuellen englisch- bzw. fremdsprachendidaktischenFootnote 1 Diskussionsstands sowie aktueller Ansätze zur Entwicklung entsprechender Instrumente.
Es ist schwierig, innerhalb der Englischdidaktik unterschiedliche Positionen zur Frage auszumachen, inwiefern Unterrichtsqualität fachspezifisch oder fachübergreifend ist; man scheint sich relativ einig zu sein, dass die Qualität von Englischunterricht in jedem Fall unter seinen komplexen fachspezifischen Bedingungen und Zielsetzungen betrachtet werden sollte (Rossa 2017, S. 106–107, 2019). Dementsprechend werden die drei fachübergreifend formulierten Basisdimensionen der Unterrichtsqualität (Praetorius et al. 2020) innerhalb der fremdsprachendidaktischen Community tendenziell kritisch wahrgenommen, und es gibt vergleichsweise wenige fremdsprachendidaktische Studien zur Rolle der Unterrichtsqualität im schulischen Englischunterricht im deutschsprachigen Raum. Auch international scheint dieser Gegenstand keine Rolle in der empirischen Unterrichtsforschung zum Fremdsprachenlernen zu spielen; in der der internationalen Zweitspracherwerbsforschung gibt es jedoch umfangreiche Wirksamkeitsstudien zu isolierten Facetten wie z. B. Corrective Feedback, Initiation-response-feedback (IRF) oder Classroom interaction, die in einem umfassenden Instrument zur Untersuchung von Unterrichtsqualität des Fremdsprachenunterrichts zusammengeführt und konkretisiert werden müssten. Des Weiteren ist hinzuweisen auf eine sich im US-Amerikanischen Kontext abzeichnende Forschungstendenz zu High-Leverage Teaching Practices ab (z. B. Davin und Troyan 2015). Diese fokussiert primär die Professionalisierung von Lehrpersonen und meint folglich nicht dasselbe wie Unterrichtsqualität, doch scheinen sich beide Forschungsansätze aktuell aufeinander zu zubewegen.
Kritik entzündet sich angesichts der zentralen kommunikativen und interkulturellen Lernziele im Fremdsprachenunterricht insbesondere an der Basisdimension „kognitive Aktivierung“, denn im kommunikativen Fremdsprachenunterricht erwerben „die Lernenden nicht nur Wissen und Kompetenzen hinsichtlich eines Unterrichtsgegenstands […], sondern [entfalten] sich vielmehr in ihrer sprachlichen und kulturellen Identität“ (Rossa 2017, S. 107). Dieser Aspekt verweist auf den besonderen Beitrag der fremdsprachlichen Fächer zum schulischen Erziehungsauftrag, wie er z. B. in den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss formuliert wird (KMK 2003, S. 6): „Angesichts der zunehmenden persönlichen und medialen Erfahrung kultureller Vielfalt ist es auch Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts, Schülerinnen und Schüler zu kommunikationsfähigen und damit offenen, toleranten und mündigen Bürgern in einem zusammenwachsenden Europa zu erziehen.“
Auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Adaption dieser Basis-Dimension wurde bereits im Rahmen der DESI-Studie (Deutsch Englisch Schülerleistungen International) verwiesen (Helmke und Klieme 2008, S. 306), bei der es sich um die größte Studie im Kontext des deutschen Schulsystems zu Merkmalen des Englischunterrichts handelt, die letztlich lernpsychologisch geprägt ist. Die Studie erfasste im Zusammenhang mit Lernzuwächsen über ein Schuljahr einige fachspezifische Variablen, die auch an die Befunde der Zweitsprachenerwerbsforschung anschließen. „Fasst man die videobasierten Analysen zusammen, dann lässt sich der Unterricht in Klassen mit besonders hohem Zuwachs in der Hörverstehensleistung wie folgt charakterisieren: In erfolgreichen Klassen
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kommen Schülerinnen und Schüler häufig zum Sprechen (Verteilung der Sprechanteile)
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warten Lehrerinnen und Lehrer mindestens drei Sekunden auf Schülerantworten
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ist bei Unterrichtsgesprächen Englisch die überwiegende Unterrichtssprache
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erhalten Schülerinnen und Schüler Gelegenheit zur Selbstkorrektur ihrer Fehler
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gibt es vergleichsweise wenige „Ein-Wort-Sätze“
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kommt es zu Lehrer-Schüler-Dialogen (mehrere Gesprächsstationen, über einfache Frage-Antwort-Sequenzen hinaus)“ (Helmke et al. 2008, S. 361).
Im Folgenden soll auf drei aktuelle fachdidaktische Ansätze verwiesen werden, Unterrichtsqualität im Englischunterricht unter fachspezifischen Gesichtspunkten zu untersuchen: (1) Im Rahmen der TEPS-Studie (Teaching English in Primary Schools; Wilden und Porsch 2019) wurden zwei Skalen (Klassenführung, Unterstützendes Klima) eines Befragungsinstruments zur Erhebung von Unterrichtsqualität im Sachunterricht der Grundschule aus Schüler*innen- und Lehrer*innenperspektive für den Englischunterricht adaptiert (Fauth et al. 2014). Zudem wurde eine Skala für das Konstrukt „kommunikativ-kognitive Aktivierung“ (Thaler 2014) theoriebasiert neu entwickelt, worunter neben der Zielsprache als Lerngegenstand auch die Verwendung der englischen Sprache als Medium der Unterrichtskommunikation als wesentlich Voraussetzung für das sprachliche Lernen verstanden wird (vgl. auch Praetorius et al. 2020). Erste Befunde verweisen darauf, dass eine hinreichend reliable Skala zum Einsatz in Schulleistungsstudien entwickelt werden konnte (Wilden und Porsch 2019). Eine Studie zu den Englischleistungen von Grundschulkindern mit früherem (Klasse 1) oder späterem (Klasse 3) Lernbeginn konnte unter Kontrolle von Unterrichtsqualität (Schüler*innensicht) und Lehrer*innenqualifikation entgegen der Erwartungen keine höheren Englischleistungen der Frühstarter*innen finden (Wilden et al. 2020). Jedoch korrelierte ein unterstützendes Klima positiv und signifikant mit den rezeptiven Englischfertigkeiten. In einer weiteren Studie zur Rolle der sehr heterogenen Qualifikationen von Englischlehrkräften in der Grundschule zeigte sich ein positiver Zusammenhang zwischen allen Dimensionen von Unterrichtsqualität (Lehrer*innensicht) und dem fachspezifischen und allgemeinen Enthusiasmus der Lehrkräfte sowie ihrer zielsprachlichen Kompetenz (Porsch und Wilden 2021). Interessant ist hier zudem, dass entgegen der Erwartungen Hinweise auf einen lediglich indirekten Zusammenhang zwischen der formalen Qualifikation der Lehrkräfte und der Unterrichtsqualität gefunden wurden. Gerade in Bezug auf die kommunikativ-kognitive Aktivierung deuten die Autorinnen der Studie dies als Anhaltspunkt, der auf die Notwendigkeit einer noch präziseren Weiterentwicklung des Erhebungsinstruments hinweist. (2) Mit TIOS (Teacher Input Observation Scheme) haben Kersten et al. (2018) auf Basis vorliegender Befunde der Zweitspracherwerbsforschung ein Beobachtungsinstrument zur Messung verschiedener Dimensionen von Unterrichtsqualität entwickelt (Activities: Cognitive Stimulation of Learners’ Realm of Experience, Support of Comprehensible Input (Verbal & Non-Verbal), Support of Comprehensible Output: Promoting and Reacting to the Learners’ L2 Production & Corrective Feedback). Bei Input und Output handelt es sich um fachspezifische Konstrukte, die die Zweitspracherwebsforschung als wesentliche Elemente des erfolgreichen Spracherwerbs identifiziert hat (vgl. unten) und die durch bestimmtes situatives Lehrer*innenhandeln unterstützt werden. Alle TIOS-Dimensionen sind letztlich schwerpunktmäßig der Basisdimension „Kognitive Aktivierung“ – auch wenn es verschiedene Bezüge auch zu den anderen beiden Basisdimensionen gibt – zuzuordnen, da sie die Unterstützung der Lernenden im Finden eines Lösungswegs für eine kommunikative „Problemstellung“ fokussieren. Erste Ergebnisse einer Videostudie weisen darauf hin, dass sich mit TIOS reliabel Unterschiede in den Prozessmerkmalen verschiedener Unterrichtsansätze erfassen lassen, die zudem alle signifikante Zusammenhänge mit den zielsprachlichen Englischleistungen auf verschiedenen Kompetenzniveaus von Grundschulkindern am Ende der Klasse 4 zeigen (Kersten 2021). TIOS scheint der derzeit am weitesten entwickelte fachspezifische Ansatz zur Erfassung von Unterrichtsqualität im Englischunterricht zu sein, der zudem verschiedene Anknüpfungspunkte zu fachunabhängigen Ansätzen aufweist. (3) Helsper (in Vorbereitung) verfolgt – ausgehend von Ansätzen der allgemeinen empirischen Unterrichtsforschung – das Ziel, ein fachdidaktisches Beobachtungsinstrument für die Basisdimension „Kognitive Aktivierung“ im Englischunterricht zu entwickeln und zu validieren. Im Fokus stehen die bewusste Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand Fremdsprache und die Frage, inwiefern das Unterrichtsangebot Gelegenheiten bietet, ein anwendbares Sprachwissen aufzubauen. So wird beispielsweise beurteilt, inwiefern die Lernenden dazu angeregt werden, angemessene Vorstellungen des Gebrauchs sprachlicher (auch grammatischer) Mittel zu entwickeln und zu überprüfen (z. B. „Die Lehrperson schafft Gelegenheiten, um über sprachliche Entscheidungen nachzudenken.“). Das Beobachtungsinstrument befindet sich noch in der Entwicklung, doch ist damit zu rechnen, dass die für 2022 zu erwartenden Ergebnisse einen wichtigen Beitrag zu diesem englischdidaktischen Forschungsfeld leisten werden.
Abschließend sei auf eine innerhalb der Fremdsprachendidaktik wahrgenommene Kontroverse verwiesen, die – im Zusammenhang mit der Diskussion um die Fachspezifität von Unterrichtsqualität nicht unbedeutend – eher disziplinär zu sein scheint und entlang der Frage verläuft, wie sehr man sich an Gegenständen und Methoden der Lernpsychologie bzw. Bildungswissenschaften orientieren will. Es gibt in der Fremdsprachendidaktik eine starke Tradition der theoretischen Forschung, die sich mit der Bestimmung und Systematisierung des Gegenstandsbereichs sowie der (Weiter‑)Entwicklung und Reflexion von unterrichtspraktischen Konzepten befasst (Legutke 2016). Dahingegen ist die empirische Forschung innerhalb der Fremdsprachendidaktik vergleichsweise jung und wird von Studien im qualitativ-interpretativen Spektrum dominiert (Schramm 2016, S. 56). Letztlich überrascht die geringe fachdidaktische Forschungsaktivität zu Unterrichtsqualität bzw. die tendenziell kritische Haltung dazu angesichts dessen, was Caspari (2016, S. 11) in einem Überblicksartikel als Ziel fremdsprachendidaktischer Forschung formuliert: „Das theoretische Ziel fremdsprachendidaktischer Forschung besteht – ganz allgemein – darin, die einzelnen Faktoren fremdsprachlichen Lernens und Lehrens differenziert zu erforschen und in ihrem Zusammenwirken immer genauer zu verstehen.“ Vor diesem Hintergrund erscheint doch auch eine dezidiertere Auseinandersetzung mit fachspezifischen Dimensionen des Unterrichtsprozesses angezeigt.