Der Fall

Eine 36-jährige Patientin stellte sich mit Z. n. erneuter sekundärer Amenorrhö seit der Geburt ihrer Tochter vor knapp drei Jahren in der Sprechstunde vor. Nach 8‑monatiger Amenorrhö wurde im Oktober 2021 eine Hormonersatztherapie (HRT) mit dem sequenziellen HRT-Präparat Femoston 2/10 (Estradiol 2 mg/Dydrogesteron 10 mg) begonnen. Hierunter stellte sich dann ein regelmässiger Zyklus mit Hormonentzugsblutungen ein. Auch der während der Amenorrhö aufgetretene Haarausfall war unter HRT rückläufig.

Nach einer spontanen Menarche mit 13 Jahren entwickelte die Patientin eine Anorexie mit einer Gewichtsabnahme auf minimal 41 kg. In dieser Phase trat bereits erstmals eine sekundäre Amenorrhö auf, die bis zum 17. Lebensjahr per HRT behandelt wurde. Nach Absetzen der HRT zeigten sich zunächst spontane regelmässige Zyklen bis zu einer erneuten Gewichtsabnahme von 5 kg im Jahr 2016 im Rahmen eines psychischen Traumas mit stationärer psychiatrischer Behandlung. Nach psychischer Stabilisierung und Gewichtszunahme von 4 kg stellte sich wieder ein Spontanzyklus ein bis zum spontanen Eintritt der Schwangerschaft. Nach der Geburt 2020 zeigte sich jedoch eine persistierende sekundäre Amenorrhö trotz erneuter Gewichtszunahme postpartal auf aktuell 46 kg (BMI 18 kg/m2). Laut der Patientin habe ihr Körpergewicht nie über 47 kg gelegen. Zudem berichtete die Patientin von regelmässigen Sporteinheiten mehrmals pro Woche.

Diagnostik

Bei V. a. Relative-energy-deficiency-in-sports(RED-S)-Syndrom erfolgte zur weiteren Abklärung der sekundären Amenorrhö eine umfassende Labordiagnostik. Dabei zeigte sich unter der HRT mit Femoston 2/10 ein Estradiol (E2) im Serum von 369 pmol/l. Dies entsprach einer adäquaten Substitution. Die Gonadotropine waren mit LH 1,0 U/l und FSH 2,1 U/l erniedrigt. Prolaktin, die Androgene DHEAS und Gesamttestosteron sowie das AMH als Parameter der Eizellreserve waren normwertig. Eine Dyslipidämie oder ein V. a. Thyreopathie bestand laborchemisch nicht. Auf eine gynäkologische Untersuchung wurde auf Wunsch der Patientin verzichtet. Hinweis auf Androgenisierung bestand klinisch nicht.

Therapie und Verlauf

Als Hauptanliegen gab die Patientin die Abklärung der sekundären Amenorrhö an. Sie würde die HRT gern absetzen, wollte dies jedoch aktuell aus Sorge vor einem erneuten Haarausfall nicht. Zudem wünschte sie sich eine Steigerung ihrer Libido und eine Linderung der vulvovaginalen Atrophie.

Daher besprachen wir mit der Patientin die Fortführung der HRT mit Femoston 2/10 bei guter Verträglichkeit sowie die Hinzunahme von vaginalen Ovestin-Zäpfchen zweimal wöchentlich zur Linderung der Scheidentrockenheit. Zum Ausschluss einer Osteopenie oder Osteoporose wurde eine Vorstellung zur Knochendichtemessung mittels DEXA geplant. Im weiteren Verlauf sollte zudem eine Ernährungsberatung und ggf., falls von der Patientin erwünscht, eine Psychotherapie gebahnt werden. Zur Steigerung der Libido wäre ein Off-label-Therapieversuch mit Testosteron möglich.

Hintergrund

Kommt es zu einer dauerhaft niedrigen Energieverfügbarkeit („low energy availability“ [LEA]), steigt das Risiko eines RED‑S, welches unbehandelt schwerwiegende kurz- und langfristige gesundheitliche Folgen haben kann [1, 3, 4, 7]. Die Energieverfügbarkeit („energy availability“ [EA]) ist definiert als die tägliche Energieaufnahme („energy intake“ [EI]) abzüglich des sportbedingten Energieverbrauchs („exercise energy expenditure“ [EEE]) [1, 5, 8]. Das RED‑S entwickelt sich aufgrund eines Energiedefizits, wenn die Energieaufnahme aus der Ernährung über einen längeren Zeitraum nicht ausreichend ist für den Energieverbrauch durch körperliche Aktivität [1, 5].

Die erstmals 1992 beschriebene „female athlete triad“ (TRIAD) setzt sich zusammen aus der Trias von niedriger Energieverfügbarkeit („low energy availability“ [LEA]) mit oder ohne Essstörung, Zyklusstörungen und niedriger Knochendichte bei weiblichen Sportlerinnen [5, 7, 8]. 2014 wurde dann das „relative energy deficiency in sports syndrome“ (RED-S) vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) als komplexes klinisches Krankheitsbild eingeführt, welches nicht nur die Kriterien der TRIAD umfasst, sondern multiple weitere Organsysteme und auch Männer einschliesst [2, 3, 5]. Manifestiert sich ein RED‑S, kommt es zu dysfunktionalen Veränderungen im ganzen Körper [1, 4, 8]. Diese sind bedingt durch eine verminderte GnRH-Pulsatilität im Hypothalamus und eine damit einhergehende reduzierte Gonadotropinsekretion der Hypophyse [5, 6]. Das RED‑S kann sich klinisch durch Zyklusstörungen, eine verminderte Knochendichte bis hin zu Osteoporose und pathologischen Frakturen, in metabolischen Veränderungen, weiteren endokrinen Dysfunktionen sowie durch eine Beeinträchtigung des Immun- und kardiovaskulären Systems äussern [1, 3, 4, 5, 7, 8].

Fazit für die Praxis

  • Die Diagnosestellung ist herausfordernd, da es sich bei RED‑S um eine Ausschlussdiagnose handelt und so eine umfassende gynäkologisch-endokrinologische Amenorrhöabklärung erfolgen sollte.

  • Die Behandlung des RED‑S besteht v. a. in einem Ausgleich des bestehenden Energiedefizits durch eine Erhöhung der Energieaufnahme und/oder einer Reduktion des z. B. trainingsbedingten Energieverbrauchs. Neben Ernährungsberatung und gynäkologischer Betreuung kommt auch der Psychotherapie eine bedeutende Rolle zu, da häufig begleitende psychische Auffälligkeiten wie eine Depression, Angststörung oder ein gestörtes Essverhalten bestehen. Wenn eine adäquate Gewichtszunahme gelingt, stellt sich bei einem Grossteil der Patientinnen wieder ein regelmässiger Zyklus mit normaler ovarieller Funktion ein. Die negativen Auswirkungen auf die Knochengesundheit können jedoch noch Monate bis Jahre anhalten. Verbesserungen können dabei medikamentös durch eine Vitamin-D- und Kalziumsubstitution sowie eine überbrückende Hormonersatztherapie erzielt werden. Studiendaten belegen, dass nach wie vor bei medizinischem Personal aller Fachrichtungen das Wissen über RED‑S gering ist, weshalb durch weitere Aufklärung die Aufmerksamkeit und Kompetenz diesbezüglich gesteigert werden müssen.