Aus ärztlicher Sicht ist klar, was Patient:innen mit Adipositas tun müssen um abzunehmen: weniger essen und sich mehr bewegen [1, 2]. Auch für Patient:innen ist das oft nichts Neues und die meisten wünschen sich auch weniger Gewicht. So entsteht im ärztlichen Gespräch schnell eine herausfordernde Situation für beide Seiten. Sie als ärztliche Person sollen das „Problem“ lösen und die Adipositas behandeln. Allerdings ist Ihr Einfluss begrenzt: Insbesondere neuere Arzneimittel können gute Ergebnisse erzielen, aber eine wirkliche Verbesserung der Lebensqualität kann erst erreicht werden, wenn auch Lifestyle-Änderungen in den Bereichen „Ernährung“ und „Bewegung“ umgesetzt werden. Lifestyle-Änderungen seitens der Patient:innen sind also trotz medikamentöser Therapie unumgänglich und sollten dauerhaft umgesetzt werden. Dies erfordert viel Selbstdisziplin und eine hohe Eigenmotivation aufseiten der Patient:innen.

Beim Aufbau einer Behandlungsstrategie und einer Behandlungsallianz zwischen Arzt/Ärztin und Patient:in werden häufig im ersten Schritt von ärztlicher Seite Informationen an die oder den Patient:in vermittelt, wie beispielsweise die Veranschaulichung der Zusammenhänge zwischen Nahrungszufuhr, Körpergewicht und körperlicher Aktivität. Allerdings sind diese bei Patient:innen mit Adipositas komplexer als „zu viel essen plus zu wenig Bewegung = Übergewicht“ [3]. Das Essverhalten und auch bestimmte Nahrungsmittel haben über ihre energieliefernde Wirkung hinaus oft eine Bedeutung in der Emotionsregulation. Essen kann als Belohnung positive Gefühle verstärken oder als Kompensationsverhalten negative Gefühle überdecken. Im individuellen Fall ist die emotionale Bedeutung aber häufig sehr nuanciert und komplex und keineswegs einfach auf „Frust- und Genussessen“ zu reduzieren.

Die physiologische Wirkung der Nahrungsaufnahme, die Verhaltensgewohnheiten und die emotionale Wirkung des Essverhaltens verstärken sich in der Regel gegenseitig in einem Teufelskreis. So wird das ungünstige Verhalten aufrechterhalten, obwohl die betroffenen Personen auf der kognitiven Ebene wissen, dass die Adipositas erhebliche Gesundheitsrisiken mit sich bringt. Ist zum Beispiel der Energieumsatz durch außergewöhnliche Bewegung doch mal erhöht, können Nahrungsmittel als verdiente Belohnung zusätzlich zur hungerstillenden Wirkung gesehen werden: „Jetzt kann ich mir auch drei Kugeln Eis erlauben, ich bin 15 Minuten zu Fuß gegangen.“ Das ungünstige Essverhalten wird durch eine Belohnung verstärkt und erhält sich dadurch aufrecht. Informationsvermittlung allein kann hier keine dauerhafte Verhaltensveränderung bewirken. Denn aus der Verarbeitung von Informationen resultieren nicht zwangsläufig entsprechende Handlungen – sonst gäbe es vermutlich keine Raucher:innen. Seit den 2000er-Jahren sehen wir einen starken Rückgang der Toleranz hinsichtlich des Rauchens in der Öffentlichkeit. Diese Tendenz spiegelt sich auch im Rückgang des Rauchverhaltens bei Jugendlichen wider [4]. Trotzdem rauchen verhaltensgewöhnte Raucher:innen oft weiter und geben die Gewohnheit nicht auf, obwohl sie wissen, welche Gesundheitsrisiken das Rauchen birgt. Um das Rauchen aufzugeben, fehlt ihnen Motivation und Zuversicht, die schwierige Aufhörphase zu schaffen. Bei Patient:innen mit Adipositas ist es ähnlich. Häufig ist bereits viel Wissen um die Gesundheitsrisiken der Adipositas vorhanden, aber die Motivation, Lifestyle-Änderungen anzufangen und beizubehalten, reicht nicht aus. Wie können Sie also im Patientengespräch dazu beitragen, die Eigenmotivation der Patient:innen zu stärken, um sich mehr zu bewegen und gesünder zu essen?

Motivierende Gesprächsführung

Motivierende Gesprächsführung (oder auch „motivational interviewing“ [MI]) ist eine erprobte Gesprächsführungstechnik. Sie wurde in den 1980er-Jahren [5] zur Gesprächsführung mit suchterkrankten Menschen entwickelt. Die Technik basiert auf der Grundannahme, dass jedes Individuum motiviert ist, sein Leben bestmöglich zu gestalten. Dementsprechend können Behandelnde ihre Patient:innen lediglich begleiten und nicht beeinflussen [6]. Das heißt konkret: Welche Bedeutung bestimmte Informationen und Beratungsleistungen im Entscheidungsprozess der Patient:innen haben, wird stark durch die Eigenmotivation der Patient:innen beeinflusst. Patient:innen gehen also ihre eigenen Wege. Das können auch weniger aussichtsreiche Wege sein oder Wege, die ein anderes Ziel verfolgen als das Ziel, welches Sie aus ärztlicher Sicht für die Patientin oder den Patienten vorsehen würden. Patient:innen trotzdem zu begleiten, stärkt die Arzt-Patienten-Beziehung und macht es langfristig wahrscheinlicher, dass Sie ein gemeinsames, sinnvolles Ziel finden.

Diese Sichtweise als Behandelnde anzunehmen, kann zunächst ungewohnt sein. Es gibt andere Behandlungssituationen, in denen Sie in der ärztlichen Rolle am wirkungsvollsten behandeln, indem Sie etwas anordnen, dass dann von Patient:innen nur ausgeführt wird. Zum Beispiel bei der Einnahme oraler Kontrazeptiva. Die Sichtweise auf die Behandlung im „motivational interviewing“ ist anders. Mit ihr gehen ein dauerhafter Beziehungsaufbau zwischen Behandelnde und Patient:in sowie ein achtsamer Einsatz der eigenen ärztlichen Ressourcen (Zeit und Energie) einher. Als Behandelnde nehmen Sie weniger direkten Einfluss auf den oder die Patient:in und die Gesprächsführung erfordert einen Wechsel in eine nichtdirektive Haltung. Dies erfordert ein wenig Übung und ist am Anfang herausfordernd.

Wie können Sie ein Gespräch gut beginnen?

Bei motivierender Gesprächsführung werden Patient:innen dort abgeholt, wo sie stehen. Dies erfordert seitens des Behandelnden Empathie und Wertschätzung, Akzeptanz und Vertrauen. Die Herausforderung liegt darin, dem Gegenüber weniger direktiv zu begegnen. Zwar kommt ein Laie als Patient:in zu einem/einer ärztlichen Expert:in und sucht Hilfe oder erwartet vielleicht sogar die Lösung des Problems. Insbesondere bei Adipositas haben Patient:innen aber eine große Mitverantwortung für den Behandlungserfolg. Ihr Gesundheitszustand verbessert sich genau dann, wenn Lifestyle-Interventionen außerhalb der Praxis umgesetzt und dauerhaft in den Alltag integriert werden. Genau das ist die Schwierigkeit. Ein möglicher Gesprächseinstieg könnte lauten: „Ich möchte heute mit Ihnen über Ihr Gewicht sprechen. Sind Sie einverstanden?“

Auch dass es schwierig wird, sollte kein Tabuthema sein. Eine mögliche Formulierung kann lauten: „Bewegung und Ernährung sind Bereiche, die bei Ihnen zu Hause stattfinden. Das ist sozusagen Arbeit, die Sie alleine machen müssen. Aber ich glaube, dass Sie das schaffen können. Und ich unterstütze Sie in unseren Terminen dabei, dass Sie das durchhalten. Sollen wir uns über mögliche nächste Schritte unterhalten?“ Dieser Gesprächseinstieg kann auch für Behandelnde entlastend sein.

Auf unterschiedliche Motivationszustände der Patient:innen gut reagieren

Wenn ein:e Patient:in auf die Frage „Möchten Sie mit mir über Ihr Gewicht sprechen?“ mit „Ja“ antwortet, ist von einer gewissen Eigenmotivation auszugehen, die es zu verstärken gilt. Doch was ist, wenn die Antwort lautet: „Ich habe schon alles probiert und es hilft alles nichts. Ich schaffe das nicht“? In solchen Situationen versuchen Sie, die erloschene Eigenmotivation zu reaktivieren, indem Sie ein neues realistisches Ziel gemeinsam erarbeiten. Heranführend können hierzu Fragen gestellt werden wie: „Bestimmt war es ermüdend, trotz Anstrengungen nicht erfolgreich zu sein. Sie haben dabei aber auch bestimmt etwas gelernt. Möchten Sie mal kurz überlegen, was geklappt hat?“

Vielleicht ist es auch möglich, an den Bericht der Patientin mit weiteren Fragen anzuknüpfen. Zum Beispiel: „Haben Sie eine konkrete Beispielsituation, in der es schwierig war?“ Solche und ähnliche Fragen tragen dazu bei, dass die Patientin sich wieder neue, realistische Ziele setzt und Eigenmotivation entwickelt. Denn sie kann feststellen, dass ihre bisherigen Anstrengungen nicht ganz „umsonst“ waren. Auch wenn keine dauerhafte Gewichtsreduktion erreicht wurde, so konnten z. B. Situationen erkannt werden, in denen die Verhaltensweisen nicht durchgehalten wurden, z. B. Familienfeiern. Hier können dann spezifisch für diese Situation(en) gemeinsame Lösungsideen erarbeitet werden, die die oder der Patient:in beim nächsten Mal ausprobieren kann. Als behandelnde Person kann es gewöhnungsbedürftig sein, einen so kleinschrittigen Prozess anzuleiten. Hier sind Sie aber gleichzeitig Teilnehmer:in des Behandlungsprozesses und Modell für Geduld und Durchhaltevermögen. Indem Sie sich dem kleinschrittigen Vorgehen verschreiben, bestärken Sie auch Ihre Patient:innen, kleine Erfolge anzuerkennen und langsam zu einer gesünderen Lebensführung zu kommen.

Wenn ein:e Patient:in resigniert hat, kann es helfen, erneut über das Fernziel zu sprechen. Nicht selten finden sich seitens der Betroffenen sehr ehrgeizige Ziele – wie beispielsweise Kleidergröße 36 zu erreichen –, welche die Situation zusätzlich frustrieren und zudem keinen Mehrwert bringen. Je nach Ausgangsgewicht reicht zum Beispiel für eine Verbesserung der hormonellen Lage bei polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS) schon eine Gewichtsreduktion von 5 bis 10 % des Körpergewichts aus. Eine Verständigung über ein angemessenes Ziel kann ausreichen, um die Motivation aufleben zu lassen.

Motivation und Situation hängen auch zusammen

Lebensthemen wie ein Kinderwunsch können die Motivation ebenfalls beflügeln. Jedoch bleibt die Wegstrecke und die erforderliche Anstrengung unabhängig vom Motivator dieselbe. Betroffene mit hoher Eigenmotivation zeigen gleichzeitig oftmals hohe Erwartungen an sich selbst. Sie erwarten zum Beispiel, dass sie „einfach weniger essen sollten, schließlich wollen sie ja ein Baby“. Oft wird von Patient:innen auch der Zeitraum unterschätzt. Eine Gewichtsreduktion von 5 % des Körpergewichts muss erst einmal erreicht werden. Insbesondere wenn die Eigenmotivation wie beim Kinderwunsch höher ist, sind auch die Erwartungen an sich selbst oft hoch. Trotzdem sind sechs bis zwölf Monate eine realistische Zeit, gerade weil auch mit Abweichungen vom angestrebten Verhalten und Plateaus bei der Gewichtsreduktion zu rechnen ist. Eine hohe Eigenmotivation kann insbesondere zu Beginn auch dazu führen, dass mit sehr starken Veränderungen begonnen wird. Diese dauerhaft beizubehalten und in das Leben zu integrieren, ist jedoch schwieriger als bei kleinen Schritten.

Hier können auch gemeinsam schriftliche Pläne mit Zwischenzielen vereinbart werden. Ein Ziel auf einem Papier (oder in einer App) zu sehen, auch wenn es nur ein Zwischenziel ist, wirkt positiv auf die Eigenmotivation und das Durchhaltevermögen.

Wie kann „motivational interviewing“ in verschiedenen Situationen helfen?

In Tab. 1 zeigen wir an einigen Situationen beispielhaft auf, wie motivierende Gesprächsführung eingesetzt werden kann. Weitere konkrete Beispiele und Übungen finden sich in [7].

Tab. 1 Beispiele für den Einsatz von motivierender Gesprächsführung

Das sind beispielhafte Formulierungen für einen Gesprächsverlauf, der natürlich auch anders aussehen kann. Die Beispiele vermitteln einen Eindruck, wie ein Patientengespräch motivationsfördernd gestaltet werden kann. Motivierende Gesprächsführung ist zwar kein Garant dafür, dass die Patientin Lifestyle-Änderungen umsetzt und auch durchhält. Lifestyle-Veränderungen sind dennoch notwendig und motivierende Gesprächsführung ist dafür ein wichtiger Aspekt.

Was ist, wenn ein:e Patient:in „Nein“ sagt?

Versuchen Sie, innerlich ruhig zu bleiben. Das kann schwierig sein, schließlich wollen Sie der Patientin/dem Patienten bei ihrem/seinem Anliegen helfen, und es gibt ja sogar eine risikoarme, nichtinvasive Intervention: die Lifestyle-Änderungen. Diese sollten einfach gelingen, bei dem, was es zu verlieren und zu gewinnen gibt, würde man meinen. Leider ist das aber nicht die Sichtweise jeder Patientin oder jedes Patienten, mit der oder dem Sie sprechen, und Sie allein können die notwendige Motivation nicht erzeugen. Sie können trotz motivierender Gesprächsführung nicht zaubern. Mit motivierender Gesprächsführung leisten Sie einen wichtigen Beitrag und schöpfen die Ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aus. Wir schlagen Ihnen vor, das „Nein“ anzunehmen und anschlussfähig zu reagieren, indem Sie sagen: „In Ordnung, wenn Sie es zu einem anderen Zeitpunkt möchten, bin ich gerne bereit dazu.“

Gespräche gut beenden

Auch wenn Patient:innen trotz motivierender Gesprächsführung keinen Versuch wagen möchten, ist es wichtig, das Gespräch positiv zu beenden. Wie können Sie das gestalten? Eine mögliche Formulierung könnte sein: „Ja, dann habe ich so weit alles angesprochen, womit ich Sie im Moment unterstützen kann. Haben Sie dazu noch Fragen an mich?“ [Antwort: …] „Vielleicht brauchen Sie auch etwas Zeit, um in Ruhe zu überlegen. Möchten Sie, dass wir z. B. in drei Monaten noch mal sprechen?“

Signalisieren Sie der Patientin/dem Patienten, dass es Ihre Patienten-Arzt-Beziehung nicht belastet, dass er oder sie die Intervention (vielleicht auch nur gerade jetzt) nicht möchte. Auch ein Hinweis auf zukünftige Gesprächsbereitschaft hilft, ein solches Gespräch gut zu beenden. Zum Beispiel „Wenn Sie zu einem späteren Zeitpunkt noch mal Fragen dazu haben oder darüber sprechen möchten, dann machen Sie einfach noch mal einen Termin mit mir aus.“ Sie schaffen damit eine gute Vertrauensbasis, falls sich ein:e Patient:in später doch noch für Lifestyle-Änderungen entscheidet.