Einleitung

Mit der „ESHRE guideline“ zur prämaturen Ovarialinsuffizienz (POI) wurde erstmals eine Leitlinie von einem Expertenteam der ESHRE erstellt, welche praktizierenden Gynäkologen, Endokrinologen, Onkologen, Pädiatern und Internisten als praktische Anleitung mit Empfehlungen für Patientinnen mit primärer oder sekundärer POI dienen soll. Von einem multidisziplinären Expertenteam wurden nach systematischer Literaturrecherche sowie Einschluss von Expertenmeinungen und indirekten Evidenzen aus Studien postmenopausaler Frauen und Patientinnen mit Turner-Syndrom 99 Empfehlungen zu 31 Leitfragen zur Diagnose und Behandlung der POI formuliert. Hierzu gehören neben dem initialen Assessment die Diagnosestellung, die Ursachenabklärung sowie die Therapie unter Berücksichtigung weiterer Themen wie Fertilität, Kontrazeption, osteologische, kardiovaskuläre, psychosexuelle, psychische und neurologische Gesundheit.

Die wesentlichsten Punkte sollen als Refresher in diesem Artikel nochmals präsentiert werden.

Definition

Das Syndrom der prämaturen Ovarialinsuffizienz ist gekennzeichnet durch den Verlust der ovariellen Funktion vor dem 40. Lebensjahr, einhergehend mit einer Oligo‑/Amenorrhö von mindestens vier Monaten und einem hypergonadotropen Hypogonadismus mit einem erhöhten FSH von > 25 IU/l in zwei Messungen im Abstand von mindestens vier Wochen [1].

Nomenklatur

Seit der Erstbeschreibung durch Fuller Albright 1942 [2] wurden für dieses Syndrom weitere Termini wie Climacterium praecox, „premature ovarian failure“ und „primary ovarian insufficiency“ verwendet. Zur Optimierung der Kommunikation unter den ärztlichen Disziplinen sowie des Austauschs zwischen Arzt und Patientin, aber auch zur Verbesserung einer zukünftigen Datenerhebung wurde der Terminus prämature Ovarialinsuffizienz gewählt und dessen ausschliessliche Nutzung empfohlen. Dieser ist einerseits weniger negativ geprägt als der Begriff des Versagens („premature ovarian failure“) und spiegelt andererseits den fluktuierenden Verlauf der Erkrankung bei diesen jungen Patientinnen besser wider. Für Frauen in der Altersgruppe zwischen 40 und 45 Jahren hingegen soll der Begriff der frühen Menopause verwendet werden.

Prävalenz

Beruhend auf Studien von Coulam et al. [3] von 1986 sowie Luborsky et al. von 2003 [4] wird die Prävalenz mit 1 % angegeben. Für Frauen mit früher Menopause liegt die Prävalenz bei etwa 10 %.

Symptome

Neben der Oligo‑/Amenorrhö können bei diesen Patientinnen – genau wie bei den Frauen mit regulärer Menopause – alle Symptome eines Östrogenmangels auftreten. Hierzu gehören Hitzewallungen, Schweissausbrüche, Schlafstörungen, depressive Stimmungslage, vaginale Trockenheit, rezidivierende Harnwegsinfekte, Dyspareunie, Libidomangel, Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen, Gelenk- und Muskelbeschwerden. Diese können je nach ovarieller Restfunktion in variierender Stärke und Frequenz auftreten. Im Gegensatz dazu zeigen Frauen, die aufgrund einer iatrogenen Therapie abrupt ihre Ovarfunktion verlieren und keine zeitnahe Hormonersatztherapie (HRT) erhalten, zumeist sehr stark ausgeprägte und persistierende Beschwerden. Patientinnen mit primärer Amenorrhö hingegen geben nur selten Beschwerden an.

Diagnostik

Bei bestehender Oligo‑/Amenorrhö von mindestens vier Monaten soll eine Bestimmung des FSH-Werts zweimal im Abstand von mindestens vier Wochen erfolgen. In einer Arbeit von Goldenberg von 1973 [5] konnte gezeigt werden, dass sich bei Frauen mit primärer Amenorrhö ab einem FSH-Wert von 33 mIU/ml und bei Frauen mit sekundärer Amenorrhö ab einem Wert von > 40 mIU/ml keine Follikel in entnommenen Ovarbiopsien mehr zeigten. In der „guideline“ hingegen wurde ein Cut-off-Wert von > 25 IU/l gewählt. Dieser basiert auf einer Publikation von La Marca 2009 [6], in welcher nachgewiesen wurde, dass Patientinnen mit autoimmuner POI signifikant tiefere FSH-Werte zeigten als Patientinnen mit idiopathischer POI. Die Bestimmung der antralen Follikel, des AMH-Werts ebenso wie die laparoskopische Beurteilung der Ovarien mit Biopsie sollen wegen mangelnder Evidenz nicht zur Diagnosestellung verwendet werden (Tab. 1; [1]).

Tab. 1 Diagnostische Abklärungen. (Modifiziert nach [1])

Ätiologie

Neben chromosomalen und molekulargenetischen Defekten, wie zum Beispiel dem Fragiles-X-Syndrom sowie autosomalen genetischen Defekten, gehören auch autoimmune Störungen, Infektionen, iatrogene Behandlungen wie die Radio- oder Chemotherapie und auch Operationen an Uterus und Ovar zu den möglichen Ursachen einer POI.

Genetische Ursachen

Eine Chromosomenanalyse sollte bei allen Patientinnen mit nichtiatrogener POI erfolgen, da ca. 10–12 % der Frauen mit POI genetische Auffälligkeiten zeigen, wovon ca. 94 % auf dem X‑Chromosom (strukturelle Anomalien, Aneuploidien, Monosomie) nachweisbar sind. Bei Patientinnen mit primärer Amenorrhö lag die Inzidenz für einen abnormalen Karyotyp bei 21 % und bei Patientinnen mit sekundärer Amenorrhö bei 11 % [7]. Patientinnen mit Nachweis eines Y‑Chromosoms haben ein Risiko von bis zu 45 %, an einem Gonadoblastom zu erkranken. In diesen Fällen ist eine Gonadektomie zu empfehlen [1, 8].

Ein Zusammenhang zwischen POI und einer Fragiles-X-Prämutation wurde erstmals 1991 von Cronister et al. [9] beschrieben. Hierbei handelt es sich um eine Genmutation des „fragile X mental retardation 1 gene“ auf dem langen Arm des X‑Chromosoms mit zunehmender Verlängerung von CGG-Basentripletts. Die Prävalenz für diese Mutation bei sporadisch aufgetretener POI liegt bei 0,8–7,5 %. Bei positiver Familienanamnese für eine POI steigt sie auf bis zu 13 %. Eine Prämutation liegt vor, wenn 55–200 solcher CGG-Repeats vorliegen, 13–26 % dieser Trägerinnen entwickeln eine POI. Liegen mehr als 200 dieser Repeats vor, spricht man von einer Vollmutation. Trägerinnen der Vollmutation entwickeln keine POI, sie selbst und ihre Nachkommen können jedoch eine mentale Retardierung aufweisen. Männliche Träger der Vollmutation können zudem im späteren Verlauf ihres Lebens an einem Tremor-Ataxie-Syndrom erkranken [10]. Eine molekulargenetische Testung auf die Fragiles-X-Prämutation im Rahmen der genetischen Abklärungen ist deshalb indiziert.

Obwohl bei POI auch eine Reihe autosomaler genetischer Defekte nachgewiesen wurde, empfiehlt die „ESHRE guideline“ eine spezifische Testung nur bei entsprechenden Verdachtsfällen wie zum Beispiel bei dem Blepharophimosis-Ptosis-Epicanthus-inversus-Syndrom [1].

Autoimmunopathien

Der Nachweis von Antikörpern gegen ovarielles Gewebe wurde erstmals 1967 von Blizzard et al. publiziert [11]. Zu einer Oophoritis kommt es aber nur in Anwesenheit von adrenalen oder ovariellen Autoantikörpern gegen die Steroidenzyme, sog. „steroid cell autoantibodies“ (SCA). Diese richten sich gegen Antigene, die von Nebenniere, Ovar, Plazenta und Hoden exprimiert werden. Bei 5 % der Patientinnen mit POI sind gemäss einer Studie von 2010 von La Marca [12] solche SCA nachweisbar, bei Patientinnen mit Autoimmun-Addison-Erkrankung 8–20 % und bei autoimmun-polyglandulärem Syndrom (APS) Typ 1 und Typ 2, bei denen zusätzlich andere Organsysteme betroffen sind, konnten von 40 bis 60 % SCA nachgewiesen werden. Aufgrund dieser Daten soll ein Screening auf 21-Hydroxylase-Antikörper oder adrenale Antikörper (ACA) durchgeführt werden. Patientinnen mit Nachweis solcher Antikörper benötigen zusätzlich eine endokrinologische Betreuung. Bei unauffälligem Resultat ist eine erneute Testung nur bei einer entsprechenden Symptomatik indiziert.

Da auch eine Assoziation zwischen POI und Autoimmunthyreopathien mit Nachweis von Thyreoperoxidaseantikörpern (Anti-TPO) besteht, soll im Rahmen der Abklärungen auch ein Screening auf Thyreoperoxidaseantikörper (Anti-TPO) erfolgen. Bei positivem Resultat ist eine jährliche Kontrolle des TSH indiziert. Bei negativem Resultat ist ein erneutes Anti-TPO-Screening nur bei entsprechender Klinik notwendig [1].

Iatrogene Ursachen für eine POI

Iatrogene Massnahmen wie eine Chemotherapie oder eine Radiotherapie im Rahmen von anderen Grunderkrankungen, aber auch Operationen im Bereich von Uterus und Ovarien können zu einer POI führen. Bei der Radiotherapie ist das Risiko für eine POI vor allem vom Bestrahlungsfeld, der Gesamtstrahlendosis und dem Alter der Patientin abhängig, wohingegen bei der Chemotherapie der gonadotoxische Effekt hauptsächlich von der Art des Chemotherapeutikums, der Dosierung und dem Alter beeinflusst wird [13].

Bei den operativen Eingriffen aufgrund benigner Erkrankungen wie der Endometriose scheint gemäss einer prospektiven Kohortenstudie von Coccia et al. [14] besonders die bilaterale Exzision von Endometriomen das Risiko für eine POI zu erhöhen. Eine entsprechende Beratung und Aufklärung vor obigen Therapieformen soll deshalb unbedingt erfolgen.

Idiopathische POI

Bei bis zu 90 % der Patientinnen mit POI bleibt die Ursache hierfür unklar. Man spricht in diesen Fällen von idiopathischer POI.

Kinderwunsch und Fertilität

Die Chance auf eine spontane Schwangerschaft bei bestehender POI liegt bei ca. 5 % [15]. Vor allem initial kann es vereinzelt noch zu einer spontanen ovariellen Aktivität kommen, mit geringer Chance auf Ovulation und Eintritt einer Schwangerschaft. Therapieversuche mit GnRH-Analoga, Kortison und Östradiol zeigten keine Verbesserung der Ovulationsrate. Zum aktuellen Zeitpunkt existieren nach Diagnosestellung von reproduktionsmedizinischer Seite keine therapeutischen Möglichkeiten, die Schwangerschaftschancen zu verbessern, sodass häufig nur der Weg der Eizellspende verbleibt, um den Kinderwunsch zu erfüllen.

Gesundheitliche Folgen einer POI

Durch das vorzeitige Versiegen der ovariellen Funktion und damit den Wegfall des protektiven Effekts der Östrogene haben diese jungen Patientinnen ein signifikant erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Osteoporose und reduzierte neurologische Funktion, mit erhöhter Mortalität sowie reduzierter Lebensqualität, sofern keine HRT begonnen wird [1].

Knochengesundheit und POI

Die Prävalenz einer östrogenmangelbedingten Osteoporose liegt bei Frauen mit POI bei 8–14 %. Ein möglichst früher Beginn einer HRT mit Fortführung bis zum Erreichen des physiologischen Menopausenalters sollte deshalb erfolgen. Bestehende Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, Untergewicht und Nikotinabusus sollten mittels Lifestyle-Modifikation angegangen und möglichst eliminiert werden. Zudem muss auf eine ausreichende Zufuhr von Kalzium (1000 mg/d) und Vitamin D (800–1000 IE/d) geachtet werden.

Eine initiale Bestimmung der Knochendichte ist, insbesondere bei zusätzlichen Risikofaktoren, sinnvoll. Eine Verlaufsosteodensitometrie soll gemäss „guideline“ nach fünf Jahren erfolgen, wenn bei der initialen Messung eine Osteoporose vorlag [1].

Kardiovaskuläre Gesundheit und POI

Patientinnen mit POI haben – sofern keine HRT initiiert wird – ein signifikant erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen mit erhöhter Mortalität.

Eine Hormontherapie sollte deshalb aufgrund ihres positiven Effekts auf Blutzucker, Lipidstoffwechsel und Blutdruck bei diesen Patientinnen frühzeitig initiiert und kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Blutdruck, Gewicht und Raucherstatus einmal jährlich evaluiert werden [1]. Patientinnen mit Turner-Syndrom, die neben der POI auch häufiger kongenitale kardiale Fehlbildungen, eine arterielle Hypertonie, eine Adipositas, eine Dyslipidämie oder einen Diabetes mellitus haben, sollten von einem multidisziplinären ärztlichen Team betreut werden [16].

Lebensqualität und POI

Die Diagnose einer POI hat neben den somatischen Beschwerden auch einen signifikant negativen „impact“ auf das psychische Wohlbefinden dieser jungen Frauen. Dies sollte im ärztlichen Gespräch eruiert werden und bei Bedarf eine psychologische Begleittherapie thematisiert und eingeleitet werden [1].

Urogenitale Gesundheit und POI

Urogenitale Beschwerden im Sinne von vaginaler Trockenheit, Dyspareunie und Inkontinenz sind ebenfalls Zeichen des Östrogenmangels bei Patientinnen mit POI. Diese können trotz initiierter systemischer Hormontherapie auftreten oder unter dieser persistieren. Der zusätzliche Einsatz lokal wirksamer Östrogenpräparate ist hier effizient [1].

Neurologische Gesundheit

Es existieren leider nur wenige Studien zur idiopathischen POI und deren Einfluss auf die neurologische Funktion. Mehrere retrospektive Observationsstudien zur iatrogen induzierten POI bei Patientinnen nach beidseitiger Ovarektomie zeigten, sofern nach Operation keine Hormontherapie initiiert wurde, ein 1,68fach erhöhtes Risiko für eine Parkinson-Erkrankung und ein zweifach erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Demenz (Rocca et al. 2008). Das Risiko schien dabei umso grösser, je früher der operative Eingriff erfolgte. Andere Autoren konnten diesen Effekt aber nicht nachweisen. Die „ESHRE guideline“ empfiehlt dennoch, auf mögliche negative Effekte auf die Kognition bei Patientinnen unter 50 Jahren mit geplanter Hysterektomie bzw. Adnexektomie hinzuweisen [1].

Hormonersatztherapie

Neben der Reduktion östrogenmangelbedingter Beschwerden dient eine systemische HRT in standardisierter Dosierung der Primärprävention mit kardioprotektiven, osteoprotektiven und neuroprotektiven Effekten und sollte bei Frauen mit POI möglichst früh initiiert und mindestens bis zum Erreichen des physiologischen Menopausenalters fortgeführt werden. 17β-Östradiol ist hierbei gegenüber Ethinylestradiol und konjugierten equinen Östrogenen bevorzugt zu verwenden. Falls jedoch ein kontrazeptiver Schutz gewünscht ist, kann auch ein kombiniertes orales Kontrazeptivum verwendet werden. Bei transdermaler Applikation des Östrogens ist aufgrund der Umgehung des First-Pass-Effekts in der Leber das thromboembolische Risiko geringer [17]. Zudem sind tiefere Dosierungen des Östrogens möglich als bei der oralen Anwendung, um den angestrebten Plasmaspiegel von 180–370 pmol/l bzw. 50–100 pg/ml zu erreichen.

Bei Patientinnen mit Uterus in situ ist eine zusätzliche zyklische oder kontinuierliche kombinierte Gabe eines Gestagens (synthetische Gestagene oder mikronisiertes Progesteron) in Transformationsdosis obligat zur Protektion des Endometriums. Bei zyklischer Gabe sollte dieses monatlich über 12–14 aufeinanderfolgende Tage verwendet werden. Die Applikation ist je nach Gestagen oral, transdermal, vaginal oder in Form eines levonorgestrelhaltigen IUD möglich.

Da die Wahl des Gestagens einen modulierenden Effekt auf das Brustkrebsrisiko hat, scheint mikronisiertes Progesteron diesbezüglich und auch in Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko vorteilhafter zu sein [18]. Sofern anamnestisch keine Risikofaktoren bestehen, sollte bei der Wahl des Präparats dem Wunsch der Patientin Beachtung geschenkt werden, um eine möglichst gute und langjährige Compliance zu erreichen.

Fazit für die Praxis

  • Bei einer Amenorrhö von mehr als vier Monaten sollte eine hormonelle Abklärung erfolgen.

  • Bei hypergonadotropen Werten (FSH > 25 IU/l) in zwei Messungen im Abstand von mindestens vier Wochen ist die Diagnose gesichert.

  • Genetische und autoimmunologische Ursachen sollten bei spontaner prämaturer Ovarialinsuffizienz (POI) abgeklärt werden.

  • Eine HRT zur Reduktion von Östrogenmangelsymptomen, aber auch zur Primärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen sowie einer Osteoporose ist mindestens bis zum physiologischen Menopausenalter indiziert.

  • Die Fertilität dieser Frauen ist deutlich eingeschränkt, häufig verbleibt nur die Eizellspende als Therapieoption.

  • Vor gonadotoxischen Eingriffen sollte eine Beratung hinsichtlich der fertilitätserhaltenden Möglichkeiten erfolgen.