Einführung

Die physiologischen Wirkungen der Sexualhormone (Östradiol, Progesteron und Testosteron) in peripheren nichtreproduktiven Organen, einschließlich der Lunge und des Immunsystems, ist in den letzten, pandemiegeprägten Jahren in den Vordergrund gerückt. Im folgenden Artikel widmen wir die nächsten Atemzüge dem Einfluss der Sexualhormone und der Menopause auf die Funktionsfähigkeit der Lunge.

Epidemiologie

Epidemiologisch lässt die geschlechtsabhängig unterschiedliche Inzidenz, Morbidität und Mortalität der häufigsten Lungenkrankheiten vermuten, dass Sexualhormone im Kontext „Lunge“ eine Rolle spielen. Diese Rolle manifestiert sich bereits in der fetalen Lungenentwicklung im zweiten Trimenon, wo das Testosteron des fetalen Testis die Surfactant-Sekretion und damit die Maturation der Lunge verzögert und so das Auftreten eines neonatalen Atemnotsyndroms bei männlichen Neugeborenen begünstigt (1,7:1; [1, 2]). Diese Suszeptibilität der männlichen Feten unterliegt weiter unterschiedlichen immunologischen epigenetischen Prozessen, bedingt durch die Geschlechtschromosomen. So verfügen weibliche Feten vor der 32. Gestationswoche über niedrigere Zytokinspiegel und sind kardiovaskulär robuster gegenüber intrauterinem Stress [3]. Weiter ist beispielsweise die Asthmainzidenz bis zum Pubertätseintritt bei Jungen erhöht [4]. Postpubertär hingegen verschiebt sich dieses Verhältnis zulasten des weiblichen Geschlechts. In der reproduktiven Phase nehmen die Inzidenz und der Schweregrad des Asthmas bei adoleszenten Frauen Überhand [5]. In diesem Zeitraum erleiden Frauen häufiger schwere Exazerbationen eines Asthma bronchiale bis hin zur Hospitalisation. Als Ursache für diese postpubertäre Diskrepanz in der Inzidenz werden unterschiedliche Atemwegskaliber und hormonelle Einflüsse in Betracht gezogen [6]. Vergleicht man Frauen der reproduktiven Phase mit peri- und postmenopausalen Frauen, so erhöhen sich sowohl die Inzidenz eines „New-onset-Asthmas“ als auch die Häufigkeit respiratorischer Symptome bei den postmenopausalen Frauen signifikant [7]. Diese Geschlechtsunterschiede bei Lungenmanifestationen lassen vermuten, dass, neben genetischen Faktoren, die Geschlechtshormone Einfluss nehmen via Modulation immunologischer und pathophysiologischer Vorgänge.

Lungenfunktion im Lebensverlauf

Die Lunge beginnt ab dem Lebensalter von ungefähr 25 Jahren zu altern, sprich: Die Lungenfunktion nimmt progressiv ab. Der Alterungsprozess der Lunge ist gekennzeichnet durch anatomisch-strukturelle, physiologische und immunologische Prozesse. Zu den strukturellen anatomischen Veränderungen zählen die zunehmende knöcherne Verformung und die damit verminderte Nachgiebigkeit (Compliance) des Brustkorbs (Brustwirbelsäule, Brustwand), was eine erhöhte Atemarbeit erfordert. Diese fortschreitende Verformung und Rigidität des Brustkorbs unterliegt einerseits einer Höhenminderung der Brustwirbel (Sinterungen, Kompressionsfrakturen, Abnahme der Knochendichte), andererseits der eingeschränkten Rippenbeweglichkeit aufgrund kostovertebraler Kalzifikationen [8]. Weiter begünstigt die homogene Degeneration elastischer Bindegewebsfasern in den Alveoli eine tendenzielle Überblähung mit folglich erhöhtem Residualvolumen und niedrigerer Vitalkapazität („seniles Lungenemphysem“; [9]). Auch die Atemphysiologie büßt in Abhängigkeit des Alters an Effizienz ein. So bewirken die altersbedingte Sarkopenie und die Apoptose der Fast-twitch-Muskelfasern eine abnehmende Muskelkraft des Diaphragmas [10]. Zudem verliert die alternde Lunge an Gasaustauschfläche aufgrund der bereits erwähnten dysfunktionalen überblähten Alveoli. Dies wiederum schiebt das Ventilations-Perfusions-Missverhältnis an, mit folglich eingeschränkter Diffusionskapazität [11]. Als wären die anatomischen und physiologischen Veränderungen nicht genug, gerät hinzu das Immunsystem aus dem Gleichgewicht. Die dysregulierte Immunabwehr mit steigendem Alter spiegelt sich in einer multifaktoriell bedingt erhöhten Entzündungsaktivität der unteren Atemwege wider. Diese Erscheinung steht in Zusammenhang mit dem alternden Immunsystem, das gekennzeichnet ist durch einen geringgradigen proinflammatorischen Zustand, welcher sich beim weiblichen Geschlecht ausgeprägter zeigt als beim männlichen [3]. Entzündungen wiederum schieben degenerativ proteolytische Prozesse innerhalb der Lungenmatrix voran. Zu den Ursachen zählen beispielsweise der geringere Anteil an Makrophagen im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen, der erhöhte Anteil an neutrophilen Granulozyten, ein erhöhtes CD4+/CD8+-Verhältnis und eine vermehrte Freisetzung von Superoxiden durch die Makrophagen [8, 12]. Gemäss der longitudinalen Kohortenstudie ECRHS (European Community Respiratory Health Survey) mit repetitiven Lungenfunktionsmessungen bei 1438 Frauen über einen Zeitraum von 20 Jahren verschlechterte sich die Lungenfunktion, insbesondere die forcierte Vitalkapazität (FVC), sowohl in der menopausalen Transition als auch direkt danach schneller, als durch das Alter zu erwarten ist [13]. Dieser Effekt der rascheren postmenopausalen Lungenfunktionsabnahme für das „forced expiratory volume in 1 second“ (FEV1) und die FVC ist beachtlich. Die postmenopausale Abnahme des FEV1 ist vergleichbar mit dem Rauchen von 20 Zigaretten pro Tag über zwei Jahre und diejenige der Abnahme der FVC mit dem Rauchen von 20 Zigaretten pro Tag über einen Zeitraum von zehn Jahren. Diese raschere postmenopausale Abnahme der Lungenfunktionsfähigkeit findet sich bei Raucherinnen am ausgeprägtesten [13, 14]. Diese Akzentuierung begründet man einerseits durch den direkten Einfluss des Rauchens auf die Lunge und andererseits indirekt via den „antiöstrogenen Effekt“ des Rauchens [15].

Einfluss der Sexualhormone auf die oberen Atemwege

Sekretorische Immunglobuline A (SIgA) bilden als immunologische Schleimhautbarriere die erste Verteidigungslinie des Körpers gegen die Invasion pathogener Mikroben. Niedrigere Östradiolspiegel wurden mit einer reduzierten Fähigkeit der SIgA-Sekretion und einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen der oberen Atemwege in Verbindung gebracht [16, 17]. Diese Assoziation findet sich beispielsweise auch häufiger bei prämenopausalen amenorrhoischen Athletinnen, bei denen durch den Hypoöstrogenismus die Sekretion von IgA hinunterreguliert und so die Schleimhautimmunfunktion kompromittiert wird [18]. Im Tiermodell konnte der günstige Effekt von Östradiol in verschiedenen Untersuchungen veranschaulicht werden. So nahm beispielsweise die Entzündungsaktivität bei bereits an einer Pleuritis erkrankten Ratten nach Ovarektomie zu, was sich in einer Zunahme der Pleuraexsudation, einer vermehrten Migration der polymorphkernigen Leukozyten und in einer erhöhten Aktivität der „inducible nitric oxide synthase“ (iNOS) verdeutlichte [19]. Ob nun Östradiol pro- oder antiinflammatorisch wirkt, kann jedoch nicht generalisiert werden. Denn der Einfluss des Östradiols auf das körperliche Entzündungsgeschehen ist komplex und entfaltet sich in Abhängigkeit multipler Faktoren. Abhängig von der Körperlokalisation, dem Zielorgan, dem reproduktiven Status, dem Immunstimulus (fremdes Antigen vs. Autoantigen) und den vorherrschenden Östradiolkonzentrationen entfalten Östrogene pro- respektive antiinflammatorische Effekte [20]. Niedrigere systemische Entzündungswerte gehen mit einer verbesserten Lungenfunktion einher und eine bessere Lungenfunktion wiederum korreliert mit einer besseren Lebensqualität.

Einfluss der Menopause auf die Lunge

Mit dem menopausalen Versiegen der Ovarfunktion entfällt durch die niedrigen 17β-Östradiol-Konzentrationen das negative Feedback auf die Hypophyse, welche reaktiv vermehrt follikelstimulierendes Hormon (FSH; > 25 IU/l; [21]) und luteinisierendes Hormon (LH) sekretiert. Niedrigere 17β-Östradiol-Konzentrationen wiederum sind assoziiert mit einer lokal erhöhten Entzündungsaktivität im Lungenparenchym [22]. Weiter besteht ein umgekehrter Zusammenhang zwischen den Entzündungsmarkern CRP, IL‑6 und den abnehmenden Lungenfunktionsparametern wie beispielsweise der forcierten Vitalkapazität und dem FEV1 [23]. Eine Querschnittstudie bei insgesamt 1120 Frauen verglich die Lungenfunktion von prämenopausal noch menstruierenden Frauen mit derjenigen von bereits menopausalen amenorrhoischen Frauen (mindestens 6 Monate Amenorrhö). Die amenorrhoischen Frauen (n = 432, 34 %) hatten signifikant niedrigere FEV1-Werte (−120 ml; 95 %-CI −177 bis −63), niedrigere Werte der forcierten Vitalkapazität (−115 ml; 95 %-CI −181 bis −250) und mehr Atemwegssymptome (OR: 1,82; CI 1,27–2,61) als diejenigen, die noch regelmässig menstruierten [24]. Diese Assoziation der Menopause mit vermindertem FEV1, niedrigerer FVC und erhöhter Anfälligkeit für Atemwegsinfektionen war bei schlanken Frauen (BMI < 23 kg/m2) stärker ausgeprägt (z. B. Atemwegssymptome OR 4,07; CI 1,88–8,8, p = 0,04) als bei Frauen mit einem BMI > 23 kg/m2. Zusammenfassend begünstigt der menopausale Wegfall der weiblichen Geschlechtshormone eine erhöhte lokale Entzündungsaktivität im Lungenparenchym und auch einen rascheren Abfall der FVC und des FEV1. Letztere Entwicklung wird neben der erhöhten Entzündungsaktivität im Lungenparenchym auch den bereits geschilderten mechanischen Veränderungen zugeschrieben (Abnahme der inspiratorischen Compliance des knöchernen Thorax mit Höhenminderung der Brustwirbel; [25]). Eine kürzliche Untersuchung bei einer Population aus 2406 Schwedinnen und Däninnen zeigte, dass ein Körpergrössenverlust von > 1 cm innerhalb von 10 bis 13 Jahren mit einer erhöhten Sterblichkeit korreliert (HR 1,21; 95 %-CI 1,09–1,35; [26]). Eine kürzliche Arbeit von Campbell et al. verwies auf die akzentuierte Lungenfunktionsabnahme mit einer beschleunigten Abnahme der FVC und des FEV1 bei früher Menopause (vor dem 45. Lebensjahr; [27]). Trotz dieser vielversprechenden Einzelresultate ist der Einfluss der menopausalen Hormontherapie auf die Lunge aus wissenschaftlicher Perspektive noch nicht vollumfänglich geklärt.

Einfluss der menopausalen Hormontherapie auf die Lungenfunktionsparameter: Resultate der Europäischen Lungenstudie ECRHS

In einer weiteren Analyse der europäischen Lungenstudie (ECRHS) wurde an 658 Frauen untersucht, ob Frauen, die eine kombinierte orale menopausale Hormontherapie (MHT) einnahmen, eine weniger steile Lungenfunktionsabnahme aufzeigen. Die Resultate zeigten eine signifikant verminderte Abnahme sowohl der FVC als auch des FEV1 bei Frauen, die mehr als sechs Jahre lang eine solche kombinierte MHT einnahmen. Die Größenordnung der beobachteten Dämpfung der Lungenfunktionsabnahme lag bei ca. 30 %, was die Wichtigkeit weiter hervorhebt, die Lungengesundheit in die Überlegung, eine MHT zu verschreiben, miteinzubeziehen [28]. Was im Zuge dieser Studie aufgrund geringer Inzidenzwerte nicht evaluiert werden konnte, sind vielversprechende MHT-Strategien mit unterschiedlichen Gestagen- und Östrogentypen, Applikationsformen und Dosierungen. Der menopausal bedingte Lungenfunktionsrückgang ist ein komplexer multifaktorieller Prozess, über dessen Hintergründe relativ wenig bekannt ist. Faktoren, die diesen Prozess mitgestalten können, sind zum Beispiel das Lungenvolumen als Kind [29], die Vegetation am Wohnort [30] sowie die ultraviolette Strahlung der Sonne [31]. Aufgrund dieser Erkenntnisse wird das Potenzial von individualisierten Lösungen für den Hormonersatz immer deutlicher (Abb. 1 und 2).

Abb. 1
figure 1

Beste lineare unverzerrte Vorhersage („best linear unbiased prediction“) für die forcierte Vitalkapazität (FVC; durchgezogene Linie) der Studienpopulation (n = 1438) modelliert mit einem linearen „mixed effects model“, mit 95 %-Konfidenzintervall (graue Schattierung um die durchgezogene Linie; die gestrichelte Linie stellt als optische Hilfe die Verlängerung der ursprünglichen Steigung dar) und Populationsverteilung nach menopausalem Status (unten). (Mod. nach [32])

Abb. 2
figure 2

Beste lineare unverzerrte Vorhersage für das FEV1 („forced expiratory volume in 1 s“; FVC; durchgezogene Linie) der Studienpopulation (n = 1438) modelliert mit einem linearen „mixed effects model“, mit 95 %-Konfidenzintervall (graue Schattierung um die durchgezogene Linie; die gestrichelte Linie stellt als optische Hilfe die Verlängerung der ursprünglichen Steigung dar) und Populationsverteilung nach menopausalem Status (unten). (Mod. nach [32])

Keypoints

Folgende Aussagen fassen den aktuellen Wissensstand zum Zusammenhang zwischen Altern, menopausaler Hormontherapie und Lungenfunktion zusammen:

  • In der Menopause kann der Wegfall der weiblichen Sexualhormone via strukturelle, anatomische, physiologische und immunologische Prozesse insbesondere bei schlanken Frauen zu einer rascheren Abnahme der Lungenfunktion und zu einer erhöhten Anfälligkeit für Atemwegsinfektionen sowie zur Neuentwicklung eines Asthma bronchiale beitragen [13, 24]. Es ist davon auszugehen, dass diese Prozesse bei einem frühen Menopauseneintritt (vor dem 45. Lebensjahr) akzentuierter sind.

  • Ein leichtes Übergewicht in der Postmenopause (BMI von 20 bis 25 kg/m2) entfaltet einen protektiven Effekt auf den Abfall der Lungenfunktion. Dieser Mechanismus lässt sich unter anderem auf den aromatasevermittelten Effekt der parakrinen peripheren Östradiol- und Testosteronproduktion zurückführen.

  • Die vorliegenden Daten zum Nutzen der menopausalen Hormontherapie hinsichtlich Lungenschutzes sind zuversichtlich. Aktuell besteht gemäss internationalen Leitlinien keine Indikation zum Einsatz einer menopausalen Hormontherapie zur Aufrechterhaltung der Lungenfunktion.

Ausblick

Natürlich wäre es wünschenswert, den beobachteten Effekt mittels randomisierter, kontrollierter Studien zu untermauern. Die Frage, ob eine MHT einen günstigen Nebeneffekt auf die Funktionsfähigkeit der Lunge hat, lässt sich aus mehreren Gründen nicht ohne Hindernisse in eine randomisierte, kontrollierte Studie verpacken: Beispielsweise ist eine Randomisierung zur Untersuchung eines „unbeabsichtigten“ Nebeneffekts (Lungenfunktion) der menopausalen Hormontherapie aus ethischen Aspekten nicht vertretbar [33]. Der bisher beobachtete günstige Effekt der MHT auf die Lungenfunktion sollte damit weiter durch hochqualitative Observationsstudien bestätigt werden.