Das wichtigste Argument für eine volksgesundheitliche Empfehlung zur präventiven Gabe von Vitamin D im Rahmen der aktuellen Pandemiesituation ist eine aktuelle Metaanalyse von 42 hochqualitativen klinischen Studien mit total 46.331 Studienteilnehmern und Studienteilnehmerinnen im Alter von 0 bis 95 Jahren. Ziel dieser Metaanalyse war herauszufinden, inwieweit eine Vitamin-D-Gabe das Risiko von akuten Atemwegsinfekten senken kann. Einschränkend bezogen auf die aktuelle Pandemiesituation ging es hier um akute Atemwegsinfekte jeglicher Art, also nicht speziell um COVID-19-verursachte akute Atemwegsinfekte. Das Resultat dieser Metaanalyse ist zudem noch nicht zur Publikation angenommen, aber bereits umfassend in einer Vorpublikation auf dem Internet einsehbarFootnote 1.
Über alle 42 Interventionsstudien dieser Metaanalyse hinweg zeigt sich ein bescheidener Effekt mit einer signifikanten 9 %igen Verminderung der akuten Atemwegsinfekte unter Vitamin D (Odds Ratio [OR] = 0,91, 95 %-KI 0,84–0,99). Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass die Analyse aller Studien möglicherweise den Benefit von Vitamin D unterschätzt, weil eine grosse Heterogenität zwischen den Studien festgestellt wurde. Tatsächlich zeigte das Ergebnis der Studien, welche die heutige Empfehlung von täglich 400–1000 IE Vitamin D untersucht hatten, ein deutlicheres und homogeneres Ergebnis, mit einer Verminderung der akuten Atemwegsinfekte um 30 % (OR = 0,70, 95 %-KI 0,55–0,89). Und für 8 Studien in der täglichen Dosierung von 400 bis 1000 IE Vitamin D in einer Anwendung bis zu 12 Monaten war das Ergebnis am ausgeprägtesten und homogensten mit einer Verminderung der akuten Atemwegsinfekte um 42 % (OR = 0,58, 95 %-KI 0,45–0,75).
Die wöchentlichen oder monatlichen Bolusgaben von Vitamin D waren hingegen nicht wirksam in der Verminderung akuter Atemwegsinfekte, während die tägliche Gabe von Vitamin D das Risiko akuter Atemwegsinfekte unabhängig von der Dosierung um 25 % verminderte (OR = 0,75, 95 %-KI 0,61–0,93).
Aktuell findet eine Ergänzung dieser neusten Metaanalyse mit den Daten der DO-HEALTH-Studie statt [1]. DO-HEALTH untersuchte die zusätzliche Gabe von 2000 IE Vitamin D am Tag und zeigte eine signifikante 16 %ige Verminderung jeglicher Infekte, jedoch nur bei den jüngeren Teilnehmern und Teilnehmern im Alter von 70 bis 74 Jahren. In DO-HEALTH hatte der überwiegende Teil der Studienteilnehmer*Innen zu Beginn der Studie keinen Vitamin-D-Mangel und alle Studienteilnehmer*Innen durften die heutige Empfehlung von 800 IE Vitamin D am Tag zusätzlich zur Studienmedikation einnehmen.
Zusammenfassend bezüglich der Einordnung dieser neusten Metaanalyse ist deren Ergebnis aus volksgesundheitlicher Sicht in der aktuellen Pandemiesituation relevant, weil COVID-19 ein akuter viraler Atemwegsinfekt ist. Mit und im schlimmsten Fall ohne Ansprechen auf das COVID-19-Virus ist eine Reduktion jeglicher akuten Atemwegsinfekte um 30 % mit der Einnahme von 400 bis 1000 IE Vitamin D am Tag volksgesundheitlich hoch relevant. Im Rahmen einer Risiko-Benefit-Abwägung käme mit dieser Empfehlung zudem niemand zu Schaden, im Gegenteil, mit dieser Empfehlung könnten minimal andere virale und bakterielle akute Atemwegsinfekte gesenkt werden und vulnerable ältere Menschen mit Vitamin-D-Mangel hätten den belegten Benefit einer Risikoverminderung von Knochenbrüchen und Stürzen [2,3,4,5,6]. Bezüglich der Sicherheit ist Vitamin D in der täglichen Dosierung von 400 bis 1000 IE am Tag bereits in den präventiven Vitamin-D-Empfehlungen seitens des BAG (Federal Commission for Nutrition. Vitamin D deficiency: Evidence, safety, and recommendations for the Swiss Population. Expert report of the FCN. Zurich: Federal Office for Public Health, 2012) verankert, die zur Prävention ohne notwendige vorherige Testung des Blutspiegels zur Anwendung kommen, mit 97 % Sicherheit den Vitamin-D-Mangel korrigieren und Menschen ohne Vitamin-D-Mangel nicht gefährden [7].