Bedeutung der sexuell übertragbaren Infektionen (STI)

Weltweit sind mehr als 30 sexuell übertragbare Erreger bekannt, die Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen und Ektoparasiten umfassen (Tab. 1). Zuletzt dazugekommen sind Ebola, Zika und Mpox (Affenpocken; Abb. 1). Die Tatsache, dass bei zahlreichen Patienten mit Urethritis der verantwortliche Erreger nicht eruiert werden kann [1, 2], spricht für die Möglichkeit, dass gewisse Keime entweder noch nicht bekannt oder in ihrer Bedeutung noch nicht zur Kenntnis genommen worden sind. Publiziert sind beispielsweise Arbeiten, die die Bedeutung von Viren aus der Herpes-Gruppe wie Epstein-Barr oder Herpes simplex [3] oder auch Adenoviren [4, 5] als ursächlich für eine Urethritis betonen. Als jüngste Beispiele sind hier auch Haemophilus pittmaniae und Haemophilus sputorum als mögliche Erreger bei MSM [6] und Trichophyton interdigitale v. a. bei jungen Frauen mit genitaler Infektion (Abb. 2) zu nennen [7]. Diese Infektionen werden besser als „sexually transmittable“ bezeichnet, da sie nicht wie die eigentlichen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) hauptsächlich über Geschlechtsverkehr übertragen werden.

Tab. 1 Sexuell übertragbare Krankheiten und assoziierte Erreger
Abb. 1
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Multiple gedellte Papeln bei Mpox-Infektion. (© Stephan Lautenschlager)

Abb. 2
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Schmerzhafte Knoten und Plaques bei genitaler Infektion mit Trichophyton interdigitale. (© Stephan Lautenschlager)

Am häufigsten werden Infektionen sexuell mit humanen Papillomaviren (HPV), Herpesviren, Chlamydien und Gonokokken übertragen, während Infektionen mit Hepatitis B, HIV oder Syphilis vergleichsweise seltener auftreten. Gemäss Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erfolgen weltweit 374 Mio. heilbare STI (Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien-Infektion und Trichomoniasis) bei 15- bis 49-Jährigen pro Jahr [8]. Bei adäquater Diagnostik und Therapie sind diese Krankheiten mit wirksamen Antibiotika heilbar, mit der Einschränkung der beängstigenden Resistenzproblematik bei der Gonorrhö [9]. Eine ungenügende Diagnostik und Therapie können jedoch gravierende Auswirkungen auf Betroffene, aber auch auf Schwangerschaften und Neugeborene haben. Eine unbehandelte Frühsyphilis in der Schwangerschaft führt in über 60 % der Fälle zu einer Übertragung auf das Neugeborene mit Todesfolge bei über einem Drittel und z. T. ausgeprägten, stigmatisierenden Veränderungen. Auch in der Schweiz muss wieder mit der Lues connata gerechnet werden, weshalb das vergleichsweise günstige Screening in der Schwangerschaft durchgeführt werden sollte [10]. Über 500 Mio. der 15- bis 49-Jährigen leiden jährlich an einer genitalen Herpesinfektion [8]. Bei einer hohen Dunkelziffer wird die Infektion verspätet oder infolge atypischer oder minimaler Klinik (Abb. 3) gar nicht erkannt [11]. Beim Neugeborenen können schwerste neurologische Langzeitfolgen oder Tod auch bei einer Herpes-simplex-Infektion resultieren (Herpes neonatorum). Als wichtigste Komplikationen von STI sind bei der Frau die aufsteigende Infektion, Extrauteringravidität und Infertilität, insbesondere bei einer Chlamydieninfektion, zu nennen. Zusätzlich sind STI (HPV, Hepatitis B) wichtige Kofaktoren bei der Entwicklung von Malignomen. Für alle Geschlechtskrankheiten – in erhöhtem Ausmass gilt dies für die ulzerierenden Formen – ist zusätzlich von Bedeutung, dass sie mit einem erhöhten Risiko der Akquisition und der Transmission von HIV einhergehen [12].

Abb. 3
figure 3

Minimale Erosion bei Herpes genitalis, Typ 2. (© Stephan Lautenschlager)

Nachdem in Westeuropa Anfang der 1990er-Jahre eine deutlich abnehmende Inzidenz klassischer STI dokumentiert werden konnte, zeigen Trends seit 1995 wieder ein vermehrtes Auftreten, was durch die zur Verfügung stehenden Überwachungsdaten mit Verzögerung auch in der Schweiz bestätigt werden konnte [13, 14]. Auch für 2023 konnte gemäss BAG (Labormeldepflicht von Infektionen mit Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae, Treponema pallidum sowie Hepatitis A, B, C und HIV) der Trend der Zunahme (mit Ausnahme im 2020 während der COVID-19 Pandemie [15]) der klassischen STI dokumentiert werden [16]. Nicht nur im Ausland, sondern auch bei uns ist zu beobachten, dass auch die ältere Generation von STI betroffen sein kann [17].

Erfreuliche Entwicklungen

Vielversprechende Publikationen ursprünglich aus Australien, zunehmend weltweit konnten eine massive Reduktion der Inzidenz von Condylomata acuminata bei jungen Frauen dokumentieren, die mit der quadrivalenten HPV-Impfung (gegen die Typen 6, 11, 16, 18) geimpft wurden. Erfreulicherweise zeigte sich auch eine markante Reduktion der Kondylome bei gleichaltrigen Männern, jedoch nicht bei ungeimpften älteren Personen und bei homosexuellen Männern [18]. Dieser Trend konnte im nationalen Überwachungsnetzwerk generell für Australien bestätigt werden [19]. Erstmalig liess sich bei geimpften Männern auch eine Reduktion der HPV-bedingten genitalen Veränderungen [20] und bei geimpften Frauen auch ein Rückgang der Inzidenz von zytologischen Zervixveränderungen nachweisen [21]. Neuere systematische Reviews und Metaanalysen konnten neben der Reduktion von Genitalwarzen auch eine Verhinderung von präkanzerösen Läsionen im Anogenitaltrakt zeigen. Mittlerweile liegen auch direkte Hinweise vor, dass die HPV-Impfung die Inzidenz des Zervixkarzinoms reduziert [22]. Inwiefern sich diese erfreulichen Daten auf die Schweiz mit einer im Vergleich zu Australien niedrigeren Impfrate übertragen lassen, wird die Zukunft weisen. Die aktuelle Durchimpfungsrate der 16-jährigen Mädchen konnte in der Schweiz jedoch auf 71 % gesteigert werden (BAG, 2022). Bei 16-jährigen Jungen beträgt diese 49 %. Strategien zur Erhöhung der Durchimpfungsrate weltweit sollten Priorität haben [23].

Weiter erfreulich ist das beinahe vollständige Verschwinden der Pediculosis pubis aus dem klinischen Alltag. Dies widerspiegelt jedoch lediglich den aktuellen Trend der genitalen Depilation. Ebenfalls erfreulich ist, dass die befürchtete Epidemie mit Mpox-Infektionen (Affenpocken) nach 551 gemeldeten Fällen in der Schweiz 2022 bei fast ausschliesslich MSM (die WHO hat am 23. Juli 2022 den Mpox-Ausbruch zur „Notlage von internationaler Tragweite“ erklärt) mit 12 gemeldeten Fällen 2023 ausgeblieben ist und die Verläufe fast immer mild erfolgten [16].

Besorgniserregende Entwicklungen

Gemäss aktueller Schätzung der WHO sind weltweit jährlich 82.3 Mio. der 15- bis 49-Jährigen von einer Gonokokkeninfektion betroffen [8]. Seit 1996 nimmt die Inzidenz der Gonorrhö in der Schweiz (mit Ausnahme 2020) jährlich praktisch linear zu [16]. Dies konnte bislang folgenlos hingenommen werden, da die Infektion mit korrekter Wahl und Darreichungsform des Antibiotikums problemlos zur Abheilung gebracht werden konnte. In den letzten Jahren ist es jedoch zu einer beängstigenden Resistenzentwicklung gekommen, was berechtigterweise aktuell zur Angst vor einer künftig nicht mehr behandelbaren Gonorrhö führt [9]. Nur noch die 3. Generation der Cephalosporine sollten hier verwendet werden, wobei bei den peroral verabreichten Formen ebenfalls ein rasant zunehmender Anteil an Stämmen mit erhöhter minimaler Hemmkonzentration zu beobachten ist, was jedoch bislang in der Schweiz noch nicht aufgetreten ist. Perorale Cephalosporine wie Cefixim sollten jedoch nicht mehr als Mittel der Wahl verwendet werden [24]. In dieser Situation kann nur noch Ceftriaxon i.m. empfohlen werden. Die internationalen Guidelines unterscheiden sich jedoch in den Empfehlungen bezüglich Dosis und Behandlungskombinationen. In Europa wird zunehmend 1 g Ceftriaxon i.m. empfohlen [25], während in den USA und Kanada 250–500 mg gebräuchlich sind [26]. Die gleichzeitige Gabe von 1–2 g Azithromycin per os (alternativ Doxycyclin 2 × 100 mg für 7 Tage) wird von den europäischen Richtlinien empfohlen, um der Resistenzentwicklung aufgrund theoretischer Überlegungen entgegenzuwirken [25]. In den britischen und US-amerikanischen Richtlinien wird hingegen auf die Kombination verzichtet, um das Mikrobiom nicht zu schädigen und Resistenzen auf Azithromycin (v. a. Mycoplasma genitalium) nicht weiter zu fördern [24, 27]. Bei der Wahl der Behandlung sollten die lokale Epidemiologie und Resistenzlage berücksichtigt werden. Mögliche Therapiealternativen sind mit Gepotidacin, Zoliflodacin und Lefamulin aktuell in Evaluation [28].

Bei der Urethritis ist zusätzlich der zunehmende Anteil an durch Mycoplasma genitalium verursachten Fällen zu erwähnen, die je nach Region 10–35 % der Nicht-Gonokokken- und Nicht-Chlamydien-Urethritis ausmachen [29, 30]. Dies hat diagnostische und therapeutische Schwierigkeiten zur Folge. Einerseits kann die Diagnose nicht wie bei anderen Mykoplasmen kulturell, sondern ausschliesslich mittels PCR erfolgen, andererseits ist die zunehmende Resistenz auf Azithromycin zu nennen, die z. B. in Irland in 75 % der Fälle gefunden wurde [31]. Ebenfalls kommt es zunehmend zu Resistenzentwicklungen auf Fluoroquinolone, was eine Behandlung infolge kaum bestehender Alternativen schwierig macht. Diese Tatsache erfordert vor der Therapie eine Resistenzabklärung [31]. Das biologische Verhalten und die Ansteckraten sind vergleichbar mit denjenigen von Chlamydia trachomatis. Des Weiteren ist die Bedeutung des Erregers bei der Proktitis v. a. bei MSM, der Entzündung im weiblichen Genitaltrakt, der ektopen Schwangerschaft und weiblichen Infertilität bekannt [30, 32].

Die Schweiz belegt bezüglich Inzidenz der Syphilis gemäss den Vergleichszahlen des ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) 2021 einen Spitzenplatz in Europa [33]. Die Inzidenz ist lediglich für Malta und Luxemburg klar höher, während z. B. Deutschland und Italien bei einem vergleichbaren Meldesystem deutlich niedrigere annualisierte Inzidenzen aufweisen. Der Trend scheint aktuell in der Schweiz gemäss den Meldungen ans BAG ungebrochen [16]. Da ebenfalls die Syphilis während der Schwangerschaft wieder aufgetreten ist, muss auch bei uns wieder mit der möglichen Übertragung auf das Neugeborene – der Lues connata – gerechnet werden [10]. Speziell bei indurierten Ulzera mit begleitender Lymphknotenschwellung ist nicht nur in genitaler Lokalisation, sondern insbesondere auch an den Lippen und enoral an eine primäre Syphilis zu denken (Abb. 4). Neben den sprichwörtlich chamäleonartigen Bildern im Rahmen der sekundären Syphilis kann auch das primäre Stadium unterschiedliche Manifestationen verursachen [34,35,36]. Sowohl multiple Primäraffekte, knotige, rhagadiforme und phagedänische Formen als auch herpetiforme Ulzerationen wurden beschrieben [35]. Des Weiteren muss bei einer unklaren Balanitis immer auch an die Möglichkeit einer syphilitischen Form, der so genannten Follmann-Balanitis (Abb. 5), gedacht werden [37]. Bei weltweit fehlender Resistenzentwicklung bei Treponema pallidum sollte, wann immer möglich, mit Benzathin-Penicillin therapiert werden. Leider sind wir hier jedoch aktuell europaweit mit Liefer- und Produktionsschwierigkeiten konfrontiert.

Abb. 4
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Primäre Syphilis der Lippe. (© Stephan Lautenschlager)

Abb. 5
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Syphilitische Follmann-Balanitis. (© Carlo Mainetti)

Konsequenzen

Um Risikopatienten besser identifizieren zu können, muss in der täglichen Praxis auch die Sexualanamnese angesprochen werden. Die überwiegende Mehrheit der Patientinnen und Patienten wünscht sich ein solches Ansprechen. Als Leitfaden können die 5 „P“ erwähnt werden („partners, practices, protection, past STI-history, pregnancy“) [26]. Gerade bei der Syphilis sollte insbesondere bei unklaren Exanthemen, bei Patienten mit anderen sexuell übertragbaren Infektionen oder nach Risikokontakten, bei häufig wechselnden Partnern sowie in jeder Schwangerschaft ein Screening durchgeführt werden. In der täglichen Praxis sollten wir nicht nur bei klassischen Zeichen, sondern ebenfalls bei ungewöhnlicher oder gering ausgeprägter Symptomatik – wie z. B. einem ungewöhnlichen Haarausfall [38] oder unklaren Mundschleimhautveränderungen – vermehrt an das Vorliegen möglicher Geschlechtskrankheiten denken und Patienten und Patientinnen individuell über mögliche Risiken informieren und gemäss den gängigen Guidelines [24, 39] behandeln. Bei jeder Abklärung von Patienten mit Verdacht auf eine Geschlechtskrankheit gehört auch die Untersuchung der Analregion dazu, da sich STI perianal, endoanal, aber auch rektal bei entsprechender Exposition manifestieren können [40]. Bei der Abklärung einer Urethritis oder einem diesbezüglichen Screening muss neben der genitalen und analen Diagnostik auch an die Möglichkeit der oropharyngealen Infektion, insbesondere die meist asymptomatische Gonorrhö, bei Risikopatienten bedacht werden [41]. Um möglichst frühzeitig weitere Ansteckungen zu vermeiden, kommt neben einer schnellen und adäquaten Diagnostik und Therapie auch der intensivierten Partnerbenachrichtigung und -therapie grösste Bedeutung zu.

Zusammenfassung

Weltweit stellen Geschlechtskrankheiten („sexually transmitted infections“, STI) ein bedeutendes Problem für die Medizin und das öffentliche Gesundheitswesen dar. Sie betreffen überproportional diejenigen mit Risikokontakten (insbesondere Männer, die Sex mit Männern haben, MSM), Frauen im Sexgewerbe („female sex workers“, FSW) und Randständige, weshalb die STI seit Jahren im Fokus der europäischen Gesundheitspolitik und insbesondere der WHO stehen, die in ihrem neuen Strategieplan die Ziele zur Elimination der STI bis 2030 formuliert haben. Nach einem markanten Rückgang der Geschlechtskrankheiten in der Schweiz während der COVID-19-Pandemie weisen jedoch trotz Präventionsbemühungen die aktuellen Daten des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) – insbesondere für Gonorrhö und Chlamydien – auf aktuelle Höchstwerte in den letzten Jahrzehnten hin.

Fazit für die Praxis

  • In der Schweiz sind die STI – nach kurzeitigem Rückgang während der COVID-19-Pandemie – weiterhin zunehmend.

  • Bei rechtzeitiger und konsequenter quadri- oder nonavalenter HPV-Impfung können Kondylome und genitale Dysplasien verhindert werden.

  • Infolge bedrohlicher Zunahme der Resistenzentwicklung bei Neisseria gonorrhoeae sollte, wann immer möglich, mit Ceftriaxon 1 g i.m. (eventuell in Kombination mit Doxycyclin oder Azithromycin p.o.) behandelt werden.

  • Bei unklaren Hautbefunden, nach Risikokontakten, bei häufig wechselnden Partnern und in der Schwangerschaft ist neben einem Screening auf HIV auch eine Luesabklärung durchzuführen.

  • Auch in der Grundversorgung sollte die Sexualanamnese erhoben werden.