Hintergrund, Definition und Prävalenz

Geschlechtsidentität, Geschlechtsinkongruenz und entsprechende Transitionsmassnahmen sind zwar keine neuzeitlichen Phänomene, werden jedoch durch die geänderte Wahrnehmung und vermehrte Nachfrage in den Medien stark diskutiert. Noch vor ca. 50 Jahren wurde das Geschlecht rein binär in männlich und weiblich klassifiziert. Magnus Hirschfeld gilt als Pionier auf dem Gebiet der Geschlechtervarianz, da er konstatierte, „dass alle Frauen und Männer einzigartige Mischungen männlicher und weiblicher Eigenschaften sind“ [1]. Dies entspricht der aktuellen Wahrnehmung des Geschlechts als eine Identität mit fliessenden Übergängen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit. Die 11. Revision der „international classification of diseases“ (ICD-11) definiert GI als einen Gesundheitszustand, bei dem Menschen ihr eigenes Geschlecht anders wahrnehmen, als es ihnen bei der Geburt anhand der Genitalien (biologisches Geschlecht) zugewiesen wurde [2]. Die Diskrepanz der körperlichen, psychischen und/oder sozialen Merkmale führt häufig zu einer Geschlechtsdysphorie mit hohem Leidensdruck [3]. Um diesen Leidensdruck zu reduzieren, entscheiden sich die Betroffenen häufig zu sozialen und/oder medizinischen Transitionsmassnahmen (Tab. 1). Ziel der medizinischen Interventionen ist es, das äussere Erscheinungsbild, insbesondere im Bereich der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale, an das gewünschte Geschlecht anzupassen [3].

Tab. 1 Übersicht über mögliche Transitionsoptionen

Die Prävalenz der GI beträgt 0,3–0,5 % bei Erwachsenen und 1,2–2,7 % bei Kindern und Jugendlichen [4]. Nicht alle Personen mit GI entwickeln eine GD und unterziehen sich Transitionsmassnahmen. Offizielle Daten, wie viele medizinische geschlechtsangleichende Interventionen in der Schweiz jährlich erfolgen, liegen nicht vor. Wir schätzen die Anzahl der medizinischen geschlechtsangleichenden Prozeduren in der Schweiz auf 500–600 Fälle pro Jahr.

Durch die Entpathologisierung der Diagnose Geschlechtsinkongruenz und die wachsende gesellschaftliche Akzeptanz suchen Menschen mit GI vermehrt die hausärztliche Praxis auf. Daher sehen sich Primärversorger zunehmend mit der Beratung und Betreuung von Behandlungssuchenden konfrontiert. Neben der Bestärkung in der eigenen Geschlechtsidentität ist es wichtig, den Behandlungssuchenden mögliche Transitionsmassnahmen und Behandlungszentren aufzuzeigen. Um diesen Behandlungsauftrag suffizient erfüllen zu können, ist ein Basiswissen über Geschlechtsinkongruenz, diagnostische Massnahmen und die Transitionsmöglichkeiten essenziell.

Nachfolgend gibt dieser Artikel eine Übersicht über die bestehenden psychosozialen, juristischen und medizinischen Transitionsoptionen Erwachsener in der Schweiz ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Menschen mit GI müssen diese Massnahmen nicht alle und in keiner bestimmten Reihenfolge in Anspruch nehmen. Vielmehr wird mit den Betroffenen ein Behandlungsplan auf der Basis einer partizipativen Entscheidungsfindung erstellt. Grundlage einer jeden medizinischen Behandlung bleibt weiterhin die Diagnose der Geschlechtsinkongruenz.

Psychosoziale, psychiatrische/psychotherapeutische und juristische Transitionsmassnahmen

Die ICD-10 klassifizierte Personen mit GI als psychisch krank und ihre Geschlechtsidentität wurde als Identitätsstörung (F64.0, Transsexualismus) verstanden. In Folge dessen musste die Diagnose bisher immer durch Psychiater:innen und Psycholog:innen gestellt werden. Diagnostisch musste belegt werden, dass der Betroffene eine transsexuelle Identität und den dauerhaften Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechts zu leben, hat. Andere psychische Störungen, welche korrigierbar wären, mussten ausgeschlossen werden [5]. Die ICD-11-Klassifikation definiert die GI als einen Gesundheitszustand mit einer vom biologischen Geschlecht abweichenden Geschlechtswahrnehmung und nicht mehr als psychische Krankheit. Somit wäre die Diagnosestellung nicht zwingend primär durch Psychiater:innen und Psycholog:innen erforderlich. Dies findet sich auch in der im September 2022 erschienenen „standard of care version 8“ (SOC8) wider [6]. Entsprechend könnten speziell auf dem Gebiet der GI und GD geschulte medizinische Fachpersonen die Diagnose der GI stellen. Die GI-Diagnose bleibt aber weiterhin die Grundlage für jede medizinische Behandlung und somit auch die Kostenübernahme der Krankenkassen. Aktuell fordern die Krankenkassen in der Schweiz für die Erteilung der Kostengutsprache weiterhin einen psychiatrischen Bericht. Die psychiatrische oder psychotherapeutische Mitbehandlung ist zudem bei bestehenden psychischen Begleiterkrankungen und bei bestehendem Wunsch des Behandlungssuchenden nach Begleitung während der Transition indiziert [5]. Auch wenn die Transition einen positiven Einfluss auf die Genderdysphorie hat, ist sie dennoch ein sehr fordernder und auch emotional nicht zu unterschätzender Prozess, welcher durchaus psychologische/psychotherapeutische Unterstützung notwendig machen kann.

In der Schweiz stehen Personen mit GI vielerorts sog. Peer-Beratungen der Checkpoints oder des Transgender Network Switzerland (www.tgns.ch) zur Verfügung. Hier kommen die Betroffenen mit Fachpersonen mit eigenen Transitionserfahrungen in Kontakt und erhalten eine Beratung und erste Orientierung. Dadurch werden Menschen mit GI ermutigt, Behandlung zu suchen, sie erhalten Informationen zu den Transitionsoptionen in der Schweiz, den juristischen Grundlagen und zu Selbsthilfeangeboten. Dadurch werden die Selbstakzeptanz bei Menschen mit GI erhöht und die verinnerlichte Transnegativität vermindert [7].

Grundlage für jegliche medizinische Behandlungen und eine entsprechende Kostenübernahme durch die Krankenkasse in der Schweiz ist die GI-Diagnose. Liegt diese vor, wird ein Behandlungsplan mit dem Behandlungssuchenden erstellt. Personen mit GI sollen auf der Basis einer guten Aufklärung über die bestehenden Behandlungsoptionen die für ihre individuelle Situation passende Intervention auswählen können („shared decision“). Dieser Behandlungsplan kann und muss im Verlauf je nach Therapieresultat und Erwartungen angepasst werden. Für die Koordination der einzelnen Interventionen und die Kommunikation mit den verschiedenen Fachdisziplinen (Endokrinologie, Gynäkologie, Urologie, Chirurgie, Phoniatrie, Psychologie) sollte den Behandlungssuchenden eine medizinische Fachperson als primärer Ansprechpartner:in zur Seite gestellt werden. In grösseren universitären Behandlungszentren, wie auch am Innovationsfokus Geschlechtervarianz des Universitätsspital Basel, erfolgt die Koordination der Interventionen zunehmend durch eine „advanced practice nurse“ (APN).

Soziale Transitionsmassnahmen (Tab. 1) zielen wie auch die medizinischen auf eine Reduktion der GD ab. Dabei entscheidet die Person mit GI selbst, welche Massnahmen sie wann, wo und wie ergreifen möchte. Gerade zu Beginn der Transition finden diese häufig in einzelnen, oft vertrauten Lebensbereichen („safer space“) statt und können im Verlauf der Transition angepasst werden.

Die juristische Transition wurde durch das Inkrafttreten des neuen Artikel 30b des Schweizerischen Zivilgesetzbuches per 01.01.2022 erleichtert. Für die Änderung des Vornamens oder des amtlichen Geschlechts ist nunmehr nur noch die Abgabe einer Erklärung der Person mit GI notwendig, ohne psychiatrische/medizinische Gutachten oder Stellungnahmen.

Feminisierende medizinische Transitionsmassnahmen

Basis jeglicher hier dargestellten Massnahmen ist die GI-Diagnose.

Teil der medizinischen Transition ist die hormonelle und chirurgische Behandlung. Durch beides wird die Fertilität reduziert. Hierüber müssen die Behandlungssuchenden zwingend aufgeklärt und fertilitätserhaltende Massnahmen in Form der Spermienkryokonservierung thematisiert und allenfalls vor Therapiebeginn eingeleitet werden. Aufgrund der Komplexität der medizinischen und juristischen Situation sollte diese Beratung in einem reproduktionsmedizinischen Zentrum mit Spezialisierung auf GI erfolgen.

Die hormonelle Transitionstherapie transfemininer Personen besteht vor der beidseitigen Orchiektomie in einer Kombinationstherapie aus Androgensuppression (Cyproteronazetat oder 5α-Reduktase-Hemmer) und Östrogensubstitution (bevorzugt transdermale Applikationsformen, synthetische Östrogenpräparate werden nicht mehr empfohlen). Nach stattgehabter Orchiektomie beidseits ist die alleinige Östrogensubstitution ausreichend. Damit werden physiologische Sexualhormonwerte des angestrebten Geschlechts (cisfemininer Menschen) angestrebt. Vor Beginn der Behandlung wird eine allgemeine internistisch-endokrinologische Untersuchung zur Verifizierung von Risikofaktoren empfohlen. Zudem sollten die Betroffenen über die zu erwartenden Therapieeffekte informiert werden, um unrealistische Erwartungen von Beginn an zu vermeiden. Die feminisierende Hormontherapie führt häufig zu einem Muskelabbau und einer Umverteilung des Körperfetts. Sie kann zu einer Reduktion von Libido und Erektion mit Verminderung der Hodengrösse innerhalb von wenigen Monaten führen [8]. Die Hormontherapie führt zu einem Brustwachstum, das allerdings meist nicht ausreichend ist, um die genderdysphorischen Symptome zu stoppen. Dann kann ein Brustaufbau indiziert sein. Hierbei kommen Silikonimplantate oder Eigenfett (autologes „fat grafting“ [AFG]) zum Einsatz. Durch AFG wird ermöglicht, Fremdmaterial zu vermeiden, sie benötigt aufgrund von einer teilweisen Resorption des transplantierten Fettgewebes 2–3 Sitzungen, bis die gewünschte Grösse und Form erreicht werden können. Beide Techniken führen zu einer Verbesserung der Lebensqualität mit geringen Komplikationsraten [9].

Ein weiterer Effekt der feminisierenden Hormontherapie ist eine Reduktion der Körper- und Gesichtsbehaarung. Bei sehr ausgeprägter Behaarung ist der Effekt jedoch sehr gering. Dann können „intense pulsed light“ (IPL) oder Laserbehandlungen zu einer dauerhaften Haarentfernung zur Anwendung kommen. Die Erfolgsrate ist hierbei 90 % und mehr [10]. Als Alternative kann bei weissen, roten oder grauen Haaren eine Nadelepilation angeboten werden.

Nach stattgehabter Pubertät sind die Effekte des Testosterons auf das ossäre Skelett, Kehlkopfgrösse und Stimmbandlänge irreversibel. Für eine Angleichung an das gewünschte Geschlecht mit entsprechender Reduktion der GD-Symptome sind weitere Massnahmen (FFS, Logopädie und Eingriffe am Kehlkopf) notwendig. Um die Stimmhöhe anzupassen, kommen primär logopädische Massnahmen zum Einsatz. Damit bleibt die Stimme flexibel, und die Stimme kann variiert werden, bis sie passend ist. Jedoch kann dies durch die anatomischen Gegebenheiten erschwert sein und dauerhaft entweder zu einem wiederkehrenden Abfall der Stimmhöhe im Tagesverlauf oder zu einer persistierend zu tiefen Stimmlage führen. Die Stimmhöhe wird durch die Masse, die Spannung und Länge der Stimmbänder vorgegeben. Durch Veränderungen dieser Grössen kann eine höhere Stimmlage erzielt werden. Bei der Glottoplastik werden die Stimmlippen durch einen endoskopischen Eingriff verkürzt. Bei der Cricothyreopexie werden transzervikal durch Miniplättchen und Nähte Ring- und Schildknorpel angenähert. Dies führt über eine höhere Spannung der Stimmlippen zu einer Erhöhung der Stimmlage. Vorteil hierbei ist, dass die Stimmlippen selbst unangetastet bleiben. Die grösste Stimmanhebung (um etwa 1 Oktave) kann durch die „feminization laryngoplasty“ (Kombination aus Glottoplastik und Cricothyreopexie) erzielt werden. Hierbei werden durch komplexe transzervikale Rekonstruktionen am Schildknorpelgerüst das Kehlkopflumen verkleinert und die Stimmlippen verkürzt. Nebenwirkungen (Infektionsrisiko bei transzervikalem Zugang, Nachlassen der Spannung mit Abfall der Stimmhöhe, dauerhafte Vernarbung der Stimmlippen mit Einschränkung der Modulationsfähigkeit, laute Stimme) treten nur selten auf [11,12,13].

Gesichtszüge/-merkmale führen häufig zu GI-/GD-Symptomen und zu einem Misgendering. Dazu zählen u. a. ein ausgeprägter Augenbrauenwulst, eine grosse Nase mit kleinem Nasolabialwinkel, ein breites Kinn und spitze Kieferwinkel oder ein ausgeprägter Adamsapfel. Die Auswirkungen des Testosterons während der Pubertät auf das ossäre Skelett, welche für diese Charakteristika verantwortlich sind, sind irreversibel. Chirurgisch („facial feminization surgery“ [FFS]) werden durch Veränderungen der ossären Strukturen die Gesichtszüge an das feminine Geschlecht angepasst. Zusätzlich können Anpassungen der Weichteile wie ein Brauenlift, Heruntersetzen der Haarlinie, Wangenaugmentation mit Eigenfett oder Implantaten und Philtrumverkürzungen erfolgen. Die Wirksamkeit dieser Operationen kann durch erste Studien belegt werden [17].

Nach Erstbeschreibung einer Vulvovaginoplastik mit peniler Inversionstechnik (PI) 1956 von George Burou [14] entwickelten sich aus der klassischen PI viele Modifikationen. Hierbei wird eine beidseitige Orchiektomie mit vollständiger Entfernung der Corpora cavernosa durchgeführt. Es erfolgen die Bildung einer sensiblen Klitoris aus dem neurovaskulären Bündel und Anteilen der Glans, die Bildung eines Neomeatus urethrae externus sowie der Labia minora et majora und einer Neovagina. Am Universitätsspital Basel führen wir eine modifizierte Technik der PI durch, wobei von der überschüssigen Urethra im Sinne eines Urethraflaps die Vagina teilweise mit urethraler Mukosa ausgekleidet wird (sog. kombinierte Methode [15], Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Vulvovaginoplastik mittels peniler Inversionstechnik – kombinierte Methode. Grafiken aus dem Aufklärungsbogen des Thieme-Compliance-Systems. (Erschienen bei Thieme Compliance GmbH, Am Weichselgarten 30a, 91058 Erlangen, www.thieme-compliance.de © 2023 Thieme Compliance GmbH)

Alternativ kann eine intestinale Vaginoplastik erfolgen [16]. Hierbei wird meist Sigma oder alternativ Ileum verwendet. Durch die Sekretbildung des Darmsegments kommt es zu einer natürlichen Lubrifikation. Diese stellt aber gleichzeitig auch einen Nachteil durch eine potenzielle Geruchsbildung und vermehrte Sekretion dar. Bedingt durch den intraabdominalen Zusatzeingriff ist diese Technik mit einer erhöhten Invasivität verbunden. Es kann in Abhängigkeit vom Behandlungswunsch auch nur eine Vulvaplastik ohne Bildung einer Neovagina oder als Minimalvariante eine isolierte beidseitige Orchiektomie erfolgen. Um einem intravaginalen Haarwachstum vorzubeugen, sollte vor der penilen Inversionsvaginoplastik eine Epilation evaluiert werden. Nach Vulvovaginoplastik oder alleiniger beidseitiger Orchiektomie benötigen transfeminine Menschen eine lebenslange Östrogensubstitution. Die Einstellung dieser erfolgt primär durch den Endokrinologen. Die regelmässigen Kontrollen der Therapie können in der hausärztlichen Praxis erfolgen. Nach der Vaginoplastik unabhängig von der Technik ist eine regelmässige Vaginaldilatation nötig, bis sich die Neovagina stabilisiert hat (ca. 1 Jahr), andernfalls kommt es mittel- und langfristig zur Verkürzung und Verengung der Neovagina. Zur Bougierung der Neovagina werden von uns spezielle Bougiersets rezeptiert. Weitere konservative Massnahmen wie topisches Hydrokortison oder Östrogensalbe können zur Behandlung einer Stenose verordnet werden. Bei Ausbleiben eines Therapieerfolgs ist eine Revisionsoperation an einem Zentrum zu empfehlen.

Unabhängig von der verwendeten Technik können Neovaginitiden auftreten. Die Therapie entspricht der von cisfemininen Menschen. Prophylaktisch kann eine Vaginaldusche verwendet werden. Bei Entzündungen der Darmscheide besteht die Therapie in der topischen Anwendung mesalazinhaltiger Präparate.

Meatusstenosen am Neomeatus können im langfristigen Verlauf auftreten und sich durch progrediente Harnstrahlabschwächung mit Pressmiktion und Restharnbildung, rezidivierende Harnwegsinfekte, Inkontinenz durch Überlaufphänomen oder Harnverhalt bemerkbar machen. Hier ist in der Regel eine operative Sanierung mittels Meatusplastik erforderlich. Zystitiden treten bei transfemininen Menschen nicht häufiger als bei cisfemininen Menschen auf. Eine symptomatische Zystitis sollte antibiotisch behandelt werden, wobei hierbei der Verbleib der Prostata beachtet werden muss und die Therapie mehrtägig sein sollte. STD-assoziierte Hauterkrankungen können ebenfalls auftreten und müssen konservativ medikamentös oder chirurgisch behandelt werden. Karzinome der Neovagina (Plattenepithelkarzinom bei PI, Adenokarzinom bei Darmscheide) oder Vulva sind selten und dann oft HPV-assoziiert. Über die Häufigkeit einer vaginalen Kontrolluntersuchung gibt es keine klaren Richtlinien. Wir empfehlen eine Vorstellung bei Veränderungen wie Blutungen, Wunden, Schmerzen oder vermehrtem Ausfluss und bei Beschwerdefreiheit eine vaginale Einstellung im Abstand von 3–5 Jahren.

Maskulinisierende medizinische Transitionsmassnahmen

Basis jeglicher hier dargestellten Massnahmen ist die GI-Diagnose.

Teil der medizinischen Transition ist auch hier die hormonelle und chirurgische Behandlung. Durch beides wird die Fertilität reduziert. Hierüber müssen die Behandlungssuchenden zwingend aufgeklärt werden und fertilitätserhaltende Massnahmen in Form einer Eizellvitrifikation thematisiert und allenfalls vor Therapiebeginn initiiert werden. Aufgrund der Komplexität der medizinischen und juristischen Situation sollte die Beratung in einem reproduktionsmedizinischen Zentrum mit Spezialisierung auf die Betreuung von Transgendermenschen erfolgen.

Die hormonelle Transitionstherapie zur Maskulinisierung besteht in einer Androgensubstitution mit dem Ziel, physiologische Hormonspiegel des männlichen Geschlechts zu erreichen. Diese erfolgt vorzugsweise parenteral. Analog der Therapie bei transfemininen Menschen sollte vor Therapiebeginn eine allgemeine internistisch-endokrinologische Untersuchung zur Verifizierung von Kontraindikationen und Risikofaktoren erfolgen. Der Effekt der maskulinisierenden Hormontherapie ist wesentlich stärker ausgeprägt [8]. Wie in der männlichen Pubertät bedingt das Testosteron Bartwachstum, Vertiefung der Stimme, Zunahme der Muskelmasse und Vermännlichung des Körperbaus und ein Wachstum der Klitoris. Diese Effekte sind auch nach Absetzen der Androgenbehandlung irreversibel. Des Weiteren kommt es zum Ausbleiben der Menstruation. Nebenwirkungen dieser Therapie stellen die Acne vulgaris und androgenetische Alopezie dar. Die Therapie der Acne vulgaris sollte dermatologisch nach den allgemeinen Leitlinien als Stufentherapie erfolgen [18]. Die androgenetische Alopezie wird mittels topischer Therapie mit Minoxidil 5 % als erste Therapieoption behandelt, alternativ können Spironolacton oder Finasterid systemisch eingesetzt werden [19, 20].

Die erste chirurgische Massnahme bei transmaskulinen Menschen ist meist die Mastektomie. Die Technik zur Mastektomie richtet sich nach der Brustgrösse [21]. Bei sehr grosser Brust erfolgt in der Regel die sog. „free nipple mastectomy“, bei kleiner oder mittlerer Brust kommt die sog. subkutane Mastektomie mit/ohne periareoläre Hautstraffung zur Anwendung. Die Komplikationsraten sind gering. Bis zur Mastektomie kaschieren die Personen die Brust in der Regel mit sog. Bindern. Gemäss internationalen Leitlinien kann die Mastektomie als einzige Operation bereits vor dem 18. Lebensjahr indiziert sein [3]. Als weiterer chirurgischer Eingriff wird oft die Hysterektomie und Adnexektomie gewünscht, insbesondere wenn trotz Hormontherapie Menstruationsblutungen auftreten. Sie erfolgen technisch wie bei Cisfrauen und weisen das gleiche Komplikationsrisiko auf [21]. Nach der Adnexektomie ist eine lebenslange Androgensubstitution indiziert. Die Kontrolle der Laborwerte erfolgt wie bei der Testosteronsubstitution bei cismaskulinen Personen und ist in der hausärztlichen Praxis möglich.

Der erste vollständige Wiederaufbau eines Penis (Phalloplastik) mit einem gestieltem Bauchlappen wurde 1936 von Bogoras publiziert [22]. 1984 folgte die Erstbeschreibung eines mikrochirurgisch angeschlossenen Unterarmlappens durch Chang u. Hwang [23]. Heute werden für die Phalloplastik weltweit verschiedene Techniken gestielter und freier Lappen angeboten. Ziel ist es, einen Phallus zu bilden, welcher Geschlechtsverkehr und stehende Miktion ermöglicht und ästhetisch ansprechend ist. Diese Eingriffe sind, bedingt durch Gewebetransfer mit mikrochirurgischer Gefässanastomosierung, sehr komplex und erfolgen oft in mehreren Schritten. Am häufigsten wird die sog. „tube-in-tube“ Radialisphalloplastik (Abb. 2) durchgeführt [21]. Haut- und Subkutangewebe werden vom Unterarm mit Nerven und Gefässen entnommen. Für die Urethra wird ein Teil der Lappenplastik mit der Haut nach innen tubularisiert, das restliche Gewebe wird mit der Haut nach aussen zur Bildung des Peniskörpers tubularisiert. Häufig erfolgen gleichzeitig die Entfernung der Vagina (Kolpektomie) und die Verlängerung der originären Urethra mit den kleinen Schamlippen. Auf diese Verlängerung wird der Neophallus frei transferiert und anastomosiert, mit mikrochirurgischem Anschluss der Gefässe und Nerven in der Leiste. Alternativ kann das Gewebe für den Phallus vom Oberschenkel (sog. „anterolateral tigh flap“ [ALT] Phalloplastik) entnommen werden (Abb. 3, [24]). Die Urethra wird sekundär aus Gewebe vom Unterarm gebildet, frei transferiert und in der Leiste an die Gefässe anastomosiert. Die Verlängerung der originären Urethra erfolgt analog dem Vorgehen beim Radialispenoid. Aufgrund der Komplexität und der Komplikationen der Eingriffe ist eine sorgfältige präoperative Aufklärung sehr wichtig. Für die Auswahl der Technik der Phalloplastik ist neben dem Patientenwunsch auch auf körperliche Gegebenheiten zu achten. Der Behandlungssuchende muss auf Vor- und Nachteile der beiden Techniken in Abhängigkeit von den anatomischen Gegebenheiten der Person hingewiesen werden, um unrealistische Erwartungen hinsichtlich des postoperativen Ergebnisses zu vermeiden. Die häufigsten Komplikationen sind urethrale Komplikationen (Fisteln, Strikturen) mit bis zu 48 % [25, 26]. Auf diese werden wir in einem separaten Artikel in einer späteren Ausgabe näher eingehen. Vor einer Phalloplastik ist zur Vermeidung von Haarwachstum u. a. in der Urethra die Laserepilation der Entnahmestelle zu empfehlen. Zudem können durch eine fraktionierte (nicht)ablative oder Gefässlaserbehandlung stigmatisierende Narben flacher und blasser gemacht werden [27].

Abb. 2
figure 2

Radialispenoid am Unterarm (Design nach Chang). Grafiken aus dem Aufklärungsbogen des Thieme-Compliance-Systems. (Erschienen bei Thieme Compliance GmbH, Am Weichselgarten 30a, 91058 Erlangen, www.thieme-compliance.de © 2023 Thieme Compliance GmbH)

Abb. 3
figure 3

Gewinnung einer ALT-Lappenplastik (Oberschenkel) bzw. einer Fibulalappenplastik (Unterschenkel). Grafiken aus dem Aufklärungsbogen des Thieme-Compliance-Systems. (Erschienen bei Thieme Compliance GmbH, Am Weichselgarten 30a, 91058 Erlangen, www.thieme-compliance.de © 2023 Thieme Compliance GmbH)

Die Metaidoioplastik (Klitpen/Minipenis) stellt eine Alternative zur Phalloplastik dar. Durch die Testosterongabe kommt es zu einer unterschiedlich stark ausgeprägten Hypertrophie der Klitoris. Mittels gestielter Läppchen aus den Labia minora (ggf. in Kombination mit Mundschleimhaut) wird eine Urethra an der Unterfläche der Klitoris bis in die Klitorisspitze gebildet. Hierdurch wird den transmaskulinen Personen eine Miktion im Stehen ermöglicht. Eine Penetration während des Geschlechtsverkehrs ist, bedingt durch die geringe Grösse, meist nicht möglich. Urethrale Komplikationen führen auch hier zu Revisionsoperationen [21, 28].

Glansplastik, die Implantation von Hodenprothesen und einer Penisprothese (Prothetik) stellen abschliessende Schritte nach vollständig eingeheiltem Neophallus und voll funktionstüchtiger Neourethra dar [21]. Vor Implantation einer Penisprothese sollte das Penoid eine Schutzsensibilität bis in die Spitze aufweisen. Diese besteht frühestens 6 Monate nach der Phalloplastik. Grundsätzlich stehen semirigide und hydraulische Penisprothesen zur Verfügung. Dem Patientenwunsch folgend werden meist hydraulische Systeme bevorzugt: 2‑Komponenten-Systeme (2 Zylinder plus Pumpe), 3‑Komponenten-Systeme (1 oder 2 Zylinder, 1 Reservoir plus Pumpe). Mit der Komplexität und den Komplikationen der Prothetik bei transmaskulinen Menschen wird sich, wie schon erwähnt, ein separater Artikel befassen.

Alternativen zu Phalloplastik und Metaidoioplastik stellen Hilfsmittel wie z. B. die Penis-Hoden-Epithese dar.

Fazit für die Praxis

  • Die ICD-11 definiert Geschlechtsinkongruenz als einen Gesundheitszustand, bei dem die Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Dadurch und die wachsende gesellschaftliche Akzeptanz werden Primärversorger zunehmend häufiger von Menschen mit Geschlechtsinkongruenz mit der Frage nach medizinischer Transition konfrontiert.

  • Die Optionen der medizinischen Transition sind vielfältig und komplex. Der Behandlungsplan wird nach sorgfältiger Aufklärung im Sinne einer „shared decision“ durch den Behandlungssuchenden festgelegt. Anpassungen können je nach Therapieerfolg im Verlauf notwendig sein. Die detaillierte Aufklärung hierüber sollte aufgrund der Komplexität durch die Spezialisten erfolgen.

  • Um die medizinische Versorgung von Menschen mit Geschlechtsinkongruenz zu verbessern, sind Grundkenntnis über medizinische Transitionsmassnahmen, deren Risiken und Komplikationen für Primärversorger sehr wichtig.