Einleitung

Bereits im Jahr 2003 lernte die Welt das Coronavirus 1 (CoV-1) kennen, welches damals lediglich für etwas mehr als 8000 Infektionen verantwortlich war. Es besteht zum CoV‑2 eine 79,6%ige genetische Ähnlichkeit, wobei diese Virusvariante ein viel grösseres Ausmass erreichte [1]. Im Dezember 2019 wurde in Wuhan, China, erstmals über eine Coronaviruserkrankung (COVID-19) berichtet, welche durch das „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) verursacht wird. In der Folge kam es dann zu einer weltweiten, pandemischen Ausbreitung. Obwohl es in Bezug auf die prozentuale Infektionsrate bei Männern und Frauen praktisch keinen Unterschied gibt, zeigte die statistische Analyse in allen Ländern für Männer einen schwereren Krankheitsverlauf und eine höhere Mortalitätsrate gegenüber Frauen [2]. Gründe hierfür bestehen u. a. darin, dass Männer einen ungesünderen Lebensstil pflegen (Rauchen, Übergewicht, Inaktivität) und somit mehr ungünstige Komorbiditäten aufweisen, aber auch in einem höheren Vorliegen von Androgenrezeptoren, was ein postuliertes Eintreten des Virus in die Zelle erleichtert [3].

Viruseintritt

Das Coronavirus SARS-CoV‑2 ist ein Einzelstrang-RNA-Virus, welcher primär über Aerosole, ausgeatmet von infizierten Personen (geimpft und ungeimpft), oder auch Konjunktivalflüssigkeit und Tränen übertragen wird. Es konnte sowohl in Speichelflüssigkeit als auch im Urin, Fäzes und Blut nachgewiesen werden. Der Nachweis in der Samenflüssigkeit wurde in der Mehrzahl der Literaturangaben verneint [4] Somit scheint eine sexuelle Transmission eher unwahrscheinlich, kann aber nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden. Vereinfacht dargestellt gelangt das SARS-CoV-2-Virus durch Bindung an sog. Spikeproteine am Angiotensinkonversionsenzym 2 (ACE-2), welches durch eine transmembranöse Serinprotease Typ II gekoppelt ist, in die Zelle [4, 5]. Eine besonders hohe Expression von ACE‑2 konnte in Lunge, Schilddrüse, Brust, Niere, Intestinum und auch im Hoden nachgewiesen werden [6, 7]. Durch eine infektionsbedingte Störung der Blut-Hoden-Schranke kann das Virus direkt Störungen sowohl der exokrinen (Testosteron) als auch der endokrinen (Spermatogenese) Hodenfunktion verursachen. Innerhalb des Hodens konnten wiederum hohe ACE-2-Expressonen sowohl in Leydig-Zellen (Testosteronproduktion) als auch in den Sertoli-Zellen, Spermatogonien und Spermatiden nachgewiesen werden [8]. Zudem besteht eine starke Korrelation zwischen der TMPRESS2-Expression und einem schweren Krankheitsverlauf [9]. Der Androgenrezeptor beeinflusst die Expression von TMPRSS2 (höher bei Männern als bei Frauen). Je höher die TMPRSS2-Expression, desto schwerer kann der Krankheitsverlauf ausfallen. Für die potenzielle COVID-19-verursachte Hodenfunktionsstörung bedeutet dies, je jünger die Männer sind, desto höher ist die ACE-2-Rezeptor-Expression und somit der zu erwartende testikuläre Schaden [10]. Dies wird u. a. durch das Generieren von oxidativem Stress in Form von sog. „reactive oxygen species“ (ROS) verursacht. In der Literatur sind 10–22 % Entzündungen des Hodens (Orchitis oder Epididymoorchitis) bei einer akuten COVID-19-Infektion beschrieben [11].

Einfluss auf die männliche Fertilität

Neben einer direkten viralen Schädigung wird bei einer akuten COVID-19-Infektion bis zu 98 % Fieber als Symptom beschrieben. Eine erhöhte Körpertemperatur betrifft auch den Hodenbereich mit potenziell schädigendem Einfluss auf die vulnerable Spermatogenese. Kritisch scheint dabei eine Temperatur von mehr als 38 °C über mehr als 2 Tage im Hodengewebe zu sein, was dann zu einer konsekutiven Verminderung der Spermienkonzentration, Vitalität, Motilität und Morphologie bei erhöhter DNA-Fragmentation führt [12].

Die aktuell stetig wachsende Literatur hat aber aufgrund von eher kleinen Fallzahlen, unterschiedlicher individueller Krankheitsausprägungen und v. a. durch fehlende Vergleichsdaten vor und nach Infektion (noch) gewisse Limitationen.

Durch eine COVID-19-Infektion konnten multiple negative Einflüsse auf die Samenqualität nachgewiesen werden. Dabei wurden eine Verminderung der Samenkonzentration, der Beweglichkeit, der Vitalität und der Morphologie bei gleichzeitigem Anstieg des ROS und der DNA-Fragmentation beschrieben [13]. In einer frühen prospektiven Querschnittsstudie zeigte sich, obwohl kein Nachweis von Virus-RNA in der Samenflüssigkeit bestand, in 73 % eine schwere Spermatogenesestörung (Krypto‑/Azoospermie) bei Männern, die bereits Vater geworden waren [14]. Der Schweregrad der Spermatogenesestörung korrelierte dabei stark mit der Schwere des Krankheitsverlaufs (z. B. Notwendigkeit zur Hospitalisierung). In einem systemischen Review der Literatur konnte bei Männern mit COVID-19 im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe eine signifikante Reduktion der Gesamtspermienzahl, der Spermienkonzentration, der Motilität und des Samenvolumens gezeigt werden [15]. Dies wurde auch in einer Metaanalyse im Jahr 2022, die 7 Fall-Kontroll-Studien und 5 retrospektive Kohortenstudien einschloss, bestätigt werden und somit betätigen, dass eine solche Infektion eine deutliche Vulnerabilität bezüglich der Samenqualität bewirkt [16].

Hingegen besteht nur bedingt Grund zur Sorge, da mehrfach gezeigt werden konnte, dass nach 3–4 Monaten (rund 3 Monate entsprechen einem Spermatogenesezyklus) eine Erholung der Samenqualität bei einer Mehrheit der Männer erwartet werden darf [17]. Diese zu erwartende progressive Erholung der Samenqualität mit der Zeit hängt aber ganz deutlich vom Schweregrad und vom Inflammationszustand und somit vom zeitlichen Verlauf der Infektion ab [18]. Kritisch muss allerdings beurteilt werden, dass die durch die Infektion verursachten DNA-Schädigungen der Spermien einerseits zumindest vorübergehend die Fertilität des Betroffenen, aber, wenn es denn trotzdem zu einer Schwangerschaft kommt, eine Bedrohung für das Neugeborene bedeuten können [19].

Langzeiteffekte durch COVID-19

Die in der Schweiz durchgeführte sog. LoCoMo, eine longitudinale Kohortenstudie, die insgesamt 501 Schweizer Militärzugehörige mit einem Altersdurchschnitt von 21 Jahren einschloss, zeigte in den untersuchten Gruppen, dass bei denjenigen, deren COVID-19-Erkrankung länger als 180 Tage zurücklag, im Vergleich mit der gesunden Gruppe (nie COVID-19) im Langzeitverlauf der BMI sowie das LDL- und Gesamtcholesterin höher und die Leistungsfähigkeit deutlich geringer waren [20].

Einfluss durch Impfung

Als häufigste Nebenwirkung einer Impfung kann es zu Fieber kommen. Dieser potenzielle Einfluss wurde weiter oben bereits beleuchtet. Unter Anwendung der beiden mRNA-Impfstoffe von Pfizer-BioNTech und Moderna bezogen sich die Nebenwirkungen bei 15.785 Personen lediglich in 0.7 % (113) Fällen auf urologische Symptome [21]. Dabei kam es in 34 Fällen zu Miktionsstörungen, in 22 Fällen zu Hämaturie und in 41 Fällen zu Urininfektionen, wobei in rund 46 % ein männliches Geschlecht vorlag.

Beruhigender Weise konnte mehrfach gezeigt werden, dass es keinen negativen Einfluss auf die Samenparameter hatte und auch kein erhöhtes Risiko für eine erektile Dysfunktion [22, 23].

Empfehlungen bei Fertilitätswunsch

Der Einfluss von Fieber, der Schweregrad der Erkrankung und der Erholungszustand sollten in Bezug auf eine angestrebte Reproduktion und bei Fertilitätswunsch berücksichtigt werden. Es sollte mindestens 3 Monate, tendenziell sogar etwas länger, auf eine (sei es natürliche oder artifizielle) Reproduktion nach dem Abklingen der Infektion gewartet werden. Eine Samenkryopräservation, z. B. bei Krebspatienten, scheint trotzdem möglich. Unter den pandemischen Umständen und unter Abwägung von Nutzen und potenziellen Risiken sollte Männern, welche eine Fertilität anstreben und die Kriterien für die Impfung erfüllen, diese nicht vorenthalten werden. COVID-19-infizierte Männer bedürfen im Hinblick auf eine angestrebte Fertilität eine enge Betreuung und Beratung [24].

Testosteron und COVID-19

In einer Metaanalyse von 11 vorliegenden Studien, die Männer mit COVID-19 und entsprechende gesunde Kontrollgruppen verglichen, konnte gezeigt werden, dass Männer mit einem per se niedrigeren Testosteronlevel zu Beginn häufiger infiziert waren. Männer mit einem niedrigen Testosteronwert tragen ein 4‑ bis 5fach erhöhtes Risiko, im Verlauf der Infektion auf die Intensivstation verlegt zu werden oder gar zu versterben [15]. Wenn die Gesamttestosteronkonzentration < 100 ng/dl betrug, im Vergleich zu Testosteronwerten über 230 ng/dl, war das Mortalitätsrisiko signifikant höher („odds ratio“ 18,2, p = 0,006; [25, 26]). Die Erholung des Testosteronstoffwechsels benötigt im Vergleich zur Erholung der Samenqualität deutlich länger. So zeigte eine Studie erst nach 7 Monaten ein Erreichen von 87,6 % des Testosteronanstiegs im Vergleich zur Baseline zu Beginn der Infektion. Einzelne Studien berichteten aber auch noch längere Erholungszeiten mit bis zu 50 % anhaltend tiefen Testosteronwerten, welche die laborchemischen Kriterien eines Hypogonadismus erfüllen würden [27]. Die Rolle einer möglichen und frühzeitigen Testosteronergänzungstherapie ist zurzeit noch gänzlich ungeklärt [28]. Vorsicht ist bei diesem Gedanken der Tatsache geschuldet, dass COVID-19 mit einer Hyperkoagulabilität und eine Testosteronersatztherapie andererseits mit einem erhöhten Risiko einer Venenthrombose und einer Polyzythämie (HKT > 54 %) einhergehen kann.

Erektile Dysfunktion (ED) und COVID-19

Bei einem Patienten, der sich 7 Monate nach einer COVID-19-Infektion einem chirurgischen Eingriff am Penis unterzog, konnte im Endothelium der Schwellkörper die Persistenz des SARS-CoV-2-Virus festgestellt werden [5]. Bei COVID-19, insbesondere mit schwerwiegenden Verläufen, konnte eine gravierende Schädigung des Endothels der Gefässe gezeigt werden. So ist es naheliegend, dass eine solche Vaskulopathie, welche mindestens mit einer mikrovaskulären Schädigung einhergeht, sich auch durch eine vaskulär bedingte bemerkbar machen kann [29]. Additiv können sich diesbezüglich auch noch, wie bereits beschrieben, hormonelle Einflüsse (möglicher Mangel an Testosteron) und auch psychischer Stress durch eine solche Infektion negativ bemerkbar machen. In Zahlen konnte eine Studie belegen, dass die Prävalenz einer ED bei Männern mit COVID-19 im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe signifikant höher war („odds ratio“ 5,66; [30]).

Resümee

SARS-CoV‑2 ist ein höchst pathogener Virus, der eine schädigende Wirkung auf verschiedenste Art und Weise bewirken kann. Trotz der wachsenden Literatur kann der Einfluss der COVID-19-Pandemie in Bezug auf potenzielle Auswirkungen noch keineswegs überblickt werden. Unter andrem kann sich COVID-19 in Bezug auf die mentale Gesundheit (Depression und Angstzustände), die sexuelle Gesundheit (endotheliale Dysfunktion, erektile Dysfunktion) und die testikuläre Funktion (Orchitis, Samenqualität und Testosteron) bemerkbar machen. Es gibt noch viele offene Fragen, warum es bei Männern im Vergleich zu Frauen zu einem schwereren Krankheitsverlauf und einer höheren Sterblichkeit kommt. Männer weisen vergleichsweise mehr negative Komorbiditäten auf – auch das Vorliegen von Androgenrezeptoren, als potenzieller Mechanismus für einen Zelleintritt des Virus, scheint eine Rolle dafür zu spielen. Daher sollten COVID-19-Infizierte bei Bedarf sowohl in der akuten als auch in der Erholungsphase eine entsprechende Aufmerksamkeit erhalten.

Keypoints:

  • Männer haben einen schwereren Verlauf und eine höhere Sterblichkeitsrate.

  • Sexuelle Transmission erscheint eher unwahrscheinlich, kann aber nicht 100%ig ausgeschossen werden.

  • Samenqualität unter COVID-19 wird deutlich schlechter, aber erholt sich wieder.

  • Niedriger Testosteronwert resultiert in einem schwereren Krankheitsverlauf.

  • COVID-19-Infektion kann zu einer (vorübergehenden) erektilen Dysfunktion führen.

  • Impfung (mRNA-Vakzine) hat keinen negativen Einfluss auf die Samenqualität.

Fazit für die Praxis

  • Männer mit COVID-19 haben gegenüber Frauen ein höheres Risiko für einen schwereren Krankheitsverlauf (Intensivstation: „odds ratio“ 2,84) und eine höhere Mortalität („odds ratio“ 1,39).

  • Das Risiko einer sexuellen Transmission des SARS-CoV‑2 nach Erholung in einer stabilen Partnerschaft scheint unwahrscheinlich.

  • COVID-19 hat einen negativen (Kurzzeit‑)Effekt auf die Samenqualität, das Testosteron und die Erektionsfunktion – mögliche Langzeitkonsequenzen sind noch nicht hinreichend geklärt.

  • Bis zu 1/4 von zuvor fertilen Männern zeigten unter COVID-19 und danach schwerste Spermatogenesestörungen (Oligo‑/Krypto‑/Azoospermie), abhängig von vorliegenden Komorbiditäten und dem Schweregrad der Infektion. Hingegen scheint eine Erholung nach wenigstens 3 Monaten wahrscheinlich.

  • Aufgrund potenzieller infektbedingter DNA-Schäden im Erbgut benötigen Männer in Bezug auf eine angestrebte Fertilität, inklusive assistierter reproduktionsendokrinologischer Massnahmen und Kryopräservation, eine gute Beratung und einen engen Follow-up.

  • Die verfügbaren mRNA-COVID-19-Impfungen scheinen weder Samenqualität noch Erektionsfunktion zu beeinflussen.

  • Ein erniedrigtes Testosteronniveau scheint per se mit einem schwerwiegenderen COVID-19-Verlauf einherzugehen. Die potenzielle Rolle einer Androgendeprivationstherapie oder einer Testosteronsubstitutionstherapie müssen in diesem Zusammenhang noch geklärt werden.

  • In der Erholung nach COVID-19 sollten Männer auch in Bezug auf Samenqualität und Testosteronabnormalitäten kontrolliert werden.