In meiner Vorlesung über Mechanismen der Therapieresistenz im Doktoratsprogramm an der Medizinischen Universität Innsbruck beginne ich das Kapitel über Krebsstammzellen mit einer Frage an die Studierenden: „Wer kennt eine gute Definition von „Krebs“?“. Dies sorgt meistens für etwas Erstaunen bei den Studierenden ob der vermeintlichen Einfachheit dieser Frage, und wir können uns auch dann meistens recht schnell auf die allgemeingültige Antwort „Krebs ist ein krankhaftes Wachstum von Zellen, welche sich unkontrolliert teilen und in manchen Fällen metastasieren“ einigen. So weit, so gut. Freilich wollte ich etwas anderes hören – können wir nicht eine Definition finden, welche besser mit dem Thema des Kapitels (Krebsstammzellen!) einhergeht? Ich zeige dann das altbekannte Schema von Gleason [1], welches Uropathologen benutzen, um die histopathologische Diagnose von Prostatakrebsgewebe zu erstellen. Grad 1 zeigt dabei ein schön differenziertes Drüsengewebe, beim Grad 3 sind die Drüsen schon recht ungleichmäßig und haben einen moderaten Differenzierungsgrad. Grad 5 hingegen ist eine undifferenzierte Zellansammlung, welche nicht mehr an normales Prostatadrüsengewebe erinnert. Möchte der Herr Dozent vielleicht irgendetwas mit Differenzierung hören? Ja genau!

Krebs kann in der Tat sehr wohl als abnormal differenziertes Gewebe oder noch präziser als Gewebe mit fehlender terminaler Differenzierung bezeichnet werden. Dies impliziert, dass im Krebsgewebe, analog zum normalen Gewebe, verschieden differenzierte Zellen vorkommen. Es gibt also eine Zellhierarchie mit höher differenzierten Zellen, welche aus Zellen mit geringerem Differenzierungsgrad hervorgehen. Allgemein geht die Organisation im nichtentarteten Gewebe von der selten vorkommenden, quieszenten (selten teilenden) und lang überlebenden, dafür aber multipotenten (Fähigkeit, unterschiedliche Zelltypen zu generieren) Gewebestammzelle aus (Abb. 1). Die epitheliale Prostatastammzelle ist in der Basalschicht zu finden, deren Zellen an der Basallamina anhaften – Letztere trennt die Epithelschicht vom umliegenden Stroma (Bindegewebe). Ausgehend von der Stammzelle können sich alle 3 Abstammungslinien („lineages“) des Prostataepithels entwickeln: bipotente basale Vorläufer („progenitors“), unipotente luminale Vorläufer sowie seltene neuroendokrine Zellen. Diese 3 Abstammungslinien können anhand von Markern voneinander getrennt werden: Basale Zellen exprimieren den Transkriptionsfaktor p63 und das zur Zellstabilität beitragende Intermediärfilament Zytokeratin 5. Luminale Zellen hingegen sind positiv für Zytokeratin 8 und den Androgenrezeptor (AR), einen Transkriptionsfaktor, der Testosteron bindet und u. a. das Genprogramm für die Produktion des Prostatasekrets steuert und somit auch des Tumormarkers PSA (eine Protease, die das Samenkoagulum verflüssigt). Der am wenigsten erforschte Zelltyp – die neuroendokrine Zelle – geht vermutlich direkt aus der Gewebestammzelle hervor und exprimiert die neuroendokrinen (Tumor‑)Marker Chromogranin A und Synaptophysin. Während der adulten Gewebshomöostase generieren sowohl die basalen als auch die luminalen Vorläufer den basalen bzw. luminalen Zellpool. Zusätzlich können basale Vorläufer, da bipotent, zu luminalen Zellen differenzieren. Ähnlich verhält sich die Ausdifferenzierung nach einem Regenerationszyklus – damit ist die Wiederherstellung des Prostatagewebes nach chemischer oder chirurgischer Kastration bei erneut normalen Testosteronkonzentrationen gemeint. Durch die Kastration verliert die Prostata ca. 90 % ihres Volumens, dies durch den Verlust von androgenabhängigen, differenzierten Luminalzellen. Dieser Zellpool wird also wiederum durch luminale und basale Vorläuferzellen bei eugonadalen Testosteronkonzentrationen im Körper aufgebaut. Neuesten Erkenntnissen einer Einzelzellsequenzierungsstudie in der Maus zufolge könnten auch die Kastration überlebende, differenzierte Luminalzellen zur Regeneration der Prostata beitragen, indem sie stammzellähnliche, regenerative Eigenschaften annehmen [2].

Abb. 1
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Vereinfachtes Schema der Drüsenstruktur der adulten Prostata mit epithelialen Zelltypen. Gezeichnet mit BioRender.com (Toronto, Ontario, Kanada [Lizenz Zoran Culig])

Die Zelldifferenzierungsprozesse in der normalen Prostata sind also noch nicht vollständig erforscht. Auch im entarteten Gewebe steckt unser Verständnis der Zellhierarchie noch in den Kinderschuhen, sie dürfte zudem eine noch höhere Komplexität als im normalen Gewebe haben. Einvernehmen herrscht darüber, dass nicht jede Tumorzelle die Fähigkeit besitzt, einen neuen Tumor zu initiieren. Dies kann man z. B. in Mausversuchen oder auch in der Zellkultur überprüfen, indem einzelne, anhand von verschiedenen Markern aufgereinigte Zelltypen in die immunsupprimierte Maus eingepflanzt bzw. auf die Zellkulturschale ausgesät werden (Abb. 2). Der Großteil der Zellen kann keine neuen Tumoren bzw. Kolonien ausbilden, nur eher selten vorkommende Zellen haben die Fähigkeit der Tumorinitiation und auch die Fähigkeit, sämtliche ursprünglich vorkommende Zelltypen wieder zu generieren. Diese tumorinitiierende Zelle hat also durchaus Ähnlichkeit mit im normalen Gewebe vorkommenden Vorläuferzellen, was ihre Fähigkeiten der Selbsterneuerung und der Potenz zur Ausdifferenzierung, also der (entarteten) Geweberegeneration, betrifft. Die tumorinitiierende Zelle wird daher auch als Krebsstammzelle bezeichnet. Was der Ursprung dieser Zelle ist, ist unklar. Theoretisch könnten Krebsstammzellen nach Anhäufung von Mutationen, die eine Entartung bedingen, entweder aus normalen Stamm- bzw. Vorläuferzellen oder aber durch Dedifferenzierung einer Luminalzelle hervorgehen.

Abb. 2
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Einzelne Zellen einer Prostatakrebszelllinie wurde auf der Zellkulturschale ausgesät („colony forming assay“). Es entstehen 3 verschiedene Kolonietypen, A Holoklone, B Meroklone und C Paraklone. Nur die Zellen der Holoklone haben die Fähigkeit, wiederholt neue Kolonien zu bilden, dabei werden wiederum alle 3 Typen von Kolonien gebildet

Die charakteristische Histologie eines Prostataadenokarzinoms ist ein luminaler Zellphänotyp bei gleichzeitigem Fehlen von Basalzellen. So wird die pathologische Diagnose auch häufig durch eine immunhistochemische Doppelfärbung gegen p63 (Basalzellmarker) und AMACR (Tumormarker) abgesichert, wobei Areale, welche p63-negativ und AMACR-positiv sind, als entartet klassifiziert werden. Ist die Prostatakrebsstammzelle also eine entartete luminale Vorläuferzelle? So einfach ist es leider nicht. Es scheint vielmehr so zu sein, dass Krebsstammzellen sowohl in der luminalen als auch in der basalen Abstammungslinie vorkommen können. Für eine basale Abstammung spricht, dass in vitro transformierte basale Mauszellen viel effizienter Tumoren bilden können als die ebenso transformierten Luminalzellen [3]. Ähnliches wurde mit humanen Prostatazellen in Gewebsregenerationsversuchen berichtet [4]. Erwähnenswert ist, dass die entarteten Basalzellen in der Lage waren, ein luminalähnliches Adenokarzinom auszubilden – wir erinnern uns, dass im normalen Gewebe Luminalzellen einerseits über luminale Vorläuferzellen und andererseits über die bipotenten basalen Vorläuferzellen gebildet werden. Mit dem übereinstimmend führt auch eine Inaktivierung des bekannten Tumorsuppressors Pten in Basalzellen ausnahmslos zu einem luminalähnlichem Tumor in Mausmodellen [5]. Eine basale Krebsstammzelle schließt also nicht ein luminales Adenokarzinom aus oder, vice versa, ein luminaler Tumorphänotyp kann seinen Ursprung in einer Basalzelle haben. Allerdings kann ein luminaler Tumor auch aus einer luminalen Vorläuferzelle hervorgehen: In der oben erwähnten Studie [5] wurde Pten parallel zur Inaktivierung in Basalzellen auch in Luminalzellen deletiert – mit dem gleichen Resultat: einem luminalähnlichen Tumorwachstum. Auch in der bekannten humanen, androgensensitiven Prostatakrebszelllinie LNCaP konnten Zellen mit Charakteristika einer luminalen Vorläuferzelle isoliert werden [6]. Es wurde gezeigt, dass im Gegensatz zum Großteil der Zellen eine kleine Zellpopulation innerhalb dieser Zelllinie existiert, welche kein oder wenig PSA sekretiert. Diese PSA(-/low)-LNCaP-Zellen besitzen mehrere stammzellähnliche Eigenschaften wie z. B. erhöhtes tumorinitiierendes Potenzial, Fähigkeit zur asymmetrischen Teilung in eine PSA(-/low)- und eine PSA(+)-Zelle, Quieszenz und Toleranz gegenüber Androgenentzug. Sie exprimieren aber dennoch den AR und sind daher der luminalen Abstammungslinie zuzurechnen. Eine rezente Einzelzellsequenzierungsstudie in der murinen und humanen Prostata konnte ebenfalls eine luminale Vorläuferzelle identifizieren, welche distal an der Spitze von Einstülpungen in das Lumen der Prostatadrüse sitzt [7]. Diese Dist-Luminal‑C genannten Vorläuferzellen besitzen die Fähigkeit, einerseits die Luminalzellen nach Androgenentzug zu regenerieren (sie sind also resistent gegen Androgenentzug!), können aber andererseits, wiederum nach Pten-Deletion, intraepitheliale Prostataneoplasien (PIN) bilden. Letztere sind die Vorstufen des Adenokarzinoms. Auch in der normalen, humanen Prostata konnte dieser Vorläuferzelltyp identifiziert werden. Eine Bestätigung, dass eine humane, entartete Dist-Luminal-C-Zelle in der Tat ursprünglich für das Adenokarzinom ist, konnte aber (noch) nicht erbracht werden. Einen Bezug der Tumorentstehung zu häufig vorkommenden Entzündungsreaktionen in der Prostata konnte in einer anderen Studie gezeigt werden: Luminale Vorläuferzellen, welche eine geringe Expression von CD38 (ein Glykoprotein an der Zelloberfläche) haben und vermehrt in entzündeten Drüsen vorkommen, konnten in einem In-vivo-Gewebsregenerationsversuch zu humanem Prostatakrebs auswachsen [8]. Zusammenfassend kann man also schlussfolgern, dass es zurzeit keine allgemein anerkannte Erkenntnis über die Natur und Herkunft im Sinne der Abstammungslinie der Krebsstammzelle in der Prostata gibt. Auch in der normalen Prostata gibt es, v. a. in der luminalen Abstammungslinie, neue Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass unser Verständnis der Prostatazellhierarchie noch nicht vollständig ist. Dieses Verständnis ist aber Voraussetzung, um auch die Vorgänge in der entarteten Prostata zu verstehen. Es ist aber davon auszugehen, dass sich dies mit der leistungsstarken Methode der Einzelzellsequenzierung in den nächsten Jahren ergeben wird. Bei dieser Methode wird das Genexpressionsprofil jeder einzelnen im Gewebe vorkommenden Zelle bestimmt, und durch bioinformatische Analysen können die verschiedenen Genexpressionsmuster einzelnen Zellpopulationen bzw. Zelltypen zugeordnet werden.

Wieso kommen Krebsstammzellen eigentlich in einer Vorlesung über Mechanismen der Therapieresistenz vor? Nun, Krebsstammzellen und normale Stammzellen bzw. Vorläuferzellen haben viele gemeinsame Eigenschaften, u. a. auch die Eigenschaft unempfindlicher, also resistenter, gegenüber Faktoren zu sein, welche der Zelle schaden bzw. sie abtöten. Zu diesen Faktoren gehören sämtliche Chemotherapeutika, zielgerichtete Therapien, Bestrahlung und sogar das körpereigene Immunsystem, welches entartete Zellen eliminiert. Die dahinterstehenden molekularen Mechanismen sind vielfältig und komplex und ebenfalls noch nicht vollständig erforscht und verstanden. Dass normale Stammzellen bzw. Vorläuferzellen resistenter gegen jene Faktoren sind, macht durchaus Sinn, da diese Zellen ja verantwortlich dafür sind, die Gewebehomöostase oder, bei Bedarf, die Geweberegeneration herzustellen. Problematisch ist dies freilich in der Krebstherapie, wenn man bedenkt, dass die angewandte Therapie zwar den Großteil der Tumorzellen abtötet, aber genau auf jene Zellen, welche im Stande sind, diesen Zellpool wiederherzustellen, keine oder nur wenig Wirkung hat. Das Vorkommen von Krebsstammzellen ist daher die Ursache von Rezidiven nach einer scheinbar erfolgreichen Therapie. Ein weiteres Problem in der Krebsbehandlung ist die molekulare Heterogenität des Tumors innerhalb des/der gleichen PatientIn, da manche Therapien, insbesondere zielgerichtete Therapien, nur gegen einen gewissen molekularen Subtyp eines Tumors wirksam sind. Auch die molekulare Heterogenität liegt in der genetischen Diversität der Krebsstammzellen begründet, welche wiederum durch das individuelle Auftreten von Mutationen im Genom in der einzelnen Krebsstammzelle bestimmt wird. Es geht noch schlimmer: Manche Krebsstammzellen haben durch diese Mutationen hohe motile und invasive Fähigkeiten erworben und können somit das primäre Organ verlassen und sich in einem fremden Organ ansiedeln. Krebsstammzellen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit für Metastasen ursächlich.

Nun ist die primäre Therapie von nichtoperierbaren Prostataadenokarzinomen meistens nicht die Chemo- oder Bestrahlungstherapie, sondern die Hemmung des AR durch systemischen Androgenentzug und/oder die Verabreichung von AR-Inhibitoren. Diese Therapie tötet alle differenzierten, androgenabhängigen Luminalzellen (also den Großteil aller Zellen) ab – wir wissen aber, dass bei den meisten Patienten ein Wiederaufflammen des Prostatakarzinoms zu beobachten ist, dies in der Form des kastrationsresistenten Prostatakrebses (CRPC). Zahlreiche molekulare Mechanismen, die das Wachstum des CRPC begünstigen, wurden in den letzten Jahrzehnten entdeckt und beinhalten u. a. die Amplifikation des AR-Gens, Spleißvarianten des AR (z. B. AR-V7), AR-Mutationen sowie Aktivierung des Glukokortikoidrezeptors [9]. Es ist anzunehmen, dass diese molekularen Mechanismen zur Adaptation an die Hemmung des AR in den Krebsstammzellen stattfinden, auf genetischer Ebene z. B. die AR-Gen-Amplifikation oder auch auf Genexpressionsebene z. B. die Hinaufregulierung von AR-V7. Ungefähr 25 % der mit AR-Inhibitionstherapie behandelten Patienten entwickeln jedoch einen sog. therapieinduzierten neuroendokrinen Prostatakrebsphänotyp (tNEPC), der ebenfalls androgenunabhängig und hoch aggressiv wächst. Histologisch gesehen findet hier ein Wechsel der Abstammungslinie vom androgenabhängigen, luminalen Adenokarzinom zum androgenunabhängigen, neuroendokrinen Karzinom statt. Dieser als Transdifferenzierung benannte Wechsel konnte auch in einem Mausmodell gezeigt werden: AR-positive Luminalzellen konnten nach Deletion des Retinoblastomproteins und des Tumorsuppressors TP53 einen AR-negativen basal- bzw. neuroendokrinähnlichen Phänotyp annehmen [10]. Ein weiteres Erklärungsmodell könnte aber auch das Vorliegen von basalen Krebsstammzellen sein, die sich unter dem Druck der AR-Inhibitionstherapie anstatt zur luminalen zur neuroendokrinen Abstammungslinie entwickeln. Jedenfalls erklärt das Vorkommen von Krebsstammzellen in der Prostata die „Therapieflucht“ von luminalen Zellen bei der AR-Inhibition und das Auftreten von einem CRPC-Phänotyp.

Um bestehende Therapien zu verbessern und Rezidiven entgegenzuwirken, benötigen wir also eine Therapie, welche spezifisch die Krebsstammzellen angreift und sie entweder abtötet oder zumindest ihr Tumorregenerationspotenzial in Schach hält. Ein solcher krebsstammzellspezifischer Wirkstoff wird schwer zu finden sein – s. die Ähnlichkeit der Eigenschaften der Stammzellen im normalen und im entarteten Gewebe. Die Entwicklung solcher Therapien setzt also v. a. auch ein besseres Verständnis der Natur und örtlichen Lokalisation im Gewebe, der Eigenschaften und des Genexpressionsmusters von Krebsstammzellen voraus sowie von den Zellen und Faktoren in der Umgebung der Krebsstammzelle, der sog. Stammzellnische. Es muss geklärt werden, ob es Unterschiede zwischen normalen Stammzellen und Krebsstammzellen gibt und ob man diese Unterschiede als Angriffspunkte für spezifische Krebsstammzelltherapien ausnützen kann. Die Frage, ob eine krebsstammzellspezifische Therapie entwickelt werden kann, ist daher gegenwärtig nicht seriös zu beantworten.