Die Suche nach unabhängigen, aussagekräftigen Biomarkern für das Prostatakarzinom (PCa) stellt nach wie vor gleichzeitig eine Notwendigkeit und eine Herausforderung dar. Diese Marker werden dringend benötigt für die Diagnose, die Prognose oder für das Therapieansprechen/Therapiemonitoring des PCa. Obgleich es bereits einige, vielversprechende Teste auf dem Markt gibt [1,2,3,4], ist keiner dieser Tests flächendeckend in der klinischen Praxis angekommen.

Progranulin/PGRN (synonym: GP88, Acrogranin, Proepithelin, „PC-cell derived growth factor“) ist ein autokrin wirkender Wachstumsfaktor, der sowohl im Gewebe als auch im Blut (Serum) nachweisbar ist. Der Name GP88 leitet sich davon ab, dass es sich um einen Granulinvorläufer mit einem Molekulargewicht von 88 kD handelt. Es besteht aus 7 ganzen (Granulin A–G) und einer halben Granulindomäne (Granulin P). Verschiedene Proteasen (z. B. MMP12, MMP14, ADAMTS-7) können einzelne Granulinpeptide abspalten. Sowohl GP88 als auch einzelne Granulinpeptide bzw. Granulinpeptidgruppen können in Prozessen der Wundheilung, der Entzündung, der Immunität, aber auch der Tumorgenese eine Rolle spielen (Übersichten bei [5, 6]). Das GP88-Protein wird von einer Vielzahl von Zellen, z. B. epithelialen Zellen, Neuronen, hämatopoetischen Zellen, skelettalen Muskelzellen, Makrophagen, Chondrozyten, Adipozyten und endothelialen Zellen exprimiert (Übersicht bei [5]). Hervorzuheben ist aber, dass es in der Regel nur sehr gering von normalen Zellen exprimiert wird. Bei einem Ausfall des GP88-Gens kommt es zu einer neurodegenerativen Erkrankung, der frontotemporalen Lobärdegeneration [7, 8]. Patienten mit schwerem Asthma haben deutlich niedrigere Progranulinserumlevel als gesunde Kontrollprobanden [9]. Eine verstärkte Synthese von GP88 ist für entzündliche Immunerkrankungen wie systemischer Lupus erythematodes und rheumatoider Arthritis, aber auch für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 bekannt [10,11,12]. Im Bereich der Onkologie ist eine erhöhte Proteinexpression von GP88 für zahlreiche bösartige Tumoren, wie die der Brust, des Gehirns, des Ovars, der Niere, der Blase, der Lunge und für hämatologische Tumoren beschrieben ([13,14,15,16,17], Übersicht bei [5]). Für einzelne Tumoren konnte eine Überexpression sowohl im Tumorgewebe als auch im Serum nachgewiesen werden, wie für das nichtkleinzellige Lungenkarzinom oder das Mammakarzinom. Beim Mammakarzinom steigen die Serumlevel für GP88 stadienabhängig von durchschnittlich 41 ng/ml in den Tumorstadien T1–T3 (29 ng/ml bei Gesunden) auf 45 ng/ml (z. T. > 100 ng/ml) in T4-Tumoren an [18]. Beim kleinzelligen Lungenkarzinom zeigten sich durchschnittliche Serumlevel von 50 ng/ml im Tumorstadium IIIb/IV, die wiederum einen deutlichen Anstieg im Vergleich zu gesunden Kontrollen (28 ng/ml) aufwiesen [16].

Unsere Fragestellung lautete, zu überprüfen, ob der Nachweis von GP88 im Serum oder im Tumorgewebe als klinisch relevanter Biomarker auch für das Prostatakarzinom geeignet ist.

Es wurde bereits beschrieben, dass in normalem, benignem Prostatagewebe GP88 nur sehr schwach bis gar nicht exprimiert wird. GP88-Protein lässt sich aber bereits in frühen prostatischen intraepithelialen Neoplasien (PIN) nachweisen, und die Proteinmenge nimmt in invasiven PCa deutlich zu [19]. Weiterhin ist bekannt, dass GP88 in der Zellkultur das Wachstum, die Bewegung (Migration) und die Invasion von Prostatakarzinomzellen fördert [20].

Im Setting einer „liquid biopsy“ untersuchten wir die Serumlevel von GP88 in 142 PCa-Patienten [21]. Dabei wiesen die Patienten ein durchschnittliches GP88-Protein-Level von 48,7 ng/ml auf (Median: 44,6 ng/ml). Die GP88-Serumlevel waren weder mit den PSA-Leveln noch mit dem Tumorstadium korreliert. Aber Patienten mit einem Gleason-Grad 6 zeigten niedrigere Level (Median: 40,5 ng/ml) als Patienten mit Gleason-Grad 7 (Median: 46,6 ng/ml) oder Gleason-Grad ≥ 8 (Median: 45,2 ng/ml). Für Überlebensanalysen verwendeten wir einen optimierten Schwellenwert der GP88-Level bei 36,9 ng/ml (niedrige Level: ≤ 36,9 ng/ml vs. hohe Level: > 36,9 ng/ml). Dabei zeigten die PCa-Patienten mit den höheren GP88-Leveln ein kürzeres Gesamtüberleben (88,8 Monate) als die Patienten mit niedrigeren Leveln (111,9 Monate). In der multivariaten Analyse (adjustiert für Gleason-Grad und Tumorstadium) zeigten die PCa-Patienten mit erhöhten Leveln ein 3fach erhöhtes Risiko, an ihrem Tumor zu versterben (p = 0,032). Interessant war weiterhin, dass sich die GP88-Level mit zunehmendem Alter erhöhten. Wir teilten unsere PCa-Patienten nach dem Altersmedian in jüngere Patienten (≤66,5 Jahre) und ältere Patienten (>66,5 Jahre) ein. Dabei liegen die Level der jungen Patienten (Median: 40,6 ng/ml) unter den Leveln der älteren Patienten (Median: 47,7 ng/ml). Hierbei zeigte es sich, dass die Assoziation zwischen erhöhtem GP88-Serumlevel und schlechterem Gesamtüberleben nur die jüngeren, aber nicht die älteren Patienten betraf. In der multivariaten Analyse wiesen die jüngeren Patienten mit höheren GP88-Leveln ein 7,8fach erhöhtes Risiko auf, an ihrem Tumor zu versterben, gegenüber den jüngeren Patienten mit niedrigeren GP88-Leveln, allerdings war dies nur im Trend signifikant (p = 0,076; [21]). Obgleich wir keine GP88-Level von Gesunden bestimmt haben, liegen die Level der jüngeren PCa-Patienten über denen der gesunden Probanden in der Literatur (28–29 ng/ml; [16, 18]). Allerdings muss erwähnt werden, dass in der Literatur verschiedene GP88-Antikörper bzw. ELISA-Tests eingesetzt wurden, sodass absolute Messergebnisse nur eingeschränkt miteinander verglichen werden können.

In einer weiteren PCa-Patientenkohorte mit 442 Fällen untersuchten wir die GP88-Protein-Expression im Tumorgewebe mittels Immunhistochemie [22]. Die Auswertung erfolgte über einen immunreaktiven Score (IRS; Werte von 0–12; analog zu [23]) Insgesamt zeigten 233 Fälle (52,7 %) eine negative Reaktion (IRS < 2) und 209 Fälle (47,3 %) eine positive GP88-Färbung (IRS ≥ 2; Abb. 1). Die GP88-Protein-Expression im Tumorgewebe (d. h. der IRS) war positiv korreliert mit dem PSA-Wert zum Zeitpunkt der Prostatektomie. Als nächstes führten wir Überlebensanalysen durch (Kaplan-Meier, univariate und multivariate Cox-Regressionsanalysen). Eine erhöhte GP88-Protein-Expression erwies sich als unabhängiger Prognosefaktor für das Gesamt-, tumorspezifische und rezidivfreie Überleben für alle PCa-Patienten. Als nächstes trennten wir die Patienten bei ihrem Altersmedian von 65 Jahren in eine jüngere Patientengruppe (≤65 Jahre) und eine ältere Patientengruppe (>65 Jahre). Dabei war die GP88-Protein-Expression auch hier nur für die jüngere Patientengruppe, aber nicht für die ältere Patientengruppe mit der Prognose assoziiert. Es zeigte sich bei GP88-Positivität eine Assoziation mit einem 3,8fach (p = 0,004); 6,0fach (p = 0,008) bzw. einem 3,7fach (p = 0,003) erhöhten Risiko, generell zu versterben, tumorspezifisch zu versterben bzw. ein Rezidiv zu entwickeln. Es lässt sich sagen, dass der Nachweis des GP88-Proteins im Tumorgewebe einen unabhängigen Prognosemarker für PCa-Patienten darstellt, wobei dies erneut für die jüngeren PCa-Patienten zutrifft.

Abb. 1
figure 1

GP88, immunhistochemischer Nachweis: a IRS = 0; b IRS = 2 (Intensität schwach: 1, prozentualer Anteil 30 %: 2); c IRS = 8 (Intensität moderat: 2, prozentualer Anteil: 100 %). (Mod. nach [22])

Insgesamt lässt sich einschätzen, dass das GP88-Serumlevel nicht als spezifischer Diagnosemarker für das PCa oder andere maligne Tumoren geeignet ist, da eine Erhöhung von GP88-Serumleveln auch bei nichtmalignen Erkrankungen, wie rheumatoider Arthritis, systemischem Lupus erythematodes oder Typ-2-Diabetes besteht. Bei einer bestätigten PCa-Diagnose ist es aber von Interesse, dass ein erhöhter GP88-Protein-Level für Patienten mit Gleason-Grad ≥ 7 im Vergleich zu Patienten mit Gleason-Grad 6 nachweisbar war. Somit lässt sich einschätzen, dass GP88 sowohl im Serum als auch im Tumorgewebe von PCa-Patienten einen prognostischen Biomarker für die Langzeitprognose darstellt. Inwieweit GP88 als prädiktiver Marker (Therapieansprechen oder Therapiemonitoring) für das Prostatakarzinom eingesetzt werden könnte, bleibt abzuwarten. Hierfür müssen weiteren Untersuchungen an großen, prospektiven PCa-Patienten-Kohorten folgen.