Zusammenfassung
Die Implantation spannungsfreier Bänder („tension free vaginal tape“ [TVT]) ist eine minimalinvasive Technik zur Behandlung der Belastungsinkontinenz. Um den Stellenwert und die Besonderheiten der Methode bei älteren Menschen zu evaluieren, wurde eine selektive Literaturrecherche in PubMed mit den Stichworten „urinary incontinence“/„tension free vaginal tape“/„stress incontinence“ AND „elderly“ durchgeführt. Angesichts der demografischen Entwicklung weltweit erweist sich die Harninkontinenz im Alter als zunehmendes medizinisches und sozioökonomisches Problem. Ein TVT kann selbst bei Hochaltrigen unter folgenden Bedingungen ins Auge gefasst werden: grundsätzlich fehlende Kontraindikation gegen einen chirurgischen Eingriff; Vorliegen einer Belastungs- oder Mischinkontinenz (mit hohem Belastungsanteil); Versagen der konservativen Therapie. Unter der Voraussetzung von Operationswunsch und gegebener Operabilität zeigen die Langzeitergebnisse des TVT über 11 Jahre eine persistierende Kontinenzrate von mehr als 80 %. Die Operation ist sicher und effektiv, geht allerdings mit einer erhöhten Rate von postoperativen Harnwegsinfekten und De-Novo-Dranginkontinenz einher.
Abstract
The implantation of tension-free vaginal tape (TVT) is a minimally invasive technique for the treatment of stress urinary incontinence. In order to evaluate particular features of the method in the elderly, a literature search was performed in PubMed with the keywords “urinary incontinence”/“tension free vaginal tape”/“stress incontinence” AND “elderly”. In view of demographic developments worldwide, urinary incontinence is emerging as an increasing medical and socio-economic problem. The possibility of TVT can be considered even in very elderly individuals under the following conditions: no general contraindications to surgery; presence of stress or mixed incontinence (with a strong stress component); failure of conservative therapy. Under the prerequisite of a clear desire for surgery and assuming operability, the long-term results of TVT show a lasting rate of continence of over 80% at 11 years. The operation is safe and effective; however, it is associated with a higher incidence of postoperative urinary infections and de-novo urge incontinence.
Avoid common mistakes on your manuscript.
Harninkontinenz – Grundlagen
An der globalen demografischen Entwicklung ist die Harninkontinenz im Alter als ein deutlich zunehmendes medizinisches und sozioökonomisches Problem zu erkennen, welches auch in Ländern der sog. westlichen Welt häufiger vorkommt als gedacht. Von den in Deutschland lebenden Menschen mit einer behandlungswürdigen Harninkontinenz beispielsweise sind mehr als 2 Mio. älter als 60 Jahre (11 % dieser Altersgruppe), bei den über 80-Jährigen sind es nahezu 30 % [1]. Ursachen sind u. a. fibromuskuläre Veränderungen, Störungen der neurogenen Steuerung von Harnblase und Sphinktermuskulatur sowie altersbedingte Veränderungen der Anatomie des unteren Harntrakts. Als weitere Faktoren kommen medikamentöse Nebenwirkungen in Frage – meist aufgrund einer Multimedikation wegen Komorbiditäten in dieser Generation [2]. Auch findet sich im Alter häufiger eine Kombination von Stress- und Dranginkontinenz (sog. Mischinkontinenz).
Für die Feststellung einer Harninkontinenz braucht es in der Regel nicht mehr als eine Basisdiagnostik. Zu dieser gehören neben gezielter Anamnese und klinischer Untersuchung (inklusive klinischem Stresstest) ein Harnbefund, die Restharnbestimmung und ein Miktionsprotokoll. Im Zuge des ärztlichen Gesprächs ist es auch unverzichtbar, die Ziele und Wünsche der Patientinnen zu erfahren. Vielen von ihnen genügt es nämlich durchaus, eine sog. soziale Kontinenz zu erreichen, welche ihnen ein gut integriertes Leben in ihrem gesellschaftlichen Umfeld erlaubt.
Neben der medikamentösen Therapie der Harninkontinenz kommt physikalischen Maßnahmen und Verhaltensinterventionen eine große Bedeutung zu. In einer Cochrane-Analyse aus 13 randomisierten Studien mit insgesamt 714 Frauen wurde der Effekt der Beckenbodengymnastik gegenüber Plazebo bei weiblicher Belastungsinkontinenz untersucht. Die Wahrscheinlichkeit, wieder kontinent zu werden, war in der Verumgruppe um das 17-Fache und somit signifikant erhöht [3].
Erweist sich die konservative Therapie jedoch als zu wenig wirksam, ist auch bei betagten Patientinnen eine operative Intervention durchaus zu erwägen, sofern aus internistischer Sicht grundsätzlich eine Operationsfähigkeit gegeben ist. Indikation für die Implantation eines TVT z. B. sind die Belastungsinkontinenz oder eine Mischinkontinenz mit hohem Belastungsanteil.
Chirurgie mit Bändern oder Netzen
Als elegante und kaum belastende Operation zur Korrektur der weiblichen Stressharninkontinenz wurde die Methode des „tension-free vaginal tape“ (TVT) erstmals 1996 von Ulf Ulmsten et al. beschrieben [4]. Seit 1998 wird sie auch in Österreich eingesetzt und bewährte sich als höchst effektive Therapie.
Nach den positiven Erfahrungen mit dem TVT in der Chirurgie der Inkontinenz wurden alloplastische Materialien in Form von Netzen oder „meshes“ in den letzten Jahren auch für andere rekonstruktive Eingriffe am Beckenboden eingesetzt. Allerdings verhalten sich die verschiedenen Typen von Netzen (synthetisch, nichtresorbierbar) auch im Gewebe unterschiedlich. Entsprechend der Meshklassifikation nach Amid aus dem Jahr 1997 [5] wissen wir heute, dass anstelle von makroporösen Netzen vom Typ 1 (Porengröße >75 µ) anderen Netztypen, insbesondere mikroporösen und/oder multifilamentären Materialien, der Vorzug zu geben ist. Neuerdings werden auch biologische Netzmaterialien eingesetzt, deren Wert sich im klinischen Alltag noch zu beweisen haben wird.
In der Therapie der Belastungsinkontinenz ist die Einlage von Polypropylenbändern unter die mittlere Harnröhre gegenwärtig die häufigste Operation. Es sind zahlreiche Produkte auf dem Markt, die sich hinsichtlich des Materials unterscheiden. Hinzu kommt, dass auch verschiedene Zugangswege und Operationstechniken angegeben werden. Ein Beispiel dafür ist das TVT‑O (transobturatorisches TVT).
Für die klassische TVT-Operation liegen jedenfalls bereits Langzeitdaten über 10 Jahre vor sowie ein Komplikationsregister und Kosten-Nutzen-Analysen. Naturgemäß existieren für die früher meist geübte Kolposuspension heute mehr Daten, welche über das Langzeit-Follow-up und die Rate der Rezidive informieren. Aus dem Vergleich der Zahlen lässt sich verlässlich schließen, dass das TVT mit einer Langzeitheilungsrate von 81 % genauso effektiv ist.
TVT bei älteren Patientinnen
Angesichts der Prävalenz der Belastungsinkontinenz im demografischen Segment der älteren Frau einerseits und der routinemäßigen Anwendung des TVT andererseits, erscheint es uns von praktischem Interesse, Besonderheiten in dieser Konstellation herauszufinden. Zu diesem Zweck führten wir eine selektive Recherche der wissenschaftlichen Literatur in PubMed durch – dies mit den Stichworten „urinary incontinence“, „tension free vaginal tape“ und „stress incontinence AND elderly“.
Unter der selbstverständlichen Voraussetzung einer korrekten Indikation hängt die Entscheidung zur Implantation eines TVT bei älteren Patientinnen von spezifischen Faktoren ab: Der Wunsch nach dem Eingriff (welchen jüngere Frauen naturgemäß ohne langes Überlegen artikulieren) muss klar geäußert werden. Ferner sind Komorbiditäten zu berücksichtigen, d. h. dass insbesondere auch die allgemeine Operabilität sorgfältigst zu prüfen ist.
Aus den Studien geht hervor, dass das Verfahren unter den vorgenannten Bedingungen auch bei älteren Patientinnen sicher und sehr effektiv ist. Die Langzeitergebnisse der TVT-Methode zeigen über 11 Jahre eine persistierende Kontinenzrate von mehr als 80 % [6, 7]. Auffallend ist eine erhöhte Rate von postoperativen Harnwegsinfekten und De-novo-Dranginkontinenz [8], während schwerere Komplikationen eher selten sind: An erster Stelle zu nennen sind hier die Blasenperforation bei TVT und chronische Schmerzen im Oberschenkel nach TVT‑O [8].
Kontraindikationen für die TVT-Operation bei älteren Patienten sind wohl all jene, bei denen sich auch andere Eingriffe verbieten würden, wie schwere kardiale Erkrankungen, Blutgerinnungsstörungen usw. Allerdings können Ältere auch davon profitieren, dass das TVT unter Lokal- bzw. Spinalanästhesie eingesetzt werden kann.
Schlussfolgerung
Bei Versagen der konservativen Therapie ist das TVT mit 80 %iger Erfolgsrate auch in der Langzeitbeobachtung eine sichere und effektive chirurgische Option bei Stressharninkontinenz von betagten Patientinnen. In der Indikationsstellung zu berücksichtigen sind natürlich die in dieser Generation häufigen Komorbiditäten. Auch sind die Patientinnen über das postoperative Risiko von häufigeren Harnwegsinfekten und De-novo-Dranginkontinenz aufzuklären. Um schwerere Komplikationen gerade bei älteren Patientinnen so gut wie möglich hintanzuhalten, sollte der Eingriff in diesen Fällen Operateuren mit hoher Expertise vorbehalten sein.
Fazit für die Praxis
-
Das TVT („tension-free vaginal tape“) ist für die Behandlung der Stressinkontinenz auch für ältere Patientinnen durchaus geeignet.
-
Die Langzeitergebnisse von 80 % Kontinenzrate sind ermutigend.
-
Die in dieser Generation häufigen Komorbiditäten sind in der Indikationsstellung zu berücksichtigen.
Literatur
Weltz-Barth A (2007) Inkontinenz im Alter, ein soziales und ökonomisches Problem. Urologe 46:363–364
Talasz H, Wunderlich M (2020) Multimedikation und Kontinenz beim geriatrischen Patienten. J Urol Urogynäkol AT. https://doi.org/10.1007/s41972-020-00096-5
Dumoulin C, Hay-Smith J (2008) Pelvic floor muscle training versus no treatment for urinary incontinence in women. A Cochrane systematic review. Eur J Phys Rehabil Med 44:47
Ulmsten U, Henriksson L, Johnson P, Varhos G (1996) An ambulatory surgical procedure under local anesthesia for treatment of female urinary incontinence. Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 7:81–85
Amid PK (1997) Classification of biomaterials and their related complications in abdominal wall hernia surgery. Hernia 1:15–21. https://doi.org/10.1007/BF02426382
Nilsson CG, Palva K, Rezapour M et al (2008) Eleven years prospective follow-up of the tension free vaginal tape procedure for treatment of stress urinary incontinence. Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 19:1043
Tamussino K, Hanzal E, Kölle D et al. (2001) The Austrian Tension-Free Vaginal Tape Registry. Int Urogynecol J 12:28–30. https://doi.org/10.1007/s001920170009
Groutz A, Cohen A, Gold R, Pauzner D, Lessing JB, Gordon D (2011) The safety and efficacy of the “inside-out” trans-obturator TVT in elderly versus younger stress-incontinent women: a prospective study of 353 consecutive patients. Neurourol Urodyn 30(3):380–383
Funding
Open access funding provided by Medical University of Vienna.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding authors
Ethics declarations
Interessenkonflikt
H. Kölbl und K. Halpern geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Additional information
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Rights and permissions
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
About this article
Cite this article
Kölbl, H., Halpern, K. Bandoperation bei betagten Frauen – Nutzen/Risiko?. J. Urol. Urogynäkol. AT 27, 15–17 (2020). https://doi.org/10.1007/s41972-020-00099-2
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s41972-020-00099-2