Harninkontinenz – Grundlagen

An der globalen demografischen Entwicklung ist die Harninkontinenz im Alter als ein deutlich zunehmendes medizinisches und sozioökonomisches Problem zu erkennen, welches auch in Ländern der sog. westlichen Welt häufiger vorkommt als gedacht. Von den in Deutschland lebenden Menschen mit einer behandlungswürdigen Harninkontinenz beispielsweise sind mehr als 2 Mio. älter als 60 Jahre (11 % dieser Altersgruppe), bei den über 80-Jährigen sind es nahezu 30 % [1]. Ursachen sind u. a. fibromuskuläre Veränderungen, Störungen der neurogenen Steuerung von Harnblase und Sphinktermuskulatur sowie altersbedingte Veränderungen der Anatomie des unteren Harntrakts. Als weitere Faktoren kommen medikamentöse Nebenwirkungen in Frage – meist aufgrund einer Multimedikation wegen Komorbiditäten in dieser Generation [2]. Auch findet sich im Alter häufiger eine Kombination von Stress- und Dranginkontinenz (sog. Mischinkontinenz).

Für die Feststellung einer Harninkontinenz braucht es in der Regel nicht mehr als eine Basisdiagnostik. Zu dieser gehören neben gezielter Anamnese und klinischer Untersuchung (inklusive klinischem Stresstest) ein Harnbefund, die Restharnbestimmung und ein Miktionsprotokoll. Im Zuge des ärztlichen Gesprächs ist es auch unverzichtbar, die Ziele und Wünsche der Patientinnen zu erfahren. Vielen von ihnen genügt es nämlich durchaus, eine sog. soziale Kontinenz zu erreichen, welche ihnen ein gut integriertes Leben in ihrem gesellschaftlichen Umfeld erlaubt.

Neben der medikamentösen Therapie der Harninkontinenz kommt physikalischen Maßnahmen und Verhaltensinterventionen eine große Bedeutung zu. In einer Cochrane-Analyse aus 13 randomisierten Studien mit insgesamt 714 Frauen wurde der Effekt der Beckenbodengymnastik gegenüber Plazebo bei weiblicher Belastungsinkontinenz untersucht. Die Wahrscheinlichkeit, wieder kontinent zu werden, war in der Verumgruppe um das 17-Fache und somit signifikant erhöht [3].

Erweist sich die konservative Therapie jedoch als zu wenig wirksam, ist auch bei betagten Patientinnen eine operative Intervention durchaus zu erwägen, sofern aus internistischer Sicht grundsätzlich eine Operationsfähigkeit gegeben ist. Indikation für die Implantation eines TVT z. B. sind die Belastungsinkontinenz oder eine Mischinkontinenz mit hohem Belastungsanteil.

Chirurgie mit Bändern oder Netzen

Als elegante und kaum belastende Operation zur Korrektur der weiblichen Stressharninkontinenz wurde die Methode des „tension-free vaginal tape“ (TVT) erstmals 1996 von Ulf Ulmsten et al. beschrieben [4]. Seit 1998 wird sie auch in Österreich eingesetzt und bewährte sich als höchst effektive Therapie.

Nach den positiven Erfahrungen mit dem TVT in der Chirurgie der Inkontinenz wurden alloplastische Materialien in Form von Netzen oder „meshes“ in den letzten Jahren auch für andere rekonstruktive Eingriffe am Beckenboden eingesetzt. Allerdings verhalten sich die verschiedenen Typen von Netzen (synthetisch, nichtresorbierbar) auch im Gewebe unterschiedlich. Entsprechend der Meshklassifikation nach Amid aus dem Jahr 1997 [5] wissen wir heute, dass anstelle von makroporösen Netzen vom Typ 1 (Porengröße >75 µ) anderen Netztypen, insbesondere mikroporösen und/oder multifilamentären Materialien, der Vorzug zu geben ist. Neuerdings werden auch biologische Netzmaterialien eingesetzt, deren Wert sich im klinischen Alltag noch zu beweisen haben wird.

In der Therapie der Belastungsinkontinenz ist die Einlage von Polypropylenbändern unter die mittlere Harnröhre gegenwärtig die häufigste Operation. Es sind zahlreiche Produkte auf dem Markt, die sich hinsichtlich des Materials unterscheiden. Hinzu kommt, dass auch verschiedene Zugangswege und Operationstechniken angegeben werden. Ein Beispiel dafür ist das TVT‑O (transobturatorisches TVT).

Für die klassische TVT-Operation liegen jedenfalls bereits Langzeitdaten über 10 Jahre vor sowie ein Komplikationsregister und Kosten-Nutzen-Analysen. Naturgemäß existieren für die früher meist geübte Kolposuspension heute mehr Daten, welche über das Langzeit-Follow-up und die Rate der Rezidive informieren. Aus dem Vergleich der Zahlen lässt sich verlässlich schließen, dass das TVT mit einer Langzeitheilungsrate von 81 % genauso effektiv ist.

TVT bei älteren Patientinnen

Angesichts der Prävalenz der Belastungsinkontinenz im demografischen Segment der älteren Frau einerseits und der routinemäßigen Anwendung des TVT andererseits, erscheint es uns von praktischem Interesse, Besonderheiten in dieser Konstellation herauszufinden. Zu diesem Zweck führten wir eine selektive Recherche der wissenschaftlichen Literatur in PubMed durch – dies mit den Stichworten „urinary incontinence“, „tension free vaginal tape“ und „stress incontinence AND elderly“.

Unter der selbstverständlichen Voraussetzung einer korrekten Indikation hängt die Entscheidung zur Implantation eines TVT bei älteren Patientinnen von spezifischen Faktoren ab: Der Wunsch nach dem Eingriff (welchen jüngere Frauen naturgemäß ohne langes Überlegen artikulieren) muss klar geäußert werden. Ferner sind Komorbiditäten zu berücksichtigen, d. h. dass insbesondere auch die allgemeine Operabilität sorgfältigst zu prüfen ist.

Aus den Studien geht hervor, dass das Verfahren unter den vorgenannten Bedingungen auch bei älteren Patientinnen sicher und sehr effektiv ist. Die Langzeitergebnisse der TVT-Methode zeigen über 11 Jahre eine persistierende Kontinenzrate von mehr als 80 % [6, 7]. Auffallend ist eine erhöhte Rate von postoperativen Harnwegsinfekten und De-novo-Dranginkontinenz [8], während schwerere Komplikationen eher selten sind: An erster Stelle zu nennen sind hier die Blasenperforation bei TVT und chronische Schmerzen im Oberschenkel nach TVT‑O [8].

Kontraindikationen für die TVT-Operation bei älteren Patienten sind wohl all jene, bei denen sich auch andere Eingriffe verbieten würden, wie schwere kardiale Erkrankungen, Blutgerinnungsstörungen usw. Allerdings können Ältere auch davon profitieren, dass das TVT unter Lokal- bzw. Spinalanästhesie eingesetzt werden kann.

Schlussfolgerung

Bei Versagen der konservativen Therapie ist das TVT mit 80 %iger Erfolgsrate auch in der Langzeitbeobachtung eine sichere und effektive chirurgische Option bei Stressharninkontinenz von betagten Patientinnen. In der Indikationsstellung zu berücksichtigen sind natürlich die in dieser Generation häufigen Komorbiditäten. Auch sind die Patientinnen über das postoperative Risiko von häufigeren Harnwegsinfekten und De-novo-Dranginkontinenz aufzuklären. Um schwerere Komplikationen gerade bei älteren Patientinnen so gut wie möglich hintanzuhalten, sollte der Eingriff in diesen Fällen Operateuren mit hoher Expertise vorbehalten sein.

Fazit für die Praxis

  • Das TVT („tension-free vaginal tape“) ist für die Behandlung der Stressinkontinenz auch für ältere Patientinnen durchaus geeignet.

  • Die Langzeitergebnisse von 80 % Kontinenzrate sind ermutigend.

  • Die in dieser Generation häufigen Komorbiditäten sind in der Indikationsstellung zu berücksichtigen.