Allgemeines zur Hämochromatose

Die European Association for the Study of the Liver (EASL) hat mit der rezenten Publikation der neuen Clinical Practice Guidelines für Hämochromatose Empfehlungen für Diagnose, Therapie und Prävention aktualisiert. Dieser Artikel fasst die wichtigsten Punkte zusammen [1].

Die Hämochromatose ist eine Erkrankung genetischen Ursprungs, bei der ein Mangel des eisenregulierenden Hormons Hepcidin zu einem gesteigerten Export von Eisen aus den Zellen führt. Damit kommt es auch zur vermehrten intestinalen Aufnahme von Eisen. Es kommt in der Folge zu einer erhöhten Transferrinsättigung und nach Erschöpfung der Speicherkapazität zur Entstehung von redoxaktivem nichttransferringebundenem Eisen. Dieses freie Eisen ist toxisch, kann sich im Gewebe ansammeln und eine chronische Schädigung von Leber, Gelenken, Herz und endokrinen Organen verursachen [1,2,3].

In den meisten Fällen liegt die pathogene genetische Variante im HFE-Gen (p.Cys282Tyr), welches die Expression von Hepcidin reguliert. Aber nicht alle Mutationsträger entwickeln über die Zeit auch das klinische Erkrankungsbild mit Eisenüberladung und Organschäden. Die relativ niedrige Penetranz stellt eine Herausforderung für die Diagnosestellung der Hämochromatose dar [4,5,6].

Eine bedeutsame Neuerung in den aktuellen Guidelines ist die aktualisierte Definition, nach der eine Hämochromatose zwar eine genetische Erkrankung ist, die aber durch die Krankheitsausprägung (Phänotyp) charakterisiert ist. Das alleinige Vorliegen einer krankheitsassoziierten genetischen Variante reicht für die Diagnose nicht aus. Es muss eine erhöhte Transferrinsättigung (> 45 %) und eine Eisenüberladung der Leber vorliegen. Begleitend darf weder eine Anämie noch eine Retikulozytose als Zeichen einer hämatologischen Erkrankung vorliegen. In frühen Krankheitsstadien erfolgt die Eisenspeicherung in den Hepatozyten der Leber und weniger in Kupffer-Zellen. Typischerweise besteht keine Eisenüberladung der Milz [1, 7].

Prävalenz

Die Hämochromatose ist in Mitteleuropa die häufigste monogene Erkrankung des Erwachsenenalters. In Europa sind zwei Allele – p.C282Y und p.H63D –, die bei der HFE-assoziierten Hämochromatose eine ursächliche Rolle spielen, unterschiedlich verteilt. Aufgrund ihrer Position auf dem Chromosom 9 sind diese zwei Mutationen in einem „linkage disequilibrium“, was eine Vererbung beider Mutationen auf einem Chromosom verunmöglicht. Somit ergeben sich bei 4 Gen-Loci eine Kombination auf Homozygotie für eine der beiden Mutationen, eine Compound-Heterozygotie (p.C282Y/p.H63D) oder eine einfache Heterozygotie für die jeweiligen Allele [2, 8].

Die Prävalenz der HFE-assoziierten Hämochromatose ist eng an die geografischen Unterschiede in der Verteilung der Allele geprägt. So folgt die „große“ Mutation p.C282Y einem Nord-Süd-Gefälle und bewegt sich zumeist im einstelligen Prozentbereich, wohingegen die „kleine“ Mutation p.H63D einem Ost-West-Gefälle unterliegt und teilweise bei bis zu 20 % der Bevölkerung zu finden ist (Abb. 1; [1]).

Abb. 1
figure 1

Prävalenz des p.C282Y-Riskoallels für Hämochromatose in Europa. (Reproduziert mit Genehmigung, EASL Clinical Practice Guidelines 2022 [1])

Penetranz der Hämochromatose

Menschen, die homozygot für HFE p.C282Y sind, haben im Laufe ihres Lebens ein deutlich erhöhtes Risiko, eine Eisenüberladung zu entwickeln. Die Penetranz der Erkrankung nimmt mit dem Alter zu. Männer sind stärker betroffen als prämenopausale Frauen. Das liegt am ehesten am Eisenverlust durch die Monatsblutung. Die Penetranz der Erkrankung ist abhängig von Alter und Geschlecht. So besteht über die Lebenszeit bei homozygoten Männern eine höhere Penetranz als bei Frauen. Zusätzlich erkranken Männer nicht nur häufiger, sondern auch zu einem früheren Zeitpunkt [4, 6].

Diagnose

Bei biochemischen Zeichen einer Eisenüberladung (erhöhte Ferritinkonzentration und erhöhte Transferrinsättigung) bzw. unerklärter, anhaltend erhöhter Transferrinsättigung sollte eine genetische Testung für Hämochromatose erfolgen. Ebenso sollten Verwandte ersten Grades von Hämochromatosepatienten getestet werden. Hepcidinmessungen haben keinen Stellenwert in der Diagnostik der Hämochromatose. Der Diagnosealgorithmus mit den empfohlenen Referenzwerten ist in Abb. 2 zusammengefasst. Bei Homozygotie für C282Y im HFE-Gen kann bei gleichzeitigen biochemischen Zeichen der Eisenüberladung die Diagnose Hämochromatose gestellt und die Therapie eingeleitet werden. Wenn C282Y nicht nachweisbar ist, sollte die unklare biochemische Eisenüberladung weiterführend mittels Magnetresonanztomographie (MRT; R2* Eisenquantifizierung von Leber und Milz) abgeklärt werden und der Patient zu einem Spezialisten überwiesen werden. Seltenere Nicht-HFE- oder digenische („digenic“) Varianten kommen an unterschiedlichen Positionen der komplexen Signalkaskade der Hepcidinregulation (z. B. HJV, HAMP, TFR2 etc.) oder im Eisenexporter Ferroportin (SLC40A1) vor [2, 7, 9].

Abb. 2
figure 2

Algorithmus für die Abklärung bei Verdacht auf Hämochromatose. MRT Magnetresonanztomographie, TIBC Gesamteisenbindungskapazität („total iron binding capacity“). (Reproduziert mit Genehmigung, EASL Clinical Practice Guidelines 2022 [1])

Grundsätzlich besteht bei der Diagnose einer Compound-Heterozygotie (HFE p.H63D und p.C282Y heterozygot) oder bei einer Homozygotie für die „kleine“ Mutation (p.H63D) kein Handlungsbedarf, sofern die Transferrinsättigung und die Ferritinkonzentration im Normbereich liegen. Diese Genotypenkonstellationen stellen keine vollständige Erklärung für das Vorliegen einer Eisenüberladung dar. In Ausnahmefällen kann es bei begleitenden Risikofaktoren (Alkoholkonsum, metabolisches Syndrom etc.) auch bei diesen Patienten zu einer Eisenüberladung kommen. Der klinische Mehrwert einer Testung auf H63D bleibt umstritten. Auch hier sollte bei unsicherer Ursache die Zuweisung zu einem Spezialisten erfolgen, um weitere diagnostische Schritte einzuleiten.

Häufig präsentieren sich Patienten mit einer isolierten Hyperferritinämie bei gleichzeitig normaler Transferrinsättigung. Diese Befundkonstellation ist typisch beim metabolischen Syndrom und anderen inflammatorischen Erkrankungen, steatotischer/alkoholassoziierter oder viraler Lebererkrankung oder hämatologischen Erkrankungen. Sollte keine typische Ursache gefunden werden, empfiehlt sich auch hier eine weiterführende Abklärung im Zentrum. Bei Patienten mit metabolischem Syndrom, pathologischem Alkoholkonsum und/oder fortgeschrittener Lebererkrankung kann es zu einer geringgradigen hepatischen Eisenüberladung kommen. Eine Phlebotomie ist in dieser Situation nicht indiziert [1, 10].

Therapie/Management

Nach Diagnosestellung einer Hämochromatose sollte beim Vorliegen einer Eisenüberladung eine Aderlasstherapie eingeleitet werden. Hierbei wird in einer Induktionsphase ein Aderlass alle 1–2 Wochen empfohlen, bis das Ferritin auf <50 µg/l reduziert ist. Dabei sollte eine zu starke Anämie vermieden werden und das Hämoglobin vor jeder Phlebotomie kontrolliert werden (Pause mit der Therapie bei Hämoglobin <12 g/dl). Anschließend benötigen die Patienten in der Regel 2–6 Phlebotomien pro Jahr zur Erhaltung. Ferritin und Transferrinsättigung sollten alle 6 Monate kontrolliert werden mit dem Ziel, das Ferritin dauerhaft unter 100 µg/l zu halten. Diätetische Maßnahmen allein reichen nicht aus, um die Eisenüberladung zu behandeln, aber die Einnahme von Vitamin C und übermäßiger Konsum von Fleisch sollten vermieden werden. Wenn eine regelmäßige Phlebotomie nicht möglich ist, kann alternativ eine Therapie mit Erythrozytapherese in spezialisierten Zentren oder als Second-Line-Ansatz eine Therapie mit Eisenchelatoren erfolgen (Details s. Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Therapie der Hämochromatose. (Reproduziert mit Genehmigung, EASL Clinical Practice Guidelines 2022 [1])

Nach Diagnosestellung sollte ein Assessment von hepatischen und extrahepatischen Manifestationen der Erkrankung erfolgen. Dazu gehört eine Messung der Lebersteifigkeit zur Bestimmung des Fibrosegrads. Beim Vorliegen einer Zirrhose wird ein Screening auf hepatozelluläres Karzinom (HCC) alle 6 Monate empfohlen. Ergänzend sollten eine mögliche Gelenkmanifestation (Gelenkschmerzen, Arthritis, Osteoporose), endokrine Manifestation (Diabetes), kardiale Dysfunktion (EKG, Echokardiographie) und sexuelle Dysfunktion evaluiert werden [1].

Fazit für die Praxis

  • Erwachsene Patienten, die sich mit Schwäche, Gelenkschmerzen, Arthritis, Osteoporose, Diabetes mellitus oder einer Lebererkrankung präsentieren bzw. eine positive Familienanamnese aufweisen, sollten auf eine Hämochromatose getestet werden.

  • Als erste Untersuchung ist hierfür ein vollständiger Eisenstatus mit Ferritin, Transferrin und Transferrinsättigung ausreichend.

  • Bei Vorliegen einer Transferrinsättigung von >45 % und einem Ferritin von >200 µg/l (bei Frauen)/> 300 µg/l (bei Männern) sollte eine genetische Testung der häufigen krankheitsassoziierten Varianten C282Y und H63D im HFE-Gen erfolgen.

  • Nach Diagnose einer Hämochromatose sollte eine regelmäßige Aderlasstherapie zur Depletierung der Eisenüberladung erfolgen.

  • Zur Vermeidung von Komplikationen sollte das Ferritin bei Hämochromatosepatient:innen unter dem Wert von 100 µg/L gehalten werden.