Geschichtlicher Hintergrund und gegenwärtige Herausforderungen

Obwohl der Zusammenhang zwischen Ernährung und gesundheitsfördernden bzw. -schädlichen Aspekten bereits seit der Antike postuliert wird, empfahl der US-amerikanische Chemiker Wilbur Atwater, der als Vater der modernen Ernährungsmedizin gilt, erstmals 1894 in einer Zeitschrift für Landwirte, dass Ernährung nach Möglichkeit abwechslungsreich sein sollte und zu viel Fett, Zucker und Stärke vermieden werden sollten [1]. Wenngleich dieses Credo bis in die Gegenwart Gültigkeit genießt, dauerte es bis in die 1960er-Jahre, ehe erstmals systematisch im Rahmen der 1948 initiierten „Framingham Heart Study“ klare Assoziationen zwischen Lebensstil und kardiovaskulären Ereignissen gezeigt werden konnten [2].

Die grundsätzliche Herausforderung bei Ernährungs(interventions)studien besteht darin, dass sie einerseits häufig viele Jahre in Anspruch nehmen, andererseits Uneinigkeit bezüglich der Art und Zusammensetzung der jeweiligen Diät (vegetarisch, vegan, „flexitarisch“, „Paläo“, „ketogen“ etc.) herrscht und zusätzlich unterschiedliche klinische Endpunkte definiert werden (z. B. Gewichtsverlust, Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse oder kolorektaler Malignome, Regredienz der Leberfibrose). Weitere Schwierigkeiten, derartige Studien umsetzen zu können, stellen die häufig problematische Patientenadhärenz, oft unzulängliche Tools zur Evaluierung der Ernährung sowie das überschaubare finanzielle Interesse der Industrie dar. Ernährungsempfehlungen werden daher nicht selten auf Basis unvollständiger klinischer Evidenz erstellt und durchlaufen mitunter geradezu wellenartige Modetrends.

Das allgemein gültige Übereinkommen, dass Ernährungsempfehlungen einer breiten Masse anschaulich verständlich und leicht nachvollziehbar gemacht werden sollten, erklärt die Entstehung sog. „Ernährungspyramiden“ und macht auch verständlich, warum sich in der Ernährungswissenschaft etliche Dogmen wie „zumindest einmal pro Tag Obst oder Gemüse“, „weißes Brot ist schlechter als Vollkornbrot“, „viel trinken“ etc. hartnäckig halten und relativ unreflektiert Akzeptanz finden.

Rezente Erkenntnisse der letzten Jahre legen jedoch nahe, dass Ernährungsempfehlungen im Sinne von „one size fits all“ grundlegend zu hinterfragen sind, und bereiten so einem neuen Forschungsfeld, nämlich dem der personalisierten Ernährung bzw. „Präzisionsernährung“, den wissenschaftlichen Boden auf.

Definition Präzisionsernährung

Die „Präzisionsernährung“ beschäftigt sich in Analogie zur Präzisionsmedizin damit, eine personalisierte bzw. individuelle Herangehensweise zur (optimalen) Ernährung des Einzelnen zu schaffen. Während eine allgemeingültige Definition derzeit fehlt, formulierte Eran Elinav vom Weizmann-Institut (Israel) diese Herausforderung wie folgt: „Uns wurde klar, dass wir nicht die Lebensmittel einstufen sollten, sondern die Personen, die sie essen“. Das National Institutes of Health (NIH) sieht die Aufgabe der Präzisionsernährung darin, die Ernährung des Einzelnen und deren individuellen Auswirkungen zu verstehen, indem diese in Bezug zu Genetik, Ernährungsgewohnheiten, dem zirkadianen Rhythmus, sozioökonomischen und psychosozialen Aspekten, der körperlichen Aktivität, aber auch zum Mikrobiom gesetzt werden [3]. Um dies zu erreichen, wurden in einem Strategieplan bis 2030 eine Vision der „Precision Nutrition for All“ und 4 zentrale Fragen formuliert, die in diesem Zeitraum beantwortet werden sollen:

  1. 1.

    „Was essen wir und wie beeinflusst es uns?“

  2. 2.

    „Was und wann sollen wir essen?“

  3. 3.

    „Wie verbessert das, was wir essen, unsere Gesundheit über unsere Lebensspanne?“

  4. 4.

    „Wie können wir die Etablierung von Nahrung als Medizin verbessern?“

Während diese Fragen derzeit nur unzureichend beantwortet werden können, erhofft man sich, diese in Zukunft durch ein besseres Verständnis der Interaktion oben genannter Teilbereiche beantworten zu können. Dabei konnten in den letzten Jahren bereits wegweisende Erkenntnisse gewonnen werden: Wir wollen Ihnen hier die Studienergebnisse dreier federführender Forschungsgruppen vorstellen, die Bedeutung des Mikrobioms als möglichen Modulator der Ernährung unterstreichen sowie basierend darauf Initiativen und Visionen für eine personalisierte Ernährung in der Zukunft beschreiben.

Food4me – personalisierte Ernährungsempfehlungen funktionieren

Unter der Führung von Professor Mike Gibney vom University College Dublin entstanden im Rahmen der „Food4Me“-Initiative wichtige richtungsweisende Studien auf dem Gebiet der personalisierten Ernährung. Nach initialer Erhebung der grundlegenden Bereitschaft zu personalisierten Ernährungsinterventionen verbunden mit genetischen Analysen, die besonders in der Zielgruppe der Personen mit metabolischem Syndrom hoch war [4], wurden von 5562 Freiwilligen aus 7 europäischen Ländern die ersten 1607 Teilnehmer ausgewählt und zu einer der 4 Gruppen randomisiert: herkömmliche (allgemeine) Ernährungsempfehlungen, personalisierte Empfehlungen anhand der Ernährung sowie der körperlichen Aktivität zu Beginn, personalisierte Empfehlungen wie zuvor kombiniert mit anthropometrischen Daten (BMI, Hüftumfang, Nüchternglukose, Cholesterin, …), und Gruppe 4, bei der zusätzlich genetische Daten von 5 Polymorphismen berücksichtigt wurden, die als Modulatoren der Ernährung diskutiert wurden [5]. Die Teilnehmer dokumentierten Ernährungsgewohnheiten, körperliche Aktivität, BMI und Bauch‑/Hüftumfang über das Internet, gaben „Dried-blood-spot“-Proben ab und erhielten darauf basierend (außer der Kontrollgruppe) in unterschiedlichem Ausmaß personalisierte Ernährungsempfehlungen über einen Zeitraum von 6 Monaten.

Während die körperliche Aktivität durch personalisierte Strategien – verglichen zu allgemeinen Empfehlungen – kaum stärker verbessert werden konnte [6], zeigte sich bezüglich der Ernährung ein anderes Bild [7]: Es kam zu einer allgemein „gesünderen“ Ernährung (gemessen an entsprechenden Scores) mit reduzierterer Kalorienzufuhr sowie einer geringeren Konsumation von rotem Fleisch und Salz. Zwischen den unterschiedlichen Gruppen personalisierter Empfehlungen traten jedoch keine signifikant unterschiedlichen Ergebnisse auf.

Besonders interessant ist hier, wie Ernährungsempfehlungen anhand bestimmter Gene adaptiert wurden: Lag ein „Fat-mass-and-obesity-associated-gene“(FTO)-Risikoallele im Lokus rs9939609 vor, wurden Teilnehmer besonders darauf hingewiesen Gewicht abzunehmen, Trägern eines „Fatty-acid-desaturase-1“(FADS1)-Risikoallels wurde empfohlen, Omega-3-Fettsäuren zu erhöhen, Träger von „transcription factor 7 like 2“ (TCF7L2) wurden angehalten, ihre Fettzufuhr zu vermindern, Apolipoprotein(Apo)-E(e4)-Trägern wurde empfohlen, die Aufnahme von gesättigten Fettsäuren zu vermindern, und Trägern eines Risikoallels in 5,10-Methylenetetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR) wurde eine vermehrte Aufnahme von Folsäure empfohlen [8]. Besonders das FTO-Gen erscheint hier relevant, da es eindeutig mit Übergewicht assoziiert werden konnte [9] bei gleichzeitig verminderter Kalorienzufuhr [10], gleichzeitig jedoch diskrepante Ergebnisse bezüglich eines möglicherweise verbesserten Gewichtsverlusts nach Lebensstilinterventionen bestehen [11, 12]. Einerseits bestätigte sich in der Food4me-Studie die Assoziation zwischen dem FTO-Risikoallele und Übergewicht bzw. Gewichtszunahme, andererseits verminderte körperliche Aktivität diese Zunahme signifikant [13]. Zusätzlich nahmen Patienten, die über ihren FTO-Risikostatus aufgeklärt wurden, tendenziell stärker ab als die Kontrollgruppe sowie stärker als diejenigen, die darüber aufgeklärt wurden, dieses Allele nicht zu tragen [8].

Diese Ergebnisse stellten ein „proof of concept“ für personalisierte Ernährungsinterventionen dar, unterstreichen aber auch das noch unklare Potenzial, Empfehlungen basierend auf der Genetik auszusprechen.

Hohe Variabilität der Glukoseantwort auf idente Mahlzeiten

Eine andere Pionierarbeit auf dem Gebiet der personalisierten Ernährung wurde von Kollegen des Weizmann-Instituts geleistet: David Zeevi und Kollegen (2015, [14]) konnten zeigen, dass sich der postprandiale Glukosespiegel nach identen Mahlzeiten deutlich zwischen den Individuen unterschied. Dabei wurde in 800 Erwachsenen ohne Typ-2-Diabetes-mellitus über 7 Tage ein kontinuierliches Glukosemonitoring betrieben, um die individuelle Verstoffwechslung von > 46.000 Mahlzeiten und ~5000 Standardmahlzeiten zu messen.

Obwohl der Glukosespiegel (gemessen als Fläche unter der Kurve des kontinuierlichen Glukosemonitorings) in derselben Person zu derselben Mahlzeit sehr ähnlich war, zeigte sich neben den genannten deutlichen Unterschieden zwischen den Individuen eine relevante Korrelation mit metabolischen Risikofaktoren wie dem BMI, dem HbA1c und dem systolischen Blutdruck, aber auch mit speziellen Mikrobiota (Proteobacteria und Enterobacteriaceae). Während der bloße Kohlenhydratgehalt oder die Kalorien der Mahlzeit den individuellen Glukosespiegel nur ungenau vorhersagen konnten, erreichte ein Algorithmus basierend auf 137 Parametern (bezogen auf die Mahlzeit selbst, aber auch [körperliche] Aktivität, Laborparameter, Lebensstilaspekte und Mikrobiomcharakteristika) eine hohe Vorhersagekraft. Trotz des grundsätzlich relevanten Einflusses des Kohlenhydratgehalts der jeweiligen Mahlzeit per se auf den postprandialen Glukosespiegel fanden sich Individuen mit einer starken Korrelation zwischen dem Kohlenhydratgehalt und der postprandialen Glukose („kohlenhydratsensitiv“), während der Kohlenhydratgehalt bei anderen Personen nur einen geringen Einfluss hatte („kohlenhydratinsensitiv“). Analog verhielt es sich mit dem Fettgehalt der Mahlzeit, der bei einigen einen negativen Einfluss hatte (höherer Fettgehalt → flachere Glukosekurve), bei anderen jedoch keinen Einfluss zu haben schien. Wurden schließlich die Mahlzeiten für 26 andere Personen basierend auf den individuellen Empfehlungen des Algorithmus zusammengestellt, zeigte sich eben diese flachere Glukosekurve mit deutlich weniger Glukosespitzen.

Eine ähnliche Variabilität bestätigte eine weitere Studie derselben Arbeitsgruppe rund um Eran Elinav und Eran Segal (2017, [15]). Dabei wurde 20 gesunden Erwachsenen über jeweils eine Woche entweder Vollkornbrot oder Weißbrot randomisiert vorgesetzt und erneut die individuelle Verstoffwechslung untersucht. Obwohl die kurze Dauer der Intervention kritisch betrachtet werden muss, zeigte sich kein Unterschied in Hinblick auf metabolische Parameter wie die Nüchternglukose oder die orale Glukosetoleranz (OGTT). Erneut bestätigte sich ein stark unterschiedlicherer Glukosespiegel nach Weiß- bzw. Vollkornbrot in unterschiedlichen Individuen: Während die Hälfte der Teilnehmer/innen mit höherem Blutzucker auf Weißbrot reagierte, hatte die andere Hälfte höhere Werte nach Vollkornbrot. Dass diese Variabilität deutlich höher war als die Variabilität zwischen den Individuen nach reinen 75 g Glukose (= OGTT), bestätigte die Individualität der Glukoseantwort auf die jeweilige Art von Brot, die über den reinen Kohlenhydratgehalt hinausging.

Die Ergebnisse dieser Studien sind außerordentlich faszinierend, verdeutlichen sie doch die Individualität, mit der jede/r Einzelne auf idente Mahlzeiten reagiert. Gleichzeitig unterstreichen sie das Potenzial, das von individuell zusammengestellten Ernährungsprogrammen zur Behandlung beispielsweise des Typ-2-Diabetes-mellitus, aber auch der Fettleber (Stichwort: Insulinresistenz) ausgeht [16]. Ob und wie weit hier eine bestimmte Art von Brot allgemein als „gesund“ klassifiziert werden kann, bleibt derzeit zu hinterfragen.

Den Einfluss von Lebensstilfaktoren und Genetik verstehen

Eine Fülle weiterer Daten zum Thema der personalisierten Ernährung stammen aus den sog. PREDICT-Studien (siehe https://joinzoe.com/whitepapers/the-predict-program). Unter Federführung von Sarah Berry, Tim Spector und Nicola Segata entstanden hier mehrere qualitativ höchstwertige Studien, die weltweit ihresgleichen suchen und eine Fülle an Daten bezüglich der individuellen Metabolisierung von Nahrungsmittel liefern. Neben kontinuierlichem Glukosemonitoring und „Point-of-Care“-Bluttests (Triglyzeride, C‑Peptid) werden hier über eine App die Ernährung und der „Lebensstil“ der Einzelperson kontinuierlich aufgezeichnet und so im Zuge der „PREDICT1“-Studie 1103 Individuen inklusive 660 Zwillinge ausführlich metabolisch, genetisch, anthropometrisch und in Hinblick auf deren Mikrobiom charakterisiert [17]. Ein Ziel bestand darin, deren individuelle Verstoffwechslung verschiedenster Mahlzeiten bzw. Nahrungsreize zu untersuchen. Nach Einnahme von standardisierten Mahlzeiten konnte die hohe Variabilität nicht nur für Glukose, sondern auch für Triglyzeride und Insulin bestätigt werden. Während hier genetische Faktoren ~50 % der Varianz im Glukosespiegel erklärten, war deren erklärender Anteil für die Insulinspiegel deutlich geringer und für die Triglyzeridspiegel irrelevant. Interessanterweise war die Zusammensetzung der Mahlzeit (in Hinblick auf die Makronährstoffe) maßgeblich für die Glukoseresponse verantwortlich, kaum jedoch für die Höhe der Triglyzeride oder des Insulins. Weiters waren Faktoren wie der Zeitpunkt der Mahlzeit, körperliche Aktivität sowie Schlaf zusammen ebenfalls ähnlich erklärend für den Glukosespiegel. Letzteres bestätigte sich auch dadurch, dass der Glukosespiegel für eine idente Mahlzeit ~2-mal so hoch war, wenn diese zu Mittag eingenommen wurde, im Vergleich zu einer Einnahme als Frühstück. Für die Praxis sind diese Erkenntnisse insofern relevant, als dass sie eine mögliche Erklärung dafür liefern, warum die Ergebnisse von Ernährungs-Interventionsstudien (z. B. in Hinblick auf Gewichtsveränderungen) so unterschiedlich ausfallen. Weiters unterstreicht diese Studie die Wichtigkeit von Faktoren, die nicht direkt den Mahlzeiten zuzurechnen sind, wie den Zeitpunkt der Mahlzeit, körperliche Aktivität oder Schlaf. Ein abschließender erwähnenswerter Aspekt dieser Studie ist, dass die postprandialen Werte von Glukose und Triglyzeriden zusätzlich zu den Nüchternwerten erklärend für das individuelle kardiovaskuläre Risiko waren. Obwohl nicht auf die Kausalität geschlossen werden kann, zeigt dies, dass die Analyse unserer Verstoffwechslung von Nahrungsmitteln wichtige Rückschlüsse auf unsere kardiovaskuläre Gesundheit zuzulassen scheint.

Eine andere Analyse, die hier vorgestellt werden soll, fokussierte sich auf den Kurvenverlauf der postprandialen Glukose [18]. Dabei zeigte sich der interessante Aspekt, dass die Höhe des Glukoseabfalls postprandial unter den Ausgangswert (nach initialem Gipfel, sog. Glukose-Dip) besser erklärend für späteres Hungergefühl und nachfolgende Kalorieneinnahme war als der Spitzenspiegel bzw. der gesamte Glukoseverlauf (erneut gemessen als Fläche unter der Glukosekurve).

Die (unterschätzte) Bedeutung des Mikrobioms

Besonders das Mikrobiom scheint eine zentrale Rolle als Modulator unserer Ernährung zu spielen. Hinweise darauf lieferte bereits die Studie zum Vergleich von Weiß- und Vollkornbrot, in der der individuelle Glukosespiegel lediglich anhand des Mikrobioms verlässlich und genau vorhergesagt werden konnte [15].

Auch eine weitere Analyse der PREDICT1-Studie konzentrierte sich auf die Interaktionen der Nahrungsaufnahme mit dem Mikrobiom [19]. Zentrale Schlüsse, die daraus gezogen werden konnten, waren u. a. der Zusammenhang des Mikrobioms mit speziellen Nahrungsmitteln (vor allem Kaffee, Nüsse und Fleisch), deren Konsumationsmenge und -häufigkeit anhand des Mikrobioms vorhergesagt werden konnte. Dasselbe Ergebnis zeigte sich für generelle Indikatoren gesunder Ernährung, erhoben anhand ausgewählter Indizes, wobei ein besonders starker Zusammenhang mit Indikatoren für vegetarische gesunde bzw. ungesunde Lebensmittel existierte. Diese Ergebnisse unterstreichen die zentrale Bedeutung des Mikrobioms für die Verstoffwechslung unserer Nahrungsmittel. Daneben scheint es jedoch noch individuelle Auswirkungen auf unser Immunsystem [20] sowie die Effektivität von körperlicher Aktivität [21] zu haben, die hier aufgrund ihrer Relevanz exemplarisch vorgestellt werden sollen.

Wastyk et al. (2021) [20] untersuchten 39 gesunde Individuen randomisiert zu einer jeweils 10-wöchigen ballaststoffreichen Ernährung bzw. einer Ernährung reich an fermentierten Produkten (Joghurt, Kombucha, …). Hierbei zeigte sich, dass besonders das Stuhlproteom prädiktiv für die entsprechende Diät war (angeführt von Myosin‑1 als Marker für einen erhöhten epithelialen Zellumsatz im Dünndarm in der Gruppe mit hohem Anteil an fermentierten Produkten) gefolgt vom Mikrobiom per se (bestätigt anhand 4 verschiedener Analyseansätzen des Mikrobioms). Obwohl das Mikrobiom hier wiederum interindividuell sehr unterschiedlich war, fand sich eine Annäherung des individuellen Mikrobioms an das Mikrobiom anderer Studienteilnehmer derselben Gruppe.

Während die ballaststoffreiche Ernährung keine Auswirkungen auf die Diversität des Mikrobioms hatte (womöglich aufgrund der kurzen Intervention), waren Unterschiede in deren Auswirkung auf inflammatorische Parameter auffällig: Bei Teilnehmern mit höherer subklinischer Inflammation zu Beginn kam es zu einer Zunahme der Inflammation, bei solchen mit niedriger Inflammation zu Beginn kam es zu einer Abnahme. Dagegen kam es in der Gruppe mit hohem Anteil an fermentierten Produkten zu einer eindeutigen Zunahme der Diversität des Mikrobioms, begleitet von einer Abnahme der Entzündungsparameter. Diese Ergebnisse deuten auf die Modellierbarkeit des Mikrobioms durch Ernährungsinterventionen hin, unterstreichen dabei aber vor allem das Potenzial von fermentierten Nahrungsmitteln zur Verbesserung der Mikrobiomdiversität und möglicher Verminderung subklinischer Inflammation.

Einen nicht minder interessanten Ansatz verfolgten Liu und Kollegen (2020, [21]), die versuchten, anhand des Mikrobioms Unterschiede in der Effektivität von körperlicher Aktivität zur Blutzuckerkontrolle bei Patienten mit (Prä‑)Diabetes zu erklären. Nach überwachtem 12-wöchigem intensivem körperlichem Training zeigten sich messbare Unterschiede im intestinalen Mikrobiom von Patienten, in denen sich die Insulinsensitivität durch die Intervention verbesserte, und anderen, in denen keine Veränderung auftrat (sog. Nonresponder). Obwohl insgesamt kaum Veränderungen durch die Intervention auftraten, ähnelte das Mikrobiom der Nonresponder eher einer Kontrollgruppe mit körperlicher Inaktivität. Dennoch zeigte sich eine signifikante Korrelation zwischen Veränderungen der Insulinsensitivität und Veränderungen in 19 Mikrobiomspezies, wobei sich die meisten dieser 19 Spezies zwischen Respondern und Nonrespondern unterschieden. Zusätzlich kam es zu Veränderungen der Stuhlmetaboliten wie einer Abnahme von verzweigtkettigen Aminosäuren (BCAA), die im Serum bereits mehrmals mit Insulinresistenz vergesellschaftet worden waren (u. a. [22]). Wurde die Zusammensetzung des Mikrobioms vor Intervention nun mittels maschinellen Lernens analysiert, konnte in einer unabhängigen Gruppe das Ansprechen auf eine Bewegungsintervention bereits vor der Intervention vorhergesagt werden und so die Rolle des Mikrobioms in der Modellierung von Bewegungsinterventionen bestätigt werden.

Personalisierte Ernährung als Zukunftsmodell

Basierend auf den vorgestellten Studien wird klar, wie individuell Ernährung und deren Auswirkungen auf den Einzelnen sind. Angefangen von Einflüssen des Mikrobioms, die bereits zum Teil beforscht wurden, gilt es, in Zukunft auch andere Aspekte wie den zirkadianen Rhythmus besser in unser Verständnis von Ernährung zu integrieren. Wenngleich die personalisierte Ernährungsmedizin bzw. „precision nutrition“ noch in ihren Kinderschuhen steckt, wird durch Innovation und Digitalisierung in Zukunft kein Weg an ihr vorbeiführen. Besonders die direkte Ernährungsevaluation, aber auch -beratung über eine digitale Apps werden hier zentrale Stützen sein, die zum Erfolg personalisierter Ernährungsinterventionen führen werden [23]. Neben der NIH-Initiative existieren beispielsweise in Deutschland 4 exzellente Initiativen im Rahmen des deutschen Kompetenzzentrums für Ernährungsmedizin rund um Christina Holzapfel (München, enable), Marie-Christine Simon (Bonn, D), Andrea Henze (Potsdam, NutriAct) und Christine Dawczynski (Jena, NutriCARD), die u. a. versuchen, den Einfluss personalisierter Ernährungsinterventionen auf Gewichtsreduktion (LION-Studie) bzw. kardiovaskuläre Risikofaktoren (MoKaRi-Studie) zu untersuchen, deren Interaktionen mit zugrunde liegender Genetik besser zu verstehen, aber auch deren Vernetzungen mit der Neurophysiologie („Diet-body-brain“-Achse) zu charakterisieren (siehe auch https://www.ernaehrungs-umschau.de/print-artikel/15-02-2021-personalisierte-ernaehrungsempfehlungen-zur-gewichtsreduktion/). Neben den 3 beschriebenen Forschungsgruppen darf man auch hier noch auf hochkarätige Arbeiten gespannt sein.

Kritisch angemerkt muss hier allerdings werden, dass der „Boom“ der Präzisionsmedizin auch im Bereich der personalisierten Ernährung Unternehmen auf den Plan ruft, die unterschiedlichste – oft fraglich evidenzbasierte – Tests und Analysen auf den Markt bringen, die derzeit noch weiterer Validierung bedürfen. Dass hier kommerzielle Aspekte treibende Kräfte sind, darf nicht vergessen werden. Inwieweit Präzisionsernährung – durch patentierte Algorithmen bzw. kostenintensive Tests – in Zukunft eine Wissenschaft für Wohlhabende sein könnte und sich „technologisiertes“ Essen und Genussfähigkeit perspektivisch noch vereinbaren lassen, sei jedoch dahingestellt und wird der individuellen Einstellung zum Thema Ernährung geschuldet sein.