Einleitung

Gastrointestinale Onkologie

Das Spektrum der gastrointestinalen Onkologie umfasst Tumoren des Pankreas, Kolons, Rektums, Magens, der Speiseröhre, der Leber und der Gallenwege/Gallenblase. Sie gehören zu den häufigsten Tumorarten und weltweit zu den häufigsten krebsbedingten Todesursachen [1]. Gastrointestinale Tumoren insgesamt tragen weltweit signifikant zur Gesamtzahl der neu diagnostizierten Krebserkrankungen bei [2]. In Deutschland allein erkranken jedes Jahr ca. 500.000 Männer und Frauen an einer Krebserkrankung. Das kolorektale Karzinom (KRK) stellt im Bereich der gastrointestinalen Onkologie die dritthäufigste Krebstodesursache in Deutschland dar, trotz sinkender Inzidenz [3]. Im Gegensatz dazu zeigt das Pankreaskarzinom („pancreatic ductal adenocarcinoma“, PDAC) eine steigende Inzidenz: Seit Ende der 1990er-Jahre sind die altersstandardisierten Erkrankungs- und Sterberaten angestiegen, insbesondere in den höheren Altersgruppen ab 65 Jahre. Die absolute Zahl der Neuerkrankungs- und Sterbefälle hat für beide Geschlechter über die Jahre in Deutschland kontinuierlich zugenommen, auch aufgrund der demografischen Entwicklung [3]. Schätzungen zufolge werden in den 28 Ländern der Europäischen Union (EU) bis 2025 etwa 111.500 Menschen (55.000 Männer und 56.500 Frauen) an einem PDAC versterben. Die Zahl der registrierten Krebstodesfälle im Jahr 2010 wird um fast 50 % bis zum Jahr 2025 zunehmen (45 % bei Männern und 49 % bei Frauen). Prognostiziert wird, dass das PDAC die dritthäufigste Krebstodesursache in der EU werden könnte, nach Lungenkarzinomen und dem KRK [4]. Ähnliche Daten existieren für die USA [5].

Allgemeines zur „liquid biopsy“: zirkulierende Tumor-DNA, zirkulierende Tumorzellen, Exosomen und miRNA

Seit jeher stellt die Untersuchung von Gewebe, gewonnen mittels Biopsie, einen Eckpfeiler in der Diagnostik und Therapie von diversen Krankheiten, nicht nur in der Onkologie, dar [6] und gilt als Goldstandard. Neben der histopathologischen Diagnosestellung ist mittels Tumorgewebeanalytik ebenso eine molekulare Charakterisierung möglich, worauf therapeutische Entscheidungen zunehmend fußen [7]. Jedoch hat diese „Spotlight-Diagnostik“ zu nur einem singulären Zeitpunkt erhebliche Limitationen („single biopsy bias[8]), da z. B. therapiebedingte Veränderungen in der genetischen Zusammensetzung eines Tumors nicht erfasst werden und eine sequenzielle Anpassung von Therapiestrategien nicht möglich ist, es sei denn die Biopsie wird repetitiv wiederholt, was mit Komplikationen und einer erheblichen Belastung für die Patienten einhergeht. Die moderne Präzisionsonkologie versucht, eine Vielzahl an molekularen Informationen über den jeweiligen Tumor auch in der zeitlichen Dimension zu erheben, um letztlich ein optimales Outcome für den jeweiligen Patienten zu erreichen. Dazu sind wiederholte molekulare Analysen eines Tumors unabdingbar.

Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei auf minimal-invasive Ansätze in Form der „liquid biopsy“. Unter einer „liquid biopsy“ versteht man dabei die Analyse von tumorabgeleiteten Nukleinsäuren aus Körperflüssigkeiten, insbesondere aus Blut. Dabei können diese zellulär gebunden sein in Form von zirkulierenden Tumorzellen („circulating tumor cells“, CTC) oder frei vorliegen in Form von zirkulierender Tumor-DNA („circulating tumor DNA“, ctDNA), nichtkodierender RNA, sog. microRNA (miRNA) oder in Form von Mikrovesikeln (Exosomen). Abb. 1 gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Analyte einer blutbasierten „liquid biopsy“ und deren Ursprünge bzw. Methoden der Freisetzung.

Abb. 1
figure 1

Schematische Darstellung einer blutbasierten „liquid biopsy“. Dargestellt sind einerseits die einzelnen Analyte wie zirkulierende Tumor-DNA oder zirkulierende Tumorzellen. Andererseits sind die Ursprungsorte dieser Zielmoleküle und deren Freisetzung schematisch skizziert

Die ctDNA wird im Rahmen aktiver spontaner [9,10,11] und passiver Sekretion (Apoptose, Nekrose, insuffiziente Clearance; [12,13,14,15]) von Tumorzellen in den Blutstrom abgegeben. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass „liquid biopsies“ repräsentativ für das Tumorgenom sind [16] und molekulare Veränderungen von gastrointestinalen Tumoren in Körperflüssigkeiten abbilden [17]. Häufig ist ctDNA stark fragmentiert [18] mit Fragmentlängen im Mittel von 166 bp [19]. Die ctDNA ist durch das Vorhandensein von (tumorspezifischen) Mutationen definiert und kann durch einzelne Punktmutationen ebenso wie Amplifikationen, Rearrangements und Aneuploidie nachgewiesen werden [20].

Die individuellen ctDNA-Konzentrationen im Blut von Patienten sind krankheitsstadien- und damit tumorlastabhängig [21]. In bestimmten Situationen, wie beispielsweise nach einer kurativ intendierten Operation, sind die nachweisbaren Konzentrationen sehr gering. Der erfolgte Quantensprung bei „liquid biopsies“ ist daher nicht zuletzt technologiegetrieben. Innovative Analysemethoden, wie Next Generation Sequencing (NGS) oder die Entwicklung neuer digitaler Technologien der Polymerasekettenreaktion („polymerase chain reaction“, PCR) bis hin zur Einzelzellanalyse, erbrachte eine enorme Sensitivitätssteigerung in der Detektion von tumorspezifischen Varianten in „liquid biopsies“, wenn diese in sehr geringer Konzentration vorliegen [22].

In Bezug auf gastrointestinale Malignome wird über den Nachweis von ctDNA bei 73 % der KRK-Patienten, 57 % der Ösophaguskarzinompatienten und 48 % der Patienten mit PDAC berichtet, während ctDNA bei mehr als 75 % der Patienten mit fortgeschrittenem Tumorleiden nachweisbar war [21]. Einige Herausforderungen sind bei der ctDNA-Analytik allerdings zu meistern, dazu zählen:

  1. 1.

    die Diskriminierung von ctDNA und physiologisch im Blut vorkommender zellfreier DNA,

  2. 2.

    der Umgang mit teils sehr niedrigen Konzentrationen von ctDNA und

  3. 3.

    die genaue Quantifizierung der Anzahl von mutierten Fragmenten in einer Probe [20, 23,24,25].

„Liquid biopsies“ können aufgrund ihrer repetitiven Analysierbarkeit und ihrer nicht- oder wenig invasiven Verfügbarkeit die Limitationen des „single biopsy bias“ überwinden und stellen somit einen vielversprechenden Ansatz für die Diagnostik, das Therapiemonitoring, die Prognoseabschätzung und für die Adressierung prädiktiver Fragestellungen dar [26]. Tab. 1 gibt einen Überblick über die verschiedenen Anwendungsgebiete und die Vorteile einer „liquid biopsy“.

Tab. 1 Übersicht über verschiedene Anwendungsgebiete einer blutbasierten „liquid biopsy“ in der gastrointestinalen Onkologie

Neben ctDNA werden die Quantifizierung und molekulare Untersuchung von CTC ebenfalls der „liquid biopsy“ zugerechnet. Erstmals im späten 20. Jahrhundert entdeckt sind CTC intakte Krebszellen, die sowohl aus dem Primärtumor als auch aus Metastasen stammen können [27]. CTC kommen im Blut von Patienten mit verschiedenen Tumoren in unterschiedlichen Mengen vor, meist in geringer Konzentration (1–10 Zellen pro 10 ml Blut im Vergleich zu 107–108 Leukozyten; [28]). Beispielsweise beim KRK aller Stadien waren CTC in nur 36,2 % der Fälle nachweisbar, im Stadium IV in bis zu 60,7 % [29]. Durch Kombination unterschiedlicher technischer Isolations- und Analyseverfahren von CTC könnten die Detektionsraten gesteigert werden [30].

Ein weiterer Ansatzpunkt der „liquid biopsy“ sind microRNA, sog. miRNA. Dabei handelt es sich um kleine, nichtkodierende RNA, die die genetische Expression posttranskriptionell regulieren und bei zahlreichen Tumorleiden fehlreguliert sind [31]. Die miRNA in Körperflüssigkeiten werden als zirkulierende miRNA bezeichnet [32].

Auch die Analyse von Exosomen stellt einen vielversprechenden Ansatz der „liquid biopsy“ dar. Exosomen sind kleine extrazelluläre Vesikel, die Nukleinsäuren, Proteine und Lipide enthalten und durch Exozytose sezerniert werden [64]. Sie spielen eine wichtige Rolle bei Proliferation, Metastasierung, Immunantwort und Arzneimittelresistenz von Tumorzellen. Ihre technische Isolation und Analytik ist komplex, für die nichtinvasive Diagnostik von Tumorerkrankungen im Gastrointestinaltrakt weisen sie, nach Optimierung der technischen Abläufe und Standardisierung der Analytik, aber ein hohes Potenzial auf.

„Liquid biopsy“ als diagnostischer, prognostischer und prädiktiver Biomarker

Pankreaskarzinom

Früherkennung

KRAS-Genmutationen treten bei mehr als 90 % der PDAC-Fälle auf und sind geeignet, um in ctDNA beim PDAC hochsensitiv nachgewiesen und quantifiziert zu werden [33]. Der limitierende Faktor gerade in frühen Stadien eines PDAC ist die geringe Menge an vorhandener ctDNA [34, 35]. Es ist jedoch davon auszugehen, dass mit zunehmender Sensitivität der ctDNA-Nachweistechniken die Rolle dieser Biomarker an Bedeutung gewinnen kann. Mittels digitaler PCR konnte gezeigt werden, dass die Gesamtmenge an ctDNA bei Patienten mit PDAC signifikant höher ist als bei Patienten mit benignen Pankreasneoplasien oder gesunden Kontrollen („healthy controls“, HC; [36]). Auch die Nutzung von NGS-basierten Genpanels für andere Mutationen, wie SMAD4, CDKN2A, ROS1, BRAF und TP53, könnte zu einer höheren Ausbeute in der ctDNA-Diagnostik beim frühen PDAC führen [37,38,39]. Die Kombination von tumorspezifischen Mutationen, wie GNAS und KRAS, können helfen, Patienten mit prämalignen intraduktalen papillären muzinösen Neoplasien (IPMN) von gutartigen Pankreastumoren zu unterscheiden [36]. Auch Kombinationen von unterschiedlichen Analyten bieten sich an, um die diagnostische Aussagekraft von „liquid biopsies“ zu verbessern. Massenspektroskopische Analysen von Proteinen früher PDAC-Stadien zeigen Thrombospondin 2 (THBS2) als möglichen Biomarker für die Frühdetektion eines PDAC [40]. Ein kombiniertes Biomarkerpanel, das die quantitative Menge an ctDNA, CA 19‑9 und THBS2 umfasst, konnte die diagnostische Aussagekraft signifikant verbessern, insbesondere bei der Erkennung eines PDAC im Stadium I und der Unterscheidung von PDAC zu chronischer Pankreatitis (CP) und IPMN [41]. Es fehlen jedoch eindeutige Standards in der ctDNA-Analytik und es existieren unterschiedliche Cut-off-Werte für THBS2 [41, 42]. Neben der rein quantitativen Messung haben verschiedene Ansätze versucht, spezifische epigenetische Veränderungen in der ctDNA als mögliches Instrument zur nichtinvasiven Diagnose von PDAC zu identifizieren. Beispielsweise wurden 5‑Hydroxymethylcytosin-Signaturen oder andere Methylierungsmuster in ctDNA bei Patienten mit PDAC im Vergleich zu HC untersucht [43, 44]. Vor kurzem wurde auch die Methylierung des Promotors von ADAMTS1- und BNC1-Genen als Nachweisverfahren für ctDNA in PDAC beschrieben [45].

Auch blutbasierte miRNA-Panels können, im Gegensatz zu CA 19‑9 allein, helfen, Patienten mit PDAC von HC zu unterscheiden [46]. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass miRNA als Biomarker für Vorläuferläsionen von PDAC verwendet werden kann [47], was sie als potenzielles Screening Tool in der asymptomatischen Population interessant macht. Insbesondere miRNA-642b, miRNA-885-5p und miRNA-22 zeigten eine hohe Sensitivität (91 %) und Spezifität (91 %) zur blutbasierten Detektion von frühen Stadien des PDAC [34].

Exosomenanalysen zeigen vielversprechende Ergebnisse in der Früherkennung eines PDAC. Glypican-1-positive (GPC+) zirkulierende Exosomen sind bei Patienten mit PDAC im Vergleich zu HC nachweisbar [48]. Bei Patienten mit PDAC gelang der Nachweis von KRAS-Mutationen in zirkulierender exosomaler DNA (exoDNA) im Frühstadium [49]. Auch verschiedene Formen exosomaler RNA (CCDC88A, ARF6, Vav3 und WASF2) im Blut können zur Früherkennung eines PDAC herangezogen werden, ebenfalls exosomale kleine nukleoläre RNA-Moleküle (sog. snoRNA: SNORA14B, SNORA18, SNORA25, SNORA74A und SNORD22; [50]). Spezifische exosomale miRNA-Signaturen (miRNA-10b, miRNA-21, miRNA-30c, miRNA-181a und miRNA-let7a) können dabei sogar den exosomalen GPC1- oder Plasma-CA-19-9-Spiegeln bei der Diagnose eines PDAC und der Differenzierung zwischen PDAC und CP überlegen sein [51].

Überwachung nach Operation

Der Nachweis von ctDNA im Blut von Patienten nach onkologischer Resektion eines PDAC kann ein Rezidiv anzeigen und ist ein Prädiktor für ein kürzeres rezidivfreies Überleben und Gesamtüberleben [52]. Das Überleben von Patienten mit Nachweis von KRAS-Mutationen in ctDNA war signifikant kürzer als bei Patienten ohne Mutationen [53, 54]. Der Unterschied war besonders deutlich bei Patienten mit einer KRAS(G12V)-Mutation in ctDNA [55]. Rezidive können durch ctDNA-Analytik 6,5 Monate früher erkannt werden, als durch eine Computertomographie [56]. Dabei ist die Detektion von KRAS-Mutationen in ctDNA ein sensitiveres Tool im Vergleich zu CA 19‑9 allein [57]. Bei Patienten mit positivem ctDNA-Status vor und während einer adjuvanten Systemtherapie kam es in 90 % zu einer Krankheitsprogression während der Tumornachsorge verglichen mit nur 25 % der ctDNA-negativen Patienten [58]. In einer Studie mit inoperablen PDAC-Patienten, die mit FOLFIRINOX (Folinsäure, Fluorouracil, Irinotecan und Oxaliplatin) behandelt wurden, war die fehlende ctDNA-Nachweisbarkeit während der Chemotherapie mit partieller Remission oder stabiler Erkrankung assoziiert [59].

Therapiemonitoring

Die ctDNA-Nachweisrate bei metastasiertem PDAC variiert stark zwischen 40 und 80 % [52, 60]. Auch in der palliativen Therapiesituation ist der Nachweis von ctDNA zu Beginn einer Erstlinientherapie mit einem schlechteren Überleben assoziiert [52, 58, 61,62,63]. Patienten mit positiver ctDNA haben eine frühere Progression nach Beginn einer Radiochemotherapie beim lokal fortgeschrittenen PDAC und ein kürzeres rezidivfreies Überleben nach sekundärer Resektion im Vergleich zu ctDNA-negativen Patienten [64]. In einer großen Kohorte mit insgesamt 354 Patienten wurde in einer multivariaten Analyse (ctDNA und 2 methylierte Marker: HOXD8 und POU4F1) ctDNA als unabhängiger prognostischer Marker für das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben gefunden [65].

Unter verschiedenen palliativen Therapielinien beim PDAC konnte gezeigt werden, dass es sinnvoll sein kann, einen kombinierten Score aus KRAS und TP53-Mutationen in ctDNA zu generieren, um die ctDNA besser quantifizieren zu können. Die dynamischen Veränderungen eines solchen Scores unter palliativer Systemtherapie spiegeln dabei ein Therapieansprechen respektive -versagen wider [38].

Auch für die Analyse von CTC für das Therapiemonitoring beim PDAC gibt es Daten. Dabei gilt der Nachweis von CTC als unabhängiger prognostischer Parameter für ein schlechtes Gesamtüberleben [66]. Bei Patienten mit fluorouracilbasierter Chemotherapie ging die Nachweisbarkeit von CTC nach dem ersten Therapiezyklus deutlich zurück und apoptotische CTC konnten nachgewiesen werden, die als Marker für Ansprechen auf die entsprechende Therapie dienen können [67, 68]. CTC, die bestimmte Markerprofile von tumorinitiierenden Zellen, wie CD133 und CD44, exprimierten, waren signifikant mit einem schlechteren Überleben assoziiert [69].

Zusammengefasst bieten Liquid-biopsy-Analysen vielversprechende Werkzeuge zur Früherkennung, Prognoseabschätzung und Überwachung des Therapieansprechens beim PDAC. Die besten Daten existieren hier für die ctDNA-Analytik, insbesondere nach onkologischer Resektion, zur Früherkennung eines Rezidivs. Es bleiben jedoch noch viele Fragen offen und die „liquid biopsy“ beim PDAC erfordert noch weitere Studienanstrengungen, um eine optimale klinische Anwendbarkeit zu erreichen.

Kolorektales Karzinom

Früherkennung und Screening auf „minimal residual disease“

Patienten mit einem KRK weisen höhere Mengen an im Blut frei zirkulierender Gesamt-DNA auf als Gesunde [70]. Bei ca. der Hälfte (46 %) der Patienten mit Kolonkarzinom im Stadium I ist ctDNA nachweisbar [71], beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom bei über 70 % [21]. Das unterstreicht das Potenzial, ctDNA in das KRK-Screening zu integrieren.

Ist ctDNA im Blut bei Patienten mit resektablem KRK präoperativ und unmittelbar postoperativ nachweisbar, ist dies mit einem kürzeren rezidivfreien Überleben assoziiert [72]. Es gilt wissenschaftlich als erwiesen, dass das Vorhandensein von ctDNA eine minimale Resterkrankung („minimal residual disease“, MRD) beim KRK anzeigen kann, die definiert ist als das okkulte, in der Bildgebung nicht sichtbare Vorhandensein von Tumorzellen nach einer kurativen Therapie. Patienten mit resektablem KRK im Stadium II haben bei positivem ctDNA-Nachweis postoperativ ein deutlich kürzeres rezidivfreies Überleben im Vergleich zu Patienten mit negativem ctDNA-Status [73,74,75]. Diese multivariaten Analysen zeigten, dass ctDNA ein unabhängiger Biomarker für ein Rezidiv nach kurativer Therapie eines KRK war. Mehrere klinische Studien, wie z. B. DYNAMIC II (ACTRN12615000381583), COBRA (NCT0406810), CIRCULATE (NCT04120701) und C‑TRAK TN (NCT03145961), laufen derzeit, um die Frage zu klären, ob ctDNA als Surrogatbiomarker für MRD in größeren Patientenkohorten gesehen werden kann oder ob der Nachweis von ctDNA nach einer (eigentlich) kurativen operativen Therapie eine zusätzliche (adjuvante) Therapie im Stadium II nach sich ziehen sollte.

Bezogen auf miRNA als „liquid biopsy“ konnte eine kürzlich publizierte Arbeit zeigte, dass zirkulierende miRNA möglicherweise zur Krebsfrüherkennung eines KRK genutzt werden könnten. Die miRNA-21 konnte hier als ein interessanter Biomarker für die nichtinvasive KRK-Diagnose identifiziert werden und miRNA-200a, miRNA-200b, miRNA-200c und miRNA-141 waren mit der KRK-Prognose assoziiert [76]. Patienten mit metastasierter Erkrankung im Vergleich zu Patienten ohne Metastasen zeigen außerdem einen signifikanten Anstieg von miRNA-141, miRNA-200a, miRNA-200b, miRNA-203a und miRNA-122 im Blut und eine erhöhte miRNA-122 war mit einer schlechteren Prognose assoziiert [77]. Auch miRNA-31-, miRNA-141- und miRNA-16-Spiegel sind potenzielle Biomarker für die Früherkennung eines Krankheitsrezidivs in der Tumornachsorge eines KRK [78].

Therapiemonitoring und Monitoring der Tumorevolution

Beim mKRK korreliert die Detektion von ctDNA stark mit dem Krankheitsverlauf. Bei initialer Diagnose im Stadium IV ist ctDNA bei 80–90 % der Patienten nachweisbar [79, 80] und die ctDNA-Level sind mit der Tumorlast assoziiert [81]. Ebenfalls korreliert die initiale ctDNA-Konzentration mit Lebermetastasierung [82], progressionsfreiem Überleben [83] und Gesamtüberleben [80, 84]. Änderungen des ctDNA-Profils unter Systemtherapie können einen Hinweis auf eine Krankheitsprogression geben [80, 85] und klonale Resistenz anzeigen [86,87,88]. Um den Zusammenhang zwischen molekularen Veränderungen der ctDNA und dem Ansprechen auf die Erstlinientherapie beim mKRK zu untersuchen, wird häufig auch die molekulare Mutationslast („molecular mutational burden“, MMB) zu Studienbeginn berechnet und als Surrogatparameter benutzt. Patienten mit niedriger MMB zeigen dabei ein längeres Gesamtüberleben als solche mit hoher MMB. Korrespondierend dazu war die errechnete MMB (aus 6 Genen: TRIM24, SPEN, RNF43, PRKAR1A, KRAS und KDM5C) im Vergleich zum Therapiestart bei Patienten mit partieller Remission oder stabiler Erkrankung signifikant niedriger als bei Patienten mit progredienter Erkrankung [89].

Ein vielversprechender Einsatz der „liquid biopsy“ ist die Detektion erworbener Resistenzen unter EGFR-Blockade [90]. Mittels ctDNA-Analytik kann die Dynamik der klonalen Evolution mit größerer Präzision im Vergleich zu Tumorrebiopsien erfasst werden [91, 92]. Insbesondere das Auftreten von initial niederfrequenten molekularen Veränderungen (vor allem in RAS) unter dem selektiven Druck einer Anti-EGFR-Therapie in initial „Ras-Wildtyp“-Tumoren kann mit der Expansion bereits bestehender resistenter Tumorsubklone zusammenhängen und zu einer Progredienz der Erkrankung durch erworbene Resistenz führen. Ein Abfall dieser Veränderungen in „liquid biopsies“ in anti-EGFR-freier Therapiezeit hingegen kann unter Umständen eine Situation anzeigen, die eine Anti-EGFR-Reexposition ermöglicht [93, 94]. Um den Nutzen dieser ctDNA-basierten Reexpositionsstrategie zu untersuchen, wurden in der Drittlinien-Phase-II-CRICKET-Studie ctDNA-Analysen bei Patienten durchgeführt, die eine Resistenz gegen die Erstlinientherapie mit Cetuximab und Irinotecan erworben hatten [95]. In dieser Studie wurden bei keinem der Patienten, die auf eine erneute Anti-EGFR-Therapie ansprachen, RAS-Mutationen in ctDNA gefunden, was zu einem längeren progressionsfreien Überleben bei diesen Patienten im Vergleich zu denen mit RAS-mutierter ctDNA-Baseline führt. Dies untersuchte auch die CHRONOS-Studie (NCT03227926). Geeignete Patienten mussten ein objektives Ansprechen und dann eine Progression in einer beliebigen Behandlungslinie mit einem Anti-EGFR-Antikörper gezeigt haben. Darüber hinaus wurde vor Start der Anti-EGFR-Reexposition ein RAS-, BRAF- und EGFR-Ektodomänen-Wildtyp-Status in ctDNA dokumentiert. Eine Gesamtansprechrate von 30 % führte zum Erreichen des primären Endpunkts und liegt deutlich über vergleichbaren Daten in fortgeschrittenen Therapielinien. Diese Phase-II-Studie war die erster ihrer Art, die „liquid biopsies“ interventionell als Einschlusskriterium integrierte und eindrucksvoll das prädiktive Potenzial der ctDNA-Charakterisierung zeigte. Parallel ließen sich in den sequenziellen ctDNA-Analysen neue interessante Alterationen, wie beispielsweise MET-Amplifikationen, zeigen, die unter Umständen auch therapeutischen Nutzen haben könnten [88].

Auch bei Patienten mit BRAF(V600E)-mutiertem mKRK könnte ctDNA ein relevanter Biomarker sein, um Ansprechen einer Therapie mit dem BRAF-Inhibitor Encorafenib vorherzusagen. Die ctDNA-Analysen zeigten, dass die Mehrheit der Patienten mit fortgeschrittenem mKRK in der BEACON-Studie (NCT02928224) bei Therapiestart eine im Blut nachweisbare BRAF(V600E)-Mutation aufwies. Erhöhte Ansprechraten wurden bei mit Triplett- (Encorafenib plus Binimetinib plus Cetuximab) oder Dublett-Therapie (Encorafenib plus Cetuximab) behandelten Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe beobachtet, unabhängig von der detektierten Allelfrequenz. Patienten mit einer höheren Allelfrequenz für BRAF (V600E) zeigten allerdings eine schlechtere Prognose [96].

Eine Vielzahl an Daten existiert zum prognostischen Stellenwert von miRNA beim mKRK. Neben der bereits beschriebenen miRNA-200-Familie ist miRNA-141 am häufigsten mit der KRK-Prognose verbunden [76], aber auch miRNA-Panels (miRNA-96, miRNA-203, miRNA-141 und miRNA-200b) werden als Kandidaten mit potenziellem Wert für die KRK-Prognose diskutiert [97]. Auch ein Zusammenhang zwischen niedrigeren Plasmaspiegeln von miRNA-96 und miRNA-200b und einem besseren Gesamtüberleben beim mKRK ist beschrieben [97]. Unter Hinzunahme des KRK-Tumormarkers CEA konnte die diagnostische Genauigkeit von KRK im Stadium IV im Vergleich zu beiden letztgenannten Markern allein verbessert werden [98]. Herauszuheben ist noch miRNA-200c, dessen Plasmaspiegel positiv mit Lymphknotenmetastasierung, Fernmetastasierung und Prognose korreliert und einen unabhängiger Prädiktor für Lymphknotenmetastasierung und Tumorrezidiv darstellt [99].

Fazit

In vielerlei Punkten adressieren „liquid biopsies“ klinisch relevante Fragestellungen in der gastrointestinalen Onkologie. Die ctDNA gilt für die „liquid biopsy“ als der am intensivsten beforschte Ansatzpunkt und hat aufgrund der relativen Einfachheit der ctDNA-Isolation aus einer einfachen Blutentnahme eine vielversprechende Zukunft. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass ctDNA repräsentativ für das Tumorgenom ist.

Zur nichtinvasiven Diagnostik gastrointestinaler Tumorerkrankungen gibt es spannende und vielversprechende Daten zum PDAC. Hier wissen wir inzwischen, über die eigentliche Diagnostik hinaus, dass der anhaltende Nachweis von ctDNA nach „kurativer“ Resektion mit einem schlechten progressionsfreien und Gesamtüberleben vergesellschaftet ist [52, 58, 61,62,63,64,65]. Auch beim KRK im Stadium II gibt es gute Daten dafür, dass ein positiver ctDNA-Status postoperativ ein Warnsignal ist und als Argument für eine adjuvante Weiterbehandlung nach kurativer onkologischer Resektion gelten kann. Internationale Studien dazu laufen. Hier könnte aus dem Hype bald Realität werden.

Vor Start einer Erstlinienchemotherapie beim mKRK soll u. a. der RAS-Status bestimmt werden. Hier empfiehlt die deutsche S3-Leitlinie „Kolorektales Karzinom“ bereits dessen Durchführbarkeit anhand von ctDNA als „Kann“-Empfehlung, falls die Bestimmung des Mutationsstatus aus dem Gewebe nicht möglich sein sollte. Hier ist „liquid biopsy“ bereits Realität!

Unter Therapie können „liquid biopsies“ ein nichtinvasives Werkzeug zur Therapieüberwachung sein, beispielsweise beim KRK, wo das Auftreten RAS-mutierter Klone im Blut mit einer erworbenen Resistenz gegenüber Anti-EGFR-Therapiestrategien verbunden zu sein scheint [90,91,92,93,94]. Das Verschwinden dieser Klone in „liquid biopsies“ kann einen Wildtypzustand anzeigen und eine Reexposition von Anti-EGFR-Strategien ermöglichen [90].

Auch unter Therapie in ctDNA neu auftretende Alterationen, wie MET-Amplifikationen, zeigen eine Tumorevolution unter dem Selektionsdruck der Therapie an und könnten durch „liquid biopsy“ neu entdeckte und therapeutisch nutzbare Zielstrukturen entschlüsseln [88].

Ein großes Hindernis ist nach wie vor die international nicht standardisierte Technik der „liquid biopsy“, einerseits zur Isolation, andererseits zur Quantifizierung und molekularen Charakterisierung der unterschiedlichen Liquid-biopsy-Analyte. Einige internationale Initiativen, wie CANCER-ID [100], BloodPAC [101] und SPIDIA4P [102], arbeiten an der Standardisierung von Liquid-biopsy-Verfahren, um sie einfacher und schneller in klinischen Labors durchführbar zu machen.