Nahrung spielt in unser aller Leben wie auch in medizinischen Belangen eine zentrale Rolle. Dabei ist eine adäquate Energie- und Nährstoffversorgung zur Vermeidung und in der Behandlung von Krankheiten essenziell. Eine unausgewogene oder mangelhafte Ernährung führt unweigerlich zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Malnutrition. Eine Malnutrition, die durch Hunger, Krankheit oder durch Altern hervorgerufen wird, bedingt eine Veränderung der Körperzusammensetzung und eine Reduktion der Körperzellmasse, woraus eine verminderte körperliche und auch geistige Leistungsfähigkeit sowie eine Verschlechterung des klinischen Outcomes resultieren können [1].

Bei Aufnahme in einem Krankenhaus leiden etwa 20–50 % der Patienten an einer präexistenten Malnutrition unterschiedlichen Schweregrads. Diese führt zu vermehrten Komplikationsraten, zu längeren Spitalsaufenthalten und zu erhöhter Mortalität [2,3,4]. Aus diesem Grund ist insbesondere bei präexistent malnutrierten Patienten die rasche Etablierung einer adäquaten Ernährungstherapie essenziell [5, 6]. Jedoch ist diese nicht ohne Risiken und ohne Nebenwirkungen, wobei die dadurch verursachten Komplikationen gravierend bis fatal sein können. Eine solche, potenziell tödliche Nebenwirkung stellt das Refeeding-Syndrom (RFS) dar. Das RFS ist durch Elektrolytstörungen, Störungen der Flüssigkeitshomöostase und durch metabolische Veränderungen charakterisiert, die Organdysfunktionen bis hin zum plötzlichen Herztod nach sich ziehen können [7,8,9,10,11,12].

Das RFS ist kein neues Krankheitsbild, sondern bereits seit geraumer Zeit bekannt. Es ist erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg bei schwerst malnutrierten Gefangenen beschrieben worden, die aus Konzentrationslagern befreit wurden [13, 14]. Bei diesen Personen war nach der Wiederaufnahme einer vermeintlich adäquaten Zufuhr von Nährstoffen die Mortalität mit bis zu 20 % unerwartet hoch [13]. Es traten fatale Durchfälle, Herzversagen und neurologische Komplikationen, wie Krämpfe und Koma, auf. Erst viele Jahre später erkannten Weinsier und Krumdieck, die 1981 den Begriff „Refeeding-Syndrom“ in die Fachliteratur einführten, den direkten Zusammenhang zwischen dem Refeeding und dem Auftreten von kardiovaskulären und pulmonalen Komplikationen, die bei chronisch malnutrierten Patienten während einer parenteralen Ernährung aufgetreten sind [7].

Auch wenn in den westlichen Industrienationen seit einiger Zeit die Inzidenz der Adipositas kontinuierlich ansteigt, ist das RFS auch in der heutigen Zeit nicht verschwunden. Häufig wird das RFS jedoch nicht erkannt und deshalb auch nicht entsprechend therapiert, wodurch es zu einer Verschlechterung des Überlebens kommen kann [15,16,17,18]. Aus diesem Grund ist es wichtig, an diese potenziell lebensbedrohliche Nebenwirkung zu denken und sich mit dieser Komplikation vertraut zu machen.

Pathophysiologie

Die genauen pathophysiologischen Abläufe im Rahmen eines RFS sind nach wie vor nicht restlos geklärt. Jedoch liegt den metabolischen Veränderungen ein abrupter Wechsel von katabolen hin zu anabolen Abläufen zugrunde (Abb. 1; [19]). PO4 Phosphat, K Kalium, Mg Magnesium, EZV Extrazelluläres Volumen

Abb. 1
figure 1

Pathophysiologie des Refeeding-Syndroms. EZV Extrazelluläres Volumen, K Kalium, PO4 Phosphat, Mg Magnesium. (Modifiziert nach [19] und [27])

Unter physiologischen Bedingungen ist die Glukose das bevorzugte oxidative Substrat für den Organismus. Davon benötigt der Körper zumindest 100–150 g pro Tag, um glukoseabhängige Gewebe, wie das Zentralnervensystem, ausreichend mit Energie zu versorgen sowie einem gesteigerten Proteinabbau vorzubeugen [20]. Während einer reduzierten Nahrungszufuhr wird in der initialen Fastenperiode Glukose primär auf dem Wege der Glykogenolyse bereitgestellt. Die Glykogenolyse wird durch eine supprimierte Insulinsekretion und durch gesteigerte Glukagonsekretion aktiviert [21]. Mit zunehmender Dauer einer insuffizienten Nahrungszufuhr kommt es zur Depletion der hepatalen Glykogenspeicher [10]. Parallel dazu wird in der Peripherie die Aktivität der Proteolyse und der Lipolyse gesteigert, wodurch vermehrt Glycerol, Aminosäuren und freie Fettsäuren freigesetzt werden [22]. Die Aktivierung dieser katabolen Stoffwechselwege führt zu einem progredienten Verlust von endogener Fett- und Muskelmasse. Die freien Fettsäuren werden in der Leber zum Teil zu Ketonkörpern umgewandelt [23]. Glycerol und glucoplastische Aminosäuren fungieren in der Leber als Präkursoren der Glukoneogenese. Glukose kann darüber hinaus auch im Cori-Zyklus aus Laktat und Pyruvat gebildet werden [21]. Während dieser initialen katabolen Stoffwechsellage ist der Grundumsatz erhöht [24]. Hält der Hungerstoffwechsel weiter an, nehmen die Aktivität der Proteolyse und auch der Grundumsatz wieder ab, um Körpermasse konservieren zu können [25]. In dieser Zeit utilisieren die meisten Organe hauptsächlich freie Fettsäuren sowie Ketonkörper zur Energiegewinnung.

Eine weitere unausweichliche Konsequenz des Katabolismus ist ein Verlust von intrazellulären Elektrolyten (Kalium, Magnesium und Phosphat; [10, 23, 26, 27]). Dieser zelluläre Elektrolytverlust bedingt einen kurzzeitigen Anstieg ihrer Plasmakonzentrationen, der umgehend zu deren renaler Elimination führt. Der renale Elekrolytverlust geschieht auf Basis eines Austauschs mit Natrium, das im Katabolismus retiniert wird [28].

Eine Wiederaufnahme der Nahrungszufuhr (Refeeding) führt zu einer unverzüglichen metabolischen Umstellung in Richtung Anabolismus [19]. Die Aktivität der Glukoneogenese und des anaeroben Stoffwechsels nimmt ab. Die nun zugeführte Glukose wird wieder zum Hauptenergielieferanten und die Blutglukosespiegel steigen an. Die steigenden Blutglukosespiegel verursachen einen drastischen Anstieg der Insulinsekretion, wodurch anabole Prozesse stimuliert und Glukose sowie Elektrolyte in die Zellen geschleust werden. Die Verschiebung von Elektrolyten kann zu einem signifikanten Absinken ihrer Plasmaspiegel führen. Des Weiteren werden durch die intensivierte Insulinsekretion die Glykogen‑, Fett- und Proteinsynthese gesteigert. Diese anabolen Stoffwechselwege benötigen Phosphat, Kalium und Magnesium, wodurch es zu einem weiteren Abfall dieser Elektrolyte kommt und Hypomagnesiämie, Hypokaliämie und/oder Hypophosphatämie manifest werden können [26, 29]. Phosphat hat viele physiologische Funktionen. Es fungiert als intrazellulärer Puffer und wird im zellulären Metabolismus, wie der Glykolyse und der oxidativen Phosphorylierung, benötigt. Zusätzlich ist dieses Anion in viele enzymatische Prozesse involviert und es ist Bestandteil unterschiedlicher Nukleotide wie dem Adenosin-Triphosphat [21].

Der im Refeeding nachweisbare Insulinanstieg bedingt frühzeitig auch eine Retention von Natrium und somit von Flüssigkeit [19, 26]. Dieser Effekt wird auf eine von Insulin verursachte Antinatriurese am renalen Tubulussystem zurückgeführt [29]. Die Natrium- und Wasserretention führt zu einem Anstieg des extrazellulären Volumens, wodurch es zur Ausbildung von peripheren Ödemen und Anasarka kommt. Das kann durch eine nahrungsbedingt erhöhte Natriumzufuhr noch verstärkt werden [26, 28].

Thiamin (Vitamin B1) ist für den menschlichen Organismus ein essenzieller Mikronährstoff, wobei dieses wasserlösliche Vitamin im Organismus nicht in signifikanten Mengen gespeichert werden kann [26, 30]. Thiamin hat eine relativ kurze Halbwertszeit und stellt eine wichtige Komponente in der aeroben Zellatmung dar [26]. Die im Rahmen des Refeedings gesteigerte Glukoseoxidation bedingt einen erhöhten Thiaminbedarf, da dieses Vitamin im Kohlenhydratstoffwechsel als Kofaktor benötigt wird [19, 21, 30]. Es ist für die reguläre Konversion von Pyruvat zu Acetyl-CoA und im Zitratzyklus für die Oxidation von Ketosäuren erforderlich. Kommt es nun im Verlauf der durch den Hunger bereits verminderten Thiaminreserven zu einer weiteren Abnahme der Thiaminkonzentration, kann Pyruvat im Zitratzyklus nicht mehr vollständig oxidiert werden und es erfolgt, über die Laktatdehydrogenase, eine Reduktion zu Laktat. Diese Reduktion von Pyruvat kann eine ausgeprägte metabolische Acidose mit Hyperlaktatämie hervorrufen [31].

Klinische Symptomatik

Das RFS reflektiert eine nichtbedarfsgerechte, unausgewogene Ernährung, die zu einer Depletion von Elektrolyten und Vitaminen führt und somit unterschiedliche klinische Symptome verursachen kann. Oft präsentieren sich die Symptome eines RFS als relativ unspezifisch; jedoch sollte das Auftreten einer Tachykardie, einer Tachypnoe und/oder von peripheren Ödemen an ein RFS denken lassen [9, 10, 28], denn in letzter Konsequenz kann diese Komplikation zu respiratorischem Versagen, Herz-Kreislauf-Versagen und auch zum Tod führen [7,8,9].

Hypophosphatämie

Die Hypophosphatämie wird zumeist als das Kardinalsymptom des RFS angesehen [8]. Diese ist durch eine gesteigerte zelluläre Aufnahme und durch eine gesteigerte Phosphorylierung von Glukose bedingt [21]. Eine schwere Hypophosphatämie (Phosphat <0,32 mmol/l) verursacht neuromuskuläre oder auch muskuloskelettale Funktionsstörungen mit Parästhesien und Krampfanfällen bzw. Muskelschwäche und eine gestörte Muskelkontraktilität. Diese Muskelfunktionsstörungen können zu einer respiratorischen Insuffizienz führen, die in eine alveoläre Hypoventilation und auch in ein respiratorisches Versagen münden kann [28]. Als weitere Symptome einer Hypophosphatämie sind Rhabdomyolysen, Thrombozytopenien, Gerinnungsstörungen und Störungen der Leukozytenfunktion beschrieben [10, 32, 33]. Zusätzlich nimmt die Flexibilität der Erythrozyten signifikant ab, wodurch in der Peripherie die Freisetzung von Sauerstoff deutlich vermindert ist (Tab. 1; [34]).

Tab. 1 Klinische Symptome bei schwerer Hypophosphatämie. (Modifiziert nach [9])

Hypokaliämie, Hypomagnesiämie

Die Plasmakonzentrationen von Kalium und Magnesium sinken ebenfalls aufgrund einer gesteigerten zellulären Aufnahme ab [19]. Eine moderate Reduktion der Plasmakonzentrationen von Magnesium (<0,5 mmol/l) und Kalium (<2,5 mmol/l), zusammen mit möglichen Elektrolytverschiebungen zwischen unterschiedlichen Organsystemen oder Medikamentennebenwirkungen (z. B. QTc-Verlängerungen), können zu Herzrhythmusstörungen bis hin zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand führen [28]. Als weniger dramatische Symptome können diese Elektrolytstörungen weitere Funktionsstörungen, wie körperliche Schwäche, Paralysen, Parästhesien, Verwirrtheit, Rhabdomyolysen und auch eine respiratorische Insuffizienz, verursachen (Tab. 2; [10]).

Tab. 2 Klinische Symptome einer schweren Hypokaliämie und Hypomagnesiämie. (Modifiziert nach [9])

Natrium- und Flüssigkeitsretention

Eine Natriumretention, die durch Hunger, Stress oder inflammatorische Prozesse bedingt ist, wird im Refeeding durch eine gesteigerte Insulinsekretion, die eine Antinatriurese verursacht, und eine zusätzliche nahrungsbedingte Zufuhr noch weiter verstärkt [19, 26, 29]. Diese Veränderungen führen zu einer gesteigerten Flüssigkeitsretention und somit zu einer Expansion des extrazellulären Volumens, die periphere Ödeme und ebenfalls ein Herzversagen auslösen kann. Das Risiko für ein Herzversagen wird durch eine präexistente kardiale Atrophie noch weiter erhöht [28]. Darüber hinaus besteht durch eine rasche Änderung der Natriumkonzentration die Gefahr einer zentralen pontinen Myelinolyse [35].

Thiaminmangel

Eine durch das Refeeding bedingte Aktivierung des Kohlenhydratstoffwechsels kann zu einem akuten Thiaminmangel führen, der typische neurologische Defekte mit anhaltenden Gedächtnisstörungen (Wernicke-Korsakow-Syndrom; „zerebrale Beriberi“) oder auch Defekte des peripheren Nervensystems mit brennenden Sensationen der unteren Extremitäten sowie Gefühlsstörungen und Schwäche der oberen und unteren Extremitäten (Neuropathien; „trockene Beriberi“) verursacht [36].

Eine kardiovaskuläre Beeinträchtigung, die mit einem Thiaminmangel einhergeht, wird als „feuchte Beriberi“ bezeichnet. Die chronische Form präsentiert sich mit einer peripheren Vasodilatation, einem reduzierten Gefäßwiderstand und einer nachfolgenden Flüssigkeitsretention. Die Patienten entwickeln aufgrund der Flüssigkeitsüberladung periphere Ödeme bzw. Anasarka [26, 36]. In der akuten Phase sind Tachykardie, eine arterielle Hypotension und eine Laktatacidose nachweisbar, die auf eine Linksherzinsuffizienz zurückzuführen sind [37]. In letzter Konsequenz kann die kardiale Beeinträchtigung zu einem Lungenödem und zur kardialen Dekompensation mit Herzversagen führen. Diese Störungen sind bei Patienten mit einer präexistent reduzierten Herzmuskelmasse, die durch eine Malnutrition bedingt ist, noch viel deutlicher ausgeprägt [38].

Darüber hinaus führt ein Mangel an Thiamin zu einer verminderten Aktivität von thiaminabhängigen Enzymen, weshalb Pyruvat nicht suffizient zu Acetyl-CoA konvertiert werden kann. Dadurch kommt es zu einer eingeschränkten Funktion des Zitratzyklus, wodurch Pyruvat und Laktat akkumulieren. Die daraus resultierende metabolische Acidose kann Übelkeit, Erbrechen und ausgeprägte Bauchschmerzen verursachen („gastrointestinal Beriberi“) sowie auch zum Tod der Patienten führen [31, 39].

Hyperammonämie

Im Hungerstoffwechsel wird als Ausdruck einer metabolischen Anpassung der Proteinkatabolismus reduziert, um die noch verbleibende fettfreie Körpermasse zu konservieren [25]. Dabei werden die Enzymaktivitäten des Aminosäurestoffwechsels vermindert. Aus diesem Grund steigen während eines Refeedings die Konzentrationen der Aminosäuren im Plasma an. Dieser Anstieg kann in der Folge die Kapazitäten des hepatalen Harnstoffzyklus überfordern, wodurch vermehrt Ammoniak gebildet wird [40]. Diese Hyperammonämie wurde mit dem Tod mangelernährter Patienten in Zusammenhang gebracht, die eine proteinreiche Ernährung erhalten haben [41].

Risikofaktoren

Grundsätzlich herrscht Einigkeit darüber, dass die Prävention einen wichtigen Faktor im Management des RFS darstellt [42]. Dabei ist es wesentlich, bereits vor dem Beginn einer Ernährungstherapie an die Möglichkeit eines RFS zu denken und im Verlauf dessen potenzielle Komplikationen zu antizipieren. Aus diesem Grund ist es essenziell, potenzielle Risikopatienten zu identifizieren. Alle Patienten, die über mehrere Tage wenig oder keine Nahrung zugeführt haben, laufen Gefahr, ein RFS zu entwickeln. Hierbei sind Patienten mit Anorexia nervosa, neben onkologischen und geriatrischen Patienten, besonders gefährdet. Des Weiteren zählen auch kritisch Kranke oder Patienten nach einer großen Operation zum gefährdeten Personenkreis (Tab. 3). Die meisten Risikofaktoren stehen im Einklang mit den Leitlinien des National Institute for Health and Care Excellence (NICE; Tab. 4; [43]). Weitere Risikofaktoren sind ein höheres Lebensalter, ein vermindertes Serumalbumin oder Präalbumin, ein vermindertes Serummagnesium, eine erhöhte Nahrungszufuhr im Rahmen einer medizinischen Ernährungstherapie, ein erniedrigtes Insulin-like growth factor 1, ein Scorewert von ≥3 im Nutrition Risk Score(NRS)-2002 sowie eine enterale Ernährung als Teil der medizinischen Ernährungstherapie [44,45,46,47,48,49,50].

Tab. 3 Risikofaktoren für eine Malnutrition
Tab. 4 Risikofaktoren für ein Refeeding-Syndrom. (Modifiziert nach [43])

Das Auftreten eines RFS ist prinzipiell von der Art der Nahrungszufuhr unabhängig. Es kann sowohl durch eine orale, eine enterale als auch durch eine parenterale Zufuhr verursacht werden [9]. Jedoch ist das Risiko nicht für jede Art der Energiezufuhr gleich hoch; so konnte gezeigt werden, dass es bei einer oralen Zufuhr am geringsten ist. Höhere Inzidenzraten findet man bei einer medizinischen Ernährungstherapie, wobei die Inzidenz bei einer enteralen Ernährung über eine nasogastrale Sonde, im Vergleich zu einer parenteralen Ernährung, um 20 % höher ist [51]. Als mögliche Ursache dafür wurde ein durch die enterale Ernährung induzierter, höherer Anstieg vom Gastrin inhibitorischen Peptid (GIP) und Glucagon-like peptide(GLP)‑1 angenommen, wobei diese Inkretine eine erhöhte/überschießende Insulinsekretion verursachen können [51, 52]. Darüber hinaus ist das Risiko, ein RFS zu entwickeln, durch eine Glukoseinfusion, die einer medizinischen Ernährungstherapie vorangeht, noch weiter erhöht [47].

Inzidenz und Diagnose

Für das Entstehen eines RFS stellt die Malnutrition eine Conditio sine qua non dar; jedoch entwickeln nicht alle malnutrierten Patienten ein RFS [9]. Die Inzidenz wird in der Literatur als sehr variabel angegeben; für unterschiedliche Patientengruppen sind Inzidenzraten zwischen 0 und 80 % beschrieben worden [44]. Diese markanten Unterschiede in der Inzidenz sind vermutlich darauf zurückzuführen, dass es nach wie vor keine allgemein anerkannte Definition für das RFS gibt. Obwohl das RFS bereits seit etwa 70 Jahren bekannt ist, besteht keine Einigung darüber, ob die Diagnose einzig anhand unterschiedlicher Laborparameter gestellt werden kann oder ob zusätzlich klinische Symptome vorliegen müssen [13, 14, 37, 44, 47, 53, 54]. Stanga und Kollegen unterscheiden zwischen einem „symptomatischen“ und einem „möglichen“ bzw. „biochemischen RFS“; dies in Abhängigkeit davon, ob ausschließlich Elektrolytveränderungen oder auch zusätzlich klinische Symptome vorliegen, die lebensbedrohlich sein können. Letzteres wird von den Autoren auch als „full-blown RFS“ bezeichnet [27]. Walmsley unterscheidet zwischen einem „definitiven“ und einem „möglichen RFS“. Für ein „definitives RFS“ müssen sinkende Phosphatkonzentrationen gemeinsam mit Veränderungen der Flüssigkeitshomöostase nachweisbar sein. Für die Diagnose eines „möglichen RFS“ sind neben einer Störung der Flüssigkeitshomöostase sinkende Serumkalium- und/oder Magnesiumspiegel zu dokumentieren [29]. In einer rezenten Arbeit von Friedli und Kollegen wird zwischen einem „imminentem“ und einem „manifesten RFS“ differenziert. Wenn während eines Refeedings innerhalb von 72 h Elektrolytstörungen auftreten, liegt ein „imminentes RFS“ vor; wenn noch zusätzlich klinische Symptome (wie Ödeme, respiratorische Insuffizienz und/oder Herzinsuffizienz) detektierbar sind, liegt ein „manifestes RFS“ vor [28]. Rio et al. definieren das RFS als Veränderungen von Elektrolytkonzentrationen, die gemeinsam mit peripheren Ödemen oder einer Flüssigkeitsüberladung sowie mit Organdysfunktionen, wie einem respiratorischen Versagen, einem Herzversagen oder einem Lungenödem, auftreten [47]. In einer älteren Arbeit wird das RFS ausschließlich auf Basis sinkender Phosphatspiegel (Abfall der Phosphatkonzentration um >0,16 mmol/l auf Werte <0,65 mmol/l) diagnostiziert [48]. Die Definitionen der beiden letztgenannten Arbeiten kommen aktuell in der Literatur am häufigsten zur Anwendung [44].

Somit wird das RFS in den meisten Studien über erniedrigte oder sinkende Elektrolytkonzentrationen definiert, wobei die Hypophosphatämie zumeist als Kardinalsymptom angesehen wird. Jedoch bedeutet das Auftreten einer Hypophosphatämie nicht unweigerlich, dass ein RFS vorliegt. So manche Elektrolytveränderung dürfte eine normale Reaktion auf das Refeeding sein und den Patienten nicht notwendigerweise Schaden zufügen [35]. Im klinischen Alltag scheint trotzdem die Diagnostik eines RFS anhand der Hypophosphatämie sinnvoll, um es vor dem Auftreten eines „full-blown RFS“ mit diversen Organdysfunktionen erkennen und somit frühzeitig behandeln zu können.

Das RFS entwickelt sich nach Beginn einer Ernährungstherapie zumeist sehr rasch. In den meisten Studien wird ein Auftreten innerhalb der ersten 72 h beschrieben. Jedoch sind auch Zeitfenster von bis zu 10 Tagen beobachtet worden [44].

Prophylaxe und Therapie

Die Basis einer erfolgreichen Prophylaxe und Therapie eines RFS liegt darin, diese potenzielle Nebenwirkung einer Ernährungstherapie zu erkennen. Dazu sind vor dem Wiederbeginn einer Nährstoffzufuhr, vor allem bei malnutrierten Patienten, Vitalparameter und der Flüssigkeitsstatus sowie Blutzuckerwerte, Harnelektrolyte und die Serumelektrolyte – hier insbesondere Natrium, Kalium, Magnesium und Phosphat – zu kontrollieren. Werden dabei Veränderungen im Elektrolyt- bzw. Flüssigkeitshaushalt festgestellt, sind diese umgehend zu korrigieren (Tab. 5). Eine individuelle Substitutionstherapie von Elektrolyten und von Flüssigkeit kann bereits vor oder parallel zu einer Ernährungstherapie erfolgen, wobei die Flüssigkeitszufuhr überaus vorsichtig erfolgen sollte [35]. Es ist aber wünschenswert, dass diese notwendigen Substitutionstherapien zu keinen weiteren Verzögerungen der Nahrungszufuhr führen [9]. Die genannten Parameter sind im Verlauf der Ernährungstherapie im Sinne eines intensiven metabolischen Monitorings sehr engmaschig zu kontrollieren und gegebenenfalls entsprechend auszugleichen, wobei bei schweren Verlaufsformen die Elektrolyte in den ersten 3 Tagen 2‑mal täglich bestimmt werden sollten (Abb. 2; [19, 28, 55]).

Tab. 5 Substitutionstherapie bei einem Refeeding-Syndrom
Abb. 2
figure 2

Monitoring von Patienten mit Risikofaktoren für ein Refeeding-Syndrom; Vitalparameter (Blutdruck, Herzfrequenz, Atemfrequenz, SpO2); Labor (PO4, K, Mg, Na, Ca, BZ, BUN, Kreatinin, Harnelektrolyte, NH3); Körpergewicht/Flüssigkeitsbilanz; klinisch-physikalischer Status (Hydratationszustand, Ödeme, kardiopulmonaler Status). (Modifiziert nach [19] und [28])

Die Nährstoffzufuhr sollte bei malnutrierten Patienten mit einer niedrigen Rate (max. 10 kcal/kgKG und Tag) begonnen und danach nur langsam, über 4–7 Tage, in den Zielbereich gesteigert werden (nach dem Prinzip „low and slow“; [35, 43]). Die Steigerungsgeschwindigkeit ist dabei von der individuellen metabolischen Stabilität abhängig. Bei einer sehr drastischen Malnutrition bzw. bei einem ausgeprägten RFS sollten initial eine noch geringere Energiezufuhr (5 kcal/kgKG und Tag) und noch langsamere Steigerungsraten gewählt werden. Dieses Vorgehen ist oftmals bei Patienten mit einem Body-Mass-Index <14 kg/m2 oder bei Patienten erforderlich, die während der vergangenen 2 Wochen eine vernachlässigbare Energiezufuhr hatten [28, 43]. Durch eine restriktive Energiezufuhr am Beginn und eine langsame Steigerung der Energiezufuhr im Verlauf konnte das Überleben von Patienten mit einem RFS signifikant verbessert werden [56, 57]. Hierbei zeigt sich: „A little nutrition support is good, too much is lethal“ [8].

Trotz der empfohlenen restriktiven Energiezufuhr sollte der Versuch unternommen werden, den beeinträchtigten Proteinstatus zu verbessern. Dazu wird eine Proteinzufuhr von 1,2 bis 1,5 g/kgKG und Tag (bezogen auf das individuelle Idealgewicht) empfohlen [5, 35]. Währenddessen ist das Serumammoniak regelmäßig zu bestimmen (Abb. 2). Gleichzeitig sollte die Glukosezufuhr auf die Menge der endogenen Glukoseproduktion (i.e. etwa 150 g pro Tag) begrenzt werden, um die Freisetzung von Insulin zu minimieren [58].

Die körpereigenen Thiaminspeicher können im Rahmen einer Malnutrition sehr leicht und sehr rasch depletiert werden. Ein solcher Thiaminmangel sollte bereits prophylaktisch ausgeglichen werden. Dazu ist eine Substitution von 200–300 mg pro Tag entweder peroral oder intravenös empfohlen (Tab. 5). Diese Substitution sollte über mehrere Tage, bis zur nachhaltigen metabolischen Stabilisierung, fortgesetzt werden [35, 43].

Eine moderate (<0,65 mmol/l) oder schwere (<0,32 mmol/l) Hypophosphatämie kann durch eine intravenöse Substitution ausgeglichen werden [19]. Eine Hypokaliämie und eine Hypomagnesiämie entstehen häufig parallel [59]. Hierbei ist zu beachten, dass eine erfolgreiche Korrektur einer Hypokaliämie nur gemeinsam mit der Korrektur der Hypomagnesiämie möglich ist, da diese einen Hyperaldosteronismus induziert. Dieser erhöht seinerseits die renale Kaliumelimination und beeinflusst die zelluläre Kaliumverteilung. Somit muss in diesem Fall eine gleichzeitige Substitutionstherapie erfolgen (Tab. 5; [19, 60]).