Synopsis

Unter einer Hypophyseninsuffizienz (Hypopituitarismus) versteht man ein partielles oder komplettes Fehlen der Sekretion von Hormonen des Vorderlappens der Hirnanhangdrüse. Eine verminderte oder fehlende Sekretion von Vasopressin aus dem Hypophysenhinterlappen wird als Diabetes insipidus oder Arginin-Vasopressin-Defizienz bezeichnet. In diesem Artikel wird in erster Linie auf die Insuffizienz des Hypophysenvorderlappens eingegangen.

Die komplexe klinische Symptomatik und das damit verbundene sehr heterogene Erscheinungsbild der Erkrankung führt dazu, dass die Diagnostik sich immer noch als herausfordernd darstellt. Die Fortschritte in der Therapie ermöglichen jedoch vielen Patient:innen eine Normalisierung ihres Lebens.

Die Etablierung des NGS („next generation sequencing“) hat einen massiven Wissenszuwachs hinsichtlich des genetischen Hintergrunds bewirkt. Allerdings stellen Interpretation und Klassifikation der Vielzahl der detektierten Genvarianten ebenso wie unterschiedliche komplexe Vererbungsmodi auch für Expert:innen eine besondere Schwierigkeit dar.

Pathophysiologie und klinische Bedeutung

Die Adenohypophyse (Hyophysenvorderlappen) ist eine Hormondrüse, deren Haupthormone in Tab. 1 aufgelistet sind. Die Neurohypophyse (Hypophysenhinterlappen) hingegen besteht hauptsächlich aus Nervenfasern, speziellen Gliazellen und vielen sinusoidalen Kapillaren mit fenestriertem Endothel und stellt einen Speicherort der Prohormone von Oxytocin und Arginin-Vasopressin (AVP oder antidiuretisches Hormon, ADH) dar, die dann bei Bedarf nach proteolytischer Abspaltung (von Neurophysin) die Hormone über die fenestrierten Endothelzellen in die Blutbahn abgeben (Neurosekretion).

Tab. 1 Haupthormone der Hypophyse

Eine Hypophyseninsuffizienz kann erworben oder angeboren sein (vergleiche Tab. 2), wobei die Ursachen für erworbene Formen häufig multifaktoriell und nach einer neurologischen Schädigung (siehe Tab. 2) zu beobachten sind, während den angeborenen Formen häufig ein genetischer Defekt zugrunde liegt [1,2,3].

Tab. 2 Formen der Hypophyseninsuffizienz (CH und CHH)

Kongenitale Hypophyseninsuffizienz (CH)

Im Gegensatz zu den oben erwähnten erworbenen und funktionellen Formen wird der kongenitale Hypopituitarismus (CH) häufig schon im Kindesalter diagnostiziert. Es handelt sich um eine genetische Erkrankung, die häufig durch pathogene Varianten in Genen verursacht wird, denen bei der Entwicklung der Hypophyse eine bedeutende Rolle zukommt. Gene, die sowohl einen isolierten als auch einen kombinierten Hormonmangel verursachen können, kodieren einerseits die entsprechenden Hormone, andererseits aber auch sehr häufig Transkriptions- oder Expressionsfaktoren (z. B. T‑PIT), wie im Kapitel Genetik anhand von Beispielen weiter erläutert wird [4].

Eine CH kann aber auch im Rahmen anderer genetischer syndromaler Erkrankungen wie dem Prader-Willi‑, Kallmann‑, Laurence-Moon‑, Bardet-Biedl‑, Pasqualini‑, Sheehan‑, Pickardt-, oder Richards-Rundle-Syndrom auftreten.

Kombinierter Hypophysenhormonmangel

Während man unter dem kombinierten Hypophysenhormonmangel (CPHD – „combined pituitary hormone deficiency“) den gleichzeitigen Mangel mehrerer funktioneller Linien von Hormonen, die im Hypophysenvorderlappen gebildet werden, versteht, liegt beim isolierten Hypophysenhormonmangel eine fehlende oder verminderte Sekretion lediglich eines Hormons vor.

Kongenitaler hypogonadotroper Hypogonadismus (CHH)

Unter hypogonadotropem Hypogonadismus versteht man eine Unterfunktion (Hypogonadismus) der Keimdrüsen (Gonaden), die durch eine verminderte Konzentration der Gonadotropine (Hormone, die das Wachstum weiblicher und männlicher Keimdrüsen bewirken) Follikelstimulierendes Hormon (FSH) und Luteinisierendes Hormon (LH) verursacht wird. Weiters kann zwischen einem CHH mit normalem Geruchsinn (Normosmie) oder mit einer veränderten Riechwahrnehmung (an- oder hypoosmischer CHH) wie dem Kallmann-Syndrom (KS) unterschieden werden.

Klinische Symptomatik und Therapie

Die Symptomatik der Hypophyseninsuffizienz ist sehr heterogen und wird durch das Alter bei Erkrankungsbeginn sowie Art und Ausmaß des Hormonmangels maßgeblich beeinflusst (siehe Tab. 3). Beispielsweise kann bei Manifestation im Kindesalter eine Wachstumsverzögerung (Mangel an Wachstumshormon – GH), eine Pubertas tarda (LH-/FSH-Mangel) oder eine psychomotorische Retardierung (Mangel an Thyroidea-stimulierendem Hormon – TSH) hinweisend sein.

Tab. 3 Symptome der Hypophyseninsuffizienz nach Alter

Hypogonadotroper Hypogonadismus (gonadotrope Insuffizienz)

Ein hypogonadotroper Hypogonadismus führt bei Kindern und Jugendlichen zu einem verspäteten bzw. fehlenden Pubertätseintritt (siehe Tab. 3). Im Erwachsenenalter bewirkt ein hypogonadotroper Hypogonadismus reduzierte Fertilität und frühzeitige Osteoporose. Bei prämenopausalen Frauen kommt es zu Oligo‑/Amenorrhö und bei Männern zu Libido- und Potenzverlust, Adynamie und Abbau der Muskelmasse.

In 50 % der genetisch bedingten Formen des hypogonadotropen Hypogonadismus tritt zusätzlich eine Hypo- oder Anosmie auf und wird dann als Kallmann-Syndrom bezeichnet, wobei in der Differenzierung der genetischen Ursachen [3, 4] zwischen kongenitalem hypogonadotropem Hypogonadismus (ohne Riechstörung) und Kallmann-Syndrom eine Überlappung besteht (d. h. bestimmte ursächliche genetische Varianten können sowohl einen isolierten hypogonadotropen Hypogonadismus (HH) als auch ein KS auslösen). Ursächlich für ein Kallmann-Syndrom ist eine Fehlentwicklung des Hypothalamus, wodurch es zu einer ungenügenden Produktion von Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) kommt. Andere Manifestationen wie Gaumenspalten oder sensorineuraler Hörverlust können ebenfalls im Rahmen eines Kallmann-Syndroms oder seltener beim kongenitalen hypogonadotropen Hypogonadismus auftreten.

In der Differenzierung zwischen kongenitalem hypogonadotropem Hypogonadismus und konstitutioneller Entwicklungsverzögerung können das Vorliegen eines Mikropenis oder Maldescensus testis (typisch bei CHH) sowie das Vorhandensein anderer syndromaler Manifestationen (Hypo‑/Anosmie, Gaumenspalte, sensorineuraler Hörverlust) hinweisend sein.

Wachstumshormonmangel

Je nach Schweregrad kann ein kongenitaler Wachstumshormonmangel bereits im Neugeborenenalter zu Hypoglykämien führen; das Vorliegen eines Mikropenis kann ebenfalls ein früher Hinweis sein. Abgesehen von der typischen Wachstumsverzögerung können Kinder mit Wachstumshormonmangel eine Mittelgesichtshypoplasie, ein langsames Wachstum von Haut und Haaren und eine zentrale Adipositas aufweisen. Im Erwachsenenalter führt ein Wachstumshormonmangel zusätzlich zu verminderter Muskelmasse, Kraftlosigkeit und Erschöpfung auch zu einer verminderten Knochendichte und einem erhöhten kardiometabolischen Risiko (Dyslipidämie, Insulinresistenz, viszerale Adipositas) [5].

Zentrale Hypothyreose (ZH)

Im Neugeborenenalter kann eine zentrale Hypothyreose durch Hypoglykämien, prolongierten Ikterus neonatorum und schlechte Nahrungsaufnahme auffallen. Weitere Zeichen im Kindesalter inkludieren Wachstumsverzögerung, vermehrte Müdigkeit, Obstipation und einen verspäteten Pubertätseintritt. Im Erwachsenenalter sind die typischen Zeichen einer zentralen Hypothyreose Müdigkeit, Kälteintoleranz, Obstipation, Gewichtszunahme, trockene Haut und Haare sowie Heiserkeit [6, 7].

Zentrale Nebenniereninsuffizienz

Eine isolierte ACTH-Defizienz (ACTH = adenocorticotropes Hormon) tritt selten auf und kann sich in Neugeborenen und Kleinkindern durch schlechte Nahrungsaufnahme, Übelkeit und Erbrechen sowie in weiterer Folge einer Wachstumsverzögerung zeigen. Im Kindes- und Erwachsenenalter kann die typische Hypotonie Schwindel auslösen; Muskelschmerzen und Muskelschwäche können ebenfalls auftreten. Laborchemisch können in jedem Alter Hypoglykämien sowie Hyponatriämie hinweisend sein, welche auch einen Auslöser für Krampfanfälle darstellen können.

Isolierte ACTH-Defizienz kann, wenn sie durch inaktivierende POMC-Mutationen ausgelöst wird, zusammen mit roten Haaren und Hyperphagie syndromal auftreten [8].

Genetik

Molekulargenetischer Hintergrund und Häufigkeit

Wie schon oben erwähnt, kann eine Hypophyseninsuffizienz auch lediglich eine Teilsymptomatik darstellen, wenn sie im Rahmen anderer kongenitaler Syndrome auftritt. Beispiele für derartige angeborene syndromale Erkrankungen sind z. B. das Prader-Willi‑, Laurence-Moon- oder das Bardet-Biedl-Syndrom, denen pathogene Varianten im Bereich der Gene für Leptin oder den Leptinrezeptor bzw. in den BBS-Genen zugrunde liegen. Beim sogenannten fertilen Eunuchen, dem Pasqualini-Syndrom, handelt sich um einen partiellen GnRH-Defekt, der zu einem isolierten LH-Mangel führt. Auf diese Erkrankungen wird in der Folge nicht eingegangen.

Eine angeborene Hypophyseninsuffizienz ist selten und wird auf ein Vorkommen von 1 in 4000 bis 10.000 Lebendgeburten geschätzt. Ein kongenitaler hypogonadotroper Hypogonadismus hat eine Häufigkeit von 1:30.000 bis 1:40.000 bei Frauen und eine Häufigkeit von 1:4000–1:10.000 bei Männern, die somit ca. 3- bis 5-fach häufiger betroffen sind. Inzwischen können bis zu 40 % der molekularen Ursachen des kongenitalen hypogonadotropen Hypogonadismus durch pathogene Varianten in ca. 40 Genen (z. B. GNRHR, FSHB, LEP/LEPR, LHB, FGFR1) erklärt werden. Der Beitrag jedes einzelnen Gens liegt bei ca. 1–2 %, digene oder oligogene Effekte sind nicht selten und werden in ca. 10–20 % der Fälle beobachtet [9,10,11,12].

Da nicht alle betroffenen Neugeborenen eine Symptomatik (wie z. B. Hypoglykämie oder Mikropenis) zeigen, wird die überwiegende Zahl der Erkrankten erst später im Kindesalter aufgrund eines verzögerten Wachstums, von Gedeihstörungen, etc. diagnostiziert.

Heterogene pathogene Varianten und unterschiedliche Erbgänge

Wie bereits erwähnt, haben pathogene Varianten einer Reihe von Genen [9,10,11], die in die Entwicklung der Hypophyse involviert sind, einen Hypophysenhormonmangel (kombiniert oder isoliert) zur Folge (siehe Tab. 3 und 4). Dass diese Gene auch beim Riechsystem eine Rolle spielen, wird anhand des Kallmann-Syndroms (KS) eindeutig aufgezeigt [12].

Tab. 4 In die Entwicklung der angeborenen Hypophyseninsuffizienz involvierte Gene [3, 12]

Eine relativ häufige Ursache des Kallmann-Syndroms sind pathogene Varianten des am X‑Chromosom lokalisierten ANOS1(KAL1)-Gens, die bei ca. 10 % der Patient:innen detektiert werden und somit eine Ursache für das häufigere Vorkommen bei Buben/Männern darstellen. Seltener können auch andere Gene wie FGFR1, DAX1, LEP/LEPR, GnRHR, FSHβ und LHβ beteiligt sein, wobei Patient:innen, die Träger:innen dieser Varianten sind, dann zusätzliche Symptome (z. B. Gonadendysgenesie, Gaumenspalten) aufweisen.

Bei einem Teil der Patient:innen sind mehrere Gene betroffen (oligogene Vererbung), sodass die Identifikation der genetischen Ursache der Erkrankung im Einzelfall schwierig sein kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn einzelne Varianten nicht als pathogen oder wahrscheinlich pathogen eingestuft werden können, sondern als VUS (Varianten unklarer Signifikanz) klassifiziert werden müssen.

Die Hormonsubstitution erfolgt zwar symptomatisch und ist nicht vom beteiligten Gen abhängig, eine genetische Beratung der betroffenen Patient:innen und deren Partner:innen hinsichtlich Wiederholungsrisiko und Familienplanung hingegen sehr wohl. Neben Defekten in Hormon- oder Hormonrezeptor kodierenden Genen (z. B. GH oder GHRHR) sind es vor allem Transkriptionsfaktoren (HESX1, SOX2/SOX3, PROP1, POU1F1, GLI, FGF und viele mehr), deren pathogene Varianten zur Erkrankung führen (siehe Tab. 4).

Die Prävalenz bestimmter pathogener Varianten scheint weltweit unterschiedlich zu sein, da z. B. PROP1-Varianten in Europa die häufigsten pathogenen Varianten darstellen, während diese im asiatischen Raum bedeutend seltener detektiert werden. Inzwischen können bis zu 40 % der molekularen Ursachen des kongenitalen hypogonadotropen Hypogonadismus durch pathogene Varianten in ca. 40 Genen (z. B. GNRHR, FSHB, LEP/LEPR, LHB, FGFR1) aufgeklärt werden [9, 12], wobei einzelne Gendefekte lediglich für 1–2 % der Fälle verantwortlich sind, wie bereits erwähnt wurde.

Dass pathogene Varianten des identen Gens zu unterschiedlicher Ausprägung eines CHH führen können, ist nach Tab. 4 offensichtlich; dass einzelne Varianten dieser Gene auch mit familiärer Pubertas tarda in Verbindung zu bringen sind und den Zeitpunkt von Menarche und Menopause maßgeblich beeinflussen könnten, wird erst seit kurzem diskutiert [13, 14].

Von klinischer Relevanz ist auch die Beobachtung, dass Träger:innen seltener TAC3- und TACR3-Varianten eine reversible Form der CHH aufweisen, sodass ein mögliches Absetzen der Therapie bei diesen Genträger:innen häufiger geprüft werden könnte [9, 14].

Es ist aber nicht nur die Vielzahl verschiedener Gene, deren pathogene oder wahrscheinlich pathogene Varianten zu identifizieren sind, sondern es zeichnen sich auch die Erbgänge durch Heterogenität aus. So werden neben Mendel’schen Erbgängen (autosomal dominant, autosomal rezessiv) mit unterschiedlicher Penetranz auch, wie bereits erwähnt, in einer Reihe von Studien digene oder oligogene Effekte in ca. 20 % der Fälle beobachtet [12]. Ging man also ursprünglich von einem Mendel’schen Erbgang aus, sind nach neueren Beobachtungen und Berichten in der Fachliteratur folgende Erbgänge in Betracht zu ziehen:

  • Autosomal rezessiv

  • X‑chromosomal rezessiv (mit hoher Penetranz)

  • Autosomal dominant (mit niedriger Penetranz)

  • Digen

  • Oligogen

  • Uniparentale Disomie

  • Komplex, multipel und unklar

Unter oligogener Vererbung versteht man beispielsweise, wenn die Genotyp/Phänotyp-Korrelation einer mit einer Erkrankung assoziierten pathogenen Keimbahnvariante durch die Einbeziehung einer weiteren Variante eines anderen Gens verbessert wird. Ebenso können sogenannte Modifikator-Gene eine Rolle spielen und den Phänotyp signifikant beeinflussen. Auch Fälle von uniparentaler Disomie [15] wurden berichtet.

Wenn Träger einer als pathogen oder wahrscheinlich pathogen klassifizierten Variante nicht das Muster der Phänotypen zeigen, das unter der Mendel’schen Vererbung erwartet wird, und andere Modelle die beobachteten Vererbungsmuster besser erklären können, muss auch von einem anderen (z. B. oligogenen, komplexen) Erbgang ausgegangen werden. Dieser Umstand macht eine genetische Beratung insbesondere zur Abschätzung des Wiederholungsrisikos für Beratende wie Ratsuchende herausfordernd und bedeutet, dass Expert:innen hier auf ein besonderes Detailwissen zurückgreifen können müssen.

Genetische Diagnostik

Wurden die ersten molekulargenetischen Analysen zur Identifikation des genetischen Hintergrunds der Hypophyseninsuffizienz noch mittels Sanger-Sequenzierung als Einzelgenanalyse (Kandidatengene) durchgeführt, erlauben die technischen und methodischen Weiterentwicklungen in Form des NGS („next generation sequencing“) die parallele Sequenzierung einer Vielzahl von Genen, wobei zwischen Multigen-Panels, Clinical Exome (CES), Whole Exome (WES) oder Whole Genome (WGS) Sequencing gewählt werden kann.

Aufgrund der oben angeführten unterschiedlichen zugrunde liegenden molekulargenetischen Defekte ist die Entscheidung, welche Strategie und welche der oben angeführten Methoden zur Detektion der pathogenen Genvarianten gewählt wird, schwierig und verlangt ein profundes Kennen des komplexen klinischen wie auch genetischen Hintergrundes, insbesondere auch der Familienanamnese.

Mögliche Teststrategien

  • Für bereits identifizierte kausale pathogene Genvarianten kann im Rahmen einer Familienanalyse oder im Falle einer speziellen klinischen Symptomatik immer noch die Einzelgenanalyse (PCR-basierte Sequenzierung und potenziell MLPA – „multiple ligation-dependent analysis“) die Methode der Wahl sein, da die Methodik eine hohe analytische Sensitivität und Spezifität bei einer zu erwartenden geringen Anzahl von VUS bietet.

  • Für alle anderen Fälle wäre eine Möglichkeit, besonders auf Symptome bekannter syndromaler Erkrankungen wie Prader-Willi, Bardet-Biedl etc. zu prüfen, da bei einem entsprechenden Verdacht spezifisch auf diese Gene („targeted molecular testing“) hin untersucht werden kann.

  • Können Syndrome (wie oben angeführte) klinisch weitgehend ausgeschlossen werden, kann anhand des Vorhandenseins spezifischer Symptome (wie z. B. Anosmie, Synkinesie, Elektrolytentgleisungen, Hypoglykämie …) bzw. anhand der Kombination der vorliegenden Hormonmängel oder des Alters der Erstmanifestation entsprechend ein geeignet erscheinendes Genpanel gewählt werden.

    Als Core-Gene kommen GLI2, HESX1, LHX3, LHX4, MC2R, MRAP, NNT, OTX2, POU1F1, PROP1, SOX3, TXNRD2 in Frage, eine erweiterte Panel-Diagnostik könnte folgende Gene beinhalten: ANOS1, ARNT2, BMP2, BMP4, BTK, CDON, CHD7, CRHR1, CRHR2, DISP1, DLL1, DMXL2, FGD3, FGF8, FGFR1, FOXA2, FOXH1, GH1, GHRH, GHRHR, GHSR, GLI3, GNRHR, GPR161, HHIP, HNRNPU, IGSF1, KCNQ1, NFKB2, NODAL, PAX6, PITX2, PNPLA6, POLR3A, PROKR2, PTCH1, RBM28, RNPC3, SHH, SIX3, SLC15A4, SLC20A1, SOX2, STAG2, TBX19, TCF7L1, TGIF1, UBR1, WDR11, ZIC2. In diversen Studien berichtete Genpanels enthielten zwischen 25 und 260 Genen, die positive Detektionsrate lag zwischen 33 und 56 %.

  • Gibt die Symptomatik keinen besonderen Hinweis, kann auf Clinical Exome, Whole Exome (WES) oder Whole Genome (WGS) zurückgegriffen werden. Dabei ist zu bedenken, dass WGS ca. 3–4 Mio., WES ca. 15.000 bis 20.000 Genvarianten erkennt, die in Folge ausgewertet, klassifiziert und interpretiert werden müssen. Die Auswahl und Bewertung der Varianten erfolgt einerseits mit einer aufwändigen auf Datenbanken (gnomAD, ExAC, HGMD, LOVD, Ensemble, OMIM, etc.) basierten bioinformatischen Analyse (Frequenz, Struktur, SIFT, PolyPhen, Mutation Tester, NNSplice, etc.) gefolgt von einer klinischen (Symptomatik, Stammbaum, Familienanamnese) und wissenschaftlicher (Fachliteratur) Evaluierung. Es ist nachvollziehbar, dass, je größer die Anzahl der untersuchten Gene und detektierten Genvarianten, dies auch für die Anzahl von VUS entsprechend zutrifft.

    Ob VUS als alleinige Varianten bzw. auch in Kombination mit pathogenen Varianten anderer Gene krankheitsrelevant und Ausdruck eines speziellen Erbgangs sind, ist häufig schwierig und manchmal gar nicht zu klären. In derartigen Fällen ist es hilfreich, Familienmitglieder, die nicht erkrankt sind, zu untersuchen, um Aufschluss darüber zu bekommen, ob die fraglichen Varianten in keinem Zusammenhang mit der Erkrankung stehen.

  • Aus oben angeführten Gründen ist es daher unbedingt notwendig, in jedem Fall einen Stammbaum der Familie der Indexpatient:in zu erstellen und einen möglichen Erbgang zu identifizieren. Letzterer kann auch schon bei der Auswahl der Genpanels oder des Targeted Sequencing helfen.

Hinsichtlich dieser NGS-Analysen ist darauf zu achten, dass durchaus unterschiedliche Qualitätslevel betreffend der jeweiligen Untersuchungen erreicht bzw. angeboten werden, wie bereits in einer früheren Zusammenfassung des Genetischen Alphabetes näher ausgeführt wurde. So sind Core-Gene in der Regel NGS-Typ-A-Qualität (vollständige Sequenzabdeckung,) während für weitere Gene häufig lediglich Typ-B-/Typ‑C Qualität angeboten wird.

Hinsichtlich weiterer Qualitätskriterien und Limitationen (Sequenziertiefe, Coverage, Copy Number Variations, etc.) muss im Rahmen dieses Artikels auf die entsprechende weiterführende Literatur verwiesen werden.

Abschließend wird wieder darauf hingewiesen, dass die humangenetische Beratung, die VOR der Veranlassung einer genetischen Analyse wie auch NACH der Analyse unabdingbar ist, ausschließlich von entsprechendem Fachpersonal durchgeführt werden darf. Das Ergebnis der genetischen Analyse muss in schriftlicher Form mitgeteilt und mit einer genetischen Beratung abgeschlossen werden. Die Patient:in kann die Durchführung der Analyse bzw. die Mitteilung des Ergebnisses zu jedem Zeitpunkt und ohne Angabe von Gründen widerrufen.